20250706, sehr viel abends

ich sah gerade ein live-video-interview mit Viki Cohen, der Mutter von Nimrod Cohen, der nach wie vor in gewalt der hamas in gaza ist. es gibt seit ein paar tagen einen neuen vorschlag für einen deal, mit dem zehn lebende und 18 tote geiseln zurück kommen könnten, erst heißt es, dass hamas dem postiv gegenübersteht, dann, dass ihre forderungen zu änderungen nicht umsetzbar seien und jetzt, dass ein deal morgen verkündet werden könne. die familien sagen, alle müssen sofort raus und sie haben recht, es sollte keine weiteren unterschiede gemacht, niemand mehr zurückgelassen werden. aber darum scheint es in den verhandlungen gar nicht zu gehen, es ist bestenfalls eine positionierung, die den familien zugestanden wird. vor ein paar tagen sagte jemand zu mir am telefon, warum man denn nicht zuerst dafür sorgt, dass die noch lebenden rauskommen, die anderen seien ja schon tot und ich habe völlig die fassung verloren, in einer weise und mit einer heftigkeit, die mich noch stundenlang beschäftigen wird.

ich lese ‚das land das ich dir zeigen will‘ und es ist ein wunderbares buch (bisher), auch wenn ich noch nicht so richtig weiß, worum es gehen soll. aber es ist wie nach hause kommen (bisher) ab s. 42 gibt es eine lange passage zur central bus station und sie ist zum einen so, wie man eben über den ort schreibt (und dafür nicht dagewesen sein müsste) und zum anderen denke ich, wie man aus den darstellungen ablesen kann, wann sie da war und ich gleiche alle orte, über die sie schreibt, in meinem kopf mit erinnerungen ab und dann habe ich jedes mal heimweh. ed. schickt mir ein bild, dass sie das zimmer mit mir getauscht hat.

nach dresden gefahren. von dresden nach chemnitz gefahren. als der zug in tharandt hält, erinnere ich mich daran, dass ich mal einen freund hatte, der manisch depressiv war und immer mal nach tharandt ging, wenn es besonders schlimm wurde. der hat mir mein hochbett gebaut, weil er war zimmermann und ein guter typ und ein bisschen war es eine zeit, in der ziemliche viele menschen gute dinge für mich getan haben. jedenfalls ein sehr schönes, sehr massives bett, aus phantastischem holz. das hat er geklaut, am helllichten tag, von einem holzlagerplatz mitten in der stadt. das hat mich sehr beeindruckt und nur wenig nervös gemacht, aber ich habe ihn gefragt, ob das eine gute idee ist und er hat geantwortet, was soll passieren, wenn jemand kommt, würde er sagen, dass er manisch ist. und dann hat er das bett gebaut, zwei tage und eine nacht und wollte kein geld. orte und erinnerung. wie komisch das manchmal ist.

gefühlt ein date gehabt. bis morgens um halb 5 auf einer straße gesessen und wein getrunken und geraucht und gelacht und geredet. und die sonne fing an aufzugehen und es war stundenlang kein mensch außer uns zu sehen. ein paar stunden später bekomme ich eine nachricht und ich denke daran, dass lj. mal sagte, dass man am nächsten tag eine nachricht bekommt, wenn er interessiert ist. und ich weiß nicht, ob wir immer noch in dem alter und einer welt sind, in denen wir uns solche regeln bauen, aber in seiner nachricht stand, dass es für ihn die schönste und intensivste nacht seit langem war.

die synagoge in herford scheint immer noch geschlossen zu sein. das erste mal habe ich es vor 17 tagen gelesen. jetzt berichten zwar einige medien mehr darüber, aber immer noch auf die gleiche weise, nämlich die, als wäre es gerade entschieden worden. offenbar kam bisher niemand von diesen journalist:innen darauf, mal die polizei zu befragen, oder den bürgermeister, politiker:innen oder erinnerungskulturell-engagierten, die immer stolz und selbstüberzeugt davon sprechen, dass diese gebäude auf den willen zu bleiben verweisen.

das roskilde festival gibt seine orange donation, also seinen gewinn, dieses jahr an das rote kreuz, das damit nothilfemaßnahmen der palestinian red crescent society in gaza finanziert. auf dem festival spielten fontaines d.c. die sich mit kneecap und bob vylan solidarisierten, fahnen mitgebracht hatten, ihren namen in rot, weiß, grün leuchten liessen, parolen gröhlten und gegen ende ihres auftritts palästinensische “aktivist:innen” auf die bühne holten. damit haben sie aus ihrem konzert eine pro-palästina-demo gemacht, lese ich immer wieder. niemand kritisiert es. alle schreiben zwar über die auftritte und slogans, die als besonders radikal oder taboo-brechend wahrgenommen werden, aber niemand scheint ein problem damit zu haben, dass diese leute zu diesen veranstaltungen eingeladen werden und damit riesige bühnen – im wortsinn – für ihren israelfeindlichen, antisemitischen dreck bekommen. und mediale aufmerksamkeit kriegen dann sowieso nur eine handvoll bands und äußerungen, und ich wage mal den verdacht, dass sie nicht die einzigen sind. eingeladen in roskilde war zum beispiel saint levant, der eine rede dazu hielt, dass es einen genocide gäbe und er dankbar und erfreut sei, dass sich die menschen global nun auf die richtige seite der geschichte stellen mit ihrer unterstützung für palästina.

das ehepaar nethanjahu war vor einigen tagen in nir oz. getroffen haben sie unter anderem Einav Zangauker. und umarmt. andere protestieren; Rauma Kedem zum beispiel, deren tochter, schwiegersohn und vier enkelkinder am 7. oktober ermordet wurden. oder Danny Elgart, dessen bruder Itzik in geiselhaft ermordet wurde und der vor einigen tagen seinen 70. geburtstag gehabt hätte. Guy Iluz wäre heute 28 jahre alt geworden. er erlag vermutlich in einem krankenhaus in gaza den wunden, die ihm terroristen am 7. oktober zugefügt hatten und die dann nicht versorgt wurden. seine familie und freund:innen hatten bis dezember 2023 noch gehofft, er würde leben. hamas hat seine leiche nach wie vor nicht an israel übergeben. die familien von Maxim Herkin und Bar Kuperstein haben den medien erlaubt, eine kurze sequenz aus einem video zu zeigen, das hamas im april veröffentlicht hatte. kan 11 hat den film ’52 Days’ gezeigt, in dem Renana Gome Yaakov und ihre beiden söhne Yagil und Or über die ereignisse des 7. okobers in nir oz sprechen, die beiden jungs, damals zwölf und 16 Jahre alt, berichten von ihren erfahrungen als geiseln in gaza, Renana von ihren ängsten und ihrem kampf für die freilassung. gezeigt werden videos und fotografien, die die terroristen machten, gesprochen wird von den mißhandlungen, denen beide ausgesetzt waren. Ohad Ben Ami berichtet in der knesset über seine gefangenschaft in gaza und unter anderem darüber, dass terroristen sechs der geiseln zwingen wollten, zu entscheiden, welche drei von ihnen erschossen werden sollen.

