20240424, abends

hamas hat vor einigen stunden ein kurzes video veröffentlicht, in dem hersh goldberg-polin zu sehen ist und spricht. es ist u.a. unklar, wann es aufgenommen wurde. man sieht, dass er seine linke hand verloren hat. ich kann nicht aufhören, an seine familie zu denken und was das mit ihnen macht. ich bin so erleichtert, dass er noch leben könnte. und ich schäme mich dafür, dass reaktionen von menschen hier in deutschland mich dazu gebracht haben, nicht mehr davon auszugehen, dass noch viele der geiseln leben. ich habe mir das video angesehen, weil es von jerusalem post verlinkt wurde, gehe ich davon aus, dass seine eltern die veröffentlichung gestattet haben. es ist grausam. kaum auszuhalten. es gibt nur gründe, warum man solche videos nicht ansehen sollte.

vor ein paar tagen angefangen, ‘arbeit und struktur’ als hörbuch zu hören. gemerkt, wie nahe und vertraut mir der rhythmus der gedanken und sätze ist. nachdem ich den blog damals bereits 1 zu 1 und das buch seitdem dreimal gelesen habe. mir fällt immer wieder auf, dass mir besonders die einträge zur auseinandersetzung mit dem thema selbsttötung in erinnerung geblieben sind und ich denke immer wieder daran, wie mir jemand während einer betrunkenen nacht im prassnik davon erzählte, herrndorf mal mit einer waffe am kopf in einem badezimmer angetroffen zu haben. mehr eigene geschichten habe ich nicht. nur die frage vielleicht, ob wir uns nicht eigentlich mal begegnet sein müssten. im prassnik oder einem der orte, die wir dann aber vermutlich doch zu unterschiedlichen zeiten besucht haben.

es ist kalt. ich finde keinen rückflug. selbst etwas für oktober zu buchen, und wer weiß schon, was da ist, ist kaum zu rechtfertigen.

“girls” geguckt. immer noch nicht verstanden, was daran feministisch ist. mit ausnahme einiger folgen und der in ihnen gesagten sätze. aber immerhin durchgehalten im gegensatz zum ersten mal bei erscheinen.

geweint, weil auf einem foto gemüse auf eine weise angeordnet war, die mich an tel aviv erinnert. geweint, als wir gestern bei einer kleinen gedenkveranstaltung für die geiseln auf dem wittenbergplatz waren. ich trinke zu viel alkohol. ich schlafe zu viel, sehe zu viele serien. arbeite kaum. spreche mit jemandem, der mir erzählt, wie er zufällig sein habil.thema fand und zufällig an den richtigen stellen im uni-kosmos ankam. darüber nachgedacht, dass mir noch nie etwas zugefallen ist, immer alles erkämpft, erstritten, durchgesetzt, trotzdem gemacht. überlegt, ob ich das noch will. diesen irrtum durchgegangen, jetzt etwas “verdient” zu haben nach all den mühen. von anfang an ja eigentlich. recherche zu putzfrauen-jobs gemacht.

20240417, statt arbeit

vor ein paar tagen sagte erneut jemand zu mir, es sei doch egal ob hamas einen deal unterzeichnet, die geiseln seien eh alle tot. ich gebe mir mühe, mich freundlich anlächelnden, auf zwei-staaten-lösung hoffenden und für mehr aufklärung gegen antisemitismus setzenden menschen die situation zu erklären. ich schreie einen freund an, weil er mir die falschen fragen stellt. ich entschuldige mich bei zu vielen menschen, dass ich gerade zu abgefuckt für gute leichte kommunikation bin. ich versuche zu lernen, nicht mehr die hauswände und stadtmöbel nach inschriften und aufklebern zu scannen, nicht die pins an der kleidung von menschen anzusehen, ihre ketten, die zeichen oder texte auf ihren tshirts und ihre großen pali-tücher zu ignorieren. ich stelle fest, dass ich als jemand die jahre teil einer (radikalen) antifaschistischen linken war, linke in öffentlichen raum jetzt skeptisch und distanziert, oft mit einem unguten gefühl betrachte, mich auf meinen wegen zu veranstaltungen und (gegen-)kundgebungen immer aufmerksam umsehe, lieber nicht lese, aufpasse, wer in die bahn einsteigt, wer vor mir geht, wer an ecken steht, wer bilder macht. ‘das alles ist wie cottbus in den 1990er jahren, nur eben anders’, sage ich zu mehr als einer freundin.

