20250615, vormittags

vor nun zwei nächsten hat israel den iran angegriffen, der seitdem mit raketen und drohnen reagiert. wenig schlaf seitdem. zum zerreisen angespannte nerven. morgens aufwachen und mehr als 100 mal alarm auf dem telefon, bilder zerstörter häuser, nachrichten von toten und von verschütteten. viel um und in tlv. ich schreibe viele nachrichten. gestern nacht mit ed. telefoniert. sogar sie ist jetzt umgezogen und schläft in meinem zimmer. e. hat stundenlang nicht geantwortet und ich fing an, auf diese zerfressende art nervös, zu sein. si. schreibt mir lange ausführungen zum kampf gut gegen böse und was das alles mit tolkin zu tun hat. am ende verspricht sie mir, dass wir das jetzt jeden morgen machen können. während sie in manot im bunker sitzt und ich in meiner wohnung in neukölln. diesmal ist es anders, offensichtlich. und dass tel aviv getroffen wird, reisst irgendwas in meine haut und in meinen verstand. wir kennen plötzlich dann doch alle jemanden, der oder die in bat yam wohnt. y. schickt eine nachricht, dass einer ihrer cousins getroffen ist. ihre stimme ist leise, ich verstehe sie kaum. ich will permanent a. eine nachricht schreiben, aber dann fällt mir immer wieder ein bild ein, dass seit 48 stunden oder so in den socialen medien ist. es zeigt diese ankündigung für alarm des homefront command, aber statt der aufforderung, in den shelter zu gehen, heisst es, man soll die angriffe nicht dafür nutzen, sich beim / bei der ex zu melden. die geiseln sind nahezu aus allem verschwunden. Daniel Hagari kommt zurück.

20250612, früher abend, noch hell

nach wie vor ist der name der zweiten geborgenen geisel nicht bekannt gegeben worden. gestern nacht hieß es, die person sei ebenfalls aus dem kibbutz Nir Oz entführt worden. man findet ein paar gerüchte online, aber auch einen post des accounts der bibas-familie, die wieder einmal darum bittet, sich an solchen spekulationen nicht zu beteiligen. ich konnte natürlich nicht ein- und später dann nicht durchschlafen. recherchierte noch nach, wer aus Nir Oz alles noch gefangen ist. es hat erwartungsgemäß nichts besser gemacht. es gibt geschichten und szenarien im kopf und ich beschließe, von zu hause aus zu arbeiten. Ariel Cunio ist heute 28 jahre alt geworden. ich kann solche sachen jetzt manchmal schreiben, ohne sie nochmal nachzulesen. noch vor dem aufstehen frage ich e., ob sie sich sorgen macht wegen dem iran. ‘nein’, antwortet sie, und dass sie ‘noch wasser und zwei dosen thunfisch’ habe. später kommt sie darauf nochmal zurück und lässt mich wissen, dass sie sicherheitshalber jetzt doch noch drei weitere gekauft hat. ich muss mich schon wieder bei menschen hier entschuldigen, dass ich heute zu wenig tauge, weil meine gedanken da sind. oder irgendwo. aber anders jedenfalls als die meiner gegenüber.

in san diego ziehen sich alle jüdischen gruppen und gemeinden von allen verabstaltungen der diesjährigen pride zurück, weil dort die sänger:in kehlani als headliner:in auftritt, die in der vergangenheit mehrfach mit antisemitischen und anti-israelischen statements aufgefallen war. j. schreibt mir, wie gern sie zur buchvorstellung käme, und dass sie jetzt begonnen hat, einen verlag allein für jüdische autor:innen zu eröffnen, weil sie durch unsere gespräche und durch das jahrbuch motiviert ist. ich weine ein bisschen an meinem schreibtisch, weil ich sie vermisse, weil das so toll ist und weil mir die art von austausch, an dessen ende solche dinge entstehen, wirklich fehlen. andere würden vielleicht sagen heimweh.

20250612, nachts

vor ein paar stunden kam die nachricht, dass die IDF die sterblichen überreste von Yair Yaakov geborgen und zurück nach israel gebracht wurden. er war am 7. oktober ermordet und aus nir oz nach gaza verschleppt worden, aber bis januar 2024 hatten seine familie und alle anderen noch gehofft, dass er am leben ist. ende märz hatte seine ex-frau Renana mich und eine kleine gruppe durch den kibbutz geführt und uns dabei unter anderem ihre beiden häuser gezeigt, oder das, was davon noch übrig ist. am 7. oktober waren zudem ihre gemeinsamen söhne Or und Yagil – damals 16 und 12 jahre alt – getrennt voneinander entführt worden; Yagil von zivilisten, die ihn später verkauften. beide kamen im november 2023 frei; ich glaube, ich habe darüber schon mal geschrieben. wenig später heißt es, dass die IDF einen zweiten leichnam geborgen habe, aber der name noch nicht bekannt gegeben werden könne, erst nachdem die familie informiert sei und die erlaubnis gibt. ich dachte dann, dass ich so lange wachbleiben will, bis die nachricht kommt, weil ich nicht mit ihr aufwachen möchte. aber jetzt denke ich, dass heute nacht vermutlich nichts mehr passiert. und habe ein bisschen angst, dass das darauf hindeutet, dass es jemand ist, von dem wir noch denken, dass er lebt. bereits am samstag war bekannt gegeben worden, dass die IDF die leiche von Nattapong Pinta geborgen und nach israel gebracht hat. er war 36 jahre alt, hatte eine thailändische staatsbürgerschaft und arbeitete in der landwirtschaft von Nir Oz. die terroristen der mujaheddin-brigaden entführten ihn am 7. oktober lebend und ermordeten ihn in gefangenschaft. zeitpunkt und die umstände sind noch nicht veröffentlicht. bis zum wochenende gab es noch die hoffnung, dass er lebt, obwohl er zu den geiseln gehörte, über die es (öffentlich) keine neuen informationen gab. er hinterlässt eine frau und einen kleinen sohn. am abend veröffentlichte hamas ein bild von Matan Zangauker und droht mit seiner ermordung, sollte sich die IDF nähern. Eli Sharabi hat ein buch geschrieben, das erste einer ehemaligen geisel. es soll demnächst auch auf englisch erscheinen.