der iron dome soll 86 prozent der raketen aus dem iran abgefangen haben.

den ersten preis des press-cartoon-belgium-wettbewerbs gewann in diesem jahr gérard alsteens mit der zeichnung einer landkarte von israel. die umrisse des eingangstores von auschwitz-birkenau sind auf die des gazastreifens gelegt. die italienische supermarktkette chain hat ihre entscheidung, israelische lebensmitte zu boycottieren, zurückgenommen. die international sociological association hat die israeli sociological association suspendiert. in melbourne steckt am freitag, gegen 20 uhr ortszeit, ein mann eine synagoge in brand, in der sich zu diesem zeitpunkt 20 menschen, unter ihnen kinder, befinden. kurz danach stürmen 20 markierte ein israelisches restaurant in der stadt, zerstören fenster und inventar, bedrohen gäste und rufen unter anderem “death to the idf”. und in der mitte der nacht werden drei autos angezündet und die wände eines nebenliegenden geschäftes beschmiert, das bereits wiederholt ziel pro-palästinensischer angriffe war. reels bei facebook spült mir vor ein paar tagen ein bescheuertes video von wayne carpendale in die timeline, in dem er einen bescheuerten und misogynen dialog mit sich selbst führt und als eine der beiden figuren hat er ein pali-tuch um seinen kopf geschlungen. das ganze hatte inhaltlich nichts mit gaza, israel oder palästina zu tun. statement als symbolisches bild. oder was weiß ich.alles normal. macht man jetzt halt so. the underground youth legen das shirt “what kind of dystopian hellhole is this” wieder auf, um gelder für doctors without borders zu sammeln. sie sagen es nicht explizit, aber ich würde mich doch sehr wundern, wenn es nicht vor dem hintergrund der äußerungen der organisation zur situation in gaza und zur förderung ihrer dortigen arbeit ist. “we will dance again” hat einen emmy als beste dokumentation gewonnen.

gestern hat england gegen frankreich verloren. es ist nahezu unmöglich, einen ort zu finden, an dem wir gucken können. entweder es wird gar nicht angeboten, oder, wie gestern, er ist frequentiert von palituch-hipstern. als ich freitagabend die hermannstraße entlanggehe, komme ich an einem fest der linken vorbei, der zaun ist mit palästinafahnen geschmückt. einen tag später, mittags, sitze ich in einem nebenliegenden cafe. irgendwann kommt eine gruppe an, sehr erwachsene menschen, die offensichtlich eine exkursion machen, wissenschaftler:innen vielleicht oder so. mindestens die hälfte von ihnen trägt einen button, der eine palästinafahne ist, das rote dreieck wird als blutstropfen verlängert. in meinen straßen gibt es immer mehr fahnen von balkonen und aus fenstern. es hat noch einmal zugenommen. deutlich. eine andere beklemmung stellt sich ein. das gefühl, das räume immer kleiner werden, enger. es erinnert mich an cottbus. aber es ist irgendwie anders. theoretisch müsste es weniger anspannung sein, weil ich als person nicht bedroht bin, weil man mir jetzt im unterschied zu damals nichts ansieht. aber merkwürdigerweise empfinde ich es als beängstigender, fühle mich auf eine weirde art bedrohter, eingeschlossener. und irgendwie komme ich nicht darauf, dieses gefühl zu beschreiben mit vernüftigen nachvollziehbaren gedanken. vielleicht weil irgendwas nur wabbert. nicht fassbar ist. vielleicht weil es so viele facetten hat. gewalttätige und so viele kleine, die präsenzen schaffen und den raum gestalten. vielleicht weil es optisch und in der szene sehr oft die menschen sind, denen früher meine solidarität gehörte, mit denen ich mein leben verbrachte, die meinen rahmen gebildet haben, meine sicherheit waren. in leipzig wird ein mann mit einem messer angegriffen, der eine kleine israel-fahne an seinem rucksack hat. ich traue mich nicht, ein neues und schönstes kleid anzuziehen, bei dem man mein hebräisch geschriebenes tattoo sehen würde. in dem cafe kommt eine junge frau zu meinem tisch, um mir zu sagen, dass sie bei der buchvorstellung war und sich bedanken will, weil es so schön war und sie zum ersten mal wieder ein bisschen hoffnung hatte. oasis haben ihre ersten konzerte gespielt. ich habe geguckt, was tickets auf dem freien markt kosten.

