20240522, abends

gestern gedacht, dass nun eine gute zeit zum sterben wäre; ich bringe viele dinge zu ende, langsam zwar, aber zu ende und habe keine neuen. ein bisschen angst vor der leere ohne arbeit. besser ohne plan. kann mich nicht erinnern, ob und wann das (überhaupt) mal so war. von geld und so zu schweigen. versuche manchmal, alternativen zu entwickeln, nicht nur aus angst, sondern auch, weil ich mich nicht mehr ständig in frage gestellt wissen will. frage mich überhaupt, wie jemand, die so verunsichert ist von anderen, sich all diesen beurteilungen aussetzt. weiß nicht, wie andere ihre orte finden. überzeugt bin ich, dass irgendwas mit glück mal sein müsste. distanz und unzugehörigkeit als etwas gutes zu sehen, wäre aber auch wieder hilfreich. jedenfalls sind die einzigen alternativen, die ich denken kann, putzen, call-centern, aldi. wenn ich nicht so müde wäre, sollte ich mich vielleicht nochmal ernsthafter mit diesem herkunfts-ding und seinen folgen beschäftigen.

abends ist ein film in den israelischen medien veröffentlicht worden, der zeigt, wie Liri Albag, Karina Ariev, Agam Berger, Daniella Gilboa, and Naama Levy von der nahal oz base entführt wurden. alle fünf sind bis heute in der gewalt von hamas (oder anderer palästinenser). so junge frauen, verängstigt, verletzt, umringt, herumgezerrt, gestoßen, von so vielen und so lauten männern. einer von ihnen spricht offen von vergewaltigung. sie werden gefesselt, müssen auf dem boden sitzen. es sieht aus, als hätten sie teilweise nur schlafanzüge an. sie sind blutverschmiert, offensichtlich misshandelt. gezeigt werden 3 min 10. geschnittene sequenzen, auch, damit die leichen der ermordeten nicht gezeigt werden. die familien haben der veröffentlichung zugestimmt und sie veranlasst, auch und vor allem, um den druck auf die israelische regierung zu erhöhen. ich wünschte mir, jemand würde mal den druck auf hamas erhöhen. stattdessen kündigen norwegen, spanien und irland für die nächsten tage die anerkennung von palästina als staat an.

229 tage

Omer Wenkert ist heute 23 geworden, gestern hatte David Cunio seinen 35. geburtstag.

irgendein institut an der hu ist besetzt, vorgestern wurde das bajzel mit roten dreiecken markiert, das doda ist schon eine weile geschlossen. der international criminal court prüft haftbefehle gegen netanyahu und gallant. ed. schreibt, wir wollen das er verschwindet und müssen ihn jetzt verteidigen. am sonntag ist der helikopter mit dem iranischen präsidenten ebrahim raissi abgestürzt.

hätte gern eine pause. nur einen tag. und dabei selbstverständlich. und nicht weil ich denke: jetzt mache ich aber mal eine pause.

20240518, früher abend

gestern wurde bekannt gegeben, dass die idf die leichen von Itzhak Gelerenter (58), Amit Buskila (28) und Shani Louk (22) in einem tunnel in rafah gefunden hat. gerade wurde veröffentlicht, dass man auch die leiche von Ron Benjamin (53) gefunden hat. mein körper ist taub, mein denken ist taub. jö. und ich gehen nachmittags zu einer gedenkveranstaltung am ‘platz der geiseln’ und plötzlich ist es mir ziemlich egal, was ich über den ort und die inszenierung denke, was ich als umgang mit erinnerungszeichen anzweifele. ich bin froh, an einem ort zu sein, der mir irritierend vertraut ist. ein ganz ganz kleiner, klar umgrenzter raum inmitten von tourist:innenbewegungen. ein ort in einem raum, den wir normalerweise nicht besuchen. es gab so phasen in den letzten monaten, in denen bestimmte themen besonders relevant waren. wenn es um neue deals ging, natürlich, aber auch sonst, zum beispiel im januar (?), als es immer wieder um den zustand der geiseln ging und um ihre medizinische versorgung. mir fällt auf, dass wir nie wieder etwas davon gehört haben. vermutlich sind die von isreal gelieferten medikamente nie angekommen. offensichtlich hat das in der öffentlichen debatte niemanden interessiert. und ich frage mich, ob wir jetzt in einer phase sind, in der wir immer und immer wieder erfahren, dass tote gefunden wurden. während man bei Shani Louk seit monaten wusste, dass sie den 7. oktober nicht überlebt haben kann, ging man bei Itzhak Gelerenter und Amit Buskila bis vor sehr kurzem davon aus, dass sie noch lebten. ich denke an di.’s rede über die grausamkeit von hamas vor einigen tagen. unter einem der texte für Itzhak Gelernter lese ich einen kommentar, in dem die person beschreibt, wie sie bei einer demonstration ein schild mit seinem bild gehalten hat und wie sehr sie seitdem mit ihm verbunden ist. um menschen zu trauen, die ich nicht kenne. um menschen zu weinen, denen ich nie begegnet bin. auf die kleinsten chancen hoffen, für menschen, die persönlich nichts mit mir zu tun haben. ich habe mir noch nie negatives denken verboten, wider allen wahrscheinlichkeiten, sollen sie noch eine chance haben, zurückzukommen. es ist irgendwie seit einigen tagen noch dunkler geworden.