ich kann mich nur schwer konzentrieren. ich arbeite nicht so viel wie ich sollte. ich mache mir sorgen, um meine zukunft, um geld. ich schreibe bewerbungen und bekomme nur ablehnungen. ich frage mich ständig, was ich falsch mache. und stelle fest, wie schnell man aus einem akademischen “betrieb” fällt, wenn man keine feste stelle mehr hat, wie man verschwinden kann und es niemandem auffällt. ich habe keine ahnung, was ich tun und immer noch nicht, was ich werden soll. ich habe angst vor meiner zukunft und davor, kein geld mehr zu haben. ich schlafe zu viel und bin trotzdem müde. so müde. ich brauche jeden tag stunden, das bett zu verlassen. ich erwische mich, vor mich hin und auf das haus gegenüber zu starren. ich denke zu oft an a., der keine gedichte mehr schreibt. ich habe heimweh und immer noch keinen rückflug gebucht. ich gucke mir obsessiv wohnungsanzeigen an, besonders die, bei denen man einen blick auf die umgebung bekommt. manchmal weine ich, wenn ich den ort erkenne. ich zähle die menschen zusammen, die mich lange zeiten meines lebens eng begleitet haben und weder nach dem 7. oktober noch nach dem iranischen angriff wenigstens kurz nachfragen, ob ich okay bin.

20240413, nachts

vor einer stunde oder so hat der iran drohnen und raketen losgeschickt. was macht man mit und in so einer nacht. ich schreibe ein paar nachrichten. aber was kann man schon sagen?

die letzten nächte schon immer mit dieser angst schlafen gegangen. überhaupt die nächte. da war die eine, in der es hieß, dass hamas nicht mehr genügend lebende geiseln habe, um einen deal, der die freilassung von 40 beinhaltet, überhaupt einzugehen. gerade gelesen, dass sie ein ceasefire jetzt endgültig ablehnen. und da ist immer die angst, was einen morgen erwartet.

mal ist von 100 drohnen die rede, mal von 400 bis 500. gerade erster alarm im norden.

i24 sendet nur aufzeichnungen.

20240408, nachmittags in einem zug nach köln mit umweg wegen oberleitungsschäden

ein halbes jahr. zwei kundgebungen am wochenende. sehr unterschiedliche kundgebungen in ort und teilnehmenden, aber in jedem fall viel zu kleine kundgebungen. ich habe bisher nicht gedacht, dass sich fremd und allein fühlen noch durch weitere facetten erweitern lassen. but here we are.

dabei wieder viele geschichten, von angehörigen der geiseln, von überlebenden der massaker, von freigelassenen. gestern hat israel weite teile seiner truppen aus gaza abgezogen. unsicher, was das bedeutet. immer wieder ist von verhandlungen zu einem deal die rede. es gibt viel alarm. 70 prozent der früheren bewohner:innen sollen in den süden des landes zurückgekehrt sein. am freitag gab die IDF bekannt, die leiche von Elad Katzir (47) gefunden zu haben, der in gefangenschaft des/vom Islamic Jihad ermordet wurde. dessen angehörige hatten Katzir am 7. oktober zusammen mit seinen eltern aus dem Kibbuz Nir Oz entführt. sowohl im Dezember – hier mit der geisel, Gadi Mozes -, als auch im januar wurde Katzir noch lebend in zwei propagandavideos der terrororganisation gezeigt. am samstag fuhr ein fahrer sein auto die kundgebung in tel aviv. alle demonstrationen gewinnen wieder an teilnehmenden. sie werden (noch) lauter, und gehen mehr risiken ein, die polizei wird deutlich rabbiater, immer wieder auch körperlich gewalttätig gegen angehörige von geiseln. auch wenn ich nach wie vor denke, selbst schon krasseres erlebt zu haben; für die entwicklungen und die situation in israel sind dies verstörende entwicklungen. warten, ob der iran tatsächlich angreift.

versuche zu arbeiten.

schreibe viel mit si. und erfahre von den unmittelbaren raketen und habe zugleich jemand, mit der ich über diese unbestimmte und nicht kleinzukriegende angst im körper sprechen kann.