20250701, abends

manchmal denke ich, hier geht es egentlich nur darum, dass ich müde bin oder dass ich jammern will, weil ich nicht mehr schreibe. naja. sehe gerade, dass ich den vorletzten beitrag genauso angefangen habe. lasse es stehen zum zwecke der dokumentation meiner unübersichtlichkeiten. ansonsten jetzt ein paar zusammenfassungen, mein kopf ist zu abgelenkt (womit eigentlich?) für tatsächliche gedanken und was mich schreiben lässt ist eher die angst, dass sich zu viele dinge ansammeln. naja. nochmal. also: gemerkt, dass ich nicht zu 48stundenneukölln gehen wollte aus angst, dass es zu viel pro-palestine-dinge gibt. wobei auch eine sache gereicht hätte, mir den spaß von früher zu verderben. auch gemerkt, dass ich mittlerweils angst habe, posts von musikfestivals zu lesen. schon wieder angst also. diese woche: glastonbury. kneecap durften spielen und zeigen zu beginn einen clip, in dem menschen zu sehen sind, die sich im vorfeld gegen ihren auftritt ausgesprochen hatten, unter anderem Sharon Osbourne und lassen sie vom publikum niederschreien. davor brüllte der sänger der band bob vylan nicht nur die klassischen antisemitischen slogans in die menge, sondern auch ein „death death to the IDF“. live übertragen von der bbc. die sich erst zwei tage später “entschuldigte” und das video aus der mediathek entfernte. zehntausende besucher:innen grölen immer und immer wieder ‘free palestine” und es gibt massenhaft fahnen. es sollen sich noch andere band entsprechend positioniert haben, aber ich finde keine berichte, die tatsächlich namen nennen und bin zu faul, mich selbst durch die aufnahmen zu quälen. das festival beschließt auf der hauptbühne olivia rodrigo, die ich bisher nicht kannte, was nichts heißt oder bedeutet, außer dass ich sie nicht kannte und sie holt robert smith auf die bühne um mit ihm zwei lieder zu singen und eins davon ist friday Im in love und das macht mich in der summe völlig fertig und fragmente und ich überlegen, ob es einfach vorbei ist. weil da ist ja zumindest für mich auch noch die sache mit dem offenen brief, der die britische regierung auffordert, keine unterstützung für israel mehr zu leisten und den man bei amnesty international finden konnte, und seiner unterschrift darunter. darüber will ich seit wochen nicht schreiben weil ekel bei dem gedanken. nicht bei dem gedanken an das schreiben, sondern bei der sache an sich. und weil traurig und ein nochmal anderes gefühl von verlassensein und einfach auch nicht wissen, was damit anfangen. weil was bleibt noch. geburtstag gehabt. was anders war dieses jahr. erst kleiner zusammenbruch weil überwältigendes gefühl von einsamkeit und nie ist jemand da und kümmert sich um schönes. dann nicht gewusst, was mit mir anfangen und mich geärgert und verachtet, weil nicht gewusst, was mit mir anfangen. nicht einmal kuchen. dann phantastisch essen gegangen. eine bar in kreuzberg wieder verlassen, weil pro-palestine aufkleber am tresen und stattdessen nach mitte gefahren. dann viel alkohol. also am ende wieder betrunken nach hause und ein bisschen dann doch wie immer. viele, sehr viele nachrichten, die aus israel alle mit dem wunsch, ich solle sehr feiern. mich also auch noch schlechter gefühlt, weil ich nicht genug feiere. gebe viel geld aus für zeug, irgendwie das gefühl, einiges erneuern zu müssen. muss das mit dem job also ein bisschen durchhalten. wobei ich heute wieder so sehr feststellen musste, dass gruppen und zusammenarbeiten nicht meins sind. das macht mir angst. weil ich denke, dass es schlimmer wird, vorallem aber weil es wie ein gewirr ist, dessen regeln ich nicht verstehe. und jetzt seit stunden nicht aufhören kann, gesprächsverläufe zu überprüfen und gegen verstörende unsicherheiten anzukämpfen. jedenfalls endlich die sneaker von veja gekauft, aber nicht die dunkelgrünen, an die ich seit vancouver denke, sondern die orangenen. wegen der anderen bedeutung, die die dinge nun haben. auch die farben. die 82jährige Karen Diamond, eine Holocaustüberlebende, ist gestorben; den verletztungen erlegen, die sie bei dem anschlag in boulder am 1. juni erlitten hatte. brandverletzungen. Dani Elgarat sagt, sein bruder Itzik sei in geiselhaft bei “verhören” von hamas terroristen gestorben, die ihn verdächtigt hatten, pilot zu sein. die folterungen sollen einen herzinfarkt verursacht haben. in milan sind im öffentlichen raum dutzende plakate mit der inschrift “israelis not welcome” aufgetaucht. zohran mamdani hat sich als kandidat der demokraten für die kommende bürgermeisterwahl in new york durchgesetzt. er unterstützt bds, lehnt israels existentsrecht als jüdischer staat ab, verweigert resolutionen zum holocaust-gedenken seine unterstützung, verbreitet antisemitische sterotype, sympatisiert mit islamischen vereinigungen, die eine nähe zu hamas haben usw. usw. der kulturkosmos verbietet einen infostand von fusionistas against antisemitism & antizionism auf der fusion. die italienische supermarktkette chain nimmt isralische lebensmittel aus ihrem sortiment. einen tag fahre ich ringbahn und mir wird ein wifi namens “free palestine” angezeigt. der dyke marsch ist in diesem jahr in berlin abgesagt. auch nur aus der zeitung erfahre ich, dass Kay Zareh gestorben ist. wieder ein interview verpasst und eine gute idee für einen text vertrödelt. seine unterlagen liegen noch hier, ich hoffe, er hat vergessen, dass ich sie nicht zurückgebracht habe. schon im januar des vergangenen jahres versuchten zwei männer, die synagoge in brno anzuzünden, das wurde erst jetzt bekannt, weil die polizei verdächtige festnehmen konnte. 28 menschen starben in israel in den zwölf tagen durch rakteneinschläge aus dem iran. die präsentation vom jahrbuch war ein ziemlicher erfolg und zudem ein phantastisch schöner abend. es ist wahnsinnig heiß, überall in europa und ich mag das es so warm ist und habe angst, weil es klimakatastrophe ist.

20250624, nachmittags

manchmal denke ich, jeden tag zu schreiben, würde realität in kleine stücke schneiden können und mit kleine stücke meine ich erträglichkeiten. nachts mit meldungen zu einem ceasefire schlafen gegangen, morgens mit mehr als 100 alarm-meldungen aufgewacht und der nachricht, dass vier weitere menschen in beer sheva durch die raketen aus dem iran gestorben sind.

heute abend buchvorstellung. bisher nur irritierend positive rückmeldungen. schreiben den ganzen tag über mit d., die mir videos aus dem shelter schickt, über die situation, und dass sie nicht in der lage ist, auch nur eine minute präsentation aufzunehmen. s. geht es noch schlechter. sogar m. schreibt mir. gestern abend bekam ich eine lange nachricht von dem freund eines freundes, mit dem ich versehentlich mal eine nacht fast durchgetrunken habe, während er mir die geschichten von am 7. oktober ermordeten freund:innen und familienangehörigen erzählte. er fragt wo ich bin und was ich mache und wie es mir geht und ob ich klarkomme und was die menschen tun, die mir etwas bedeuten und als ich ihm antworte, liest er die nachricht nicht. alles ist viel. ich schreibe anderen oft von meiner müdigkeit und unkonzentriertheit und angst und den gespannten nerven, aber das wenigstens keine raketen hier sind und keine alarme und ich in meinem bett schlafen kann. das ist viel wert und das macht immer auch ein bisschen, dass ich mich entschuldige, weil es mir so schlecht geht.

