Kategorie: Uncategorized

20240121

die zeit vergeht und mir fehlen die gefühle dafür. die müdigkeit, die ich schon in tel aviv hatte, hat sich verstetigt. so schlimm, dass ich manchmal nicht denken, nicht arbeiten, nicht sprechen kann. ich habe angefangen, mir sorgen zu machen, dass es doch long-covid-symptome sein könnten, an. bringt winterdepression ins spiel.

den hintergrund meiner tage hier bilden Yossi Sharabi, dessen befürchteter tod einen tag nach dem video durch den Kibbutz Be’eri bestätigt wurde, Gilad Shalit, der in kontakt zu den familien der entführten steht, Kfir Bibas, der jetzt ein jahr und drei tage alt ist. ich lese, dass die medikamente für die geiseln schließlich doch noch übergeben worden sein sollen und der preis war, dass 1000 mal so viele medizinische “kits” für die bewohner:innen gazas eingeführt werden. nicht gelesen habe ich, dass die medikamente bei den geiseln ankamen und wie es ihnen geht. ich lese von tunneln und sehe bilder aus dem einen, in dem geiseln gefangen gewesen sein könnten. ich lese von weiteren gefallenen soldaten, von auseinandersetzungen in der regierung, von erfolglosen verhandlungen, von der mutter einer toten geisel, die behauptet, idf hätte gas in die tunnel geleitet und von einem vater, der seinen am 7. oktober ermordeten sohn beerdigt hat, und jetzt erfahren musste, dass dessen kopf in einem kühlschrank in gaza gefunden wurde, nachdem terroristen versucht hatten, ihn zu verkaufen. ich schicke nachrichten nach haifa, weil mein telefon mir den raketenalarm anzeigt. ich spreche mit der freundin, deren sohn jetzt nach gaza muss und mit der anderen freundin, die aus ihrer wohnung auszieht, weil sie sie nicht mehr bezahlen kann. ich sehe bilder einer ‘friedensdemo’ in tel aviv und ich muss lachen, weil dieser irrsinn auch jetzt nicht aufhört und weil sich nach nur drei monaten dann doch wieder genügend illusionen finden.

mein alltag sind ein anderer ort und seine geschichten.

ich bin nach köln gefahren und ich bin so sozial wie es mir möglich ist. aber ich weiß nicht, wie ich es mit dem hintergrund meiner tage in einklang bringen soll. es ist ein anderes fremd-sein als fremd-sein immer war.

20240116

am sonntag zu der demonstration für die geiseln gegangen. wenige menschen, natürlich, merkwürdige route, die erstmal durch den mauerpark führte und dann teilweise durch sehr nebenseitig gelegene straßen im prenzlauer berg. wie immer habe ich niemanden unvorhergesehen getroffen, den:die ich kenne. ich weiß das schon vorher eigentlich, auch ich lerne dazu, aber ich kann mich nicht daran gewöhnen. gestern zu zwei verschiedenen menschen am telefon gesagt, wie einsam ich mich hier fühle, wie isoliert. ich verstehe die mechanismen dahinter, aber ich kann nicht fassen, dass das alles niemanden interessiert. sowieso war insgesamt die veranstaltung viel zu leise, auch, weil die organisator:innen lediglich ein megaphone hatten. es ist schon offenbar, dass es darum geht, vor allem bilder zu erzeugen, dass die eigentliche demonstration in den sozialen medien stattfinden soll, aber muss das handeln im öffentlichen raum so offensichtlich nur (noch) dafür reichen? alles in allem hat mich das also nicht nur einsamer, sondern auch trauriger gemacht als ich sowieso schon war.

ich verbringen einen tick zu viel zeit im bett und mein kopf ist augenscheinlich viel zu wattig derzeit.