mittags mit si. telefoniert, die im norden ausharrt und bleiben will und immer wieder sind wir unterbrochen von alarm.

20240517, mittags

es ist als würde man/ich die ganze zeit auf etwas warten. dabei passiert die ganze zeit etwas, kein ereignis ist mehr ein einzelnes, alles nur teil eine sich anstauenden abfolge und die einschläge folgen immer schneller aufeinander. vielleicht warten darauf, dass es noch schlimmer wird. jeden abend scrolle ich durch instagram und mache stories aus nachrichten zu den geiseln, jeden morgen starre ich auf die zahl der alarme. heute waren es 39 und auch in naharija. überhaupt sind es immer mehr derzeit. auch viele tote soldaten. ich versuche aus nachrichten situationen zu basteln und entwicklungen zu verstehen. weil ich dies nur selten abgleichen kann, erscheint die situation noch fragiler. als würde man/ich die ganze zeit warten, dass es/etwas bricht.

in rouen versuchte ein mann eine synagoge anzuzünden, in paris wurden am jahrestag der deportation von das denkmal zur erinnerung an 3.900 französischen gerechten unter den völkern und weitere mahnmale in der nachbarschaft beschmiert, in berlin das mahnmal für die deportationen von juden:jüdinnen am standort der vormaligen synagoge levetzowstraße, in stockholm wurden nahe der israelischen botschaft schüsse abgefeuert, an einer bushaltestelle am potsdamer platz wurde ein mann angegriffen, weil er eine israelfahne um die hand gebunden hatte, im bioladen um die ecke trägt die verkäuferin ein palituch, ein israelisches restaurant sieht sich gezwungen, aus dem friedrichshain wegzuziehen, weil die antisemitischen angriffe zu krass wurden, auf dem festival in cannes wird kein israelischer film gezeigt, in hamburg besetzen irgendwelche pro-palestine-idioten die tote flora für minuten aber öffentlichkeitswirksam. in paris hatten sich die täter:innen für ihre antisemitische drecksaktion den jahrestag einer deportation von 3.700 juden:jüdinnen ausgesucht, aus paris zunächst in lager im département loiret, dann nach auschwitz-birkenau. dummheit und antisemitismus bei gleichzeitigem gefühl für das besonders perfide.

in israel wird bekannt gegeben, dass zwei der geiseln, Sonthaya Oakkharasr und Sudthisak Rinthalak aus thailand, am 7. oktober ermordet und ihre leichen von hamas nach gaza verschleppt wurden. beide hatten im kibbutz be`eri gearbeitet. gestern wurde Carmel Gat 40 jahre alt. das ist alles, was es noch zu geben scheint: das zählen der tage, meldungen zu toten, erinnerungen an geburtstage, die immer gleichen bilder, die immer gleichen forderungen. und nichts scheint sich zu tun.

seit gestern erkältet. schlimme nächte. tage etwas besser, aber müde. am dienstag war untersuchung. das aneurysma ist nicht gewachsen und auch sonst zeigte sich keine veränderung, aber ich habe in der folge ein neues bewusstsein für das verrotten meines inneren und kriege es nicht abgeschaltet.

seit gestern gibt es einen platz für die geiseln in berlin. für einen monat, auf dem bebelplatz. weiße (why???) stühle für die geiseln, ein tunnel, eine abgelaufene sanduhr. eingezäunt. verlagerung der erinnerung in einen anderen raum, mitnahme der (fast) gleichen symboliken. der tunnel, problematisch in seiner implikation der möglichkeit von nacherleben schon in tel aviv, verkommt hier vollens zum kitsch. auch beschissen, das wenige, das es hier in berlin überhaupt gibt als erinnerungszeichen, noch kritisieren zu müssen.

