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20241021, nachmittags

zurückkommen sind antisemitische, anti-israelische, pro-hamas-, pro-palestine- und rote dreiecks-graffities an allen fassaden. menschen mit pali-tüchern am nachbartisch im cafe, auf den straßen, im lebensmittelladen, im zug. jemand hat das ‘free palestine’ am klingelschild erneuert und dabei noch größer gemacht. kauf dir halt sprühdosen oder vielleicht ziehst du doch besser um, heißt es, wenn ich sage, dass es mich verstört. alle hiergebliebenen haben deutlichen vorlauf im gewöhntsein.

zurückkommen ist zu viel alkohol, viele verabredungen, immer noch wenig essen und immer noch schlecht schlafen, um alle zwei bis drei stunden die alarme auf dem telefon zu checken. zurückkommen ist auch, dass es schwer ist, über die vergangenen fast zwölf wochen zu reden, vielleicht will ich gern auch glauben, dass es schwer ist, danach zu fragen, weil sonst müsste ich denken, dass es niemanden interessiert und dass ich und meine ankunft gerade vor allem und manchmal nur dazu dienen, das eigene sosein, denken und verzweifeln bei mir abzuladen. aber die nachbarin zum beispiel fragt gar nicht und ich merke, wie sich mauern ziehen und meine welt immer (noch) kleiner wird. es gibt eine merkwürdige mischung aus schweigen und abladen und ich bin müde und k. sagt, du kommst ja auch aus einem krieg und ich antworte, das stimmt so nicht, wie gut wir es haben in tel aviv im vergleich zu allen anderen aber das ist vielleicht nicht alles, worum es dabei geht.

simwar ist seit mitte vergangener woche tot, plötzlich wird er als das beschrieben, was er eben auch war: das / ein hindernis für einen deal zur befreiung der geiseln. nun werden neue verhandlungen versucht, aber alles bleibt ungewiss, offen, vage. gestern schickte hizbollah rund 200 geschosse nach israel. auch gestern tötete sich Shirel Golan selbst. es war ihr 22. geburtstag und sie hatte das hamas massaker auf dem nova-festival überlebt, aber nicht die folgen, die die erfahrungen diesen tages hatten.

after woke von jens balzer gelesen. gedacht: ganz gut als erster versuch, aber auch, dass es merkwürdig ist, wie wenig ernst er den antisemitismus seiner protagonist:innen nimmt und wie irritierend dann der habitus seiner annahme, besser überzeugung bleibt, nur mal sagen zu müssen, was sie stattdessen machen sollen, worauf sie sich besinnen müssen, wo sie umzukehren haben, um ideen von postkolonialem und wokem-denken noch zu bewahren. eine explizite analyse von antisemitismus war da nicht dabei. und aufgefallen ist ihm offenbar auch nicht, dass die szenen selbst, oder besser diejenigen, die in ihren namen sprechen, wenig bedürfnis zur auseindersetzung mit dem eigenen wahn erkennen lassen. gewagt, sage ich mal, gewagt.

20241014, abends

mi. fragt, warum ich denn überhaupt zurückfliege und ich sage ‘geld’. mit si. spreche ich über meine angst, wieder in deutschland zu sein und mit yo. darüber, warum es für mich trotz allem leichter ist, hier zu sein. weil nämlich zum beispiel wenn in binyamina eine drohne der hezbollah vier menschen tötet und 58 verwundet, man nicht nur telefonieren kann und nachrichten schicken, sondern sich auch überlegt, einfach die freundin und ihre familie am nächsten tag zu besuchen und weil alle wissen, wie es einem geht und man nicht mehr fragt, wie es einem geht, nur noch als witz manchmal und wenn man traurig ist, es dann so ist, dass viele andere auch traurig sind. oder wütend, oder verzweifelt, oder mal für einen tag glücklich, wie damals, als mal eine geisel gerettet wurde. und man muss nichts erklären und sich nicht rechtfertigen, sondern vor allem räume schaffen, in denen andere traurig, wütend, verzweifelt sein können. und manchmal einen moment froh.

mit allen spreche ich darüber, wer wann wo war bei welchem alarm und was uns mehr sorgen macht, die raketen oder die terrorangriffe. die terrorangriffe liegen leicht vorn. ich erzähle von einem interview, dass ich gelesen habe, mit einem polizeiverantwortlichen, der sagt, er und seine kolleg:innen arbeiten schon am limit und man müsse als bevölkerung jetzt einfach ein bisschen vorsichtiger sein. gestern nacht, nachdem yo. und ich über raketen und das hierbleiben und ein bisschen noch über das arbeiten gesprochen haben, gehen wir in einen kleinen club von der art, von der ich nicht mehr zu hoffen dachte, dass sie noch existieren. und es war ein kleiner ort und es war voll mit nur wenigen menschen und es war sehr lustig, und yo. bittet mich, dass wir nicht an der tür stehen, wegen erschossen werden oder wegen erstochen werden und irgendwann gehen wir dann auch, weil mehr nerven haben wir nicht, nicht übers erschossen werden oder erstochen werden hinwegzufeiern.

weniger als 36 stunden vor abflug gebe ich auf und kaufe einen neuen hoodie. dann sitze ich ein bisschen auf dem platz und weine nur für mich. omer neutra ist heute 23 jahre als geworden. sein zweiter geburtstag als geisel der palästinenser. nach haifa gefahren, weil ich unbedingt so. noch mal treffen wollte. auf der hin- und rückfahrt dreimal alarm gehabt, alarm in zug ist komisch, weil draussen gibt es ja keinen, nur auf dem telefon und der zug fährt langsam und bleibt stehen. man sieht auch die abwehr nicht durch die fenster und wartet einfach minutenlang, dass es weitergeht, als wir am strand sitzen hören wir die angriffe weiter im norden. der strand ist leer.