19. staffel greys anatomy nochmal angefangen, haare schwarz gefärbt. damit noch ein paar mehr unsicherheiten dazukommen. kind II getroffen, die gut aussieht und (endlich) selbstbewusst wirkt, die trotz ihrer umgebung bei ihrer pro-israelischen zuneigung bleibt und sich irritierend sehr über die bring-them-home-kette freut.

20240405, nachmittag

im unterschied zu vielen anderen krisen, kann ich mich gerade nicht auf arbeiten zurückziehen und mich darüber ordnen und zurechtfinden. nicht, weil ich keine arbeit habe, im gegenteil, mehr als genug, sondern weil ich arbeit habe, die mich quält und stresst, mich in der folge unglücklich macht und in den letzten wochen immer wieder depressionsschübe ausgelöst hat.

kein schutz. kein trost.

gestern im aboutblank auf einer diskussionsveranstaltung der jungle world gewesen. ich glaube, es ist hauptsächlich trost. ich lerne nichts neues und das eine oder andere gesagte nervt mich sogar, ganz zu schweigen davon, dass es männerdominiert ist, nicht nur in der aufteilung des panels, sondern auch in redezeiten und darin, wer auf welche weise (wann) zu wort kommt. wir bleiben anschließend lange und sprechen über unterschiedliche aspekte der situation. es ist seltsam wohltuend. überhaupt, in einem raum zu sein, in dem man erst einmal nicht vermutet, angefeindet zu werden. auf dem weg zur s-bahn hatte ich darüber nachgedacht, wie sehr sich mein blick auf menschen verschiebt, wie unsicher ich mich fühle und wie aufmerksam ich gegen meine umgebung bin, ob es mich schon an die zeit in cottbus erinnert. bereits auf dem bahnsteig vom ostkreuz gibt es polizisten und vor dem club stehen mehrere wannen. auf der anderen straße “protestieren” ein paar deppen und weil wir früh da sind, bekommen wir nicht mit, wie ihre gruppe anwächst und irgendwann so laut ist, dass wir sie im hinterhof drinnen sitzend noch rumschreien hören werden.

dieses wochenende ist es ein halbes jahr. nach wie vor 134 geiseln. es soll wieder verhandlungen geben, aber alles klingt ungenau und es gibt wenige berichte. ich erwische mich zu denken, dass es nur noch facade ist, das sprechen von vorschlägen. israel wird nie genug bieten können, hamas nie mit etwas einverstanden sein. warum sollten sie. unrwa bekommt wieder gelder u.a. aus europa.

zugleich gibt es drohungen, dass der iran angreift. reservisten der luftwaffe wurden mobilisiert, soldat:innen werden dieses wochenende nicht zu hause verbringen können. mein telefon zeigt wieder öfter alarm und ich kann nicht immer gleich unterscheiden, ob es im süden oder im norden ist.

die antilopen gang hat heute nacht ein lied zu den folgen des 7. oktober veröffentlicht. sie sind meines wissens die erste band, zumindest die erste die ich kenne, die sich auf diese weise und so eindeutig positionieren. es ist irrational wie dankbar ich und andere dafür sind. überall sind die kommentare unter dem song deaktiviert.

gestern nacht wenigstend die schmiererein an unserer tür überklebt.

ich will nur einen kleinen text schreiben und kriege es keine drei minuten hin, mich zu konzentrieren.