am samstag bei der mahnwache gewesen, mich geärgert natürlich und später gesagt, dass es mich auch deshalb ärgert, weil es das einzige ist, was es gibt und zu dem man gehen kann. szenischen lesung von berichten überlebender und angehöriger. anschließend zu einem geburtstag gefahren. wollte nur kurz bleiben, aus bekannten gründen, aber dann kam al. und das erste mal seit monaten sprechen wir und ich kann nicht gehen, sondern nur immer mehr trinken und zuhören und es gut finden und den moment erreichen, an dem ich sofort los muss. anschließend tagelang das gefühl, die gute situation oder irgendetwas nicht benennbares kaputtgemacht zu haben und das ärgernis, weil man sowas nicht einfach herstellen kann, weil es nur passiert, wenn man es nicht vorhersieht und eigentlich woanders sich dachte. viel zeit in bibliotheken. sage ich am montag frau fragmente noch, dass ich nicht so richtig reinkomme und deshalb auch nicht weiß, was ich eigentlich da mache (-n soll), merke ich in den letzten beiden tagen, dass es vielleicht auch daran liegt, was ich von wem lese; nicht-deutsche wissenschaftler:innen geben mir deutlich schneller das gefühl, mehr wissen zu wollen und ideen zu bekommen. lektorat des dritten teils und das jahrbuch ist immer noch im druck.

das trinity college in dublin beschließt einen umfassenden boykott israels, bricht alle kontakte zu israelischen universitäten und unternehmen ab und wird alle anteile, die der stiftungsfonds der universität an 13 israelischen firmen hat, zu verkaufen. eingestellt wird auch eine weitere zusammenarbeit im rahmen des erasmus-programms. ein hörsaal der LMU münchen wird mit antisemitsichen parolen beschmiert, auf dem mahnmal für die zerstörte synagoge in berlin-spandau findet die polizei einen schriftzug, ist aber nicht sicher, ob der politisch ist. canadas National Holocaust Monument in ottawa wird mit großflächig roter farbe beschmiert. massive attack zeigen bei einem auftritt in london oder in manchester – ich finde beides, vielleicht sind es auch zwei auftritte? – aufnahmen von yahya sinwar und seiner familie in tunneln, eingebettet in eine anti-israelische-videomontage. jetzt droht die band Hen Mazzig, der das ganze auf social media publik gemacht hatte, mit rechtlichen schritten. die riesigen screens der bühnenschow von fontaines dc beim primavera sound music festival in barcelona beinhalteten ein “free palestine”, die behauptung, israel begehe einen genozid, die aufforderung dagegen die eigene stimme zu erheben sowie eine palästinensische flagge. und sam fender gibt den 80.000 besucher:innen seines konzertes im londoner olympia stadium ein pro-palästinensisches statement. in brüssel haben auf einer öffentlichen ‘bühnenschow’ im rahmen des „resistance festival“ (6. bis 8. Juni) der organisation samidoun, maskierte männer in keffijehs und uniformen und mit spielzeugwaffen massaker der hamas nachgespielt. als alle andere darsteller, die israelis zeigen sollten, tot waren, jubelten die beteiligten ebenso wie das publikum. greta thunberg und ihre mitstreiter:innen wurden von der IDF an land gebracht und mussten anschließend ausreisen. sie sprachen in dem zusammenhang davon, dass israel sie als geiseln gehalten habe. zugleich brechen in tunis rund 7.000 menschen in einem standhaftigkeitskonvoi auf, um auf dem landweg rafah zu erreichen. in einem vorort von paris schlägt ein mann mit einem stuhl in einem cafe auf einen rabbiner ein. helga baumgarten, die unter anderem hamas öffentlich als “widerstandorganisation” bezeichnet, kann an der universität in marburg in einem raum des centrum für nah- und mittelost-studien einen vortrag halten. die israelische flagge vor dem landtag in wiesbaden wird abgebrannt. ein hotel in sarajevo kündigt der Conference of European Rabbis die räume für ihr halbjähriges treffen, nach dem ein minister dazu aufgerufen hat, dass “European Jewish event” aus der stadt zu verbannen.

ich bin die ganze zeit merkwürdig angespannt, erwarte irgendwas, kann informationen nicht gut einordnen, weiß nicht, was der iran will/tun wird, was aus den verhandlungen um die geiseln wird, was die nachrichten zur situation in gaza bedeuten, ob sich die knesset wirklich auflösen wird und was für folgen das haben könnte.

20250605, später abend

schon wieder will ich seit tagen schreiben, sammle gedanken und links und hinweise auf ereignetes. aber seit tagen gibt es auch wieder einmal eine bleierne müdigkeit und sowieso den versuch, ordnung zu halten in der zeit und das heißt vieles, im besonderen den versuch, meine arbeit als eine struktur zu nehmen, wieder zu nehmen eher und mehr als in den letzten 19 monaten. aber es ist schwer, anderes schwer, weil es gar nicht so gut funktioniert, etwas zu machen, was ich in der form zwar richtig und wichtig und das allerbeste für mich finde, aber im inhalt mich noch nicht überzeugt bin. ich denke dann immer, der ausweg und plan soll sein, das wirklich als job zu sehen, als meine arbeit zu bestimmten zeiten und nicht mehr als eine obsession oder als etwas, dessen fragen ich unbedingt lösen und klären muss. ich habe angst, dass ich darin gar nicht mal so gut sein könnte. und ein bisschen vielleicht auch, dass ich mich langweilen werde. und dann ist da das zwanghaft bewusste wissen, dass ich einen (für mich) besseren job nicht finden kann und jetzt gefälligst sofort mal glücklich zu sein habe. regeln also, grenzen, arbeits- und freizeit. und dann frage ich mich leider doch zu oft, was dieses beharren auf freie zeit denn soll, wenn ich die dann vor allem zum serien gucken nutzte und nicht zum bloggen vielleicht. ich sollte endlich dahin kommen, jeden tag ein bisschen zu schreiben und habe ich doch zu j. letztens gesagt, dass es mir gut täte. aber damit kann ich doch nicht gemeint haben, dass ich tagelang daran denke, mich schäme und/oder ärgere, dass ich es nicht hinkriege und dann doch alles auf einmal.