gestern mit dem bus in den süden gefahren. das reisen war ein abenteuer, davon schreibe ich nicht. weil es das sprechen über den ort des nova memorials überlagert. und über den ort schreibe ich nicht, weil es zu viel ist. zu intensiv, zu viel. nur vielleicht, dass er sich so verändert hat. dichter geworden ist. in seinen elementen und in seinen erzählungen. dass er einem das atmen schwerer macht. und das dasein anders als im dezember. dass es keine hintergrundgeräusche mehr gibt. nur eine andere art der stille.

letzte tage machen meinen körper und mein denken taub.

20241012, abends

yom kippur und die entscheidung: kein telefon, kein internet. etwas von der stille diesen tages in meinen kopf bekommen. und dabei ist etwas passiert, das sogar mich erstaunt: ich weiß, was ich als nächstes machen, sprich ablenken werde. erst dachte ich darüber nach, mir möglichkeiten zu organisieren, in tages- und anderen zeitungen zu schreiben. Dann schlug ich die architekturzeitung dérive auf, die vor kurzem zum thema „die extreme rechte im stadtraum“ eine eigene ausgabe veröffentlicht hat und drei der vier texte zum schwerpunkt sind nicht nur von männern geschrieben, sondern allein von den männern, deren positionen, forschungen, arbeiten, erkenntnisse die auseinandersetzung zu dem themenkomplex dominieren, zumindest dann, wenn man sich in ihnen kritisch verhalten möchte. und dann hatte ich keine lust mehr, weder das (nochmal) zu lesen noch mich weiter abzumühen, um endlich mitreden zu dürfen. und dann habe ich mich erinnert, dass ich bereits einmal in einer solchen situation war, (kleiner funfact am rande: in der war sogar einer der o.g. männer involviert, und) in der gerade ein dfg-projekt-antrag abgelehnt worden war, was mich mit einer gehörigen portion an zukunftsangst ausstattete. lustigerweise war der moment auch in tel aviv, rund 1.100 meter von meiner jetzigen wohnung entfernt. begünstigend kam gerade noch hinzu, dass ich mich seit nun rund vier monaten mit einer buchidee quäle, die nicht vorwärts geht und von der ich jetzt denke, dass ich a) vielleicht einfach nicht gut bin, über dinge zu schreiben, die in meiner vergangenheit liegen und zwar egal, wie gut die idee ist; b) ich dies vielleicht sowieso nicht ohne therapeutische begleitung oder ein engeres netzwerk an beteiligten tun solle und c) die frage, ob das ausbreiten meiner trauma in einem öffentlichen raum unabhängig von dem punkt, wie gut ich über sie schreiben kann, nochmal ernsthafter besprochen werden sollte und das nicht nur in meinem kopf. aber ich brauchte eine ausrede, um davon zu lassen. weil was ist in meinem leben, wenn ich kein buch schreibe. so oder so: ich habe beschlossen, eins zu schreiben zu deutschem erinnern, ein bisschen mehr essay und alles rauskramen, was da seit jahren in meinem kopf ist und endlich mal mir den raum zu nehmen, damit meine ich den platz sowohl auf dem papier als auch in meinen gedanken, die dinge zu ordnen, zu überlegen und auf die weise zu setzen, wie sie mir sinn erscheinen. und endlich mal wieder aufhören, mich daran abzuarbeiten, dass andere mich nicht zu ihren partys, sprich konferenzen und sonderheften einladen. weil sie die macht haben und weil sie denken, alles wichtige dazu selbst sagen zu können.

ausserdem lange spazieren gewesen. ein paar bilder gemacht, rumgesessen und gelesen.

das telefon war trotzdem an, aus angst, dass es alarm gibt. es gab viel alarm, aber nicht in tel aviv. als ich mich wieder mit der welt verbunden habe, war unter den vielen nachrichten auch eine der idf, dass hizbollah heute rd. 320 raketen geschickt hat. in herzliya wurde ein altenheim von einer rakete getroffen, es gab keine verletzen.  