20240404, mittag

immer die frage, ob ich “wieder” gut angekommen bin und nie eine idee, wie ich sie beantworten soll. dass die ersten tage immer wie watte sind und man ein bisschen eingehüllt bleibt in die aufmerksamkeiten der freund:innen, dass der aufprall dann kommt, wenn sie nachlassen, üblicherweise nach einer woche oder so. meine aufmerksamkeit ist woanders. ich checke noch panischer meine nachrichten, lese dass die IDF ihr luftverteidigungssystem verstärkt und reservisten einberuft in vorbereitung eines möglichen angriffs durch den iran, lese von den protesten in jerusalem und der gewalt der polizei, von den forderungen nach neuwahlen und seit heute morgen, dass die gps-systeme nun auch in tel aviv nicht mehr funktionieren.

gestern “zone of interest” gesehen, mich geärgert über diese faszination für die täter:innen und darüber, dass über die banalität ihres soseins immer noch verhandelt wird, als würde sie gerade entdeckt. abends eine sehr vergangene ex-liebe getroffen, von der ich den verdacht habe, dass er das immer vorschlägt, wenn seine frau und die kinder verreist sind und zugleich der gedanke, dass ich diese treffen dann und wann brauche, um mich zu vergewissern, dass mein leben sehr okay ist trotz allem und ich irgendwie auch einer perspektive von alltag und beziehungsrealität und ordnung entkommen bin, an der ich mehr zerbrochen wäre als an meiner gegenwart. ich betrinke mich, weil ich nach den letzten wochen einfach gern betrunken wäre. ich verstehe nicht, warum menschen immer über die vergangenheit sprechen als die aufregende zeit, “als wir noch jung waren”. er sagt über seinen job, dass er das nun die nächsten 15 jahre auch noch durchhält. er sagt auch, dass alle geiseln sowieso tot sind. und rennt irgendwann zu einer s-bahn (die alle 10 minuten kommt) und ich bin irrational froh, als wir beide wieder in unsere jeweiligen realitäten zurückfahren.

20240402, mittags

die abreise am sonntag war von einer vielzahl kleiner guter dinge begleitet: dem busfahrer, der einfach so anhielt, dass mein weg zum bahnhof nur wenige schritte waren, dem security-menschen am flughafen, der deutsch mit mir gesprochen hat und sich darüber irrational doll gefreut hat, dem leeren mittelsitz im flugzeug. die situation am flughafen erinnerte an früher und damit meine ich nicht vor-7-oktober, sondern früherfrüher, als das system von kontrollen, ansteh-ordnungen und zuständigkeiten völlig undurchschaubar war und sie einen zwangen, jedes teil, das man in der tasche hatte, auszupacken. die wege blieben begleitet von den porträts der geiseln. jedes der schilder war dicht beschrieben mit nachrichten, wünschen, gedanken. bei Ariel und Kfir Bibas lag spielzeug, bei anderen war das abgedruckte alter durchgestrichen und handschriftlich durch die nächst höhere zahl ersetzt worden. ich treffe ka., die wieder den gleichen flug hat und wir sprechen über unsere angst, zurückzufliegen, in situationen, in denen wir wieder jederzeit hass und antisemititische positionierungen begegnen werden und in denen wir unsere traurigkeiten und sorgen bestenfalls erklären (müssen), oft aber nicht vermitteln können, in denen die komplexitäten unserer betrachtungen keine rolle mehr spielen, die nähen und die solidaritäten, die wir haben, als die falschen gelten. ich denke darüber nach, wie schnell sich nun intensitäten ergeben, wenn ich menschen (bisher nur frauen) treffe, mit denen mich erst einmal nur ein bestimmtes umfeld (leben oder lange aufenthalte in deutschland, dabei akademisches umfeld) und darin dann bestimmte erfahrungen (ein akademisches umfeld, das “offene briefe” schreibt, israelische wissenschafter:innen boycottiert, sich palästina-solidarisch artikuliert und das alles in vorgegebener intellektueller auseinandersetzung) verbindet.

meiner schwester sei dank kann ich in der wohnung nach meiner ankunft israelischen wein trinken.

gestern mittag mit al. frühstücken gewesen. der weg dahin und zurück begleitet von vielen pro-palästinensichen graffitis und aufklebern. es sind mehr geworden, aber al. sagt auch, dass es mehr israelsolidarische gäbe; allein ich habe sie noch nicht gesehen. auch die klo-türen im cafe sind vollgeschmiert und ich bin ganz müde davon, und ratlos, wie ich mich darin einrichten soll und es übersehen, um nicht permanent durchzudrehen. abends kommt an. mich besuchen und wir trinken den rest von dem wein und rauchen auf dem balkon und irgendwie ist das für die zeit und ein bisschen länger exakt was ich brauche.