am sonntag veröffentlicht Hamas ein video mit drei geiseln, Itai Svirsky, Yossi Sha’rabi und Noa Argamani. am montag dann ein weiteres, in dem Noa Argamani gezwungen ist zu sagen, dass zwei männliche geiseln tot sind, zum einen der 38jährige Svirsky, der name des zweiten mannes ist noch nicht offizell bestätigt, aber es gibt viele befürchtungen und ängste, es könnte Yossi Sha’rabi sein. Noa Argamani ist am 7. oktober vom gelände des nova-festivals entführt worden, für mich war sie die erste, deren bild ich mit einem namen verbinden konnte: das video ihrer geiselnahme, bei der sie von den terroristen auf ein moped/motorrad gezwungen wurde und verzweifelt versucht, zu ihrem freund zu gelangen, der von mehreren männern festgehalten und abgeführt wird, wurde (meiner erinnerung nach) schon in den ersten stunden in den nachrichten gezeigt, während die moderator:in gleichzeitig mit jemandem aus der familie telefonierte, der in dem gespräch die erlaubnis gab, ihren namen zu veröffentlichen. in den letzten wochen war zudem ihre mutter immer wieder in den medien, die einen gehirntumor hat und flehte, ihre tochter noch einmal sehen zu dürfen.

wie verdammt schrecklich das alles ist.

IDF gab zudem die namen von zwei weiteren gefallenen soldaten bekannt; Sergeant first class (res.) Nitzan Schessler und Sergeant major (res.) Noam Ashram, damit erhöht sich die zahl gefallener soldaten insgesamt auf 190.

währenddessen in einer anderen welt, veröffentlicht till lindemann ein musikvideo, in dem er eine frau zu boden tritt und ihre vergewaltigung andeutet. und ich frage mich nicht nur, was noch alles möglich ist, sondern auch, ob er seine zeit damit verbringt, rumzusitzen, zu -stehen und/oder zu -liegen und sich vorzustellen, wie er noch grausamer die frauen verhöhnen kann, die versucht haben, sich gegen ihn zur wehr zu setzen. ich meine, wie sehr muss man frauen eigentlich hassen? und auf wie vielen ebenen darf man das öffentlich celebrieren? (auf vielen, ich weiß)

und dann gibt es noch diese debatte unter ‘kulturschaffenden’ in berlin, die es als zu viel verlangt ansehen, israels existenzrecht anzuerkennen, dabei offensichtlich in teilen aber zu dumm sind, antisemitismus zu erkennen und/oder zu verstehen und ihn schlicht für eine diskriminierungserfahrung unter vielen halten. es ist ein desaster. alles.

100 tage

🎗️Daniel Peretz🎗️Idan Shtivi🎗️Hanan Yablonca🎗️Almog Sarusi🎗️Alex Danzig🎗️Romi Gonen🎗️Ofer Calderon🎗️Yoram Metzger🎗️Segev Kalfon🎗️Sasha Alexander Trupanov🎗️Lior Rudaeff🎗️Eitan Horan🎗️Yair Horan🎗️Amiram Cooper🎗️Itay Svirski🎗️Doron Steinbrecher🎗️Shlomo Mansour🎗️Gadi Moshe Mozes🎗️Avraham Munder🎗️Shiri Bibas🎗️Kfir Bibas🎗️️Ariel Bibas🎗 ️Yarden Bibas🎗️ David Conio 🎗️ Noa Argmani🎗️ Fernando Merman🎗️ Luis Norberto Har🎗️ Alkana Bohbot🎗️ Eli Sharabi🎗️ Tzahi Idan🎗️ Carmel Gat🎗️ Almog Meir Jan🎗️ Omer Shem Tov🎗️ Omri Miran🎗️ Avitar David🎗️ Ohad Yahalomi🎗️ Elia Cohen🎗️ Nadav Popelwell🎗️ Shlomi Ziv🎗️ Itzik Elgret🎗️ Bipin Joshi🎗️ Orion Hernandez Radoux🎗️ Eden Yerushalmi🎗️ Haim Perry🎗️ Yair Yaakov🎗️ Yosef Elzianda🎗️ Yagev Buchtev🎗️ Omer Venkert🎗️ Yoseph Haim Ohana🎗️ Gali Berman🎗️ Ziv Berman🎗️ Eitan Moore🎗️ Ariel Konio🎗️ Uriel Baruch🎗️ Nimrod Cohen🎗️ Itzik Garlanter🎗️ Rom Breselvsky🎗️ Omer Nautra🎗️ Alex Lubnov🎗️ Matan Engrest🎗️ Keith Samuel Sigal🎗️ Ran Goely🎗️ Uri Danino🎗️ Eitai Chen🎗️ Liri Elbeg🎗️ Karina Arive🎗️ Naama Levy🎗️ Daniela Gilboa🎗️ Tamir Nimrodi🎗️ Idan Alexander🎗️ Maxim Harkin🎗️ Agam Berger🎗️ Ron Benjamin🎗️ Emily Tehila Damari🎗️ Stian Svanakam🎗️ Guy Gilboa Dalal🎗️ Watchera Srion🎗️ Netafong Pineta 🎗️ Mohamed Al-Atrash🎗️ Hisham A-Sayed🎗️ Avera Mengistu🎗️ Avinan Or🎗️ Hersch Goldberg Polin🎗️ Alon Ahl🎗️ Matan Zengauker🎗️ Yossi Sharabi🎗️

