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sonntag nacht gab es einen erneuten anschlag aufs bajzel, am folgenden tag fand die polizei sprengstoff in einem rucksack auf dem s-bahnhof, besitzer nach wie vor flüchtig. ‘entsorgt’ wurde der sprengstoff in der thomashöhe, ohne irgend eine warnung natürlich und der knall ging durch alle wände, assoziationen gab es frei dazu. wenn es mich schon verstörte, will ich nicht wissen, was das mit menschen macht, die tatsächlich vor kriegen geflohen sind. zu viel alkohol in den letzten tagen, ein bisschen arbeiten, viel soziales agieren.

bereits am samstag wurde ein 39jähriger jude, der auf an dem 2,600 block der north washtenaw avenue in chicago auf seinem weg zur synagoge war, mehrfach angeschossen. die gegend ist eine vor allem für jüdisch-orthodoxe bewohner:innen, der täter brüllte ‘allahu akbar’. Mia Shem, Avi Harush und Ayelet Samrano haben am montag in new york bei einer gedenkveranstaltung gesprochen, Mia Shem hat dabei von den bedingungen in den ersten tagen ihrer geiselhaft berichtet, von langen märschen in tunneln, von angst, von tagen in einem kleinen käfig gemeinsam mit fünf anderen frauen, von tagen ohne essen und trinken, ohne sanitäre einrichtungen. diverse szenarien für einen deal wurden in den letzten tagen immer wieder veröffentlicht, so hieß es eine weile, 11 bis 14 geiseln für 30 tage pause in gaza. gestern ließ hamas israel wissen, dass sie alle angebote zurückweisen. Erez Calderon, der von den terroristen aus dem haus seiner eltern in Nir Oz nach gaza entführt worden war, dort seinen 12. geburtstag verbringen musste und im november freigelassen wurde, während sein vater Ofer nach wie vor in der gewalt der palästinenser ist, konnte gestern seine bar mitzvah feiern. und Omer Shem Tow wurde gestern 22 jahre alt, sein zweiter geburtstag als geisel. es sterben viele soldaten und gestern nun auch mehrere zivilist:innen: ein landwirt und vier thailändlische arbeiter:innen auf einem feld bei metula und eine frau und ihr sohn in einem olivenhain bei haifa. jeweils durch raketen der hezbollah. ILGA World, weltweiter dachverband von LGBTQ+ organisationen hat den israelischen verband Aguda ausgeschlossen und die taliban verbietet nun, dass frauen die stimmen von anderen frauen hören.

20241028, nachts

sehr wunderbare beiträge für das yearbook bekommen und sehr viel zeit mit menschen verbracht, die am 7. oktober ihre menschen verloren haben. alkohohl dabei getrunken und viel gegessen. mich erwischt, dass es mir hilft, sie zu treffen. weil ihre realität meine bestimmt. weil ich erstaunlich leicht in die rolle rutsche, raum zu geben. oder weil sie jeden nehmen, der sich ihnen öffnet. das weiß ich nicht. nur dass es so viel leichter ist für mich in diesen situationen zu sein und mich weniger fremd zu fühlen als in situationen mit menschen von hier. diese irre dankbarkeit, nicht erklären zu müssen, wie es mir geht, was meinen alltag bestimmt. und dann zwischen all dem über den laden in dizengoff reden, der die schönen rucksäcke verkauft. aber immer geht es auch darum, nicht weiter in neukölln leben zu können, vielleicht nicht einmal in berlin. und es bricht mich noch ein bisschen mehr und ich denke seit dem so viel, dass es doch furchtbar ist, dass es niemand merkt, dass sich menschen aus räumen und orten und gegenden zurückziehen.

gestern nachmittag eine doku zu antifa im kino gesehen. mit zynismus und überheblichkeit und erwartungen an ärgerlichkeiten reingegangen und rausgekommen mit dem wissen, was heimat ist. und verstanden, wo ich herkomme und dass ich gar nicht so allein bin, weil da haben menschen ihre geschichten erzählt und das waren meine geschichten, manchmal als fragment, manchmal als größerer kontext, manchmal als erfahrung, oder als geführte diskussion oder nur als gedanken. es hat mich (ein bisschen zu sehr) emotional überrollt. und dann habe ich auch noch verstanden, dass die erzählungen, die ich seit einigen jahren über die 1990er jahre im osten erzähle, nur ein teil sind und zwar nur der, den andere abfragen, weil er in ihre narrative passt oder sie bestätigt. und dass das, was mich aber vielleicht dann doch mehr ausmacht, prägt, bestimmt hat, also das wo ich weg bin, wie dendemann mal sagte, vielleicht doch etwas anderes ist. was man vielleicht aber auch nochmal schwerer erzählen kann in der vermittlung von biografie. und das alles ist mir wirklich erst jetzt aufgegangen und es traf mich einen tick zu unvorbereitet. und abends im telefonat sagt meine mama, dass er jetzt mehrere flaschen schnaps pro woche trinkt und da komme ich dann eben doch nicht her. hoffe ich.

ein bisschen arbeite ich. nicht genug aber doch so viel, dass ich nach außen sagen kann: ein bisschen arbeite ich wieder. motivation ist nicht nur struktur und/oder deadline, sondern manchmal doch auch, dass ich gern machen will, was ich machen will. und dass ich mich ein bisschen freue auf das zusammenbringen von gedanken in schriftform, von denen ich einige schon in kleinen notizbüchern notiere. alles das erste mal seit einem jahr.