20241010, nachts

jahrestag heißt auch, viel mehr geschichten, viel mehr bilder, viel mehr präsenz der ermordeten, der geiseln, der überlebenden, der freigelassenen und der angehörigen. die angewohnheit, morgens nach dem aufwachen instagram durchzugehen macht heute, dass ich lange nicht aufstehen kann/will und dann die vorgenommenen ideen reduziere, es aber zu beit ariela schaffe und damit arbeit und struktur das erste mal seit gefühlt ewig und die feststellung, wie gut mir das tut. davor und danach den platz der geiseln betrachten und feststellen, dass er sich verändert hat. das schien mir am 7. oktober schon so, aber nun wird klar, das er wirklich verlassen ist, größer wirkt, mehr auf tatsächliche veranstaltungen ausgerichtet ist. installationen sind verschoben worden, um freie flächen zu schaffen, andere sind ganz verschwunden. den abend bei o. verbringen und der spricht über nichts anderes als diese geschichte. ich bin überrascht, wie sehr er sich damit beschäftigt, das heißt, wie viele interviews und wie viele dokumentationen er gesehen hat. wir wissen beide nicht, wie die überlebenden mit ihren geschichten in zukunft überleben sollen, aber wir können auch nicht aufhören, darüber zu sprechen. als er das kind ins bett bringt, sehe ich im fernsehen ein interview mit rachel und jon goldberg-polin, das erste mal, dass ich sie höre seit der beerdigung ihres sohnes hersh. es geht um die bedingungen, unter denen er und die anderen fünf von hamas getöteten geiseln die letzten monate ihres lebens verbringen mussten, dass er nur noch 53 kg wog, welche kugeln ihn wo getroffen haben und wie sich daraus der ablauf seiner ermordung rekonstruieren lässt. rachel goldberg spricht von dem willen, alle details und seien sie noch so grausam, wissen zu wollen. sie beide reden über die bisherige unmöglichkeit, in eine zukunft zu denken oder zu leben. dass es oft nur darum geht, durch die nächste halbe stunde zu kommen, was es mit sich bringt, dass ihr sohn zu einem symbol geworden ist, den so viele menschen so sehr und so intensiv betrauern; wie hart es also ist, wenn menschen bei ihrem anblick und ohne sie persönlich zu kennen, in tränen ausbrechen. wenn man zu einem trigger für den verlust von fremden wird, sagt rachel goldberg und macht zugleich klar, wo die grenzen der empathie ist, wenn sie übergriffig wird. sie macht, dass ich wieder weine, aber sie macht auch, dass ich wieder einen rahmen herstellen kann, bezugspunkte für mein denken habe.

Yarden Bibas ist heute 35 jahre alt geworden. es ist sein zweiter geburtstag in der gewalt der hamas.

gestern abend dagegen mit einer gruppe von menschen in einer bar getroffen. fast alleiniges thema waren die raketen. die tatsächlichen aus dem iran, dem libanon und aus gaza, und auch die, die noch kommen könnten wahrscheinlich. was weiß man schon, wenn man sich anguckt, wie sich gerade der raum, den hizbollah beschiesst, massiv ausgeweitet hat. es ging immer wieder auch darum, wer wann wo war und wer was zu wem wie gesagt hat, also darum, das eigene erleben darzustellen und manchmal auch darum, sich als jemand zu profilieren, der gar keine angst hat und sogar segeln ging, obwohl auch immer wieder raketen im meer landen, nur das halt ohne alarm und iron dome. zugleich sind zumindest wir an dem tisch uns einig darüber, dass die anschläge und dabei besonders der in yaffa letzte woche, uns nervöser machen, als die raketen. vielleicht und nur im geheimen beginnt man dem israelischen abwehrsystem ein bisschen zu vertrauen. nicht so viel, dass man im bett liegen bleiben würde, aber doch so sehr, dass man versucht, sich nicht völlig irre zu machen. aber auch darum ging es immer wieder, die nachbar:innen mit denen man im bunker ist und die ausflippen vor angst, etwas, das gesteigert wird, weil man in bunkern oft (oder immer?) keinen empfang hat, spricht, nicht nur seine angehörigen und/oder freund:innen nicht erreicht, sondern vor allem nicht weiß, was da draussen vor sich geht. darüber hinaus versuchen wir uns zu orientieren, was genau alles in der zeit seit dem letzten treffen passiert ist, weil das ist so viel und manchmal grundlegend, dass kaum einer den überblick hat oder es als chronologie nachzeichnen kann. es gibt überraschend viele emotionen dafür, dass wir uns als gruppe ebenso wie im einzelnen nur wenig und selten kennen. alle sprechen wahnsinnig laut und durcheinander und niemand lässt irgendjemanden ausreden und mir beginnt der kopf irgendwann zu schmerzen und ich muss irgendwann nach hause gehen und dabei goatcheese-eis essen.

aber alles bleibt schwer mit dem vertrauen: gestern fuhr ein 36-jähriger araber aus Umm al-Fahm mit einem moped durch Hadera und stach an vier verschiedenen plätzen auf seine opfer ein. sechs menschen, darunter ein teenager wurden zum teil schwer verletzt. auch gestern schickte hisbollah allein auf Kiryat Shmona 20 raketen. dabei wurden Dvir Sharvit (43) und Revital Yehud (45) sowie ihre drei hunde von herabfallenden fragmenten so getötet. in haifa und seiner umgebung wurden mehreren menschen ebenfalls durch raketenteile verletzt. ich merke, dass ich nicht mehr weiß, wie viele soldaten bereits gefallen sind, aber ich weiß doch, dass ihre zahl hoch ist und sie schnell steigt, die polizei und shin bet haben fünf arabische israelis in taybeh festgenommen, die als isis-anhänger (sagt man das so?) einen anschlag in tel aviv verüben wollten. in weiteren teilen von nordisrael mussten die einwohner:innen ihren wohnungen und häsuer verlassen, da sie zu geschlossenen militärischen zonen werden. in Arab al-Aramshe aber zum beispiel sollen sich rund 1.400 menschen weigern, sich zu evakuieren. es gibt so viel alarm über den tag verteilt, dass ich schon kaum noch auf die orte gucke, darum wissend, dass wenn es mich tatsächlich betrifft, ja noch mal ein spezieller alarm kommt. mir ist heute endlich aufgefallen, warum die stadt so dunkel ist: nicht nur, dass sehr viele läden einfach leer sind und nicht beleuchtet werden, auch genutzte geschäfte verzichten darauf, nachdem sie abends schließen.