20250622, nachmittags, abends und tief in der nacht

manchmal denke ich, dieser blog ist nur dafür da, dass ich schreiben kann, wie müde ich bin, oder darüber nachdenken, warum zur hölle ich es nicht hinkriege, regelmäßig zu schreiben. in zeiten wie diesen. aber überhaupt. gestern nacht sind die usa in den krieg eingetreten und haben die standorte von drei iranischen nuklearanlagen zerstört. ich habe in den letzten 48 stunden mehr geschlafen, mein kopf ist matschig, aber ich habe endlich wieder das gefühl, dass meine sätze schneller zueinander finden. ich spreche/schreibe viel, mit allen, aber manchmal weiß ich nicht, was ich sagen/schreiben soll. wie soll ich meinen stress, meine traurigkeit, meine angst jemandem beschreiben, der:die tatsächlich angst um ihr:sein leben haben muss und hat. meine angst ist, dass jemandem etwas passiert. vor ein paar stunden war die so schlimm, dass ich zwar gelesen habe, dass nach den letzten raketen aus dem iran mehr als 80 menschen verletzt sind, aber mir jede kraft fehlte, nachzufragen. die angst, mal keine antwort mehr zu bekommen. und dann hier festzusitzen. ich sehe bilder der zerstörungen und natürlich treffen die aus tel aviv mich am meisten. vor ein paar jahren gab es in meiner abwesenheit mal den dialog: ‘in wen ist kassandra eigentlich verliebt?’ ‘in Tel Aviv’ und ich habe irgendwo mal aufgeschrieben, dass, sollte ich je einen menschen so sehr lieben, wie ich die stadt liebe, es sehr verstörend werde würde für die person. und jetzt erkenne ich immer wieder orte, plätze, häuser, die getroffen sind. ich sehe auf instagram, dass bei meiner friseurin die scheiben rausgeflogen sind, dass das archiv/der laden von rudi weissenstein verwüstet ist ebenso wie der fotoladen, über den ich mich immer ärgere, zum bsp. als ich vor ein paar monaten 22 euro für einen farbfilm bezahlen musste. m. schickt mir ein bild, dass das cafe shapira offen ist und ich antworte ‘wie beruhigend’. y. und ich sprechen gestern einigen stunden, die ersten seit monaten. endlich. und ich merke es da, dass ich ihn doch mehr vermisse als ich wissen wollte. ed. schickt bilder aus dem mamad. ihr schwiegersohn ist zurück im milu’im und ihr enkel in gaza. nachdem ich seit jahren in vorträgen auch darüber spreche, dass für neubauten und für zu renovierende altbauten ein schutzraum verpflichtend ist, bin ich jetzt erschrocken, wie wenige es doch zu geben scheint. und wenn ich die bilder sehe, weiß ich auch gar nicht, ob ihre existenz in wohnungen, tatsächlich eine hilfe ist. rund 9.000 menschen sollen obdachlos sein, überlebende aus re’im, die im süden von tel aviv unterkunft fanden, sind wohl zurück in den süden gegangen, weil es sicherer schien. ben gurion soll wieder geöffnet werden. die heftigkeit der angriffe lässt nicht nach, aber vielleicht die dichte etwas. mehr menschen schreiben mir, dass sie mal durchgeschlafen haben, oder wenigstens fast. unter anderem das soroka krankenhaus in beer sheva wird getroffen. der iran soll wiederholt streubomben eingesetzt haben. gestern irgendwann habe ich mit stolz registriert, mit niemandem gesprochen zu haben. keine stunde später habe ich geheult, weil ich mit niemandem gesprochen habe und nicht weiß, wohin ich soll mit meiner angst und diesen vielen gefühlen und gedanken. es war auch eine woche, in der ich irgendwann nicht mehr sicher war, ob es eine gute idee ist, öffentliche verkehrsmittel zu benutzen und in der ich menschen noch mehr als sonst in ihrem verhalten abchecke. auch davon gibt es also steigerungen. immer mehr lese und höre ich die stimmen, die israels angriff verurteilen, mit blick auf die zivilbevölkerung. ich lese deutlich weniger sorge, um die zivilbevölkerung in israel. natürlich. aber hier bekommt das alles nochmal einen anderen beigeschmack, jedenfalls für mich, denn wo bleibt sie, die unterstützung für die opposition. ich verstehe wirklich nicht, wie all die gutmeinenden denken, die situation wäre zu lösen mit gutem willen. offensichtlich ist natürlich nur einmal mehr, dass niemand die drohungen irans und seiner verbündeten, israel zu zerstören, tatsächlich ernst nimmt. ich meine nicht die angst, die man um seine familien und lieben hat, natürlich. sondern eher das unwohlsein, wann etwas zu politik wird und dabei einen eklatanten mangel an analyse und fähigkeiten zu differenzierungen aufweist. der wille und die möglichkeiten, das iranische system aufzuhalten, waren nicht gegeben. nicht mit blick auf seine atomare bedrohung, seine unterstützung für terrorregime oder auf seine gewalt gegen frauen und alle, die nicht in diesem system leben wollen. es reicht vielleicht nicht, Jin, Jiyan, Azadî / Woman, Life, Freedom auf hauswände in berlin zu schreiben. nur so eine idee.

die IDF konnte gestern nacht drei weitere ermordete geiseln zurück nach israel bringen: Ofra Kedar (71) wurde zusammen mit ihrem mann Shmuel Kedar umgebracht und aus ihrem haus im Kibbuz Be’eri verschleppt. Yonatan Samrano (21) töteten die terroristen, als er versuchte, vom gelände des nova-festivals zu fliehen. unter seinen entführeren war einer, der für UNRWA arbeitete. Staff Sergeant Shai Levinson (19) war panzerkommandant in der eliteeinheit oz brigade. er fiel ebenfalls bereits am 7. oktober.

habe aufgehört, fest und flauschig zu hören und jan böhmermann zu folgen. ich bin zu müde, von dieser – zumindest in den themen, die mir wichtig sind – nun auftretenden undifferenziertheit, die es nicht mehr leisten kann, mir die unsäglich gefühlsdusselige dummheit von olli scholz erträglich zu machen. irgendwie scheint es mir, dass in den letzten wochen unsere / meine räume nochmal kleiner geworden sind. im hintergrund einer szene im schweizer tatort rapunzel wird in mehreren einstellungen ein riesigen “free palestine” gezeigt. heute finde ich große aufkleber gleichen inhalts in unserem hausflur.