20240512, nachmittags

denke zu viel über den esc nach. über verlogenheit und den offensichtlichen diskrepanzen zwischen realität und vermittlung des ereignisses. frage mich zwischendrin, ob es gleichzeitig aber dieses ins albern gehende beharren der organisator:innen und des “zentralkomitees” (das ist ein bisschen lustig) gleichzeitig ermöglichte, dass die veranstaltung überhaupt in anwesenheit von eden golan stattfinden konnte. und dann gibt es diese tausenden menschen die “protestieren” und diese “künstler:innen” die “protestieren” und ich ärgere mich so sehr und bin angeekelt und angewidert und dann fällt mir auch noch etwas auf, was anscheinend sonst niemanden juckt: es gab an keiner stelle eine offene solidarisierung mit eden golan, dass mal jemand gesagt hätte, ‘das geht so nicht, das ist scheisse’ oder sich in irgendeiner weise vor sie gestellt hätte. denn wie krass ist das denn: all die sicherheitsvorkehrungen, dass mehrmals umziehen müssen, die eigene familie nicht mitbringen dürfen, den hass auf der straße, in der veranstaltungshalle, in den sozialen medien, auf der bühne, von den anderen teilnehmer:innen und niemand sagt nur einmal laut: das geht so nicht. habt ihr sie noch alle? was für ein dreck das alles ist. der trost, dass sie die zweithöchste zahl des publikums-voting bekommen hat, existiert nur 17 sekunden oder so.

seit dieser überschrift im tagesspiegel vor ein paar tagen (siehe letzter eintrag) ist mir eigentlich permanent schlecht. ich bin nicht mehr nur traurig, erschöpft, müde und angespannt, jetzt ist mir auch noch übel. der ekal hat sich eingenistet in den zellen.

mit einer freundin geschrieben, deren lebensbegleiter der meinung ist, es sei nur wichtigtuerei von den rund 600 lehrende/dozent:innen, einen offenen brief zur unterstützung des propalästinensischen unibesetztenden mobs zu unterschreiben. kein antisemitismus nirgends. besonders nicht bei den personen, die er persönlich kennt. sie können keine antisemiten sein, ich kenne sie. man muss darauf bestimmt mit vernunft und aufklärung reagieren, aber ich möchte gern nur noch weggehen. mich einfach ohne ein wort umdrehen und gehen. dieser zwang zum verharmlosen. sie habe angst, dass ihre welt immer kleiner wird, wenn sie sich positionieren, sagt ma. und das ist nicht so schlecht als erklärung. abr weil darin nicht vorkommt, dass die situation von juden:jüdinnen völlig und rücksichtslos ausgeklammert wird, ist die erklärung dann doch auch nur ein halber gedanke. während sie und ich uns nachrichten schreiben, erfahre ich, dass mittwoch abend die frau eines kollegen nach einer veranstaltung mit einem vortrag zu antisemitismus an einer uni tätlich angegriffen wird. daneben versuche ich hektisch mi. zu erreichen, weil es viel alarm in beer sheva gab und von einer frau berichtet wird, die von einem schrapnel verletzt wurde.

gestern 1:30 uhr veröffentlichte hamas ein kurzes video, in dem die geisel Nadav Popplewell (51) spricht, drei stunden später verkünden sie, er sei tot. das video wird in den medien nicht gezeigt, nur ein standbild. zu sehen ist, dass Nadav Popplewell zuvor misshandelt worden sein muss; sein rechtes auge ist schwarz-lila unterlaufen. unklar ist, wann hamas den film aufgenommen hat. er war am 7. oktober gemeinsam mit seiner mutter Channah Peri (79) aus dem Kibbutz Nirim entführt worden. sie wurde am 24. november im rahmen des deals freigelassen.