israel hat den iran angegriffen und es lief wohl ganz gut. Amit Soussana aus kfar azza, die mehr als 50 tage von hamas als geisel gehalten wurde, sprach vor dem UN Security Council und dabei insbesondere über ihr angetane sexualisierte gewalt. vermehrt sind in den letzten wochen noch einmal mehr videos veröffentlicht worden, die geiseln bei ihrer erzwungenen ankunft in gaza am 7. oktober zeigen oder in denen die freigelassenen überlebenden von diesen momenten sprechen. und ich merke dann immer, wie ich es doch nicht so habe mit der idee der unschuldigen zivilist:innen. aber es gibt auch dazu zu wenige räume, um das im gespräch mit anderen zu erruieren und damit gegen das eigene durchdrehen und/oder gegen das sich mit hass füllende denken ein bisschen strategie zu finden. und ich finde es falsch, das heißt, es macht mich dann doch auch zunehmend wütend, dass man nur noch pro-israelisch oder im gedenken an die israelischen opfer sprechen darf, wenn man mindestens includiert, dass man palästinensisches leid sieht und natürlich, dass man nethanjahu verabscheut.

letztlich wusste ich es seit vielen jahren, aber darauf, dass dummheit mich umbringt, läuft nun doch alles offensichtlich hinaus. mich in den letzten wochen mehrmals erwischt, wie mir die kraft fehlte, etwas erklärend zu widerlegen. oder auch nur die geduld. die coachin sagt, wie viel hass ich habe, sei bemerkenswert. und erschreckend. und dass ohne das wir über hass überhaupt gesprochen haben… ich antworte, dass ich, wenn ich nicht so müde wäre, eine gute revolutionärin hätte werden können. und sie lacht aber ich habe es dann doch ernst gemeint nur will das zur sicherheit niemand wissen.

viele raketen und drohnen auf ein gebiet, das nicht mehr nur der unmittelbare norden ist. immer wieder meldungen von verletzten und von gefallenen soldaten, oft reservisten. einer von ihnen, Guy Idan, ist der cousin von Tzachi Idan, der von hamas am 7. oktober aus Nahal Oz entführt wurde und nach wie vor noch in ihrer (oder der anderer palästinenser, wer weiß das schon) gewalt ist. Maayann Idan, die 18jährige tochter von Tzachi Idan erschossenn die terroristen, zwei seiner jüngeren kinder und seine frau überlebten. die terroristen filmten den gesamten angriff auf die familie und übertrugen ihn live in den sozialen medien. Guy Idan war nicht mehr verpflichtet, als reservist zu dienen. er hatte sich freiwillig gemeldet.

eine rakete der hizbollah schlug vor ein paar tagen einen minimarkt in der arabischen stadt Majd al-Krum ein und tötete Arjwan Manaa, 19, und Hassan Suad, 21.

Bipin Joshi, seit dem 7. oktober als geisel in gaza gefangen, ist vor zwei tagen 24 jahre alt geworden. er kommt aus nepal und war erst drei wochen in israel, um als student der landwirtschaft an einem akademischen programm mit 16 anderen im Kibbuz Alumim teilzunehmen und sich um zitronen- und orangenpflanzungen zu kümmern. mit seinen kolleg:innen flüchteten sie in einen schutzraum, die terroisten fanden sie und erschossen zwei von ihnen sofort. auf die anderen warfen sie handgranaten, eine konnte Bipin Joshi abwehren, die andere verletzte mehrere studenten schwer, andere waren bewusstlos. einige der überlebenden suchten nach anderen verstecken. Bipin Joshi versuchte, den verletzten zu helfen. die terroristen kamen zurück und trieben Bipin Joshi und drei thailändische arbeiter anschließend vor sich her und filmten dies. diese bilder sind bis jetzt das letzte lebenszeichen von ihm. im november 2023 konnte seit telefon in gaza geortet werden. ich habe gerade ein bisschen rumrecherchiert, um mehr über die thailändischen arbeiter:innen zu erfahren, die zu geiseln gemacht oder die ermordet wurden. dabei habe ich festgestellt, dass gar nicht so viel zu erfahren ist. deutsche medien haben sich angewöhnt, eine der im november freigelassenen personen näher vorzustellen, manchmal zwei und dann vor allem darüber zu schreiben, warum die menschen überhaupt in israel arbeiten und wie sich ihr leben gestaltet. aber zahlen zum beispiel, findet man vor allem verschiedene. aber immerhin lässt wikipedia mich wissen, dass unter den im herbst freigelassenen 29 thailändische männer und frauen waren. 101 geiseln sind nun seit 389 tagen in der gewalt von hamas und palästinensicher zivilist:innen. nethanjahu hatte vor ein paar tagen all denen, die geiseln lebend zurück nach israel lassen, immunität zugesichert. der CEO von SodaStream, Daniel Birnbaum hat denjenigen, die das tun, zudem $100,000 versprochen. ich weiß nicht viel, aber so wie es aussieht, hat auch das nichts genützt.