schon in der vergangenen woche wurde im zentrum von rohrbach bei heidelberg ein denkmal mit farbe überschüttet, dass an die zerstörte synagoge und an die ermordeten juden:jüdinnen des ortes erinnert. in darmstadt wird ein jüdisches denkmal mit hakenkreuzen und ‘free palestine’ beschmiert. nach dem angriff israels auf den iran schließt die gemeinde in herford ihre synagoge, da sie nicht mehr für die sicherheit ihrer mitglieder garantieren kann. die jüdische gemeinde in mannheim sagt ihre teilnahme an der ‘meile der religionen’ ab, ebenfalls weil sie die sicherheit ihrer mitglieder nicht gewährleisten kann. im rahmen der brooklyn pride parade 2025 sollte es einen interreligiösen gottesdienst in der kane street synagogue geben. dieser wurde nun abgesagt, weil eine der beteiligten organisationen ihre teilnahme vor dem hintergrund der pro-israelischen positionen der gastgebenden gemeinde zurückzuzog. marlene engelhorn, erbin von basf (nachfolge der ig farben) positioniert sich als pro-palestine-aktivistin, solidarisiert sich mit der gaza flottille und mit dem antizionistischen kongress in wien, dessen umfeld unter anderem den Theodor-Herzl-Platz zum ‘gaza-platz’ umbenennt. bisher unbekannte randalieren im inneren der Gur synagoge in london, zerstören den thoraschrein und entweihen die thorarollen. am samstag liefen mehr als 12.000 menschen auf einer demonstration ‘für gaza’ durch berlin. einige von ihnen hatten isis-fahnen dabei. eine woche vorher rund 150.000 menschen durch den haag und fordern von der niederländischen regierung, den ‘genozid’ zu stoppen und israel weder militärisch noch diplomatisch zu unterstützen. es war eine der größten demonstrationen, die es in dem land je gab. im park am gleisdreick will ein 29jähriger einen mann abstechen, weil er eine kette mit einem davidstern trägt. die universität in genf beendet ihre partnerschaft mit der hebrew university in Jerusalem und einen studierendenaustausch mit der universität Tel Aviv. an der alice salomon hochschule dürfen aktivist:innen der ‘jüdischen stimme’ und von #palästina spricht’ als referent:innen sprechen, vermummt in pali-tüchern und mit einer großen flagge am pult. mindestens eine studentin kann sich ihre teilnahme als prüfungsleistung anerkennen lassen.

20250615, vormittags

vor nun zwei nächsten hat israel den iran angegriffen, der seitdem mit raketen und drohnen reagiert. wenig schlaf seitdem. zum zerreisen angespannte nerven. morgens aufwachen und mehr als 100 mal alarm auf dem telefon, bilder zerstörter häuser, nachrichten von toten und von verschütteten. viel um und in tlv. ich schreibe viele nachrichten. gestern nacht mit ed. telefoniert. sogar sie ist jetzt umgezogen und schläft in meinem zimmer. e. hat stundenlang nicht geantwortet und ich fing an, auf diese zerfressende art nervös, zu sein. si. schreibt mir lange ausführungen zum kampf gut gegen böse und was das alles mit tolkin zu tun hat. am ende verspricht sie mir, dass wir das jetzt jeden morgen machen können. während sie in manot im bunker sitzt und ich in meiner wohnung in neukölln. diesmal ist es anders, offensichtlich. und dass tel aviv getroffen wird, reisst irgendwas in meine haut und in meinen verstand. wir kennen plötzlich dann doch alle jemanden, der oder die in bat yam wohnt. y. schickt eine nachricht, dass einer ihrer cousins getroffen ist. ihre stimme ist leise, ich verstehe sie kaum. ich will permanent a. eine nachricht schreiben, aber dann fällt mir immer wieder ein bild ein, dass seit 48 stunden oder so in den socialen medien ist. es zeigt diese ankündigung für alarm des homefront command, aber statt der aufforderung, in den shelter zu gehen, heisst es, man soll die angriffe nicht dafür nutzen, sich beim / bei der ex zu melden. die geiseln sind nahezu aus allem verschwunden. Daniel Hagari kommt zurück.

20250612, früher abend, noch hell

nach wie vor ist der name der zweiten geborgenen geisel nicht bekannt gegeben worden. gestern nacht hieß es, die person sei ebenfalls aus dem kibbutz Nir Oz entführt worden. man findet ein paar gerüchte online, aber auch einen post des accounts der bibas-familie, die wieder einmal darum bittet, sich an solchen spekulationen nicht zu beteiligen. ich konnte natürlich nicht ein- und später dann nicht durchschlafen. recherchierte noch nach, wer aus Nir Oz alles noch gefangen ist. es hat erwartungsgemäß nichts besser gemacht. es gibt geschichten und szenarien im kopf und ich beschließe, von zu hause aus zu arbeiten. Ariel Cunio ist heute 28 jahre alt geworden. ich kann solche sachen jetzt manchmal schreiben, ohne sie nochmal nachzulesen. noch vor dem aufstehen frage ich e., ob sie sich sorgen macht wegen dem iran. ‘nein’, antwortet sie, und dass sie ‘noch wasser und zwei dosen thunfisch’ habe. später kommt sie darauf nochmal zurück und lässt mich wissen, dass sie sicherheitshalber jetzt doch noch drei weitere gekauft hat. ich muss mich schon wieder bei menschen hier entschuldigen, dass ich heute zu wenig tauge, weil meine gedanken da sind. oder irgendwo. aber anders jedenfalls als die meiner gegenüber.

in san diego ziehen sich alle jüdischen gruppen und gemeinden von allen verabstaltungen der diesjährigen pride zurück, weil dort die sänger:in kehlani als headliner:in auftritt, die in der vergangenheit mehrfach mit antisemitischen und anti-israelischen statements aufgefallen war. j. schreibt mir, wie gern sie zur buchvorstellung käme, und dass sie jetzt begonnen hat, einen verlag allein für jüdische autor:innen zu eröffnen, weil sie durch unsere gespräche und durch das jahrbuch motiviert ist. ich weine ein bisschen an meinem schreibtisch, weil ich sie vermisse, weil das so toll ist und weil mir die art von austausch, an dessen ende solche dinge entstehen, wirklich fehlen. andere würden vielleicht sagen heimweh.