seit einigen tagen ist das Cafe Otef in florentin nun der ort für meinen morgendlichen oder mittaglichen kaffee. es ist ein bisschen zu weit weg von meiner wohnung, um aus dem besuch ein tägliches ritual zu machen. aber weil es von menschen aus den kibbutzim der otef aza, der gaza envelope gegründet wurde, die das hamas-massaker am 7. oktober überlebten und ihre häuser verlassen mussten, ist mir das egal. das cafe soll ihnen einkommen und beschäftigung, aber vor allem auch gemeinsamen raum ermöglichen; ich glaube es gibt einige und vielleicht nicht wenige, die sich sorgen machen, dass die strukturen endgültig zerbrechen, dass das gefühl einer gemeinschaft nicht wieder herzustellen und/oder aufrecht zu erhalten ist. vor einigen tagen sind mi. und ich zufällig in einem neubaukomplex gelandet, in dem viele überlebende aus re’im wohnungen zur verfügung gestellt wurden; etwas, das ich nur weiß, weil ein wachmann uns darauf aufmerksam machte und deshalb vielleicht auch ein bisschen zum gehen aufforderte. ein erste café war in sarona eröffnet worden, das zweite, das vor allem mit dem kibbutz Re’im verbunden ist, nun vor kurzem hier in florentin. fünf weitere sollen folgen, so dass es am ende für jeden der sieben kibbutzim, die besonders hart getroffen wurden an diesem tag, ein solches café gibt. verkauft werden auch produkte, die mit diesen orten verbunden sind, darunter unter anderem Dvir Chocolates; konfekt, das Dvir Karp entwickelt hat, der in Re’im lebte und am 7. oktober ermordet wurde. seine frau stellt es nun nach seinen rezepten weiter her.

das bewusststein für die dinge, die mir gleich sehr fehlen werden und für die, die ich nicht mehr machen kann bis nächste woche, steigt rasant. und ich muss ein bisschen darauf achten, mich nicht tatsächlich zu verachten, dafür zu verachten, für viele dinge keinen alltag hergestellt zu haben. für einen steten besuch der bibliothek zum beispiel, oder für das essen von hummus.

20241008, abends

bevor ich ende januar zurück nach tel aviv geflogen bin, habe ich meiner schwester unter anderem meinen bring them home pullover geschenkt. weil ich dachte, wenn ich ende april (?) wieder nach berlin komme, werde ich ihn nicht mehr brauchen. und damit meinte ich nicht wegen dem wetter. über den aspekt des nach-kaufens habe ich damals geschrieben und hoodies gab es dabei dann sowieso nicht wegen gleich sommer. gestern abend auf dem hostage square vor der übertragung der veranstaltung für / mit den angehörigen habe ich zum ersten mal wieder diese pullover an den ständen gesehen und ich wollte gern einen haben aber ich konnte ihn nicht kaufen einfach weil es ging nicht. es war wie nochmal anfangen. und ich hatte nicht die kraft. komischerweise aber war es möglich, ein tshirt zu erwerben, das es an dem abend zum ersten mal gab.

vor ein paar monaten habe ich an anderer stelle geschrieben, dass ich mir mehr als ein neues cure album die rückkehr der geiseln wünsche. in weniger als einem monat wird das neue cure album erscheinen. ich habe sehr lange darauf gewartet. natürlich konnte man nach dem letzten, 2008 erschienenen album 4:13 dream nicht gleich denken, dass ein neues erscheint. aber irgendwann wurde der zeitraum zu lang. und irgendwann danach fingen ein komisches warten an, das von ankündigungen, andeutungen und dann von den auf der tour veröffentlichten songs unterbrochen wurde. ich hatte immer ein bisschen angst, vorher zu sterben und dass es dann so eine geschichte auf meiner beerdigung ist, das ich tot bin und nie das neue cure album gehört habe. wie auch immer. ich habe lange gewartet auf diesen moment und jetzt empfinde ich nichts, das über den ersten kurzen moment der aufregung bei der ankündigung hinausgeht. leere. es ist mir nicht egal. offensichtlich. aber es macht nicht das mit mir, von dem ich jahre dachte zu wissen, wie es sich anfühlt. frau fragmente hat mich vor ein paar tagen auch nach meinem dating-life gefragt und das hat mich irritierend lang durcheinandergebracht. ich habe in den letzten wochen mir ungewöhnlich oft gewünscht, nicht auf diese eine bestimmte art allein zu sein. aber die frage hat mich unvorbereitet getroffen, weil jede form von dating oder jemanden-kennen-lernen unvorstellbar sind. und das war mir bis zu dem moment nicht bewusst. und jetzt ist es mir bewusst und das schnürt noch mehr traurigkeit in meinen körper. es gibt wenig kraft für dinge, die mir nicht vertraut sind, die ich neu in meinen emotionalen oder gedanklichen oder zeitlichen haushalt aufnehmen kann. mir fehlt ja schon die kraft, eine serie zu schauen, die nur ein bisschen anspruch hat und mit der von mir erwartet wird, dass ich mitdenke. ich würde gern wieder anfangen, ernsthaft zu lesen, zu denken und zu schreiben, aber ich schaffe es nicht. ich würde gern etwas wirklich schönes erleben oder denken oder fühlen. aber ich schaffe auch das nicht. ich bin so erschöpft, so müde, so kaputt, so gebrochen, so traurig. und mir fehlen die geduld und die großzügigkeit für das denken und reden von anderen. ich habe so eine unfassbare wut darüber, dass es menschen entweder egal ist, was am 7. oktober und in dem folgenden jahr passiert ist oder darüber, was sie mit der erinnerung und/oder zur einordnung all dessen machen, wie sie die ereignisse und ihre bedeutung verwässern, kleinreden, in die eigene agenda integrieren.