es hieß, es sollen wieder verhandlungen versucht werden. es hieß auch, ägypten habe vorgeschlagen, dass vier geiseln für zwei tage waffenruhe freikommen können, nethanjhu sagt, er wisse von nichts. es heißt immer sowieso auch, die chancen für irgendwas sind sowieso gering. sally rooney und 1.000 andere autor:innen und schriftsteller:innen fordern lieber den boycott von israelischen kulturinstitutionen, das heißt, sie fordern, nicht mit israelischen verlagen, festivals, literaturagenturen und im rahmen von publikationen zusammenzuarbeiten, die sich einer Verletzung palästinensischer Rechte mitschuldig machen oder auch israelische besatzung, apartheid oder völkermord beschönigen oder rechtfertigen. die Congregation Mikveh Israel ist die älteste synagoge in philadelphia und die entstehung ihrer spanisch-portugisieschen gemeinde führt zurück bis 1740; sie ist die am längsten bestehende in den usa. am 20. oktober 2024 schrieb nachts ein mann mit einem filzstift antisemischen dreck auf eine statue an dem gebäude. am 22. Oktober zündete ein anderer mann nachts einen müllcontainer an und beschädigte dabei ein fenster der synagoge. und ein paar stunden später, um 6:30 uhr morgens, versuchten zwei weitere männer, einzubrechen. dabei beschädigten sie den zaun und eine tür. es sind natürlich nicht die ersten angriffe. und nördlich von tel aviv und nahe Glilot rast gestern ein lkw in eine gruppe älterer menschen, die aus einem bus ausstiegen und tötet einen und verletzt 32 und noch immer wird ein terroristischer anschlag nur vermutet, aber hamas hat sich so oder so gefreut. die opfer wollten vermutlich ins museum gehen.

hizbollah hat allein heute 150 raketen und drohnen nach israel geschickt.

die islamische republik iran hat Jamshid Sharmahad hingerichtet, einen deutsch-iranischen politischen dissidenten, den sie anfang 2023 zum tode verurteilt, dann ins gefängnis verschleppt hatten, wo er weitgehend in isolationshaft war, gefoltert und misshandelt wurde. der bundesregierung war es egal. alles.

20241024, nachmittags

simchat torah, also wieder jahrestag. und ich brauche hier gar nicht anfangen, das zu erklären. nicht das es jemanden interessiert. ich höre zu viele berichte von überlebenden und ich frage mich, wieso die welt der menschen um mich nicht zerbrochen ist, warum sie nicht in ihren grundfesten erschüttert sind, sich nicht fragen müssen, wie sie mit dem wissen um das geschehen zukünftig leben. ich habe immer schwierigkeiten gehabt, zu verstehen, mit welcher normalität ein leben nach dem holocaust für alle ausser die überlebenden und/oder die angehörigen der ermordeten einfach weiterging. adornos ‘nach auschwitz keine gedichte schreiben’ war für mich immer über diesen bruch und die annahme einer unmöglichkeit, kunst zu machen, zu denken, zu handeln ohne die systematische ermordung der europäischen juden:jüdinnen mitzudenken. aber es hat das leben der menschen nicht verändert, es hat sprache nicht verändert, ganz sicher nicht das denken oder handeln.

ich sehe den vielen alarm auf meinem telefon. immer wieder auch in tel aviv. und immer öfter lese ich von menschen, die durch die raketen- und drohnenangriffe verletzt werden.

manchmal ist die rede von neuen verhandlungen zu den geiseln. beispielsweise heißt es, dass die hamas zwei geiseln mit einem russischen pass – Alexander (Sascha) Troufanov und Maxin Herkin – freilassen würde im austausch gegen verurteilte palästinenser:innen aus israelischen gefängnissen. Alexandre Troufanov ist in der gewalt des palestinian islamic jihad, der ende mai ein video mit ihm veröffentlichte. er ist nun 29 jahre als und war aus nir oz entführt worden, ebenso wie seine großmutter Irena Tati, seine mutter Ilena und seine freundin Sapir Cohen. die drei konnten im november 2023 im rahmen des deals mit hamas nach israel zurückkehren. Saschas vater Witali wurde am 7. oktober von den terroristen ermordet. Maxim Herkin ist nun 36 jahre alt. er ist vater einer kleinen tochter. seine familie war aus der ukraine nach israel eingewandert. hamas entführte ihn vom gelände des nova festivals, ein lebenszeichen gibt es seit nun mehr als einem jahr nicht. seine familie hat nach dem 7. oktober die russische staatsbürgerschaft angenommen, in der hoffnung, die erhöhe die chancen für seine rückkehr um rahmen von verhandlungen.

gestern abend beim konzert von interpol gewesen. schlechter sound, keine zugaben, komisches berlin publikum. ich liebe, dass es sie einen dreck interessiert, dass die bühne fast die ganze zeit dunkel ist, sie nahezu nicht reden, aber in der summe blieb ich (wieder) ratlos zurück.

20241021, nachmittags

zurückkommen sind antisemitische, anti-israelische, pro-hamas-, pro-palestine- und rote dreiecks-graffities an allen fassaden. menschen mit pali-tüchern am nachbartisch im cafe, auf den straßen, im lebensmittelladen, im zug. jemand hat das ‘free palestine’ am klingelschild erneuert und dabei noch größer gemacht. kauf dir halt sprühdosen oder vielleicht ziehst du doch besser um, heißt es, wenn ich sage, dass es mich verstört. alle hiergebliebenen haben deutlichen vorlauf im gewöhntsein.