We are waiting for you.

We are praying for you.

We are thinking of you.

We will not forget you-

until you come home!

🎗️
❤️
💔

20240113

den gestrigen vormittag in meinem #bringthemhome hoodie vor dem computer gesessen und israels verteidgung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeguckt. ein versuch, in den niederlanden die bilder von den entführten an plakatwänden anbringen zu lassen, wurde von mehr als zehn der angefragten firmen abgelehnt mit der folge, dass keine bilder von den entführten an plakatwänden angebracht werden konnten. immerhin hat deutschland sich nun bereiterklärt, als dritte partei ebenfalls ein statemant vor dem gericht zu geben, zugunsten von israel und gegen die instrumentalisierung des genozid-begriffs.

offenbar hat israel in verhandlungen nun erreicht, dass geiseln ihre medikamente bekommen können. nach 98 tagen. angehörige der entführten und frauen von #metoounlessyouareajew haben zuletzt an der grenze kundgebungen abgehalten, während der sie unter anderem mit lautsprechern bzw. megaphonen botschaften nach gaza gerufen haben. am habima platz gibt es eine neue kunst-installation, auch am flughafen ben gurion für die ankommenden. an (viel zu wenigen) anderen orten in der welt gibt es kundgebungen. in new york zum beispiel. ich höre den ausschnitt einer rede von daniel ryan spaulding und ärgere mich, dass ich nie eine seiner shows besucht habe, als er noch in berlin war. bis jetzt habe ich noch nicht rausgefunden, ob es etwas und/oder was es für veranstaltungen in berlin gibt. aber allein, dass man sie suchen muss und es nicht einmal für mich offensichtlich ist, dass und wo etwas stattfindet, beschreibt die situation hier vielleicht zu gut.

gestern nachmittag k. getroffen und darüber diskutiert, ob es noch hoffnungen für 18jährige geben kann, mit mehr bildung nicht mehr antisemit:innen zu sein und in welchem verhältnis dies alles zu möglichen verfehlungen unserer eigenen vergangenheit steht. kann mich nicht an den moment erinnern, in dem er anfing, der positiviere von uns zu sein. es ist nicht neu. ich kann mich nur einfach nicht daran gewöhnen. er schenkt mir ein kleines buch von terry pratchett, dem tod die hand reichen; die veröffentlichung einer rede, der pratchett die er im rahmen der dimbleby lecture hielt, nicht lang nach seiner alzheimer-diagnose. ich wusste nicht, dass es dieses buch gibt. und ich weiß noch nicht, ob ich es lesen kann. zu verführerisch ist der möglichkeit, noch ein bisschen damit zu leben, dass ich ein ungelesenes buch von terry pratchett besitze.

abends in meinem #bringthemhome hoodie ein paket bei dem wirklich süssen israeli im hinterhof abgeholt. im leben besserer menschen wäre dies ein wirklich idealer moment für den beginn einer liebesgeschichte gewesen.

heute sind es 14 wochen. morgen sind es 100 tage.