den tag mit ed. in herzliya verbracht. sehr viel geredet. ich stelle seit anfang dezember fest, wie sich dabei immer neue räume öffnen, andere erweitern und noch ein paar andere verschieben. ich bin überrascht und irritierend dankbar, zu sehen, wie kritisch sie ist, wie politisch, wie jüdisch. sie hat dabei unter anderem ein paar sachen über mich gesagt und ich wusste, dass nichts davon stimmt aber damit dann auch, dass ich das gut geübt und umgesetzt habe, dieses zwischenmenschliche handeln und sein, während ich gleichzeitig in den überforderungen im sosein, die sie von einem ihrer enkel beschreibt, zu hause bin. wie verrückt muss es sein, gesehen zu werden. sich nicht erklären zu müssen. das gehört zu den dingen, die ich erinnere, wenn ich mich an das kennenlernen von a. erinnere. und ich glaube, das schrieb die erinnerung und den verlust so nachhaltig in meinen körper ein.

20241007, nachts

weil wenn es vielleicht nicht nur die nicht-jüdischen deutschen wären, die eine erinnerung in ihren formen und inhalten bestimmen, sondern auch die inhalte und den verlauf von debatten um antisemitismus, wenn nicht jeder sich antisemitisch artikulierende depp mit einem entschuldigung, falls ich die gefühle von einigen wenigen verletzt habe durchgekommen wäre, wenn die resignation von ignatz bubis am ende seines lebens ernst genommen und nicht nur als anekdotisch verklärte erzählung gewandt worden wären, wenn antisemitische positionierungen im kunstbetrieb nicht verteidigt und mit platz bei der documenta belohnt würden, wenn menschen der wissenschaft nicht den sinn fürs denken verloren und die wissenschaftsfreiheit ausgerechnet und ausschließlich in dem recht, israel zu kritisieren, bedroht gefunden hätten, wenn angriffe auf juden, jüdinnen, synagogen, erinnerungsorte nicht als angriffe auf uns geframt sondern als das bezeichnet worden wären, was sie sind und waren: antisemitische gewalt, usw. usw. dann wäre immer noch alles furchtbar, aber vielleicht wenigstens in einem anderen rahmen, in dem von mehr öffentlicher ehrlichkeit im umgang mit antisemitismus in den letzten jahrzehnten nicht nur die konkret betroffenen profitiert hätten, sondern antisemitismus als gefahr und als struktur vielleicht anerkannter wären. aber was weiß ich schon. nur vielleicht das, das dieses isolierte denken und wahrnehmen im öffentlichen diskurs, das auch immer zum ziel gehabt haben dürfte, die realität nicht realität sein zu lassen, zumindest diejenigen, die es betrifft – und damit meine ich, die betroffen, weil angegriffen in jedem möglichen sinne – nun nocheinmal härter trifft in einer umgebung, die sich weigert, antisemitismus zu begreifen. aber was will man erwarten, wenn der diskurs von nichtjüdischen deutschen bestimmt ist, die nur gelten lassen, was in ihrem sosein aushaltbar ist.

alles, was ich in deutschen medien lese, wobei ich nicht viel davon tatsächlich lese, nutzt die darstellungen zum 7.oktober, um anschließend über die situation in gaza und das elend in arabischen, natürlich den nichtisraelischen, kontexten zu schreiben. wie schon das gedenken an die (jüdischen) opfer der deutschen nationalsozialist:innen immer auch irgendwelchen eigenen interessen der gedenkenden zu dienen hatte, es musste mahnung sein und der eigenen rolle einer wiedergutwerdung dienen.

Hamas oder das was von ihnen übrig ist, feiern und schicken nochmal raketen, sogar bis nach tel aviv. wieder zur vollen stunde. es gibt so viele gefallene soldaten im norden, soso viele raketen, die nun regelmäßig bis nach haifa und nach tiberias kommen, der norden ist ein kriegsgebiet.

zwischendrin dass mich überwältigende gefühl der dankbarkeit, heute hier zu sein und den tag nicht noch mit deutschem reden, verharmlosungen, verdrehungen, relativierungen und dem wissen um unmittelbar in meiner nähe stattfindende pro-hamas-freudenfeiern zu verbringen.

heute morgen musste das forum der hostage familien bekannt geben, dass Idan Shtivi bereits am 7. oktober 2023 ermordet und seine leiche von hamas nach gaza verschleppt wurde, wo sie immer noch ist. er war kurz vor dem angriff erst auf dem nova festival angekommen und hatte dann zwei fremden geholfen, zu entkommen. ein jahr lang hat seine familie gehofft.

20241006, nachts

heute auf dem balkon einer noch leeren wohnung in shapira gestanden und gedacht, dass mir die deutsche erinnerungskultur deshalb so zuwider ist, weil deutsche nichtjuden:jüdinnen bestimmt haben und bestimmen, was sie zu bestimmten zeitpunkt für erinnerungswürdig halten. und dass es dafür keinen unterschied macht, ob es sich um politische akteur:innen handelte oder solche aus einer zivilgesellschaft. sie bestimmen räume, inhalte, anlässe, ereignisse, sichtbarkeit, das war/ist bei dem deutschen umgang mit der erinnerung an den holocaust so und das war/ist bei der derzeitigen erinnerung an das antisemitische massaker der hamas am 7.oktober so.

gestern einen phantastisch schönen abend mit no. gehabt, heute einen phantastisch schönen tag mit mi.

ich kann eigentlich gar nichts schreiben. mein körper ist taub. we will dance again gesehen. mich immer noch nicht entschieden, wie ich den morgigen tag verbringen will. was ja immer eine besonders gute idee bei solchen gelegenheiten ist.

im mcdonalds der central busstation beer sheva hat ein israelischer beduine aus uqbi um sich geschossen, zehn menschen verletzt und Sgt. Shira Suslik, 19, einen border police officer, ermordet. auch mi. findet, dass der anschlag in yaffo vergangene woche schlimmer war als die raketen aus dem iran und wir mussten deshalb heute ausschließlich laufen, weil sie gerade keine öffentlichen verkehrsmittel benutzen will.