zurückkommen ist zu viel alkohol, viele verabredungen, immer noch wenig essen und immer noch schlecht schlafen, um alle zwei bis drei stunden die alarme auf dem telefon zu checken. zurückkommen ist auch, dass es schwer ist, über die vergangenen fast zwölf wochen zu reden, vielleicht will ich gern auch glauben, dass es schwer ist, danach zu fragen, weil sonst müsste ich denken, dass es niemanden interessiert und dass ich und meine ankunft gerade vor allem und manchmal nur dazu dienen, das eigene sosein, denken und verzweifeln bei mir abzuladen. aber die nachbarin zum beispiel fragt gar nicht und ich merke, wie sich mauern ziehen und meine welt immer (noch) kleiner wird. es gibt eine merkwürdige mischung aus schweigen und abladen und ich bin müde und k. sagt, du kommst ja auch aus einem krieg und ich antworte, das stimmt so nicht, wie gut wir es haben in tel aviv im vergleich zu allen anderen aber das ist vielleicht nicht alles, worum es dabei geht.

simwar ist seit mitte vergangener woche tot, plötzlich wird er als das beschrieben, was er eben auch war: das / ein hindernis für einen deal zur befreiung der geiseln. nun werden neue verhandlungen versucht, aber alles bleibt ungewiss, offen, vage. gestern schickte hizbollah rund 200 geschosse nach israel. auch gestern tötete sich Shirel Golan selbst. es war ihr 22. geburtstag und sie hatte das hamas massaker auf dem nova-festival überlebt, aber nicht die folgen, die die erfahrungen diesen tages hatten.

after woke von jens balzer gelesen. gedacht: ganz gut als erster versuch, aber auch, dass es merkwürdig ist, wie wenig ernst er den antisemitismus seiner protagonist:innen nimmt und wie irritierend dann der habitus seiner annahme, besser überzeugung bleibt, nur mal sagen zu müssen, was sie stattdessen machen sollen, worauf sie sich besinnen müssen, wo sie umzukehren haben, um ideen von postkolonialem und wokem-denken noch zu bewahren. eine explizite analyse von antisemitismus war da nicht dabei. und aufgefallen ist ihm offenbar auch nicht, dass die szenen selbst, oder besser diejenigen, die in ihren namen sprechen, wenig bedürfnis zur auseindersetzung mit dem eigenen wahn erkennen lassen. gewagt, sage ich mal, gewagt.

20241014, abends

mi. fragt, warum ich denn überhaupt zurückfliege und ich sage ‘geld’. mit si. spreche ich über meine angst, wieder in deutschland zu sein und mit yo. darüber, warum es für mich trotz allem leichter ist, hier zu sein. weil nämlich zum beispiel wenn in binyamina eine drohne der hezbollah vier menschen tötet und 58 verwundet, man nicht nur telefonieren kann und nachrichten schicken, sondern sich auch überlegt, einfach die freundin und ihre familie am nächsten tag zu besuchen und weil alle wissen, wie es einem geht und man nicht mehr fragt, wie es einem geht, nur noch als witz manchmal und wenn man traurig ist, es dann so ist, dass viele andere auch traurig sind. oder wütend, oder verzweifelt, oder mal für einen tag glücklich, wie damals, als mal eine geisel gerettet wurde. und man muss nichts erklären und sich nicht rechtfertigen, sondern vor allem räume schaffen, in denen andere traurig, wütend, verzweifelt sein können. und manchmal einen moment froh.

mit allen spreche ich darüber, wer wann wo war bei welchem alarm und was uns mehr sorgen macht, die raketen oder die terrorangriffe. die terrorangriffe liegen leicht vorn. ich erzähle von einem interview, dass ich gelesen habe, mit einem polizeiverantwortlichen, der sagt, er und seine kolleg:innen arbeiten schon am limit und man müsse als bevölkerung jetzt einfach ein bisschen vorsichtiger sein. gestern nacht, nachdem yo. und ich über raketen und das hierbleiben und ein bisschen noch über das arbeiten gesprochen haben, gehen wir in einen kleinen club von der art, von der ich nicht mehr zu hoffen dachte, dass sie noch existieren. und es war ein kleiner ort und es war voll mit nur wenigen menschen und es war sehr lustig, und yo. bittet mich, dass wir nicht an der tür stehen, wegen erschossen werden oder wegen erstochen werden und irgendwann gehen wir dann auch, weil mehr nerven haben wir nicht, nicht übers erschossen werden oder erstochen werden hinwegzufeiern.

weniger als 36 stunden vor abflug gebe ich auf und kaufe einen neuen hoodie. dann sitze ich ein bisschen auf dem platz und weine nur für mich. omer neutra ist heute 23 jahre als geworden. sein zweiter geburtstag als geisel der palästinenser. nach haifa gefahren, weil ich unbedingt so. noch mal treffen wollte. auf der hin- und rückfahrt dreimal alarm gehabt, alarm in zug ist komisch, weil draussen gibt es ja keinen, nur auf dem telefon und der zug fährt langsam und bleibt stehen. man sieht auch die abwehr nicht durch die fenster und wartet einfach minutenlang, dass es weitergeht, als wir am strand sitzen hören wir die angriffe weiter im norden. der strand ist leer.

gestern mit dem bus in den süden gefahren. das reisen war ein abenteuer, davon schreibe ich nicht. weil es das sprechen über den ort des nova memorials überlagert. und über den ort schreibe ich nicht, weil es zu viel ist. zu intensiv, zu viel. nur vielleicht, dass er sich so verändert hat. dichter geworden ist. in seinen elementen und in seinen erzählungen. dass er einem das atmen schwerer macht. und das dasein anders als im dezember. dass es keine hintergrundgeräusche mehr gibt. nur eine andere art der stille.

letzte tage machen meinen körper und mein denken taub.