20240110

beim aussteigen aus dem flugzeug schien die sonne und ich dachte: so schlimm kann es also gar nicht sein. es war dann aber doch so schlimm.

erste tage nach der rückkehr sind immer merkwürdig. einerseits ist es ganz schön, weil viele menschen sich mit mir treffen und reden wollen. es gibt eine eigene intensität im sozialen, die mich erst einmal nicht allzusehr innerlich crashen lässt. andererseits ist eine diskrepanz der realitäten offensichtlich. wie sich dinge anfühlen und wie sie schmecken. oder das man hier nicht einfach andere menschen im öffentlichen raum anspricht. das es hier oft deutlich leiser ist. früher® erschien die ersten tage in deutschland zudem alles immer lächerlich billig. aber das hat sich im laufe der zeit angeglichen. alltag kommt einem hier leichter vor. es fehlen eine gewisse anspannung und intensität, ein bewusstsein für die permante gefahr von anschlägen und gewalt. alles ist irgendwie weniger dicht. vieles an themen erschien mir hier immer lächerlich und/oder luxus; etwas, das sich verstärkte, als ich im frühjahr 2023 zurückkam. nach drei monaten protesten und gesprächen zur demokratie, zu konkreten und existenziellen ängsten um die zukunft eines landes, und damit des eigenen lebens. jetzt sind die unterschiede natürlich nochmal anders, gravierender. was genau das alles umfasst und wie ich darauf reagiere, weiß ich noch nicht genau. aber das meine geduld mit der gegenwart vieler menschen um mich herum nun noch geringer sein dürfte, ist schon klar. und dass ich mich noch fremder, noch distanzierter erlebe, auch.

es macht mich wütend, dass die situation der geiseln und die angst vor dem, was mit ihnen ist, nicht zum permanenten alltag gehört, zum beispiel.

nicht, dass es in Israel nicht auch menschen gibt, die sich nicht (mehr) damit beschäftigen wollen. am letzten abend habe ich zum beispiel einen jungen mann getroffen, in berlin lebender israeli, der, so sagte er, nur in tel aviv war, um sich zu amüsieren und mit freund:innen auszugehen. ich wollte da nicht weiter nachfragen und will das auch definitiv nicht verurteilen (und das sage ich nicht nur so), aber ich würde gern in ein paar tagen wissen wollen, wie gut das so lief. und so oder so: nicht nur, dass er der situation sowieso nicht entfliehen kann und es eine enorme verdrängungsleistung bedarf, sich zu entscheiden, die ereignisse in israel, aber allem auch die bedingungen in deutschland auszublenden, ist das seine bewusste entscheidung, für die er einen preis zahlt, während die ignoranz hier ja für viele (bestenfalls) einfach damit zu tun, dass es sie wirklich nicht interessiert.

morgens auf i24news freigegebene videoaufnahmen gesehen, die hamas-terroristen mit ihren bodycams am morgen des 7. oktober aufgenommen hatten, wie (einfach) sie die zäune, absperrungen und tore überwinden, in eine militärbasis eindringen und in einen kibbutz. wie sie straßen und wege entlang gehen, rennen und fahren, wie sie schreien, in fenster hineinschauen, schießen, granaten werfen, ein haus anzünden. man sieht nicht die tatsächliche gewalt gegen israelis, aber allein diese ausschnitthaften bilder des morgens sind so verstörend und beängstigend, dass es nicht mehr braucht, oder ich nicht mehr brauche, um wieder zu weinen.

heute morgen wurde bekannt gegeben, dass der 24jährige Elkana Newlander in gaza gefallen ist, gestern veröffentliche die IDF die namen von neun gefallenen soldaten: Sergeant Roi Tal (19), Sergeant first class (res.) David Schwartz (26), Sergeant first class (res.) Yakir Hexter (26), Sergeant first class (res.) Gavriel Bloom (27), Master Sergeant (res.) Amit Moshe Shahar, (25), Captain (res.) Denis Krokhmalov Veksler (32), Captain (res.) Ron Efrimi (26), Sergeant Major (res.) Roi Avraham Maimon (24) und Sergeant Major (res.) Akiva Yasinskiy (35). Insgesamt sind es nun 186.