20240331, vormittags

es ist immer schwer, nach deutschland zu fliegen. dieses mal ist es zudem ausgesprochen komisch, nach deutschland zu fliegen. ich hatte bis auf ganz wenige ausnahmen diese abschiedsangst nicht. und immer wenn mir gestern einfiel, dass ich am nächsten ja fliege, durchzuckte mich ein schreck und der gedanke ‘fuck, ich fliege ja morgen’.

gearbeitet, dann die photo is:rael angesehen, die nur wenige meter von mir entfernt in einem wirklich sehr schönen 70er-jahre einkaufskomplex hinter dem rathaus ist, dessen existenz mir bisher völlig verborgen war. gedacht, dass fotografien ohne bezug zum 7.oktober mir gerade uninteressant sind, über den ben gurion blvd. zum meer gelaufen, auf der promenande gestanden und (wieder) festgestellt, dass mir dieser teil des strandes einfach sehr fremd ist und die menschen nur machen, dass ich mich auf die unangenehme art als aussenseiterin fühle. die gordon st. nach hause gelaufen, über die schönen architekturen nachgedacht, zum zweiten mal in einer seitenstraße eine synagoge mit riesiger kuppel entdeckt, die ich nicht zuordnen kann, weder in der zeit noch in der form noch in der geschichte. zur kundgebung auf dem hostage square gelaufen, als Aviva Siegel während ihrer rede weint, weine ich auch (und wir sind nicht die einzigen), zur anti-regierungs-demo gelaufen und dann zur shenkin, um no. zu treffen. unterwegs daran gedacht, wie ich mir lange nicht vorstellen konnte, wieder in der stadt zu sein. weil mich zu viele orte an a. erinnert haben, weil ich angst hatte, ihm zu begegnen und manchmal auch, weil ich panik hatte, ihn in einem schlechten zustand zu finden. nichts von dem ist passiert, stelle ich zusammenfassend fest, wenig später laufe ich ar. zufällig in die arme, dem einzigen gemeinsamen freund den wir hatten. immer noch besser als ihm, denke ich, aber auch, wtf. ist diese stadt klein. mit no. und mi. gegessen, mi. versprochen, dass ich alles versuche, zurückzusein, wenn ihr baby kommt, zu viel wein getrunken, über die geiseln gesprochen, in die wohnung gefahren, yo. bringt mir ein paar meine dinge vorbei und wir sitzen lange auf der bank an der straße.

es ist immer schwer, nach deutschland zu fliegen. und jetzt verschieben sich hier die rahmen: am donnerstag hat das oberste gericht entschieden, dass es keine finanzielle unterstützung mehr für yeshiwa-studenten geben darf, die in einem wehrpflichtigen alter sind. es soll 30 prozent der gelder betreffen und ab dem 1. april gelten. seit wochen gibt es verstärkte versuche, eine neuregelung in der knesset zu finden, mit der auch ultra-orthodoxe zum militärdienst eingezogen werden können. da netanyahu seiner regierung mit zwei ultra-orthodoxen koalitionspartnern bildet – der vereintes torah judentum und der shass-partei – die, dem auf keinen fall zustimmen werden, besteht die möglichkeit, dass die regierung scheitert und es neuwahlen geben muss. gestern abend kündigte Eli Albag, Vater der nach wie vor in hamas gewalt befindlichen geisel Liri Albag an, dass dies die letzte kundgebung der familien an diesem platz wäre und sie sich nun offiziell den protesten gegen die regierung anschließen und alle auffordern, es ihnen gleichzutun. insgesamt war es gestern die größte demonstration seit dem 7. oktober. und es gab danach ausschreitungen bei dem versuch, straßen zu blockieren. auch in jerusalem kam es zu auseinandersetzungen, unter anderem als protestierende eine barriere durchbrachen, die in unmittelbarer nähe zu nethanjahus haus besteht. weitere demonstrationen fanden in sderot, or akiva, haifa, beersheba, caesarea statt. ich habe bisher nicht verstanden, was genau dazu geführt hat, dass das Hostages and Missing Families Forum seine bisherige position aufgegeben hat, aber nicht nur, dass es nicht vorwärts geht und immer wieder berichte über nethanjahus unwillen eine lösung herbeinzuführen, letzte woche hat er sich zudem erstmalig (!!!) mit den angehörigen entführter soldaten getroffen und es blieb unkonkret.

am kommenden samstag sind es sechs monate. sechs fucking monate.

es ist zu schwer, nach deutschland zu fliegen.