naja.

in meiner freien zeit auf einen flohmarkt gegangen, hier nicht weit weg, auf dem kranoldplatz und es war die art flohmarkt, die ich mag mit vielen vielen klamotten und ein bisschen kaffee und gutes essen an ständen aber dann war alles voll mit hipstern und palitüchern und ich war wie gelähmt vor ekel und ein bisschen auch vor entsetzen ob dieser normalität. ein paar tage später dann in der kunstbibliothek eine junge frau mit eindeutigen aufklebern auf ihrem rechner und als ich gestern nacht k. davon erzählen wollte, wusste er schon bei der nennung des ortes was gleich kommen wird. irritierender moment von verbundenheit nach so vielen momenten von nicht-verbundenheit. als ich vor ein paar tagen zum beispiel die s-bahn verlasse und sehe, dass es gerade wieder alarm in tel aviv gibt und m. schreibe, die sofort antwortet und ich ihre müdigkeit und verletztlichkeit durch die entfernung sofort merke, während um mich herum alle in anderen realitäten sind. jmd. schrieb mir gestern in einer längeren nachricht, wie es sich anfühlt, nach mehr als einem halben jahr wieder in der eigenen wohnung in israel zurück zu sein, wie erschrocken sie ist, weil alle um sie noch so viel gebrochener, müder, verzweifelter, ratloser, verlorener sind und wie sie nichts findet, woran sie sich festhalten kann. ich habe einen flug gebucht, aber der ist erst im september und deshalb gilt es irgendwie noch nicht. und wenn ich ihre und einige andere nachrichten und dinge so lese, dann habe ich ein bisschen angst, was es ist, wohin ich zurückgehen werde. es ist zu lang. zu viel zeit. aber nach wie vor gibt es kaum airlines die fliegen und ich kann mich nicht dazu bringen, so krass viel geld zu bezahlen. was irgendwie auch komisch ist. weil was solls. vielleicht habe ich aber auch auch bisschen angst, was es mit mir macht, wenn ich nur eine woche da bin und vor der intensität und den vielen emotionen des ankommens und des gehens. m. fliegt in zwei wochen für ein paar tage aus arbeitsgründen und ich wusste nicht dass neid etwas ist, dass körperliche schmerzen in meinem inneren macht.

a. foto bebildert einen artikel im spiegel, in dem es um den film ging, in dem er spielt und so etwas ist eine sehr merkwürdige sache und aber auch schön und ziemlich lustig. auch wenn ich niemanden gefunden habe, der:die auch darüber lacht. das jahrbuch ist fertig, aber noch nicht als gedruckte version dar. ich habe zwei seiten text vom kleinen buch, die ich vor kurzem (innerlich) als das ende der schreibblockade gefeiert habe, ersatzlos gestrichen und durch zwei neue, nun leicht geschriebene ersetzt und wie bei allen anderen büchern und texten auch muss man sich eben in der geduld üben, die die gedanken ordnet, die immer als einzelne sätze aufzuschreiben sind, nicht als das gewirr. wie immer kann ich nur hoffen, dass die erfahrung mal lernt, das empfinden zu bestimmen.

schon ende mai ist die synagoge in graz angegriffen worden; jemand schmieß einen gegenstand auf das gebäude und beschädigte den eingang. am gleichen wochenende, aber am samstag, zog in bern ein gewaltbereiter mob aus 2.000 personen vom bahnhofsvorplatz in richtung der synagoge; die polizei konnte sie erst rund 20 meter vor dem komplex aufhalten und nur unter einsatz von wasserwerfern und tränengas. ein paar tage später bringt ein streetartist namens laika in rom ein großes murial an einer hauswand an, das netanyahu und hitler küssend zeigt; er:sie nennt es ‘the Final Solution’. und noch ein paar tage später werden in paris zwei synagogen und das holocaust-mahnmal großflächig mit grüner farbe beschmiert. der stadtrat von barcelona beschloss, die institutionellen beziehungen zu israel abzubrechen und ein 1998 geschlossenen freundschaftsabkommen mit Tel Aviv-Yafo auszusetzen. das kanadische tanzstudio 303 streicht seine gaga-style-kurse; eine tanzmethode, die von dem israelischen choreografen ohad naharin entwickelt wurde. das studie schließt sich damit 15 weiteren tanzgruppen aus den usa und kanada an, die einem bds-aufruf zum boykott folgen. in frankfurt bestetzen ende mai rund 20 sogenannte pro-palästina-demonstrant:innen den eingang der frankfurter allgemeinen zeitung, um von ihr ein propalästinensisches statement zu fordern. dort entschloss man sich aber lieber, die polizei zu rufen. in boulder/colorado greift ein mann mit einem selbstgebauten flammernwerfer und molotow-cocktails eine kleine demonstration an, die an die geiseln der hamas erinnert. er verletzt sechs menschen zum teil schwer, unter ihnen eine holocaustüberlebende. in einem podcast spricht einer der gäste darüber, dass die demonstrierenden sich jede woche treffen, eine kleine gruppe etwas älterer menschen und wie sehr sich diese proteste von den großen demonstrationen in new york oder washington unterscheiden, wie isoliert sie sind und wie stetig und konsequent gleichzeitig in ihrem erscheinen. das stadtratsmitglied taishya adams verweigert kurz darauf ihre unterschrift unter einem gemeinsamen brief der abgeordneten, weil darin von antisemitismus die rede ist, während es dem täter doch darum gegangen sei, den zionismus zu beenden. lufthansa hat angekündigt, bis 22. juni den flugverkehr nicht wieder aufzunehmen, ryanair bis ende juli. greta thunberg und der schauspieler liam cunningham haben sich mit anderen in einem boot der freedom flotila auf den weg gemacht, durch die israelische blockade von gaza zu brechen. heute nacht gelang es der idf, die sterblichen überreste von Judy Weinstein und Gad Haggai zurück nach israel zu bringen. auch heute ist Yonatan Samerano 23 jahre alt geworden. sein zweiter geburtstag in der gewalt der hamas. vor ein paar tagen sind die zwillinge von David Cunio – Emma und Yuli – vier jahre alt geworden; ihr zweiter geburtstag ohne ihren vater. schon am 21. mai starb Tamar Kutz, deren sohn Aviv gemeinsam mit seiner frau Livnat und den kindern Rotem (18), Yonathan (16) und Iftach (14) am 7. oktober in kfar aza von terroristen mit kopfschüssen hingerichtet wurden.