20241012, abends

yom kippur und die entscheidung: kein telefon, kein internet. etwas von der stille diesen tages in meinen kopf bekommen. und dabei ist etwas passiert, das sogar mich erstaunt: ich weiß, was ich als nächstes machen, sprich ablenken werde. erst dachte ich darüber nach, mir möglichkeiten zu organisieren, in tages- und anderen zeitungen zu schreiben. Dann schlug ich die architekturzeitung dérive auf, die vor kurzem zum thema „die extreme rechte im stadtraum“ eine eigene ausgabe veröffentlicht hat und drei der vier texte zum schwerpunkt sind nicht nur von männern geschrieben, sondern allein von den männern, deren positionen, forschungen, arbeiten, erkenntnisse die auseinandersetzung zu dem themenkomplex dominieren, zumindest dann, wenn man sich in ihnen kritisch verhalten möchte. und dann hatte ich keine lust mehr, weder das (nochmal) zu lesen noch mich weiter abzumühen, um endlich mitreden zu dürfen. und dann habe ich mich erinnert, dass ich bereits einmal in einer solchen situation war, (kleiner funfact am rande: in der war sogar einer der o.g. männer involviert, und) in der gerade ein dfg-projekt-antrag abgelehnt worden war, was mich mit einer gehörigen portion an zukunftsangst ausstattete. lustigerweise war der moment auch in tel aviv, rund 1.100 meter von meiner jetzigen wohnung entfernt. begünstigend kam gerade noch hinzu, dass ich mich seit nun rund vier monaten mit einer buchidee quäle, die nicht vorwärts geht und von der ich jetzt denke, dass ich a) vielleicht einfach nicht gut bin, über dinge zu schreiben, die in meiner vergangenheit liegen und zwar egal, wie gut die idee ist; b) ich dies vielleicht sowieso nicht ohne therapeutische begleitung oder ein engeres netzwerk an beteiligten tun solle und c) die frage, ob das ausbreiten meiner trauma in einem öffentlichen raum unabhängig von dem punkt, wie gut ich über sie schreiben kann, nochmal ernsthafter besprochen werden sollte und das nicht nur in meinem kopf. aber ich brauchte eine ausrede, um davon zu lassen. weil was ist in meinem leben, wenn ich kein buch schreibe. so oder so: ich habe beschlossen, eins zu schreiben zu deutschem erinnern, ein bisschen mehr essay und alles rauskramen, was da seit jahren in meinem kopf ist und endlich mal mir den raum zu nehmen, damit meine ich den platz sowohl auf dem papier als auch in meinen gedanken, die dinge zu ordnen, zu überlegen und auf die weise zu setzen, wie sie mir sinn erscheinen. und endlich mal wieder aufhören, mich daran abzuarbeiten, dass andere mich nicht zu ihren partys, sprich konferenzen und sonderheften einladen. weil sie die macht haben und weil sie denken, alles wichtige dazu selbst sagen zu können.

ausserdem lange spazieren gewesen. ein paar bilder gemacht, rumgesessen und gelesen.

das telefon war trotzdem an, aus angst, dass es alarm gibt. es gab viel alarm, aber nicht in tel aviv. als ich mich wieder mit der welt verbunden habe, war unter den vielen nachrichten auch eine der idf, dass hizbollah heute rd. 320 raketen geschickt hat. in herzliya wurde ein altenheim von einer rakete getroffen, es gab keine verletzen.  

20241010, nachts

jahrestag heißt auch, viel mehr geschichten, viel mehr bilder, viel mehr präsenz der ermordeten, der geiseln, der überlebenden, der freigelassenen und der angehörigen. die angewohnheit, morgens nach dem aufwachen instagram durchzugehen macht heute, dass ich lange nicht aufstehen kann/will und dann die vorgenommenen ideen reduziere, es aber zu beit ariela schaffe und damit arbeit und struktur das erste mal seit gefühlt ewig und die feststellung, wie gut mir das tut. davor und danach den platz der geiseln betrachten und feststellen, dass er sich verändert hat. das schien mir am 7. oktober schon so, aber nun wird klar, das er wirklich verlassen ist, größer wirkt, mehr auf tatsächliche veranstaltungen ausgerichtet ist. installationen sind verschoben worden, um freie flächen zu schaffen, andere sind ganz verschwunden. den abend bei o. verbringen und der spricht über nichts anderes als diese geschichte. ich bin überrascht, wie sehr er sich damit beschäftigt, das heißt, wie viele interviews und wie viele dokumentationen er gesehen hat. wir wissen beide nicht, wie die überlebenden mit ihren geschichten in zukunft überleben sollen, aber wir können auch nicht aufhören, darüber zu sprechen. als er das kind ins bett bringt, sehe ich im fernsehen ein interview mit rachel und jon goldberg-polin, das erste mal, dass ich sie höre seit der beerdigung ihres sohnes hersh. es geht um die bedingungen, unter denen er und die anderen fünf von hamas getöteten geiseln die letzten monate ihres lebens verbringen mussten, dass er nur noch 53 kg wog, welche kugeln ihn wo getroffen haben und wie sich daraus der ablauf seiner ermordung rekonstruieren lässt. rachel goldberg spricht von dem willen, alle details und seien sie noch so grausam, wissen zu wollen. sie beide reden über die bisherige unmöglichkeit, in eine zukunft zu denken oder zu leben. dass es oft nur darum geht, durch die nächste halbe stunde zu kommen, was es mit sich bringt, dass ihr sohn zu einem symbol geworden ist, den so viele menschen so sehr und so intensiv betrauern; wie hart es also ist, wenn menschen bei ihrem anblick und ohne sie persönlich zu kennen, in tränen ausbrechen. wenn man zu einem trigger für den verlust von fremden wird, sagt rachel goldberg und macht zugleich klar, wo die grenzen der empathie ist, wenn sie übergriffig wird. sie macht, dass ich wieder weine, aber sie macht auch, dass ich wieder einen rahmen herstellen kann, bezugspunkte für mein denken habe.