20241005, nachmittags

heute sind es 52 wochen. 364 tage. (vor-)gestern wäre Hersh Goldberg-Polin 24 jahre alt geworden.

ein jahr später hat etwas zu ende zu gehen. eine zeit der trauer, die einem zugestanden wird. niemand sagt, wie jemand wie ich mich fühlen soll oder darf. weder innerhalb des ersten jahres noch danach. ich habe irgendwie gelernt, außerhalb israels sachen zu sagen wie: ‘ja, seit dem 7. oktober kann ich das nicht mehr so gut machen, bin ich müder, unkonzentrierter, trauriger whatever’ und ich sage das auf eine weise, die niemanden dazu animiert, mich zu fragen, wie ich das meine, was es für mich bedeutet oder ob man irgendetwas tun könne. vielleicht ist es aber auch nicht die eine weise weil es sowieso niemand wissen oder etwas tun will. so oder so. jahrestage machen nicht nur was wegen erinnerung sondern ordnen auch die zeiten und definieren neue erwartungen.

mi. will nach dem abendessen am donnerstag wissen, ob ich froh bin, gerade jetzt hier zu sein und ich frage sie, ob es ihr komisch vorkäme, wenn ich ‘ja’ sage. sie verneint ohne zögern.

ich bin gern an feiertagen hier. ich lerne immer etwas und irgendwie entsteht immer auch neuer sinn, neue ordnung. mehr verbindung. oder einfach nur eine andere. ich mag diese leeren tage und nächte und räume. dass die menschen, die man trifft, ‘shana tova’ wünschen oder einen guten shabbat. ich mag auch das gefühl, dass am zweiten feiertag die menschen hier in tel aviv schon keine lust mehr haben auf geschlossene orte und man wieder aus und essen und trinken gehen kann. noch verhaltener, nicht überall. aber doch mit der möglichkeit zu entscheiden.

in tel aviv können keine großen proteste stattfinden wegen der restrictions. in jerusalem soll es eine demo geben heute abend. kleinere proteste an straßen und kreuzungen sollen ebenfalls stattfinden. gestern hat das hostage forum ein video zu den 35 geiseln veröffentlicht, von denen man weiß, dass sie tot sind und deren leichen nach wie vor von hamas behalten werden und die so nicht in israel bestattet werden konnten. die regierung lässt verlauten, in den nächsten zwei bis drei wochen werde es mit sicherheit keinen deal geben. es soll zudem seit mindestens 14 tagen keine treffen mehr zwischen ihr und angehörigen der geiseln gegeben haben. ich vermute, die veranstaltung am 7.oktober im yarkon park findet nicht statt. es ist nicht so einfach zu verstehen, wo wann etwas sein wird. und ob überhaupt. für berlin habe ich einen besseren überblick und dort und in mehreren anderen deutschen städten soll/en es demonstrationen für hamas und palästina geben und die ereignisse des 7.oktobers als widerstand gefeiert werden. eine linke feministische demo in kreuzberg am montag möchte gern, dass auf alle nationalfahnen verzichtet wird. es gibt immer wieder warnungen auf den aufrufen, nicht allein zu kommen, keine offensichtlichen symbole zu tragen, vorsichtig zu sein. die polizei bereitet sich zumindest in berlin auf ausschreitungen / krawalle vor. es gibt politisches erinnerungsgeplapper und der tagesspiegel stellt die toten von gaza vor und veröffentlicht alle stattfindenden demos und kundgebungen in einem artikel, die einen sagen eben so und die anderen so. viel geht es auch um frieden und gerechtigkeit auf beiden seiten. wtf denke ich vor allem und verstehe wirklich überhaupt nicht, dass menschen in deutschland mich noch fragen, ob ich nicht eher zurückkommen möchte. und überhaupt: ich habe zunehmend anstrengende gespräche, ich bin zunehmend enttäuscht, ratlos, überfordert. da mir die kraft fehlt, als projektionsfläche für die ängste und gedanken anderer zu dienen, aber auch, mich zu streiten oder darauf zu bestehen, wie ich und ich hier vor ort etwas sehen, sammele ich zwischenmenschliche baustellen. und ich verstehe nicht, was genau ich mache, um es menschen zu verunmöglichen, ohne eigene agenda einfach mal nur dazusein. erstaunlich auch das bedürfnis von menschen, mich darüber zu belehren oder zu unterrichten, wie es ist, hier zu sein. und was ich nicht zuletzt noch sammele sind die erinnerungen an diejenigen, die nicht nachfragen. vielleicht wird diese zeit etwas kaputtmachen, mit dem ich nicht gerechnet habe.