Oded Lifshitz wurde gestern 84 Jahre alt und Almog Meir Jan 22. am tag davor waren der 57te geburtstag von Itzik Gelerenter und der 23ste von Guy Gilboa Dalal.

ich sehe auf facebook die ankündigungen für die beerdingungen der in den letzten tagen gefallenen soldaten, sehe in ihre gesichter, die so verschiedenen sind und so vergangen. denke darüber nach, wie ich nicht mehr zurecht komme, briefe nicht öffne, mich nicht um einen job kümmern kann, mir aufstehen zu anstrengend vorkommt. im loosing it. und sehe mir dabei zu. so fangen vermutlich einige der geschichten an, wenn man die auf der straße sitzenden leute fragen würde.

den herausgeber:innen eines tagungsbands in spanien geschrieben, dass ich keinen text einreichen werde, weil ich es mir nicht leisten kann, ihn übersetzen zu lassen. wie krass das ist. und wovon wissenschaft machen und veröffentlicht, das heißt wahrgenommen werden eben auch abhängt: du musst sie dir leisten können. es ist total egal, wie gut ich bin. sie antworten mir mit der nettesten und süssesten mail ever. und jetzt bin ich eine arme unveröffentlichte verzweifelte wissenschaftlerin, die die nettesten und süssesten mails ever bekommt. ist bestimmt auch etwas wert. irgendwo.

vor ein paar tagen eine website gefunden, mit der man touren in der ukraine buchen kann. sehr viel sehnsucht gehabt. david vermisst. wie er gerade durchdrehen würde. und wie gut mir das täte.

20240509, abends

versuche mir anzugewöhnen, jeden tag einmal die wohnung zu verlassen und dabei weiter zu kommen als zum lebensmittelladen drei häuser entfernt. meistens gehe ich dann eine runde übers tempelhofer feld. heute einen mittelalten, etwas gewichtigeren mann gesehen, der begann, skateboardfahren zu lernen, einen sehrsehr alten mann, der das schon vermutlich sehr lange ungeheuer gut konnte, eine gruppe von menschen, die gesellschaftstänze tanzte, einen jungen mann, der auf einem gebetsteppich kniete und zwischen 8 bis 15 männer, die gegen zäune und bäume pinkelten. anlass, wirklich endlich das haus zu verlassen, war ein artikel im tagesspiegel zu einer demonstration in malmö gegen israels teilnahme am esc, mit 8.000 menschen und die überschrift war das zitat „’israel wird untergehen’“ und ich habe nicht verstanden, wer das sagte aber das ist auch egal, weil mir war schlecht und ich musste unbedingt die wohnung verlassen.

das jemand ‘arbeit und struktur’ vorlest, macht es zunehmend unangenehm, beginne es dadurch für einen roman zu halten.

deal scheint nicht mehr verhandelt zu werden. biden kündigt für die usa an, israel nicht mehr mit (irgendwelchen?) waffen zu unterstützen.

mich sehr durch den tag gequält. einen halbsatz geschrieben vielleicht. dafür ein paar seiten gelesen und mich nicht umgebracht. das muss auch etwas wert sein.

20240508, nachts

gestern abend und bei alkohol und zigaretten erklärt mir jemand, dass die geiseln nicht mehr leben können, weil hamas jede menschlichkeit fehlt, ihre mitglieder kein mitleid kennen, kein erbarmen, ihnen das leben egal ist, sie von hass geprägt sind und vom willen, jüdische existenz auszulöschen, ihnen das interesse fehlt, den menschen das notwenigste zu geben, sie gefallen haben an den qualen, die sie den familienangehörigen und den überlebenden zufügen, dies alles sie mit freude erfüllt.

ich konnte nichts entgegnen.

215 tage. 7 monate

gestern wollten studierende auf dem gelände der fu berlin ein pro-palästina camp aufbauen, ebenso gab es versuchte besetzungen, blockaden, kundgebungen an den unis in bonn, köln, leipzig, hamburg, am vergangenen freitag vor der hu berlin. abends will in athen ein antisemitischer mob in ein hotel eindringen, nachdem es das gerücht gab, dort würde eine gruppe israelis wohnen. am montag, damit an yom hashoah, störten antisemit:innen den marsch der lebenden in der gedenkstätte auschwitz.