20240109, sehr früh morgens, eigentlich noch nachts

2008 erschien leon de winters roman “recht auf rückkehr” und wie alle leon de winter romane habe ich ihn in weniger als 24 stunden durchgelesen. das buch hat mir so eine angst gemacht, dass ich wenige tage später einen flug gebucht habe und zum ersten mal alleine nach israel geflogen bin. es klingt abgedroschen, aber ich musste nachsehen, dass noch alles da ist. ich war rund zwei jahre vorher schon mal in jerusalem gewesen, mit einer freundin, die lange in der stadt gewohnt hatte. in tel aviv war ich von dem moment an verliebt, als wir bei einem kurzen ausflug das auto an der kreuzung ben gurion blvd. / dizengof verließen. ich wusste es einfach. wie in jeder klischeehaften geschichte.

diese komische angst hat mich fast nie wieder verlassen. fast jedes mal, wenn sich der flug nach berlin wieder nähert, kriecht sie in meinen körper. sie lähmt mich immer ein bisschen. und manchmal macht sie mir das atmen schwerer. fast egal wie oft ich weggeflogen bin und fast egal wie oft ich wiedergekkommen bin. einmal war sie weg: ich hatte ein engmaschiges hin- und herfliegen etabliert und anfang märz 2020, sachen dagelassen und mich von menschen nicht verabschiedet, nur gesagt: in vier wochen bin ich wieder da. und als der mensch, in den ich damals verliebt war, mir schrieb, ich solle nicht ins flugzeug steigen, lachte ich ihn aus und sagte, er soll sich nicht so anstellen. rd. eine woche später wurden die grenzen geschlossen.

damit, dass ich vor ein paar tagen angefangen habe, die sachen, die ich hier lassen will, in eine box zu packen, kam die angst schon etwas früher zurück und weniger schleichend. als ich gestern nachmittag im cafe saß, schrieb mir jemand eine nachricht über angst und hoffnungslosigkeit. und plötzlich hatte ich etwas, was vielleicht einer panikattacke nahe kam. mein ganzer körper war sich sicher, dass ich nicht fliegen soll, dass es ein fehler ist, das land zu verlassen. abends im cafe hat om. mir erklärt, dass er nicht glaubt, dass israel in seiner existenz in gefahr ist und die entscheidung des supreme court vor ein paar tagen ihm hoffnung gibt. das allein hat nicht dafür gesorgt, dass ich doch zum flughafen gefahren bin. aber vielleicht denkt ein teil von mir, dass es mir bald leid tun wird, das als gute abschiedworte hingenommen zu haben.

alle abschiede waren diesmal länger.

in guter alter übereifrigkeit eine ankunft in ben gurion drei stunden vor boarding angestrebt, auch, weil diese flüge am frühsten morgen mich nie zum schlafen bringen, und ich immer denke, am flughafen kann ich besser zeit überstehen. den taxifahrer dazu gebracht, dass wir the cure hören. vom betreten des flughafens bis kaffee bei aroma bar bestellen 13 minuten gebraucht. das wird nie mehr zu schlagen sein. der weg durch das gebäude führt immer noch an den bildern der geiseln entlang und ich denke dabei, wie wenig sich dann doch geändert hat seit meiner ankunft.

israel soll die verhandlungen um weitere freilassungen in cairo wieder aufgenommen haben.

der palestinian islamic jihad veröffentlicht ein propagandavideo, in dem Elad Katzir, bewohner von Kibbutz Nir Oz, zu sehen ist.

daily mail hat einen artikel publiziert interviews mit den familien der vier geiseln Liri Albag (18), Karina Ariev (19), Daniela Gilboa (19) und Agam Berger (19) und zeigt dazu porträts der jungen frauen vor ihrer entführung neben stills aus einem propagandavideo der hamas, angefertigt ein paar stunden nachdem sie von der idf-basis in Nahal Oz nach gaza verschleppt worden waren.