20240330, früher nachmittag

gestern nach jerusalem gefahren. früh aufgestanden, den bus genommen, in einem cafe in der betsal’el st. gefrühstückt, mir nette sachen von den verkäuferinnen auf dem designmarkt sagen lassen, zum ort der hostage-familien in der azza st. gegangen, der nur wenige schritte von netanjahus haus entfernt ist. anders als in tel aviv ist hier kein platz mit diversen installationen und vielen besucher:innen; neben dem zelt mit den porträts der geiseln gibt es einen langen tisch mit stühlen und tellern, auf denen halbe trockene pitas liegen, plakate und banner und eine reihe gelber stühle vor dem gehweg schon auf der straße, eine volontairin verteilt abgerissene teile von klebebandrollen, auf die sich mit einem pfilzstift die tage schreibt. 174. und an passant:innen verteilt. es gibt nicht viele, die anschließend stehenbleiben, aber autofahrer:innen hupen immer wieder und ich glaube, hupen kann unterschiedlich klingen, weil hier ist es zustimmung und solidarität und nicht einen moment aggressiv. komisch auch. wir unterhalten uns auch ein bisschen, weil sie sich bedankt, dass ich gekommen bin und ich versuche ihr zu sagen, dass sie sich dafür nicht bedanken muss. sie spricht über die familien, die den ort hier besetzten und in den ersten wochen und monaten hier auch schliefen. nun versuchen die volontair:innen das zu übernehmen, auch um die angehörigen zu entlasten, denen es zunehmend schlechter geht. später, im bus zurück nach tel aviv, werde ich anfangen zu denken, dass es das ist, was ich hätte tun sollen, vielleicht nicht jeden tag, aber doch regelmäßig nach jerusalem fahren und dort volontairen. ich ärgere mich seit dem über mich und meine depressionen und selbstbezogenheiten, meine derzeitigen unfähigkeiten, anwesend zu sein in der situation und in den leben anderer.

zum zappa lab durch jerusalem gelaufen, was zugleich teil meiner damaligen joggingstrecke war. wieder gedacht, dass ich die stadt jetzt mag und gemerkt, dass sie mir vertraut ist, immer noch. menschen, die allein zur show von daniel ryan spaulding kommen, werden im hinteren teil des raumes an der bar platziert. dafür bleibt es mir erspart, mir einen tisch mit fremden teilen zu müssen. wieder die beobachtung gemacht, dass man die in den bars und cafes arbeitenden menschen persönlich und dabei tief enttäuscht, wenn man sagt, man wolle nichts essen. die show war phantastisch und für jemanden, die stand-up comedy irritierend findet, habe ich es genossen und gelacht und ja, geweint. viel berlin- und deutschland-bashing, sehr viel klares zu antisemitismus und israel-hass in der community. möglicherweise hat einiges am abend zuvor in tel aviv besser funktioniert, weil mit sicherheit anderes publikum. ausgesprochen viele religiöse paare waren dagegen in jerusalem im publikum. ‘das hat mir aber gut getan’, denke ich, als ich auf den bus zurück warte, und dass es etwas war, das ich und andere offenbar gerade brauchten.

als ich zurück in meiner wohnung bin, bin ich so müde, dass mir nur serien bleiben und selbstmitleid. trotzdem wieder nicht vor 11 uhr aufstehen können.

seit zwei tagen ist sommer. noch von der art, die einen außerhalb der wohnung nicht den wunsch haben lässt, lieber zu sterben. immer wenn der wind dann so vom meer durch die straßen weht, denke ich ‘ganz im sinne der erfinder’ und freue mich jedes fucking mal. es ist anders, hier zu wohnen als in den gegenden, in denen ich das normalerweise tue. man begegnet zum beispiel immer noch menschen, die dem bild dessen entsprechen, was ‘jeckes’ sind. oft sehr alt und klein und zu gut gekleidet, zu schick und elegant für tel aviv und irgendwie aus der zeit gefallen.

irgendwie kriege ich nicht klar, dass ich morgen zurückfliege.