20250612, nachts

vor ein paar stunden kam die nachricht, dass die IDF die sterblichen überreste von Yair Yaakov geborgen und zurück nach israel gebracht wurden. er war am 7. oktober ermordet und aus nir oz nach gaza verschleppt worden, aber bis januar 2024 hatten seine familie und alle anderen noch gehofft, dass er am leben ist. ende märz hatte seine ex-frau Renana mich und eine kleine gruppe durch den kibbutz geführt und uns dabei unter anderem ihre beiden häuser gezeigt, oder das, was davon noch übrig ist. am 7. oktober waren zudem ihre gemeinsamen söhne Or und Yagil – damals 16 und 12 jahre alt – getrennt voneinander entführt worden; Yagil von zivilisten, die ihn später verkauften. beide kamen im november 2023 frei; ich glaube, ich habe darüber schon mal geschrieben. wenig später heißt es, dass die IDF einen zweiten leichnam geborgen habe, aber der name noch nicht bekannt gegeben werden könne, erst nachdem die familie informiert sei und die erlaubnis gibt. ich dachte dann, dass ich so lange wachbleiben will, bis die nachricht kommt, weil ich nicht mit ihr aufwachen möchte. aber jetzt denke ich, dass heute nacht vermutlich nichts mehr passiert. und habe ein bisschen angst, dass das darauf hindeutet, dass es jemand ist, von dem wir noch denken, dass er lebt. bereits am samstag war bekannt gegeben worden, dass die IDF die leiche von Nattapong Pinta geborgen und nach israel gebracht hat. er war 36 jahre alt, hatte eine thailändische staatsbürgerschaft und arbeitete in der landwirtschaft von Nir Oz. die terroristen der mujaheddin-brigaden entführten ihn am 7. oktober lebend und ermordeten ihn in gefangenschaft. zeitpunkt und die umstände sind noch nicht veröffentlicht. bis zum wochenende gab es noch die hoffnung, dass er lebt, obwohl er zu den geiseln gehörte, über die es (öffentlich) keine neuen informationen gab. er hinterlässt eine frau und einen kleinen sohn. am abend veröffentlichte hamas ein bild von Matan Zangauker und droht mit seiner ermordung, sollte sich die IDF nähern. Eli Sharabi hat ein buch geschrieben, das erste einer ehemaligen geisel. es soll demnächst auch auf englisch erscheinen.

am samstag bei der mahnwache gewesen, mich geärgert natürlich und später gesagt, dass es mich auch deshalb ärgert, weil es das einzige ist, was es gibt und zu dem man gehen kann. szenischen lesung von berichten überlebender und angehöriger. anschließend zu einem geburtstag gefahren. wollte nur kurz bleiben, aus bekannten gründen, aber dann kam al. und das erste mal seit monaten sprechen wir und ich kann nicht gehen, sondern nur immer mehr trinken und zuhören und es gut finden und den moment erreichen, an dem ich sofort los muss. anschließend tagelang das gefühl, die gute situation oder irgendetwas nicht benennbares kaputtgemacht zu haben und das ärgernis, weil man sowas nicht einfach herstellen kann, weil es nur passiert, wenn man es nicht vorhersieht und eigentlich woanders sich dachte. viel zeit in bibliotheken. sage ich am montag frau fragmente noch, dass ich nicht so richtig reinkomme und deshalb auch nicht weiß, was ich eigentlich da mache (-n soll), merke ich in den letzten beiden tagen, dass es vielleicht auch daran liegt, was ich von wem lese; nicht-deutsche wissenschaftler:innen geben mir deutlich schneller das gefühl, mehr wissen zu wollen und ideen zu bekommen. lektorat des dritten teils und das jahrbuch ist immer noch im druck.

das trinity college in dublin beschließt einen umfassenden boykott israels, bricht alle kontakte zu israelischen universitäten und unternehmen ab und wird alle anteile, die der stiftungsfonds der universität an 13 israelischen firmen hat, zu verkaufen. eingestellt wird auch eine weitere zusammenarbeit im rahmen des erasmus-programms. ein hörsaal der LMU münchen wird mit antisemitsichen parolen beschmiert, auf dem mahnmal für die zerstörte synagoge in berlin-spandau findet die polizei einen schriftzug, ist aber nicht sicher, ob der politisch ist. canadas National Holocaust Monument in ottawa wird mit großflächig roter farbe beschmiert. massive attack zeigen bei einem auftritt in london oder in manchester – ich finde beides, vielleicht sind es auch zwei auftritte? – aufnahmen von yahya sinwar und seiner familie in tunneln, eingebettet in eine anti-israelische-videomontage. jetzt droht die band Hen Mazzig, der das ganze auf social media publik gemacht hatte, mit rechtlichen schritten. die riesigen screens der bühnenschow von fontaines dc beim primavera sound music festival in barcelona beinhalteten ein “free palestine”, die behauptung, israel begehe einen genozid, die aufforderung dagegen die eigene stimme zu erheben sowie eine palästinensische flagge. und sam fender gibt den 80.000 besucher:innen seines konzertes im londoner olympia stadium ein pro-palästinensisches statement. in brüssel haben auf einer öffentlichen ‘bühnenschow’ im rahmen des „resistance festival“ (6. bis 8. Juni) der organisation samidoun, maskierte männer in keffijehs und uniformen und mit spielzeugwaffen massaker der hamas nachgespielt. als alle andere darsteller, die israelis zeigen sollten, tot waren, jubelten die beteiligten ebenso wie das publikum. greta thunberg und ihre mitstreiter:innen wurden von der IDF an land gebracht und mussten anschließend ausreisen. sie sprachen in dem zusammenhang davon, dass israel sie als geiseln gehalten habe. zugleich brechen in tunis rund 7.000 menschen in einem standhaftigkeitskonvoi auf, um auf dem landweg rafah zu erreichen. in einem vorort von paris schlägt ein mann mit einem stuhl in einem cafe auf einen rabbiner ein. helga baumgarten, die unter anderem hamas öffentlich als “widerstandorganisation” bezeichnet, kann an der universität in marburg in einem raum des centrum für nah- und mittelost-studien einen vortrag halten. die israelische flagge vor dem landtag in wiesbaden wird abgebrannt. ein hotel in sarajevo kündigt der Conference of European Rabbis die räume für ihr halbjähriges treffen, nach dem ein minister dazu aufgerufen hat, dass “European Jewish event” aus der stadt zu verbannen.

ich bin die ganze zeit merkwürdig angespannt, erwarte irgendwas, kann informationen nicht gut einordnen, weiß nicht, was der iran will/tun wird, was aus den verhandlungen um die geiseln wird, was die nachrichten zur situation in gaza bedeuten, ob sich die knesset wirklich auflösen wird und was für folgen das haben könnte.