Idan Amedi wurde bei kämpfen in gaza verletzt, schwer, aber nicht lebensgefährlich.

20240108, morgens

vorgestern auf der kundgebung überlegt, ob die menschen leiser werden, alles noch fragiler ist als es ja bei meiner ankunft schon war. gestern waren es drei monate, in etwas weniger als einer woche sind es hundert tage. ich sehe jeden tag die mutter von Hersh Goldberg-Polin. wenn ich an die stärke der mütter in dieser situation denke, dann sehe ich Rachel Goldberg. und dann merke ich, dass sie immer kleiner wird, immer zerbrechlicher. und es hört sich an wie ein beschissener abgedroschener satz, den man sagt, wenn man berührt wirken will. aber mir bricht mein herz.

es gibt immer mehr veröffentlichte interviews mit menschen, die ende november aus der geiselhaft der hamas frei gekommen waren. aussagen zur angst, zu den furchtbaren bedingungen, über (sexuelle) gewalt und missbrauch, über körperliche und emotionale grausamkeiten, über die täter und über ihr umfeld, über die tunnel, über den moment der entführung und die wege nach gaza, um die anderen geiseln.

beim spazierengehen mit ha. gestern morgen entlang einer aufreihung von schuhen an der strandpromenade entlang gelaufen; einer installation für die freilasung der geiseln. heute beim morgendlichen kaffee im schaufenster des coffeeshops ein großes bild der geschwister Noa und Gideon Chiell gesehen, die auf dem nova musikfestival waren und am 7. oktober von hamas-männern ermordet wurden. neun tage lang waren ihre familie und freund:innen zunächst davon ausgegangen, dass sie entführt worden waren, bevor bekannt gegeben wurde, dass ihre leichen identifiziert wurden.

erinnerung bestimmt den raum. überall und jederzeit.

20240105, nachmittags

ich gehe seit einigen tagen jeden morgen in einen anderen coffeeshop in meiner nachbarschaft, um meinen ersten kaffee zu trinken und eigentlich als trick, um das haus zu verlassen oder “wenigstens schon mal für einen kaffee verlassen zu haben”. das funktioniert so lange es geht. gestern bin ich danach trotzdem einfach wieder ins bett gegangen. all die energie war sofort wieder weg, als ich die wohnungstür hinter mir schloss.

gestern abend eine freundin besucht, eigentlich die mutter einer freundin, 80 jahre alt, tochter eines überlebenden aus polen, künstlerin. wir sehen zusammen über mehrere stunden nachrichten, darunter einen langen bericht dazu, dass pläne der hamas, massenhaft in israel einzufallen und menschen zu ermorden bzw. zu entführen, seit oktober 2022 innerhalb der idf und des mossad (?) bekannt gewesen sein sollen, es auf regierungsebene aber nicht interessiert habe. mein hebrew ist deutlich zu schlecht, um solche erzählungen wirklich in ihren details zu verstehen. dass hamas und andere sich so etwas ausdenken, ist das eine und war irgendwie auch vorstellbar, dass sie damit erfolgreich sind und es ihnen tatsächlich gelingt, über so viele stunden auf israelischem boden zu sein, so viele menschen zu ermorden und zu entführen, ganze straßenzüge und autos abzufackeln, menschen zu jagen, zu demütigen, zu vergewaltigen, das alles hätte nie passieren dürfen, nichts davon, nicht einen moment. man muss wieder vertrauen haben, sonst kann man hier nicht sein und leben. aber ich bin jetzt nicht mehr sicher, ob das vertrauen vor dem 7. oktober nicht auch bei mir einfach ignoranz war, ein augen schließen und hoffen, dass es schon irgendwie gut geht. und dann bleibt da jetzt diese so grundlegende verunsicherung, und nicht einmal ich, die immer wieder (zu) lange zeiten in deutschland ist, die, wenn hier, dann in tel aviv wohnt, die niemanden unmittelbar kennt, der:die ermordet oder entführt ist, weiß, wie das gehen soll mit dem vertrauen. das hätte nicht geschehen dürfen und ich meine dies in einer sinne von hannah arendt.