20240328, früher abend

ich bin zwar schon mal bis nach yad mordechai gefahren, weil ich das von arieh und eldar sharon entworfene gebäude des ‘Holocaust to Revival Museum’ sehen wollte, aber mein enthusiasmus für touristische reiseziele hält sich in grenzen, auch wenn sie in israel sind. dass ich nach mehr als zehn jahren überhaupt mal in masada war zum beispiel, ist nur dem umstand zu verdanken, dass an. mich 2022 in jerusalem besucht hat. jedenfalls war ich gestern mit ro. und zwei ihrer freundinnen in der Avshalom Cave / Soreq Cave; einer tropfsteinhölle unweit von bet shemesch. und es war abgefahren und ein bisschen aufregend und so ohne tourist:innen waren wir ganz allein, was alles vermutlich noch abgefahrener und aufregender gemacht hat. meine hoffnung wäre nur, so ganz grundsätzlich, dass naturschutzparks keine werbung damit machen, dass es bei ihnen schlangen gibt. anschließend wein in der flam winery und dann wein und veganen käse und führung in der clos de gat winery. weil ro. und ich nicht gefrühstückt hatten, war alles sehr schnell sehr lustig. ansonsten fremde welt, wie es so ist, wenn man mit menschen unterwegs ist, die viel geld haben und mal ebend ohne mit der wimper zu zucken 1.000 euro davon in wein investieren. es ging über stunden um viele und banale dinge und bevor wir den letzten wein tranken, stießen wir an auf die baldige rückkehr der geiseln, um anschließend wieder nur über banale dinge zu sprechen; darüber beispielsweise, wie schön das land ist, durch das wir fuhren und ich sah es mir an und merkte dabei immer wieder, wie wie irrational vertraut es mir ist.

für diejenigen, die keinen zugang zur new york times haben: den artikel und das interview mit Amit Soussana kann man hier lesen.

associated press hat in der kategorie “Team Picture Story of the Year” (reynolds journalism institute der missouri school of jounalism) für den fotoessay “israel and hamas war” gewonnen. unter den preisträgern ist damit auch der freiberuflich u.a. für ap tätige fotograf ali mahmud, der die hamas- und andere terroristen bereits seit dem frühen morgen des 7. oktober begleitet hatte und unter den so ausgezeichneten fotografien ist eines der entführung von Shani Louk am 7. oktober, das er aufgenommen hat; die aufnahme einer halbnackten frau, die mit dem gesicht nach unten auf der rückfläche eines pickups liegt. um sie herum bewaffnete männer. die jury verwendete das bild auch bei der ankündigung der preisvergabe auf instagram. Shani Louks name wurde nicht genannt. sie wurde am 30. oktober offiziell für tot erklärt. ihre leiche ist nach wie vor in der gewalt von hamas. am mittwoch ist im amsterdam eine jüdin in ihrem haus von drei frauen bedroht und beschimpft worden, deren tochter in der idf dient. schon in den vergangenen wochen waren banner in der nachbarschaft aufgetaucht und leute mit palästinaflaggen auf ihrer arbeit aufgetaucht. aufgrund von sicherheitsbedenken wird israelis, die den esc in schweden besuchen wollen, empfohlen, ihre identität zu verbergen. Neria und Daniel Sharabi, die das hamas-massaker auf dem gelände des nova-festivals überlebt hatten und am sonntag nach großbritannien einreisen wollten, um in manchester vor der jüdischen gemeinde zu sprechen, wurden von angehörigen der dortigen grenzpolizei über zwei stunden festgehalten und verhört.

gestern abend fiel ein insekt von beeindruckender größe von irgendwo auf mein bett und alles was ich denken konnte, war “ach, sommer ist da”.