Yarden Bibas ist heute 35 jahre alt geworden. es ist sein zweiter geburtstag in der gewalt der hamas.

gestern abend dagegen mit einer gruppe von menschen in einer bar getroffen. fast alleiniges thema waren die raketen. die tatsächlichen aus dem iran, dem libanon und aus gaza, und auch die, die noch kommen könnten wahrscheinlich. was weiß man schon, wenn man sich anguckt, wie sich gerade der raum, den hizbollah beschiesst, massiv ausgeweitet hat. es ging immer wieder auch darum, wer wann wo war und wer was zu wem wie gesagt hat, also darum, das eigene erleben darzustellen und manchmal auch darum, sich als jemand zu profilieren, der gar keine angst hat und sogar segeln ging, obwohl auch immer wieder raketen im meer landen, nur das halt ohne alarm und iron dome. zugleich sind zumindest wir an dem tisch uns einig darüber, dass die anschläge und dabei besonders der in yaffa letzte woche, uns nervöser machen, als die raketen. vielleicht und nur im geheimen beginnt man dem israelischen abwehrsystem ein bisschen zu vertrauen. nicht so viel, dass man im bett liegen bleiben würde, aber doch so sehr, dass man versucht, sich nicht völlig irre zu machen. aber auch darum ging es immer wieder, die nachbar:innen mit denen man im bunker ist und die ausflippen vor angst, etwas, das gesteigert wird, weil man in bunkern oft (oder immer?) keinen empfang hat, spricht, nicht nur seine angehörigen und/oder freund:innen nicht erreicht, sondern vor allem nicht weiß, was da draussen vor sich geht. darüber hinaus versuchen wir uns zu orientieren, was genau alles in der zeit seit dem letzten treffen passiert ist, weil das ist so viel und manchmal grundlegend, dass kaum einer den überblick hat oder es als chronologie nachzeichnen kann. es gibt überraschend viele emotionen dafür, dass wir uns als gruppe ebenso wie im einzelnen nur wenig und selten kennen. alle sprechen wahnsinnig laut und durcheinander und niemand lässt irgendjemanden ausreden und mir beginnt der kopf irgendwann zu schmerzen und ich muss irgendwann nach hause gehen und dabei goatcheese-eis essen.

aber alles bleibt schwer mit dem vertrauen: gestern fuhr ein 36-jähriger araber aus Umm al-Fahm mit einem moped durch Hadera und stach an vier verschiedenen plätzen auf seine opfer ein. sechs menschen, darunter ein teenager wurden zum teil schwer verletzt. auch gestern schickte hisbollah allein auf Kiryat Shmona 20 raketen. dabei wurden Dvir Sharvit (43) und Revital Yehud (45) sowie ihre drei hunde von herabfallenden fragmenten so getötet. in haifa und seiner umgebung wurden mehreren menschen ebenfalls durch raketenteile verletzt. ich merke, dass ich nicht mehr weiß, wie viele soldaten bereits gefallen sind, aber ich weiß doch, dass ihre zahl hoch ist und sie schnell steigt, die polizei und shin bet haben fünf arabische israelis in taybeh festgenommen, die als isis-anhänger (sagt man das so?) einen anschlag in tel aviv verüben wollten. in weiteren teilen von nordisrael mussten die einwohner:innen ihren wohnungen und häsuer verlassen, da sie zu geschlossenen militärischen zonen werden. in Arab al-Aramshe aber zum beispiel sollen sich rund 1.400 menschen weigern, sich zu evakuieren. es gibt so viel alarm über den tag verteilt, dass ich schon kaum noch auf die orte gucke, darum wissend, dass wenn es mich tatsächlich betrifft, ja noch mal ein spezieller alarm kommt. mir ist heute endlich aufgefallen, warum die stadt so dunkel ist: nicht nur, dass sehr viele läden einfach leer sind und nicht beleuchtet werden, auch genutzte geschäfte verzichten darauf, nachdem sie abends schließen.

seit einigen tagen ist das Cafe Otef in florentin nun der ort für meinen morgendlichen oder mittaglichen kaffee. es ist ein bisschen zu weit weg von meiner wohnung, um aus dem besuch ein tägliches ritual zu machen. aber weil es von menschen aus den kibbutzim der otef aza, der gaza envelope gegründet wurde, die das hamas-massaker am 7. oktober überlebten und ihre häuser verlassen mussten, ist mir das egal. das cafe soll ihnen einkommen und beschäftigung, aber vor allem auch gemeinsamen raum ermöglichen; ich glaube es gibt einige und vielleicht nicht wenige, die sich sorgen machen, dass die strukturen endgültig zerbrechen, dass das gefühl einer gemeinschaft nicht wieder herzustellen und/oder aufrecht zu erhalten ist. vor einigen tagen sind mi. und ich zufällig in einem neubaukomplex gelandet, in dem viele überlebende aus re’im wohnungen zur verfügung gestellt wurden; etwas, das ich nur weiß, weil ein wachmann uns darauf aufmerksam machte und deshalb vielleicht auch ein bisschen zum gehen aufforderte. ein erste café war in sarona eröffnet worden, das zweite, das vor allem mit dem kibbutz Re’im verbunden ist, nun vor kurzem hier in florentin. fünf weitere sollen folgen, so dass es am ende für jeden der sieben kibbutzim, die besonders hart getroffen wurden an diesem tag, ein solches café gibt. verkauft werden auch produkte, die mit diesen orten verbunden sind, darunter unter anderem Dvir Chocolates; konfekt, das Dvir Karp entwickelt hat, der in Re’im lebte und am 7. oktober ermordet wurde. seine frau stellt es nun nach seinen rezepten weiter her.