nach dem bericht gab es ein interview mit Nili Margalit, einer krankenschwester vom kibbutz nir, die zu den freigelassenen vom 30. november gehörte und die in der geiselhaft versuchte, anderen zu helfen und hamas dazu zu bringen, wenigstens etwas medizinische versorgung zu ermöglichen. nach ihrer rückkehr musste sie unter anderem erfahren, dass ihr vater, Eliyahu Margalit, ermordet wurde, seine leiche aber noch in gaza ist. Nili Margalit war auch dabei, als kurz vor der übergabe an das rote kreuz, hamas-männer, Yarden Bibas, dem vater des vierjährigen Ariel und des Babys Kfir, sagten, dass seine beiden kinder und seine frau Shiri tot seien und seinen zusammenbruch filmten, um diesen anschließend als video zu veröffentlichen. man kann sich nicht vorstellen, wie es ihm geht. und trotzdem denkt man die ganze zeit daran. bis heute, mehr als einen monat später, sind sie nicht zurück. bis heute weiß man nicht, ob hamas aus grausamkeit gelogen hat oder ob sie wirklich tot sind und wie sie starben.

in den letzten tagen wurde die zahl der geiseln noch einmal nach oben korrigiert. nun wird von 136 gesprochen. das zeigt auch, dass es immer noch (so viele) menschen gibt, die noch vermisst werden und deren schicksal am und nach dem 7. oktober nach wie vor ungklärt ist. erst heute morgen veröffentlichte der Kibbutz Nir Oz beispielsweise, das sein bewohner Tamir Adar an diesem tag getötet wurde. auch seine leiche ist noch in der gewalt der hamas oder einer anderen terrororganisation in gaza. er war der enkel von der 85jährigen Yaffa Adar, einer Holocaustüberlebenden, die ebenfalls entführt, dann aber im november freigelassen wurde.

das gehört zu diesen dingen, dass einem die menschen und ihre geschichten, ihr (über-)leben, ihr tod, so vertraut werden.

20240103

an jedem tag steht jetzt ein anderer mensch in meinem mittelpunkt. immer wenn ich denke, dass das mit dem voluntieren eher so mittel lief/läuft, dann versuche ich mir gleich anschließend einzureden, dass mein hiersein vielleicht einfach anderen sinn macht: anderen raum zu geben, zu sprechen. mein impuls, eine zusammenfassung über all die gespräche mit : “das schlimmste ist…” einzuleiten. aber a) weiß ich gar nicht, was das schlimmste ist und b) ist es sowieso kein wettbewerb. und vielleicht ist das schlimmste, dass alles so schlimm ist, jede erfahrung, jeder gedanke, jeder verlust, jede angst, jede unsicherheit. ich habe noch nie das aufeinandertreffen von so viel schmerz erlebt. menschen sind weg, sicherheiten sind weg, glaubenssätze sind weg, selbstgewissheiten sind weg, planungen sind weg, hoffnungen sind weg, elementare vorstellungen einer persönlichen, gesellschaftlichen, politischen zukunft sind weg. sehr viele meiner freund:innen hier sind links und einige haben sich seit jahren in unterschiedlichen projekten engagiert, für frieden, solidarität, bessere bedingungen, konkrete hilfestellungen für palästinenser:innen im westjordernland und in gaza. alles ist weg. nicht nur die konkrete arbeit, sondern auch das vertrauen in diese art der arbeit entgegen allen konkreten, gegensätzlichen erfahrungen und mit der hoffnung, dass es etwas hilft und dazu führt, dass es ein gemeinsames, respektivolles leben neben- und miteinander geben kann. gestern sagte jemand zu mir, dass sie irgendwann wieder mit diesen initiativen anfangen müssten und ich konnte nur denken, dass doch eigentlich “die andere seite” damit beginnen müsste, vertrauen zu ermöglichen und wieder herzustellen.