gestern gab das Hostages and Missing Families Forum bekannt, dass Lior Rudaeff (61), bewohner von Kibbutz Nir Yitzhak, bereits am 7. okober von hamas ermordet und seine leiche anschließend nach gaza verschleppt wurde. Keith Samuel Siegel, geisel der hamas, wurde heute 65 jahre alt. die im november aus hamas geiselhaft freigelassene 85-jährige Alma Avraham konnte das krankenhaus verlassen.

ich sehe den vielen alarm auf meinem telefon. wir fragen nicht mehr, wie es uns geht. mi. schickt ein bild, einen monat vor der geburt. ich weine ein bisschen. ich schlafe viel, aber schlecht. es ist immer ein bisschen wie aus einem tiefen tod aufwachen und ewig brauchen, sich zurück in realität zu bringen.

20240506, nachts

die raketen aus gaza nach kerem shalom forderten vier todesopfer, angehörige der idf: Mordechai Assouline (19), Ido Testa (19), Tal Shavit (21) und Michael Ruzal (18). kerem shalom wurde zunächst wieder geschlossen. morgens eine sprachnachricht von e. auf dem telefon. schrecken im körper. sie spricht, wie sie sirenen hörte, in den bunker rannte, die fenster schloss und erst dann realisierte, dass es die sirenen zur erinnerung an die sechs millionen ermordeten juden:jüdinnen waren. mein inneres war gefroren von ihrer stimme, die einen klang, eine tiefe, eine monotonie, eine traurigkeit hatte, wie ich sie noch nie von ihr gehört habe.

seit stunden heißt es, dass hamas einen deal unterschrieben habe. aber details werden bisher nicht bekannt. aber immer wieder heißt es, dass sie dabei forderungen/bedingungen/schritte hinzugefügt haben, die in dem zuvor verhandelten paper nicht enthalten waren und israel dem nicht zustimmen werde. idf hat begonnen, teile von rafah anzugreifen.

flüge gebucht.

balletttickets bestellt.

viel ratlosigkeit und diese kindische weigerung, mich um meine dinge zu kümmern, dinge, die mir angst machen, die ich nicht eingestehen will. fange an, briefe nicht aufzumachen. schlechter weg für alles.

jemand schickt mir ein bild vom hauseinangang einer freundin, vor den ein davidstern gemalt wurde. hilflosigkeit. nicht einmal wut. überschemmt von irgendwas dunklem, in wellen, die sich immer mehr im körper einnisten. was soll man ihnen schon sagen, raten, trösten.

gute tage in oerlinghausen.

20240505, an einem anderen ort

vor zwei tagen hat der kibbutz be’eri bekannt gegeben, dass sein bewohner Dror Or bereits am 7. oktober von hamas ermordet und seine leiche mit den den gazastreifen verschleppt wurde. bisher war man davon ausgegangen, dass er als geisel gehalten wird. die leiche seiner frau yonat war einige tage nach dem massaker entdeckt worden. zwei der drei gemeinsamen kinder – Noam, 17 und Alma, 13 – zwangen die terroristen ebenfalls nach gaza; sie konnten beim ersten deal im november befreit werden. am gleichen tag wurde bekannt, dass sterbliche überreste von Elyakim Libman in einem grab in israel gefunden worden waren. aufgrund von schwierigkeiten bei der identifizierung war er irrtümlich mit einer anderen person bestattet worden und man ging davon aus, dass er unter den nach gaza entführten ist.

warten auf eine entscheidung in einem möglichen deal. checke mein telefon noch öfter als sonst. es gibt immer wieder nur widersprüchliche aussagen. ich merke, wie meine aufmerksamkeit für alle anderen nachrichten dahinter zurückstehen. und ich merke auch, wie sich meine realität so wenig mit der anderer deckt. das wird nicht besser, einfacher oder wenigstens anders. gestern nacht eine lange betrunkene diskussion zur politischen situation in deutschland gehabt und ein bisschen überfordert gewesen von naivität und ansätzen eines umgangs, von dem vertrauen in symbolischen handeln, von der annahme, vor allem auf den wahl-ebenen müsse sich das alles noch regeln lassen, von der fehlenden bereitschaft, etwas wirklich ändern zu wollen.

dabei will ich doch nur meine ruhe haben.