in deutschland hat die bundesregierung beschlossen, das amt des beauftragten für den kampf gegen antiziganismus nicht neu zu besetzen.

600. oktober, morgens

600. oktober. ich weiß nicht mehr, ob ich am 500. dachte, dass wir zu diesem kommen werden. ich weiß wie dieser tag selbst schon zu krass war. ich traue mich nicht nachzulesen, was ich damals geschrieben habe, wie ich mich überhaupt sowieso nicht getraue, die vergangenen monate nachzulesen, vielleicht, weil ich lieber nicht so gern wüsste, was der schmerz alles so beinhaltet für momente und vor allem für wiederholungen. ich frage ed., warum runde tage schlimmer sind als andere, obwohl nichts anderes ist, außer die zahl. sie antwortet, man braucht akzente in der endlosigkeit. ich weine. ich weiß gar nicht warum genau. ich muss eigentlich in die bibliothek gehen, aber ich schaffe es nicht. mein kopf sucht nach ausreden, einfach im bett zu bleiben. als ob ich dafür noch etwas anderes bräuchte als diese zahl und das, was sie bedeutet.

600 tage.

20250524, abends

manchmal weiß man auf der ersten seite, dass man ein buch lieben wird. heute: Olga Grjasnowa Juli August September und ich lese es auf einer parkbank sitzend, kaffee trinkend auf der schillerpromenade. hipstersamstag. seit tagen denke ich immer wieder darüber nach, wie es ist, dass nicht nur eine beziehung endet, sondern irgendwann auch eine liebe als gefühl und was es dann macht, dass sie nicht getauscht wurde für eine liebe zu einer neuen person. was für eine art von leere da steht wenn man keine liebe mehr hat für eine beziehungsperson. und dass so aufzuschreiben ist pathetischer unsinn, um den es eigentlich gar nicht geht, sondern um das gefühl, dass etwas auf eine art vorbei ist, in der man sich freut, wenn man über die person dann mitbekommt, dass sie gerade auf eine neue art – wieder – erfolgreich ist und zum beispiel in cannes einen film vorstellt. man selbst ist also, neben der leere, absolute fine mit der person und der situation und dem ende, bis man dann in einem buch liest, wie die protagonistin denkt, dass sie jemanden liebt, weil er ihre bedürfnisse kennt und man – also ich – sich plötzlich an diese tausend kleinen gesten erinnert, als bild und als gefühl, was sie mit einem gemacht haben. sich wirklich erinnert, so im körper. also daran zum beispiel, wie er oft was zu essen dabei hatte, weil er wusste, dass ich wieder nicht gefrühstückt habe. und dann musste ich weinen. so passiert heute, auf einer parkbank auf der schillerpromenade. vielleicht. wie konnte ich von einer solchen unsicherheit zerfressen sein, wenn ich eigentlich so sicher war.

gestern nacht im holzkohlen in einer größeren gruppe von menschen sitzend, um d.’s geburtstag zu feiern und beim zurückziehen aus gesprächen und lautstärke über eine nachricht im internet gestolpert, dass in bielsko-biala pro-palestine-idioten die zusammenkunft von holocaust-überlebenden in einer synagoge gestört haben. das ist an sich schon schrecklich, aber es wurde richtig schrecklich, weil ich dort war vor einigen jahren, eingeladen von einem lokalen historiker und dann vor der gemeinde, um rosh hashana zu feiern und es war so einer von diesen abenden und überhaupt so eine von diesen reisen, bei denen man schon viel merh versteht von einer geschichte, weil man vor ort ist. es war ein guter abend, aber es war auch ein schwer abend, so dieses sitzen inmitten von fremden menschen und dann war es plötzlich unerträglich und schwer und fremd. es ist eine kleine gemeinde, die in quasi nicht auffindbaren räumen sitzt und alles ist dafür gemacht, dass diese kleine gemeinde und ihre menschen einen schönen ort haben. ich weiß nicht. irgendwie bekomme ich es nicht hin, zu denken, sagen und zu schreiben, wie schmerzlich sich das vorzustellen ist.

am hauseingang gibt es neue schmierereien. ich glaube immer noch nicht, dass es gezielt oder persönlich ist, aber ich bin umliegende hauseingänge abgegangen und habe etwas vergleichbares nicht finden können, also nicht in dem sinn, dass jemand vorletzte nacht die straße entlang ging, ohne einfach überall pro-palestine-dreck ranschrieb, wo sich die gelegenheit bot.

british airways kündigt an, bis ende juli nicht nach israel zu fliegen. in berlin wird die fassade der synagoge brunnenstraße beschmiert. edan alexander spricht darüber, wie es war, als raketen der idf ihn fast in einem der tunnel trafen, in dem er gefangen gehalten wurde. nahe des about blank wird we will dance again on dead bodys an eine plakatwand gesprüht. Eitan Abraham Mor ist 25 geworden. an der humboldt universität wurde (mindestens) ein plakat aufgehangen, das Yaron Lischinsky zeigt. über dem bild ist ein rotes dreieck und make zionist afraid geschrieben.

ich gebe zu viel geld für dinge aus. viel zu viel. dummerweise nicht für die, die ich tatsächlich brache.