am montag hat der supreme court das kernelement der justizreform von nethanjahus regierung gekippt: dem obersten gericht sollte die möglichkeit genommen werden, gegen ‘unangemessene’ entscheidungen der regierung, des premierministers und/oder einzelner minister vorzugehen; man kann sagen, dass damit also quasi die unabhängigkeit der justiz mindestens angegriffen, und eigentlich sogar abgeschafft werden sollte. bis zum 7. oktober waren über monate unter anderem jeden samstag hunderttausende auf die straßen gegangen, (vor allem) auch um diese ‘reform’ der regierung zu verhindern. dass sie jetzt also zumindest vorerst unterbunden wurde, hat bei niemandem, mit dem:der ich darüber sprach, etwas positives oder überhaupt etwas ausgelöst. alles fällt nur noch in ein schwarzes loch.

heute sagte jemand zu mir, sie wisse nicht einmal mehr, wohin sie mit den kindern fahren könnte, ohne angst zu haben, dass sie angegriffenn werden und dass nachdem sie sowieso schon seit jahren und selbst in der bayrischen kleinstadt, in der ihre eltern leben, nicht hebräisch sprechen.

die tage sind voll von diesen geschichten und zwischendurch oder gleichzeitig von den bildern der entführten und ermordeten.

20240101

ich sage immer, dass das schönste hier das licht und das essen sind, und dass man so gut und so lange in cafes arbeiten kann, wie man eben möchte, aber vielleicht ist es doch, dass und wie man hier einige ‘feiertage’ fast ignorieren kann. weihnachten zum beispiel und silvester. dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es hier ein feuerwerk gibt, habe ich mittags am telefon zu di. gesagt. und als es dann um mitternacht wirklich laut draussen war, war ich kurz irritiert, bis ich auf dem telefon die rund 70 anzeigen für raketenalarm sah. keiner betraf das zentrum von tel aviv, gruselig war es trotzdem und ich bin nochmal aus dem bett, in dem ich schon lag, aufgestanden, um etwas anzuziehen, für den fall der fälle, schnell ins treppenhaus zu müssen. danach konnte ich lange nicht einschlafen, aber dies reiht sich letztlich nur ein in meine schlafstörungen, die ich seit meinem umzug nach tel aviv habe.

nochmal nach naharija gefahren, um lila zu treffen. eigentlich gibt es nie etwas besseres, um meine gedanken zu ordnen und mich verbunden zu fühlen, um zu wissen, dass ich nicht so allein bin, wie ich oft denke und die eine oder andere wut bestätigen zu lassen. so war es auch heute. aber jetzt bin ich wieder in meiner wohnung und würde gern, dass jemand kommt, und mich umarmt. die sequenzen und anlässe, an denen ich mir eine beziehung wünsche, verdichten sich. auch so eine sache, die mich deprimiert.

als wir im cafe mit unseren sehr guten portionen shakshuka saßen und darüber sprachen, dass ich gerade nicht weiß, was ich tun soll und will und wovon perspektivisch leben, auch, weil ich das gefühl nicht loswerde, dass es irgendwie nicht mehr weiter geht mit dem, was ich mir so vorgestellt habe, dachte ich plötzlich, dass es vielleicht auch unmöglich ist, in so situationen perspektiven zu entwickeln, weil alles, was ich denken kann, ist: ja, aber wozu?