20250605, später abend

schon wieder will ich seit tagen schreiben, sammle gedanken und links und hinweise auf ereignetes. aber seit tagen gibt es auch wieder einmal eine bleierne müdigkeit und sowieso den versuch, ordnung zu halten in der zeit und das heißt vieles, im besonderen den versuch, meine arbeit als eine struktur zu nehmen, wieder zu nehmen eher und mehr als in den letzten 19 monaten. aber es ist schwer, anderes schwer, weil es gar nicht so gut funktioniert, etwas zu machen, was ich in der form zwar richtig und wichtig und das allerbeste für mich finde, aber im inhalt mich noch nicht überzeugt bin. ich denke dann immer, der ausweg und plan soll sein, das wirklich als job zu sehen, als meine arbeit zu bestimmten zeiten und nicht mehr als eine obsession oder als etwas, dessen fragen ich unbedingt lösen und klären muss. ich habe angst, dass ich darin gar nicht mal so gut sein könnte. und ein bisschen vielleicht auch, dass ich mich langweilen werde. und dann ist da das zwanghaft bewusste wissen, dass ich einen (für mich) besseren job nicht finden kann und jetzt gefälligst sofort mal glücklich zu sein habe. regeln also, grenzen, arbeits- und freizeit. und dann frage ich mich leider doch zu oft, was dieses beharren auf freie zeit denn soll, wenn ich die dann vor allem zum serien gucken nutzte und nicht zum bloggen vielleicht. ich sollte endlich dahin kommen, jeden tag ein bisschen zu schreiben und habe ich doch zu j. letztens gesagt, dass es mir gut täte. aber damit kann ich doch nicht gemeint haben, dass ich tagelang daran denke, mich schäme und/oder ärgere, dass ich es nicht hinkriege und dann doch alles auf einmal.

naja.

in meiner freien zeit auf einen flohmarkt gegangen, hier nicht weit weg, auf dem kranoldplatz und es war die art flohmarkt, die ich mag mit vielen vielen klamotten und ein bisschen kaffee und gutes essen an ständen aber dann war alles voll mit hipstern und palitüchern und ich war wie gelähmt vor ekel und ein bisschen auch vor entsetzen ob dieser normalität. ein paar tage später dann in der kunstbibliothek eine junge frau mit eindeutigen aufklebern auf ihrem rechner und als ich gestern nacht k. davon erzählen wollte, wusste er schon bei der nennung des ortes was gleich kommen wird. irritierender moment von verbundenheit nach so vielen momenten von nicht-verbundenheit. als ich vor ein paar tagen zum beispiel die s-bahn verlasse und sehe, dass es gerade wieder alarm in tel aviv gibt und m. schreibe, die sofort antwortet und ich ihre müdigkeit und verletztlichkeit durch die entfernung sofort merke, während um mich herum alle in anderen realitäten sind. jmd. schrieb mir gestern in einer längeren nachricht, wie es sich anfühlt, nach mehr als einem halben jahr wieder in der eigenen wohnung in israel zurück zu sein, wie erschrocken sie ist, weil alle um sie noch so viel gebrochener, müder, verzweifelter, ratloser, verlorener sind und wie sie nichts findet, woran sie sich festhalten kann. ich habe einen flug gebucht, aber der ist erst im september und deshalb gilt es irgendwie noch nicht. und wenn ich ihre und einige andere nachrichten und dinge so lese, dann habe ich ein bisschen angst, was es ist, wohin ich zurückgehen werde. es ist zu lang. zu viel zeit. aber nach wie vor gibt es kaum airlines die fliegen und ich kann mich nicht dazu bringen, so krass viel geld zu bezahlen. was irgendwie auch komisch ist. weil was solls. vielleicht habe ich aber auch auch bisschen angst, was es mit mir macht, wenn ich nur eine woche da bin und vor der intensität und den vielen emotionen des ankommens und des gehens. m. fliegt in zwei wochen für ein paar tage aus arbeitsgründen und ich wusste nicht dass neid etwas ist, dass körperliche schmerzen in meinem inneren macht.

a. foto bebildert einen artikel im spiegel, in dem es um den film ging, in dem er spielt und so etwas ist eine sehr merkwürdige sache und aber auch schön und ziemlich lustig. auch wenn ich niemanden gefunden habe, der:die auch darüber lacht. das jahrbuch ist fertig, aber noch nicht als gedruckte version dar. ich habe zwei seiten text vom kleinen buch, die ich vor kurzem (innerlich) als das ende der schreibblockade gefeiert habe, ersatzlos gestrichen und durch zwei neue, nun leicht geschriebene ersetzt und wie bei allen anderen büchern und texten auch muss man sich eben in der geduld üben, die die gedanken ordnet, die immer als einzelne sätze aufzuschreiben sind, nicht als das gewirr. wie immer kann ich nur hoffen, dass die erfahrung mal lernt, das empfinden zu bestimmen.

schon ende mai ist die synagoge in graz angegriffen worden; jemand schmieß einen gegenstand auf das gebäude und beschädigte den eingang. am gleichen wochenende, aber am samstag, zog in bern ein gewaltbereiter mob aus 2.000 personen vom bahnhofsvorplatz in richtung der synagoge; die polizei konnte sie erst rund 20 meter vor dem komplex aufhalten und nur unter einsatz von wasserwerfern und tränengas. ein paar tage später bringt ein streetartist namens laika in rom ein großes murial an einer hauswand an, das netanyahu und hitler küssend zeigt; er:sie nennt es ‘the Final Solution’. und noch ein paar tage später werden in paris zwei synagogen und das holocaust-mahnmal großflächig mit grüner farbe beschmiert. der stadtrat von barcelona beschloss, die institutionellen beziehungen zu israel abzubrechen und ein 1998 geschlossenen freundschaftsabkommen mit Tel Aviv-Yafo auszusetzen. das kanadische tanzstudio 303 streicht seine gaga-style-kurse; eine tanzmethode, die von dem israelischen choreografen ohad naharin entwickelt wurde. das studie schließt sich damit 15 weiteren tanzgruppen aus den usa und kanada an, die einem bds-aufruf zum boykott folgen. in frankfurt bestetzen ende mai rund 20 sogenannte pro-palästina-demonstrant:innen den eingang der frankfurter allgemeinen zeitung, um von ihr ein propalästinensisches statement zu fordern. dort entschloss man sich aber lieber, die polizei zu rufen. in boulder/colorado greift ein mann mit einem selbstgebauten flammernwerfer und molotow-cocktails eine kleine demonstration an, die an die geiseln der hamas erinnert. er verletzt sechs menschen zum teil schwer, unter ihnen eine holocaustüberlebende. in einem podcast spricht einer der gäste darüber, dass die demonstrierenden sich jede woche treffen, eine kleine gruppe etwas älterer menschen und wie sehr sich diese proteste von den großen demonstrationen in new york oder washington unterscheiden, wie isoliert sie sind und wie stetig und konsequent gleichzeitig in ihrem erscheinen. das stadtratsmitglied taishya adams verweigert kurz darauf ihre unterschrift unter einem gemeinsamen brief der abgeordneten, weil darin von antisemitismus die rede ist, während es dem täter doch darum gegangen sei, den zionismus zu beenden. lufthansa hat angekündigt, bis 22. juni den flugverkehr nicht wieder aufzunehmen, ryanair bis ende juli. greta thunberg und der schauspieler liam cunningham haben sich mit anderen in einem boot der freedom flotila auf den weg gemacht, durch die israelische blockade von gaza zu brechen. heute nacht gelang es der idf, die sterblichen überreste von Judy Weinstein und Gad Haggai zurück nach israel zu bringen. auch heute ist Yonatan Samerano 23 jahre alt geworden. sein zweiter geburtstag in der gewalt der hamas. vor ein paar tagen sind die zwillinge von David Cunio – Emma und Yuli – vier jahre alt geworden; ihr zweiter geburtstag ohne ihren vater. schon am 21. mai starb Tamar Kutz, deren sohn Aviv gemeinsam mit seiner frau Livnat und den kindern Rotem (18), Yonathan (16) und Iftach (14) am 7. oktober in kfar aza von terroristen mit kopfschüssen hingerichtet wurden.