ich bin gestern abend zum strand gegangen und nach yaffa und die gleise der lightrail entlang. ich mache das oft aber gestern irgendwie anders und auch, um mich von orten, erinnerungen, ereignissen nicht einschüchtern zu lassen. wobei ich andererseits nach wie vor vermeide nach südbrandenburg zu fahren. aber hier habe ich vielleicht weniger willen und bereitschaft, mir das selbstverständliche, irgendwo zu sein, wegnehmen zu lassen. bei facebook heute eine diskussion gelesen, dass man jetzt nicht nach yaffa gehen soll oder gehen kann. ich lese davon, dass einer der täter eine gelbe schleife für die geiseln getragen habe und dass niemand von den vielen, die sie vor ihrem anschlag sahen, sie in irgend einer weise verdächtig fand. ich weiß nicht, was solche feststellungen nützen sollen und wem. aber vielleicht ist das auch nur eine weitere variante in der erzählung von normalität, in die das unvorstellbare ereignis dann einbricht.

vor ein paar tagen wurde bekannt, dass es israel vor einigen wochen gelungen ist, in gaza die 21 jährige jesidin Fawzia Amin Sido zu befreien, die vor zehn jahren vom IS im irak entführt und verschleppt und dann von einem palästinenser gefangen gehalten worden war.

es gibt deutlich mehr alarm und immer wieder bis nach haifa. neue grenzen bilden sich. hier ist es vor allem das fast permanente dröhnen von flugzeugen. ich habe eine irrationale empfindlichkeit gegen aufkommende geräusche, besonders wenn ich sie nicht sofort einordnen kann. gestern vormittag stand ein mann auf einer straße hier in florentin und schrie auf arabisch. er hat sich nur über ein falsch parkendes moped aufgeregt, aber um ihn herum entstand etwas wie ein vakuum und niemand traute sich für ein paar sekunden die wie lange minuten waren, zu bewegen. und am abend davor, als es wenige minuten von mir entfernt einen unfall gab, ich schwör, ich dachte mein herz bleibt stehen.

20241002/03, nach mitternacht jedenfalls

gestern (also eigentlich jetzt vorgestern) vor fünf jahren haben wir uns kennengelernt. also wir kannten uns schon. aber gestern vor fünf jahren bin ich in meine damalige wohnung in shapira gefahren worden und wusste, dass du in mich verliebt bist. und obwohl ich noch nicht in dich verliebt war, wusste ich gleichzeitig, dass die dinge anders waren als ein paar stunden zuvor, in denen ich zusammenhanglos entschieden hatte, auf die party zu kommen, die im haus deiner freundin stattfand. und während ich eigentlich immer finde, dass jedes gestern sofort sehr weit lang her ist, ist das gestern vor fünf jahren merkwürdig präsent und nahe. ich weiß nicht, was ich heute zum frühstück hatte, aber ich weiß, wie ich mich an dem abend vor fünf jahren und in den kommenden wochen und monaten gefühlt habe. ich erinnere mich an so viele details und momente, dass mich jeder gedanke an diese zeit der vergangenheit überschwemmt mit erinnerung. dass es jetzt fünf jahre sind, weiß ich allerdings wiederum nur zufällig und wegen internet. aber seit gestern habe ich so sehr viel an dich gedacht, so merkwürdig viel, dass ich lange stunden angst hatte, dass du zu den opfern des terroranschlags gehört hast, der gestern nicht weit von meiner wohnung stattfand. die idee hatte sich so sehr in meinen kopf eingefressen, dass ich dein bild heute fast gesehen habe, als die fotografien der opfer veröffentlicht wurden.

ansonsten gab es noch raketen aus dem iran auf israel, ein neues warnsystem, das nur hebräisch kann, menschen, die mich mit in ihre hausflure nehmen, erschöpfung und die feststellung, wie sich normalität hin zum ausnahmezustand verlangsamt und dann wieder stunden braucht, gegenwart zu sein. jemand hat mir heute abend beim rosh hashana dinner davon erzählt, wie menschen erst in seinem bus und dann in seinem schutzraum geschrieen und geweint haben vor angst, ja. hat mir wenig später geschrieben, dass sie den anschlag durch ihre haustür ansehen musste. und während ich schon seit dezember immer wieder feststelle, wie viel mehr stille es in der stadt gibt, ist sie seit gestern noch einmal stiller geworden. oder dass es einfach verschiedene arten von stille gibt.

am montag bin ich nach jerusalem gefahren, um zu einem schloschim für Hersh Goldberg-Polin zu gehen und davor noch am hostage tent zu volontieren. und als ich dort stand mit meiner Tafel (wieder wenngleich zufällig) für Daniela Gilboa hat mich plötzlich jede kraft verlassen und damit auch der mut, allein in das community center zu fahren und allein teilzunehmen.

rund 180 raketen aus dem iran also.

israel ist im libanon einmarschiert und heute wurden die namen von acht gefallenen soldaten bekanntgegeben: Cpt. Eitan Itzhak Oster, 22 aus Modi’in; Cpt. Harel Etinger, 23 aus Eli; Cpt. Itai Ariel Giat, 23 aus Shoham; Sgt. First Class Noam Barzilay, 22 aus Kohav Yair; Sgt. First Class Or Mantzur, 21 aus Beit Aryeh; Sgt. First Class Nazar Itkin, 21 aus Kiryat Ata; Staff Sgt. Almken Terefe, 21 aus Jerusalem und Staff Sgt. Ido Broyer, 21 aus Nes Tziona.