20250522, sehr nachts

heute morgen beim aufwachen das erste, was ich lese, ist eine nachricht, die mir jmd. aus tlv geschickt hat und in der steht, dass in washington Yaron Lischinsky und Sarah Milgrim ermordet wurden, ein paar, dass in der israelischen botschaft arbeitete und an dem abend eine veranstaltung des American Jewish Committe, im jüdischen museum besucht hatte. Yaron Lischinsky war in nürnberg geboren und lebte in deutschland, bis er mit 16 jahren nach israel auswanderte. sie wollten in den kommenden tagen nach jerusalem reisen, wo er plante, ihr einen heiratsantrag zu machen. für deutsche verhältnisse mehr als ungewöhnlich wird sehr ausführlich über die opfer berichtet. ich fahre am späten nachmittag zur israelischen botschaft in berlin, davor gibt es ein trauerkundgebung, sie ist sehr klein, aber sehr prominent besucht und überall stehen zu viele kamerateams und sicherheitsmenschen. ich ärgere mich, dass ich daran nicht vorher gedacht habe und später gefahren bin. es ist anstregend.

ed. schrieb mir vor ein paar tagen, dass sie mir gern eines der otef-t-shirts schenken möchte, ich brauche ewig, mich zu entscheiden und dann ist es nir oz, was es vermutlich auch schon war, bevor ich ewig brauchte, mich zu entscheiden. kurz eine weile so zu tun, als ginge es um das motiv und die farbe, war aber auch schön. a letter for david hängt mir sehr nach und ich kann die bedeutung und schönheit des filmes nur schwer vermitteln und ich würde gern, dass jede:r, der ich von dem film erzähle, ihn danach auch sehen will. aber es gelingt mir irgendwie nicht und gestern wurde David Cunio 35 jahre alt. sein zweiter geburtstag in der gewalt der terroristen. und ich kann das haus von Itzik Elgarat nicht vergessen und ich weiß nicht, warum nicht und warum ausgerechnet dieses nicht. auf bluesky erklären mir irgendwelche leute, ich dürfe nicht von ‘palästinensischer geiselhaft’ schreiben. und wäre ich nicht sowieso schon so müde, würde ich es jetzt nochmal werden. mein schlaf hat seit tagen eine eigenartige tiefe und stumpfheiten und aufwachen fährt mehrmals die nacht scharf dazwischen. jedenfalls schrieb ich ed. am dienstag, dass mir die ganze zeit zum heulen zumute ist, und sie antwortet, ich soll mir tränen aufheben, ich werde sie brauchen. jmd. sagt mir, ich soll ihr sagen, dass sie so etwas nicht schreiben soll. und dieser vorschlag zeigt, wie und an welchen stellen sich realitäten teilen.

wieder regelmäßig zu arbeiten, nicht nur in der zeit sondern auch im inhalt, bringt etwas wie struktur und das ist gar nicht schlecht. jetzt, wo ich langsam zu verstehen beginne, dass die spielräume bleiben, wird es entspannenter und heute morgen dachte ich, was für ein glück ich doch vielleicht hier gerade auch habe, wie viele anträge abgelehnt werden, weiß ich ja nicht nur selbst, sondern vor allem auch von allen anderen. auf der fahrt nach köln zwei seiten im kleinen buch geschrieben und vielleicht ist damit eine blockade aufgehoben, so schien es zumindest und auch wenn ich zu wenige kapazitäten habe gerade, mich weiter ranzusetzen. das jahrbuch wird fertig und der verlag schickte den zweiten teil zur kontrolle. bitte meine beschäftigungen nicht mit gut-gehen verwechseln, musste ich heute jemanden erinnern. und gestern in der bar wollte al. auf eine reise nach italien trinken und ich sagte, nein, auf die rückkehr der geiseln. wenn jmd. mir zuhören würde, also so wirklich zuhören mit dem raum, alles zu erzählen, auch mit seinen verwicklungen und brüchen und tränen und ohne trost und ohne es erklären müssen. vielleicht gab es eine zeit, darüber zu sprechen und ich habe sie nicht gemerkt und zu wenig genutzt oder nicht damit gerechnet, dass sie wieder zu ende geht. ich will nie umarmt werden, aber ich will umarmt werden. ich kann immer nur oder immer öfter nur denken, wie schwach ich bin und wie ich nicht den bezug herstellen kann zu dem, was um mich ist. und ich wundere mich oft, dass ich nicht immer einfach nur auf den boden falle. und erwarten menschen eigentlich wirklich, dass ein neuer guter job vergessen macht, was realitäten sind und was seit dem 7. oktober alles gebrochen ist?