das bewusststein für die dinge, die mir gleich sehr fehlen werden und für die, die ich nicht mehr machen kann bis nächste woche, steigt rasant. und ich muss ein bisschen darauf achten, mich nicht tatsächlich zu verachten, dafür zu verachten, für viele dinge keinen alltag hergestellt zu haben. für einen steten besuch der bibliothek zum beispiel, oder für das essen von hummus.

20241008, abends

bevor ich ende januar zurück nach tel aviv geflogen bin, habe ich meiner schwester unter anderem meinen bring them home pullover geschenkt. weil ich dachte, wenn ich ende april (?) wieder nach berlin komme, werde ich ihn nicht mehr brauchen. und damit meinte ich nicht wegen dem wetter. über den aspekt des nach-kaufens habe ich damals geschrieben und hoodies gab es dabei dann sowieso nicht wegen gleich sommer. gestern abend auf dem hostage square vor der übertragung der veranstaltung für / mit den angehörigen habe ich zum ersten mal wieder diese pullover an den ständen gesehen und ich wollte gern einen haben aber ich konnte ihn nicht kaufen einfach weil es ging nicht. es war wie nochmal anfangen. und ich hatte nicht die kraft. komischerweise aber war es möglich, ein tshirt zu erwerben, das es an dem abend zum ersten mal gab.

vor ein paar monaten habe ich an anderer stelle geschrieben, dass ich mir mehr als ein neues cure album die rückkehr der geiseln wünsche. in weniger als einem monat wird das neue cure album erscheinen. ich habe sehr lange darauf gewartet. natürlich konnte man nach dem letzten, 2008 erschienenen album 4:13 dream nicht gleich denken, dass ein neues erscheint. aber irgendwann wurde der zeitraum zu lang. und irgendwann danach fingen ein komisches warten an, das von ankündigungen, andeutungen und dann von den auf der tour veröffentlichten songs unterbrochen wurde. ich hatte immer ein bisschen angst, vorher zu sterben und dass es dann so eine geschichte auf meiner beerdigung ist, das ich tot bin und nie das neue cure album gehört habe. wie auch immer. ich habe lange gewartet auf diesen moment und jetzt empfinde ich nichts, das über den ersten kurzen moment der aufregung bei der ankündigung hinausgeht. leere. es ist mir nicht egal. offensichtlich. aber es macht nicht das mit mir, von dem ich jahre dachte zu wissen, wie es sich anfühlt. frau fragmente hat mich vor ein paar tagen auch nach meinem dating-life gefragt und das hat mich irritierend lang durcheinandergebracht. ich habe in den letzten wochen mir ungewöhnlich oft gewünscht, nicht auf diese eine bestimmte art allein zu sein. aber die frage hat mich unvorbereitet getroffen, weil jede form von dating oder jemanden-kennen-lernen unvorstellbar sind. und das war mir bis zu dem moment nicht bewusst. und jetzt ist es mir bewusst und das schnürt noch mehr traurigkeit in meinen körper. es gibt wenig kraft für dinge, die mir nicht vertraut sind, die ich neu in meinen emotionalen oder gedanklichen oder zeitlichen haushalt aufnehmen kann. mir fehlt ja schon die kraft, eine serie zu schauen, die nur ein bisschen anspruch hat und mit der von mir erwartet wird, dass ich mitdenke. ich würde gern wieder anfangen, ernsthaft zu lesen, zu denken und zu schreiben, aber ich schaffe es nicht. ich würde gern etwas wirklich schönes erleben oder denken oder fühlen. aber ich schaffe auch das nicht. ich bin so erschöpft, so müde, so kaputt, so gebrochen, so traurig. und mir fehlen die geduld und die großzügigkeit für das denken und reden von anderen. ich habe so eine unfassbare wut darüber, dass es menschen entweder egal ist, was am 7. oktober und in dem folgenden jahr passiert ist oder darüber, was sie mit der erinnerung und/oder zur einordnung all dessen machen, wie sie die ereignisse und ihre bedeutung verwässern, kleinreden, in die eigene agenda integrieren.

den tag mit ed. in herzliya verbracht. sehr viel geredet. ich stelle seit anfang dezember fest, wie sich dabei immer neue räume öffnen, andere erweitern und noch ein paar andere verschieben. ich bin überrascht und irritierend dankbar, zu sehen, wie kritisch sie ist, wie politisch, wie jüdisch. sie hat dabei unter anderem ein paar sachen über mich gesagt und ich wusste, dass nichts davon stimmt aber damit dann auch, dass ich das gut geübt und umgesetzt habe, dieses zwischenmenschliche handeln und sein, während ich gleichzeitig in den überforderungen im sosein, die sie von einem ihrer enkel beschreibt, zu hause bin. wie verrückt muss es sein, gesehen zu werden. sich nicht erklären zu müssen. das gehört zu den dingen, die ich erinnere, wenn ich mich an das kennenlernen von a. erinnere. und ich glaube, das schrieb die erinnerung und den verlust so nachhaltig in meinen körper ein.

