20231211

weniger als 12 stunden zuvor am telefon gesagt, dass ich gern den ersten alarm hinter mir hätte, einfach, um es hinter mir zu haben. dann, im zug von binyamina nach tel aviv, kurz hinter der station universität, eine durchsage auf hebräisch, die ich natürlich nicht verstehe. alle legen oder setzen sich auf den boden, mehr oder weniger. der zug fährt erst langsam und hält dann an. es sind lange minuten, ehrlich gesagt ich weiß nicht wie viele. aber es scheinen deutlich mehr zu sein als es tatsächlich sind. ich bekomme nachrichten von freund:innen, die fragen, ob ich okay bin. ich sehe mich um, wie die anderen auf die situation reagieren. die soldat:innen scheinen relaxt zu sein, einige sind sehr schnell wieder auf ihren sitz zurückgekehrt. andere schreiben oder lesen auf ihren telefonen, reden leise, einer blättert zumindest durch sein buch. wir könnten einfach nur auf eine merkwürdige weise in diesem waggon sitzen, wenn es nicht diesen vielleicht 12jährigen jugendlichen gäbe, der sich unter die sitzreihe geschoben hat, ausgestreckt für all die minuten da liegt und seinen kopf mit seinen händen schützt. während sich alle anderen umsehen, bewegen, zurücksetzen, steht er erst langsam auf, als über eine durchsage entwarnung kommt und der zug langsam weiterfährt. seine junge begleiterin umarmt ihn. wenige minuten später erreichen wir savidor merkaz und steigen aus. die sonne scheint.

20231210

schlimmer tag. also so grundsätzlich. depression und overload. scheitern am bloßen sosein.

nach tel aviv gefahren. zum platz der entführten gegangen. gedacht, krass, dass ich vor ein paar monaten genau hier (also im angrenzenden tel aviv art museum) noch gearbeitet habe und jetzt ist es ein ort von so viel traurigkeit, so viel verzweiflung. traurigkeit und verzweiflung sind möglicherweise sehr leise geräusche. und sie sind möglicherweise überall. in eines meiner lieblingscafés gegangen, um shakshuka zu essen und es schön zu haben. nach sonnenuntergang zündet eine gruppe junger menschen chanukah kerzen an. sie kennen die gebete offensichtlich nicht so gut, alles geht ein bisschen durcheinander.

nicht so gute wohnung angesehen. lange mit jo telefoniert. yo getroffen. endlich. dafür den zug verpasst. nichts ist gut. aber einiges ist trotzdem besser.

immer mehr erzählungen der bereits befreiten geiseln werden veröffentlicht. es durchzieht alles. jeden raum. jedes gespräch. zahl der getöteten soldaten steigt auf 101. offenbar ergeben sich größere zahlen von hamas-terroristen.

20231208

fahren nach kfar glikson, wo ne. ihr neues cafe hat. ein kibbuz und obwohl er an keiner grenze liegt, ist das tor geschlossen und ein wachmann begrüsst uns.

as., der enkel von ed., kommt nachmittags überraschend vorbei. er ist soldat und in gaza. er holt den chanukah-leuchter vom schrank und geht zu den nachbar:innen, kerzen für uns besorgen. wir zünden sie mit einbruch der dunkelheit an, obwohl ed. sich an nur bruchstücke eines gebets erinnert. und jö. schreibt mir, dass sein freund zum ersten mal in den vielen jahren ihrer beziehung ebenfalls einen leuchter ins fenster gestellt und die kerzen angezündet hat.

nachts, als ich schon in meinem schutzraum-schlafzimmer liege, beginnt es draussen wahnsinnig zu blitzen und zu donnern. sehr gelbes licht, sehr tiefes grollen. und ich denke nicht als erstes denke ‘ach, gewitter’, sondern suche im dunkeln mein telefon, um zu sehen, ob es jetzt doch auch hier alarm gibt.

ich habe immer noch keine wohnung in tel aviv und fange an, ein bisschen gestresst zu sein. also eigentlich auch dies wie immer. nur anders. weil mir auffällt, dass menschen kaum angebote für kurze zeiträume machen; alles ab drei monate, bis nächsten sommer, bis ende des vertrages. weil sie weggehen, weil sie bei der idf sind, weil sie schierigkeiten haben, ihre mieten zu zahlen.

20231207

dann ist ein tag eben auch nur ein tag: aufstehen , homeoffice mit kaffee, japanisches veganes essen, sim-karte besorgen, zum ersten chanukah licht anzünden gehen, bier in der einzigen bar im ort, die einmal die woche, donnerstags, offen hat. nur dass die gespräche andere sind. es immer um die geiseln geht, den enkel, der im gaza ist, um gal meir eizenkot, den sohn von gadi eizenkot, dem ehemaligem stabschef der IDF und derzeitigem mitglied des israelischen kriegskabinetts, der heute in gaza gefallen ist.

20231206

es riecht wie immer. die luft fühlt sich an wie immer. die stimme, die die ankunft des zuges ankündigt, ist wie immer. ich habe mich bei der einreise an der schlange angestellt, an der es am längsten dauert und an der die person die strengsten fragen stellt, wie immer. und alles ist anders: zwischen ankunft des flugzeugs und verlassen des flughafens vergeht nicht mehr als eine halbe stunde. der flughafen ist leer. bevor man seine grenzübergangsbescheinigung ausdrucken kann, sieht man auf dem bildschirm aufnahmen der von hamas entführten. der gang zur passkontrolle wird begleitet von ihren bildern. alles geht schnell. der zug ist leer. es ist still. die menschen sind nett. das war schon so, bevor es in berlin losging. fast alle waren freundlich, leiser. wie immer gab es polizei. aber heute deutlich mehr. wie immer stand dieser kleine polizeipanzer neben dem flugzeug. aus dem holen sie uns wenige minuten vor dem abflug wieder raus wegen eines sicherheitsproblems. es dauert stunden. aber alle bleiben geduldig, ruhig. ich weine zum ersten mal seit jahren wieder in dem moment, in dem das flugzeug die grenze zwischen meer und land überfliegt.

es ist merkwürdig, nicht in tel aviv auszusteigen und stattdessen weiter bis nach binyamina zu fahren. mein schlafzimmer ist der schutzraum der wohnung. und obwohl es hier noch keinen alarm gab, stehen auf dem kleinen tisch schon eine taschenlampe und snacks.

neben meinem bett liegt eine dieser ketten mit einem “hostages and missing solidarity tags”.

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so ist der Inhalt dieser Seite inspiriert und dabei zum Teil nicht kenntlich zitiert von novemberregen.

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