alice teodorescu måwe, abgeordnete der schwedischen partei der christdemokraten (ich weiß nicht mit sicherheit, ob die so heißt) im europaparlament wurde dort von einem:r mitarbeiter:in der schwedischen linken partei für ihre pro-israelische haltung angegriffen und beleidigt. nethanjahu spricht auf seiner ersten pressekonferenz in israel seit fünf monaten unter anderem davon, dass man, also er, davon ausgehe, dass noch 20 geiseln am leben seien, verharmlost den angriff vom 7. oktober indem er behauptet, hamas habe nur in flipflops und ohne schwere waffen angegriffen und spricht über den kibbutz Ein HaShlosha als beispiel für widerstand und heroismus; ein kibbutz, in dem dutzende terroristen eindrangen und vier menschen, unter ihnen eine 80jährige frau, brutal ermordeten. die verhandlungen zu den geiseln sind vielleicht eher verhandlungen zum krieg und blieben undurchsichtig; mal ist von neun bis zehn freizulassenden für 60 tage waffenruhe die rede, mal von einem ende des krieges, einer hamas die sich entwaffnen lässt, von einer aus doha abreisenden israelischen deligation, von zukünftigen zonen ohne palästinensische bewohner:innen. es ist viel geschrieben und gesagt worden zur freilassung von Edan Alexander und dazu, was das mit angehörigen macht, die allein einen israelischen pass haben, was es für zionismus bedeutet, für eine zugehörigkeit zu israel, für das vertrauen in den staat usw. kann man alles nachlesen und -hören, wenn man möchte. aber ein gedanke, der in meinem kopf rumgeistert, ist die frage, was es eigentlich in der situation anrichtet, bedeutet und/oder heißt, dass für seine freilassung (scheinbar) keine “gegenleistung” erbracht werden musste. ende märz und im verlauf des 13. mai wurden bauliche relikte in der kz-gedenkstätte flossenbürg beschmiert, mit parolen, die eine täter:innenschaft aus dem linken/linksextremen spektrum nahelegen (sollen). rias hat vorfälle ausgewertet und kommt zu dem ergebnis, dass sich 2024 die zahl der antisemitischen vorfälle im vergleich zu 2023 verdoppelt hat. in amsterdam werden stolpersteine als “propaganda” beschmiert. im westjordanland besuchte eine gruppe ausländischer diplomaten eine geschlossene militärbasis ohne erlaubnis und die idf-angehörige geben warnschüsse in die luft ab und alle regen sich danach auf. das whitney museum of american art sagt zwei tage vor beginn die aufführung von „no aesthetic outside my freedom: mourning, militancy, and performance“ (noel maghathe, fadl fakhouri und fargo tbakhi) ab, bei dem es um palästinensische trauer gehen soll, ab und begründet dies mit einer ansprache, die tbakhi bei einer vorherigen aufführung des stückes hielt, in dem es unter anderem hieß, man dürfe nicht im publikum bleiben, wenn man an Israel in irgendeiner Form glaube. daraufhin haben, natürlich, andere künstler:innen, die wie die oben genannten am einem stipendien-programm des museums teilnahmen, ihre arbeiten aus “protest” zurückgezogen. die EU stellt das seit 25 jahren bestehende assoziierungsabkommen mit israel in frage; 17 länder sind fürs infragestellen, zehn dagegen. lufthansa fliegt mindestens bis zum 8. juni nicht nach israel und ryanair gibt bekannt, die geduld mit israel zu verlieren und darüber nachzudenken, den flugverkehr gar nicht wieder aufzunehmen und stattdessen neue ziele anzusteuern. Igor Pivnen, ein polizist, der am 7. oktober in den süden israels fuhr, 13 terroristen tötete und viele menschen rettete, hat sich das leben genommen, weil er mit dem, was er gesehen hatte, nicht umgehen konnte, weil er von schuld geplagt wurde, nicht mehr menschen geholfen zu haben. ich lese auch, dass rund 50 überlebende des nova-festivals sich das leben genommen haben sollen. es gibt nun – endlich – eine übersicht mit den namen der acht geiseln, die eine deutsche staatsbürgerschaft haben: Itay Chen, Tamir Nimrodi, Alon Ohel, Shay Levinson, Tamir Adar, Gali Berman, Ziv Berman, Rom Braslavski. hat nur 19 monate gedauert. ihre angehörigen sprechen davon, dass es zwar warme treffen mit hohen politischen repräsentant:innen gäbe, aber keine konkrete hilfe und ergebnisse. in edinburgh eröffnete ein “palestine museum”. in der türkei können immer weniger konzerte von einheimischen jüdischen künstler:innen stattfinden; weil veranstalter:innen absagen oder gewaltbereite mobs sich vor den hallen versammeln. aber john cleese bleibt stabil und kommt für shows nach tel aviv und jerusalem. Yuval Rafael belegt den zweiten platz beim esc, nachdem die jurys sie eher schlecht bewerten, erhält sie die höchste je dagewesene punktzahl von zuschauer:innen und die langen minuten, in denen es so aussah, als würde sie gewinnen, waren die schönsten seit einer weile, auch, weil ich mir vorstelle, wie all den israelhassern ihre wut und fassungslosigkeit aus den ohren quoll. es sind die kleinen dinge. das spanische nationale fernsehen blendete vor ihem auftritt eine tafel mit dem spanischen und englischen text: “when human rights are at stake, silence is not an option. peace and justice for palestine” ein. während ihres auftritts versuchen zwei personen auf die bühne zu kommen und sie mit roter farbe sie übergießen. nachdem die sängerin ihr lied mit “Am Yisrael Chai” beendete, erneuerte das israelische home-command seine warnung zur vorsicht an israelis, die nach basel gereist waren. während der übertragung gab es mehrere, dabei sehr aggressive demonstrationen in der stadt. Yuval Rafaels account auf twitter wurde kurz darauf gesperrt, nachdem zahlreiche user:innen ihn meldeten. daniel bax kann in der taz schreiben, dass Yuval Raphael für israel singt, um von den kriegsverbrechen abzulenken. ihr auftritt sei nationalistisch und propaganda. Eden Golan, die für die israelische jury die punkte verkündete, wurde verboten, einen gelben pin für die geiseln tragen. der diesjährige sieger johannes pietsch aus österreich, der als “jj” auftritt, möchte nicht, dass israel nächstes jahr in wien teilnehmen kann. beim giro d’italia versucht ein sogenannter pro-palästinensischer aktivist, israelische radfahrer niederzuschlagen. gary lineker teilt antisemitische posts bei instagram und muss anschließend – ein bisschen überraschend, wenn ich das so notieren darf – seine bbc-moderation aufgeben. am letzten samstag hätte Carmel Gat 41 jahre alt werden sollen. ebenfalls am letzten samstag läuft ein aggressiver mob von 1.100 menschen zum sogenannten nakba-tag durch berlin, unter anderem wird ein polizist niedergetreten und schwer verletzt. die situation in gaza hat sich mit der einstellung von hilfslieferungen drastisch verschärft. und der UN-untergeneralsekretär für humanitäre angelegenheiten tom fletcher darf in einem radiointerview mit BBC 4 behaupten, dass 14.000 babys in den nächsten 48 stunden sterben werden und journalisten-welt anderer medien übernimmt ungeprüft und vermutlich dankbar. einen tag später stellt bbc richtig, aber das interessiert dann schon weniger. Ron Krivoi und Arbel Yehud geben lange intervies zu ihrer zeit als geiseln. eine nahaufnahme von Edan Alexanders arme zeigt spuren der folter, die familie sagt, der “Edani” den sie “kannten, kam anders zurück.”

es ist sehr kalt und windig draussen, meine kleinen erdbeerpflanzen scheinen nicht zu überleben, eisenhüttenstadt bietet an, sich für ein zweiwöchiges probewohnen zu bewerben. ich traue mich nicht, nach flügen zu suchen.