in deutschland hat die bundesregierung beschlossen, das amt des beauftragten für den kampf gegen antiziganismus nicht neu zu besetzen.

600. oktober, morgens

600. oktober. ich weiß nicht mehr, ob ich am 500. dachte, dass wir zu diesem kommen werden. ich weiß wie dieser tag selbst schon zu krass war. ich traue mich nicht nachzulesen, was ich damals geschrieben habe, wie ich mich überhaupt sowieso nicht getraue, die vergangenen monate nachzulesen, vielleicht, weil ich lieber nicht so gern wüsste, was der schmerz alles so beinhaltet für momente und vor allem für wiederholungen. ich frage ed., warum runde tage schlimmer sind als andere, obwohl nichts anderes ist, außer die zahl. sie antwortet, man braucht akzente in der endlosigkeit. ich weine. ich weiß gar nicht warum genau. ich muss eigentlich in die bibliothek gehen, aber ich schaffe es nicht. mein kopf sucht nach ausreden, einfach im bett zu bleiben. als ob ich dafür noch etwas anderes bräuchte als diese zahl und das, was sie bedeutet.

600 tage.

20250524, abends

manchmal weiß man auf der ersten seite, dass man ein buch lieben wird. heute: Olga Grjasnowa Juli August September und ich lese es auf einer parkbank sitzend, kaffee trinkend auf der schillerpromenade. hipstersamstag. seit tagen denke ich immer wieder darüber nach, wie es ist, dass nicht nur eine beziehung endet, sondern irgendwann auch eine liebe als gefühl und was es dann macht, dass sie nicht getauscht wurde für eine liebe zu einer neuen person. was für eine art von leere da steht wenn man keine liebe mehr hat für eine beziehungsperson. und dass so aufzuschreiben ist pathetischer unsinn, um den es eigentlich gar nicht geht, sondern um das gefühl, dass etwas auf eine art vorbei ist, in der man sich freut, wenn man über die person dann mitbekommt, dass sie gerade auf eine neue art – wieder – erfolgreich ist und zum beispiel in cannes einen film vorstellt. man selbst ist also, neben der leere, absolute fine mit der person und der situation und dem ende, bis man dann in einem buch liest, wie die protagonistin denkt, dass sie jemanden liebt, weil er ihre bedürfnisse kennt und man – also ich – sich plötzlich an diese tausend kleinen gesten erinnert, als bild und als gefühl, was sie mit einem gemacht haben. sich wirklich erinnert, so im körper. also daran zum beispiel, wie er oft was zu essen dabei hatte, weil er wusste, dass ich wieder nicht gefrühstückt habe. und dann musste ich weinen. so passiert heute, auf einer parkbank auf der schillerpromenade. vielleicht. wie konnte ich von einer solchen unsicherheit zerfressen sein, wenn ich eigentlich so sicher war.

gestern nacht im holzkohlen in einer größeren gruppe von menschen sitzend, um d.’s geburtstag zu feiern und beim zurückziehen aus gesprächen und lautstärke über eine nachricht im internet gestolpert, dass in bielsko-biala pro-palestine-idioten die zusammenkunft von holocaust-überlebenden in einer synagoge gestört haben. das ist an sich schon schrecklich, aber es wurde richtig schrecklich, weil ich dort war vor einigen jahren, eingeladen von einem lokalen historiker und dann vor der gemeinde, um rosh hashana zu feiern und es war so einer von diesen abenden und überhaupt so eine von diesen reisen, bei denen man schon viel merh versteht von einer geschichte, weil man vor ort ist. es war ein guter abend, aber es war auch ein schwer abend, so dieses sitzen inmitten von fremden menschen und dann war es plötzlich unerträglich und schwer und fremd. es ist eine kleine gemeinde, die in quasi nicht auffindbaren räumen sitzt und alles ist dafür gemacht, dass diese kleine gemeinde und ihre menschen einen schönen ort haben. ich weiß nicht. irgendwie bekomme ich es nicht hin, zu denken, sagen und zu schreiben, wie schmerzlich sich das vorzustellen ist.

am hauseingang gibt es neue schmierereien. ich glaube immer noch nicht, dass es gezielt oder persönlich ist, aber ich bin umliegende hauseingänge abgegangen und habe etwas vergleichbares nicht finden können, also nicht in dem sinn, dass jemand vorletzte nacht die straße entlang ging, ohne einfach überall pro-palestine-dreck ranschrieb, wo sich die gelegenheit bot.

british airways kündigt an, bis ende juli nicht nach israel zu fliegen. in berlin wird die fassade der synagoge brunnenstraße beschmiert. edan alexander spricht darüber, wie es war, als raketen der idf ihn fast in einem der tunnel trafen, in dem er gefangen gehalten wurde. nahe des about blank wird we will dance again on dead bodys an eine plakatwand gesprüht. Eitan Abraham Mor ist 25 geworden. an der humboldt universität wurde (mindestens) ein plakat aufgehangen, das Yaron Lischinsky zeigt. über dem bild ist ein rotes dreieck und make zionist afraid geschrieben.

ich gebe zu viel geld für dinge aus. viel zu viel. dummerweise nicht für die, die ich tatsächlich brache.