hamas hat die verantwortung für den anschlag übernommen, zwei männer aus hebron haben ihn ausgeführt, sieben menschen sind tot, die namen, gesichter und geschichten von sechs von ihnen nun bekannt: Revital Bronstein, 24 aus Bat Yam; Ilia Nozadze, 42, ein georgischer staatsbürger; Shahar Goldman, 30 aus Lod; Inbar Segev Vigder, 33, Nadia Sokolenco, 40 and Jonas Chrosis, 26, ein grieche, der in jerusalem lebte und in Tel Aviv architektur studierte. Inbar Segev Vigder hatte ihren im dezember 2023 geborenen sohn Ari dabei, der den angriff überlebte.

es ist so kühl jetzt, dass ich nachts auf dem balkon sitze und dies schreibe und dabei friere.

auf das baijzel gab es einen brandanschlag. die kinder von li. sprechen von einem guten leben in berlin, den drei tagen ihres aufenthalts und überhören jede meiner erzählungen. ich befinde mich für erschreckend lange zeit in “Wenn Männer mir die Welt erklären” von Rebecca Solnit. du bist familie jetzt, sagt li, als wir uns verabschieden. ha. will nicht übers kranksein sprechen, aber unbedingt weiter rauchen. darin steckt eine eigene art von abschied, fürchte ich, auch, weil sie noch härter gegen ihre umgebung und die in ihr lebenden menschen geworden ist. es geht uns nur scheinbar gut und wie lachen und reden und essen ausgezeichnet und über allem ist nur traurigkeit und angst und alles geht immer wieder zurück auf die gestriege zeit des angriffs und ihre geschichten. in deutschland legt man mir nahe, früher zurück zu kommen. hier geht man keinen moment davon aus, dass ich wieder zurückgehen werde. in beiden realitäten tauge ich als enttäuschung.

20240929, nachts

gestern abend zur kundgebung gegangen, die aufgrund der vermehrten ins landesinnere gehenden angriffe keine offizielle war und nur von wenigen menschen besucht wurde. also vielleicht so 2.000. das wie immer viel intensiver gefunden, viel lauter. in den sozialen medien war immer wieder die rede davon, dass der tod von nasrallah auch hier in der stadt gefeiert worden sei, ich dachte vor allem, dass sie viel leerer ist als sonst, noch stiller als seit monaten sowieso schon und ich bin den ganzen weg gelaufen vom gate menahem begin road bis florentin. ich ärgere mich, dass so videoschnippsel dann online zu einer realität werden, die deutlich mehr verspricht, als momentaufnahme zu sein und noch viel mehr ärgere ich mich, wie wenig diese veränderten stadtbilder und -geräusche als veränderungen seit dem 7. oktober zur kenntnis genommen werden.

nachts bei der telebar fällt mir auf, dass einer der gründe, warum ich nicht zurückfliegen will, ist, dass ich angst habe, noch einmal diesen weg am flughafen entlang der poster der geiseln gehen zu müssen. ich merke, wie mir die kraft dafür fehlt und auch heute abend, nach dem besuch von momo der Batsheva Dance Company (was für eine unfassbar wahnsinnig gute performance), wiederhole ich das nochmal gegenüber ja., mit der ich noch einen aperol trinke. das erste mal seit langem habe ich wieder eines dieser langen gespräche über die geiseln und was diese situation mit uns macht, eines dieser gespräche, die ich im winter und frühjahr permanent hatte und die, das fällt mir erst jetzt auf, aus dem alltag verschwunden sind. und wie damals muss ich wieder öffentlich weinen.

überraschend viele menschen, die nicht hier sind, wollen mir die situation hier erklären.

ansonsten gewöhne ich mich vielleicht doch ein bisschen daran, dass weniger machen ganz okay ist und nicht gleich oder ausschließlich panik auslösen muss. einen moment funktioniert das. denke zudem, ich habe mich endlich für einen morgendlichen kaffee-ort entschieden. neue blundstones gekauft, das lieblinghaus besucht und nach wie vor unentschieden, was ich davon halte.

annalena baerbock ist der meinung, dass die eliminierung von nasrallah keine gute idee war und „in keinster Weise im Interesse der Sicherheit Israels“ sei, die lage jetzt “brandgefährlich” ist. habe mich heute ein bisschen mit dieser United Nations Security Council Resolution 1701 von 2006 beschäftigt und bin noch fassungsloser als sowieso schon, was die situation vor ort angeht (wie es trotz dieser beschlüsse hezbollah möglich war, derart viele waffen anzusammeln und sich so nahe an israels grenze zu positionieren) und hinsichtlich die zuweisungen von verantwortung einer eskalation allein jetzt und aufgrund israels handeln. und ja, ich weiß, das ist immer so und schon immer genauso passiert und wird dadurch trotzdem nicht besser. das ist nicht gewöhnungsmöglich. deutschland hat zuletzt nicht nur die bewilligten ausgaben für waffenlieferungen an israel deutlich gesenkt – 2023 genehmigte die bundesregierung exporte in höhe von 326,5 mill. euro, zehnmal so viel wie 2022 und bis august 2024 nur noch 14,5 mill. euro – sondern veränderte auch grundlegend die art der lieferungen: seit dem 7. oktober handelte es sich nur bei zwei prozent um kriegswaffen, der rest waren unter anderem helme, schutzwesten kommunikationsmittel. und seit märz 2024 verzichtet deutschland gänzlich auf kriegswaffenexporte nach israel. aber gleich ist 9. november, da kann man wieder um tote juden trauern und stolpersteine polieren und sich gut fühlen weil es so super klappt mit dem deutschen erinnern, für das man sich jahrzehnte eingesetzt hat, um doch noch was gutes aus den eigenen verbrechen fürs eigene soseon zu basteln.