594 tage. ed. schickt mir ein design für ein plakat für tag 600.

20250513, nachts

bin nach mitte gefahren, zu freitag gegangen, um eine neue hülle für das neue macbook zu kaufen und es gab irritierend wenig auswahl und eine hülle war in einem knalligen gelb und sie war die schönste und besonderste und ein bisschen auch die lustigste und deshalb habe ich sie gekauft. aber wir haben den 585sten oktober, und deshalb hat alles auch noch eine andere bedeutung.

ein paar minuten später schickt m. mir ein bild von sich und ihrer tochter und schreibt, sie seien okay. es gab alarm und ich sehe ihr gesicht und es ist hart und müde und damit ein bisschen fremd. sehnsucht. nach ihr, nach der stadt, nach meinem leben.

20250512, nachts

wir fahren nach charlottenburg, um a letter to david zu sehen. wir weinen und es ist ein so wunderbarer film und trotzdem kaum auszuhalten. und ich sehe nicht nur die orte, ich habe sie gesehen in einer völlig anderen form. weil ich kenne sie nur aus dem danach. und alles ist da und alles ist nahe. ich sehe Sylvia Cunio und ich erkenne sie, weil sie mir mehr als einmal begegnet ist in den letzten monaten und das ist das erste mal, das ich weine. und irgenwann denke ich, Tom Shoval kann diesen film nie enden und sich und uns in eine realität entlassen, aber er tut es irgendwann und ich lese in dem moment auf meinem telefon, dass Edan Alexander freikommen soll. und als ich danach auf die toilette des kinos gehe, ist die erste kabine verschlossen und ich höre, dass dahinter jemand ist, die bitterlich und ohne trost weint. und dann weine ich auch in meiner kabine und als ich raus- und vorbei an der schlange gehe, die es nun gibt, schäme ich mich, auch wenn die meisten der wartenden vermutlich im gleichen film waren.

meinen ersten arbeitstag nicht nur mit dem ordnen und zurecht-finden in den neuen dingen verbracht, sondern auch mit dem warten und dem meldungen ansehen und mit dem versuch, die debatten zu verstehen. gefühle aushalten, die eine so große spannbreite haben, verstehen, was dieser deal bedeutet, auch politisch und mit blick auf die anderen geiseln und auf trumps politik und gleichzeitig dieses fucking-unfassbare glück, Edan Alexander endlich zu sehen, lebend, auf seinen beinen stehend. und dann all die videos, vom ersten telefonat mit seiner mutter, vom wiedersehen, von seiner großmutter, die essen gemacht hat. was zur hölle. was für ein glück. wem auch immer sei dank, ruft martha an und fragt, ob ich zeit für ein getränk habe und aus anderen gründen als ihre habe ich endlich die gelegenheit, eine zigarette zu rauchen und ein getränk zu trinken. ich habe heimweh, seit tagen und jetzt kann ich es kaum aushalten, hier sein zu müssen, in einer gegenwart, in der ich mir aufmerksamkeit, für das, was passiert, erbitten muss. und natürlich sagte jede:r dort, dem:der ich schreibe, vielleicht sollte ich einfach nur eine woche kommen, ja, und bitte und mach.

am samstag in der wohnung rumgestanden und zu lakonisch gedacht: na mal sehen, von wem hamas heute ein video veröffentlicht und ich schwör, der punkt war gesetzt als eine eilmeldung mich wissen ließ: Yosef-Chaim Ohana und Elkana Bohbot. letzterer war in den tagen davor für mich überproportional präsent, weil es viele bilder von seinem kleinen sohn gab, der das plakat seines vaters hochhielt. im video liegt er nur auf einer matratze, abwesend, Yosef-Chaim Ohana spricht darüber, dass Elkana Bohbot aufgehört habe, zu essen und zu trinken. es ist propaganda von hamas, natürlich. aber es ist so schmerzhaft und so unaushaltbar. ein paar tage zuvor hieß es, Tamir Nimrodi, Netphong Phinta und Bipin Joshi wären tot. aber es gibt keine tatsächliche bestätigung, nur die tatsache, dass es von ihnen seit langem keine lebenszeichen gäbe. und dann sagt heute jemand in den nachrichten, 21 noch lebende geiseln, und es trifft mich und ich weiß einfach nicht, wie das übernehmen in wirklichkeit.

mehr als 70 vormalige und aktuelle esc-teilnehmer:innen fordern nun, dass israel ausgeschlossen werde, darunter der sieger des letzten jahres, es gibt wieder demonstrationen und mindestens einer der teilnehmer:innen, sendet eine todesdrohung. israel warnt besucher:innen der veranstaltung, sich als jüdisch oder israelisch erkennen zu geben. in basel, in der schweiz. in neapel wird eine israelische familie aus einem restaurant geworfen, die stadt lädt sie daraufhin ein, übernimmt übernachtungen und den besuch einen cafes. Emily Damari protestiert – vermutlich als einzige? – dagegen, dass mosab abu toha einen pulitzer-preis gewinnt. er hatte unter anderem in frage gestellt, dass sie und Agam Berger geiseln sind und leugnete den mord an Shiri, Ariel und Kfir Bibas. kanye west veröffentlichete am 8. mai den song “ww3” mit offen antisemitischen inhalten und hitler-verherrlichung und schafft es damit auf platz 1 unter anderem bei spotify deutschland. in der türkei ermordet ein gastgeber den fotografen Yitzchak Eliyashiv, einen ehemaligen gabbai der Heichal-Mosche-Synagoge in manhattan. die partei die linke beschließt, die jerusalem declaration als definition für antisemitismus zu verwenden, in einem nachtclub in philadelphia wird ein f*ck the jews- transparent über der tanzfläche angebracht, das pope-mobile von papst franziskus wird zu einer mobilen gesundheitsstation für die kinder in gaza umgebaut, sein letzter wunsch. mindestens 38 soldat:innen soldat:innen der IDF sollen sich seit dem 7. oktober selbst das leben genommen haben. eine rakete aus dem yemen schlägt neben dem flughafen ein, Guy Gilboa-Dalal hat in hamas gewalt seinen 24. geburtstag. ein paar tage zuvor wäre der 24. geburtstag von Daniel Perez gewesen, den die terroristen am 7. oktober ermordeten und nach gaza verschleppten, wo seine leiche nach wie vor als geisel gehalten wird. das gretchen in berlin sagt einer band aufgrund ihrer israelfeindlichen positionierung ab. ich frage mich, wie es mir gut gehen soll nur weil die sonne scheint.