20241007, nachts

weil wenn es vielleicht nicht nur die nicht-jüdischen deutschen wären, die eine erinnerung in ihren formen und inhalten bestimmen, sondern auch die inhalte und den verlauf von debatten um antisemitismus, wenn nicht jeder sich antisemitisch artikulierende depp mit einem entschuldigung, falls ich die gefühle von einigen wenigen verletzt habe durchgekommen wäre, wenn die resignation von ignatz bubis am ende seines lebens ernst genommen und nicht nur als anekdotisch verklärte erzählung gewandt worden wären, wenn antisemitische positionierungen im kunstbetrieb nicht verteidigt und mit platz bei der documenta belohnt würden, wenn menschen der wissenschaft nicht den sinn fürs denken verloren und die wissenschaftsfreiheit ausgerechnet und ausschließlich in dem recht, israel zu kritisieren, bedroht gefunden hätten, wenn angriffe auf juden, jüdinnen, synagogen, erinnerungsorte nicht als angriffe auf uns geframt sondern als das bezeichnet worden wären, was sie sind und waren: antisemitische gewalt, usw. usw. dann wäre immer noch alles furchtbar, aber vielleicht wenigstens in einem anderen rahmen, in dem von mehr öffentlicher ehrlichkeit im umgang mit antisemitismus in den letzten jahrzehnten nicht nur die konkret betroffenen profitiert hätten, sondern antisemitismus als gefahr und als struktur vielleicht anerkannter wären. aber was weiß ich schon. nur vielleicht das, das dieses isolierte denken und wahrnehmen im öffentlichen diskurs, das auch immer zum ziel gehabt haben dürfte, die realität nicht realität sein zu lassen, zumindest diejenigen, die es betrifft – und damit meine ich, die betroffen, weil angegriffen in jedem möglichen sinne – nun nocheinmal härter trifft in einer umgebung, die sich weigert, antisemitismus zu begreifen. aber was will man erwarten, wenn der diskurs von nichtjüdischen deutschen bestimmt ist, die nur gelten lassen, was in ihrem sosein aushaltbar ist.

alles, was ich in deutschen medien lese, wobei ich nicht viel davon tatsächlich lese, nutzt die darstellungen zum 7.oktober, um anschließend über die situation in gaza und das elend in arabischen, natürlich den nichtisraelischen, kontexten zu schreiben. wie schon das gedenken an die (jüdischen) opfer der deutschen nationalsozialist:innen immer auch irgendwelchen eigenen interessen der gedenkenden zu dienen hatte, es musste mahnung sein und der eigenen rolle einer wiedergutwerdung dienen.

Hamas oder das was von ihnen übrig ist, feiern und schicken nochmal raketen, sogar bis nach tel aviv. wieder zur vollen stunde. es gibt so viele gefallene soldaten im norden, soso viele raketen, die nun regelmäßig bis nach haifa und nach tiberias kommen, der norden ist ein kriegsgebiet.

zwischendrin dass mich überwältigende gefühl der dankbarkeit, heute hier zu sein und den tag nicht noch mit deutschem reden, verharmlosungen, verdrehungen, relativierungen und dem wissen um unmittelbar in meiner nähe stattfindende pro-hamas-freudenfeiern zu verbringen.

heute morgen musste das forum der hostage familien bekannt geben, dass Idan Shtivi bereits am 7. oktober 2023 ermordet und seine leiche von hamas nach gaza verschleppt wurde, wo sie immer noch ist. er war kurz vor dem angriff erst auf dem nova festival angekommen und hatte dann zwei fremden geholfen, zu entkommen. ein jahr lang hat seine familie gehofft.

20241006, nachts

heute auf dem balkon einer noch leeren wohnung in shapira gestanden und gedacht, dass mir die deutsche erinnerungskultur deshalb so zuwider ist, weil deutsche nichtjuden:jüdinnen bestimmt haben und bestimmen, was sie zu bestimmten zeitpunkt für erinnerungswürdig halten. und dass es dafür keinen unterschied macht, ob es sich um politische akteur:innen handelte oder solche aus einer zivilgesellschaft. sie bestimmen räume, inhalte, anlässe, ereignisse, sichtbarkeit, das war/ist bei dem deutschen umgang mit der erinnerung an den holocaust so und das war/ist bei der derzeitigen erinnerung an das antisemitische massaker der hamas am 7.oktober so.

gestern einen phantastisch schönen abend mit no. gehabt, heute einen phantastisch schönen tag mit mi.

ich kann eigentlich gar nichts schreiben. mein körper ist taub. we will dance again gesehen. mich immer noch nicht entschieden, wie ich den morgigen tag verbringen will. was ja immer eine besonders gute idee bei solchen gelegenheiten ist.

im mcdonalds der central busstation beer sheva hat ein israelischer beduine aus uqbi um sich geschossen, zehn menschen verletzt und Sgt. Shira Suslik, 19, einen border police officer, ermordet. auch mi. findet, dass der anschlag in yaffo vergangene woche schlimmer war als die raketen aus dem iran und wir mussten deshalb heute ausschließlich laufen, weil sie gerade keine öffentlichen verkehrsmittel benutzen will.