jeffrey herf im bajzel zugehört. bester abend seit fast immer. wir werden das jahrbuch mit den spenden unserer freund:innen veröffentlichen können.

20250507, früher abend, aber auch über den tag verteilt

gestern nacht nicht schlafen können, weil die dig beschlossen hat, unseren antrag abzulehnen, mit der begründung, das sei zu unbedeutend. in langen reihen von abwertungen meiner arbeit trifft mich diese auf eine neue weise und macht mich wütend auf eine neue weise und schafft hilflosigkeit in einer neuen weise. als ich mich dann im internet festlese, finde ich einen einige stunden alten post, in dem es heißt, trump habe verlautbart, nur noch 21 der 24 geiseln würden leben. seit ein paar tagen geistert das so durch die welt, nachdem sara netanjahu bei einer gelegenheit, an die ich mich nicht mehr erinnere, die aber öffentlich war, entsprechende andeutungen machte. die angehörigen der geiseln scheinen dazu nicht informiert worden zu sein. vergangene woche hatte hamas ein video veröffentlicht, dass zeigen soll, wie eine geiseln nach einem luftangriff aus trümmern gerettet wird. sie behaupteten, es würde sich um Maxim Herkin handeln, von dem die terroristen dann widerum ein video am samstag veröffentlichen, in dem er eine verbundene hand hat. es gibt wenig aussicht auf einen deal. und in zusammenfassung einiger podcasts und artikel in den letzten wochen hatte ich immer wieder den eindruck, es sollen damit auch die voraussetzungen und rahmen gesetzt werden, in/mit denen der verbleib der noch lebenden und sowieso der toten in gaza nun einfach zur tatsache wird. natürlich spricht das niemand aus, aber das ihre befreiung das ziel der immer noch zunehmenden militäroperationen ist, liest und hört sich politikerseits immer mehr wie eine formal an, die an viele andere pflichtschuldig vorgetragene erinnert. jemand stellt zum beispiel in einem interview die geschichte von geiselnahmen und israels jeweilige reaktionen vor; die einordnung und damit auch normalisierung dessen hat (vielleicht) begonnen und am 1. mai sitzt mir ein typ gegenüber, der einer der wichtigsten ngos zum nahen/mittleren osten in deutschland vorsteht und erzählt mir nicht nur langweilige geschichten von seinen treffen mit wichtigsten deutschen politikern, sondern auch, dass der kampf gegen hamas eben wichtiger sei für israels überleben und auf meinen einwand, dass es die gesellschaft und selbstverständnisse von jüdisch-sein zerstören werde, wenn diese 59 menschen nicht zurückkommen, tut er ab als emotinales überzogenes geschwätz. vogelperspektive einer kriegsherrenlogik (oder so ähnlich), wird die liebste freundin das später nennen. zugleich intensiviert sich alles: eine rakete der houthis schlug tatsächlich am flughafen ein, die idf fliegt angriffe im yemen und in syrien, wo die situation der druzen sich noch weiter verschlechterte und zahlreiche ermordet wurden. israel nimmt verletzte druz:innen zur behandlung auf. (zehn?-)tausende reservisten werden wieder einberufen. die szenarien einzelner politiker für gaza sind verstörend. ich kann die fragilität der situation bis hierher spüren. und ich spreche viel und oft mit verschiedenen menschen in israel, und merke, dass das, was ich erst als veränderung nach dem 7. oktober festgestellt habe, als intensivierung und neuheit meiner beziehungen, tatsächlich realität wird und ist. und ich merke auch, dass mein plan, im september erst zu fliegen, nicht so gut ist.

am samstag bei phillip boa gewesen und zu meiner überraschung in der zweiten reihe gestanden und irgendwie war alles zeitreise, auch das gefühl. nur dass er netter geworden ist und am ende sogar was von liebe gesagt hat, war irgendwie naja, ungewohnt. danach wieder dieses krass, ich habe zwei stunden nicht über die situation und die geiseln nachgedacht – gefühl und auf dem nachhauseweg lief noch die samstagsendung des toi-podcasts, die, in der sie immer die biografien der ermordeten vorstellen. und die leichtigkeit der gerade vergangenen zeit hat gemacht, dass das hören noch schwerer war.

schaffe immerhin, ein paar sätze zu schreiben und denke, wenn ich es gut mit mir meine, dass ich gar nicht faul bin, sondern nur noch keine ordnung in meinem kopf über das zu schreibende hergestellt und vielleicht auch ein bisschen angst habe, mich zu sehr in die veröffentlichten artikel einzulesen, weil, wie ich an. gestern bis nach warschau mitteilte, das ganze buch vielleicht nur als satire geschrieben werden kann. lese wir schon wieder und die absolutheit meiner vorbehalte gegen kurzgeschichten ist vielleicht einfach unsinn. den nachmittag mit tereza verbracht, die in berlin ist für 24 stunden und mir drei davon widmet.

heute ist alles 19 monate.