die kunsthalle in bielefeld besucht, ein von philip johnson entworfener bau. johnson fand in den 1930er jahren nationalsozialismus und antisemitismus ganz okay. realisiert wurde das gebäude unter der leitung von cesar/cäsar pinnau, der nazis auch ganz gut fand, 1937 in die nsdap eintrat, u.a. für speer plante und nach 1945 erfolgreich immer weiter bauen konnte, dabei beispielsweise hausarchitekt von rudolf-august oetker war, dessen konzern den bau mehrheitlich finanzierte und dessen stiefvater richard kaselowsky trotz sehr begeistertem so-sein als nazi – ab 1. mai 1933 Mitgliedschaft in der nsdap, dann noch ss-gruppenführer und mitglied im freundeskreis reichsführer-ss – bis 1998 der kunsthalle ihren namen geben durfte. an stelle einer tafel im eingangsbereich, die dies verzeichnete, gibt es heute eine, auf der es heißt: “Im Gedenken der Opfer des zweiten Weltkrieges unserer Stadt, hat die Familie OETKER den Bau dieser Kunsthalle ermöglicht.” so geht geschichtsumdeutung und niemand kotzt ihnen vor die füsse.

dabei hat der ort mir heute aber auch die bekanntschaft mit dem wirken von mona hatoum ermöglicht und damit eine neue besessenheit. habe bisher keine positionierung gefunden, die dies unmöglich macht. obwohl sie palästinenserin geboren im libanon und in london lebend ist. ein verdacht bleibt. so ist das jetzt.

erstes spiel von dortmund live gesehen.

für den esc in malmö gibt es erwartungen von antisemitischen ausschreitungen, eine erhöhte bedrohungsstufe für israelische reisende und drohungen gegen die sängerin eden golan. in berlin versuchten pro-palästinensische protestierende letzten freitag eine blockade an der HU, in paris sind sie damit erfolgreicher.

raketen aus gaza/rafah richtung kerem shalom und in der folge zehn verletzte israelis.

20240502, mittags

davon geträumt, im august in jerusalem zu sein und und als erstes zum zelt für die geiseln gehen zu wollen, um mich zum volontieren anzumelden. gedacht, dass das doof für einen traum ist, weil august ist lange hin und die geiseln bestimmt befreit dann. nach dem aufwachen gelesen, dass hamas dem neuen proposel “negative” gegenübersteht.

20240501

ich erinnere mich bekanntermaßen nicht an viel, aber gestern und heute wiederholt daran, wie es sich anfühlte, früherTM am 30. april und/oder am 1. mai nach berlin zu kommen und zu demonstrationen zu gehen. sogar einen tick nostalgie gefunden. und zugleich morgens k. geschrieben, dass es mir zu viel und zu gruselig ist, in den wedding zu fahren und all diese menschen zu kreuzen.

in regelmäßig unregelmäßigen abständen überklebe ich die “free palestine”-schmierereien an der haustür. immer sind die aufkleber wenig später sehr sorgfältig entfernt. die schriftzüge unkenntlich zu machen hat sich ansonsten hier noch niemand bemüht.

je mehr zeit vergeht, desto unwahrscheinlicher erscheint es mir, dass hamas dem deal zustimmt. ich merke, wie angespannt ich bin und auch, wie mich andere nachrichten nicht interessieren. ich öffne in kurzen abständen meine apps und scanne nur nach diesen informationen. die nicht kommen. es gibt so viel mehr demonstrationen. dass smotrich und co. immer unverholener sagen, dass ihnen die geiseln egal sind, lässt irgendwas in meinem inneren einfrieren.

das hören von ‘arbeit und struktur’ beginnt verstörend zu sein, weil sich die stimme des vorlesers august diehl jetzt auf irritierende weise mit den sätzen und ihrem rhythmus verbindet und so zur stimme von herrndorf selbst wird, die ich ja eigentlich nicht kenne.

in einem garten mit menschen getroffen, die mir nahe sein sollten und mich sehr allein gefühlt.

in israel lebende überlebende können nicht an der gedenk-/befreiungsfeier in bergen-belsen teilnehmen, weil die dortige leitung den termin auf den 5. mai festgelegt hat und einen tag später in israel yom hashoah ist. zudem habe die organisation Irgun S’hearit HaPlita in diesem jahr keine offizielle einladung bekommen und ihre vertreter:innen sind auch in die planungen für die reden nicht einbezogen worden. für die gedenkstätte kommentierte dies ihre sprecherin stephanie billib dahingehend, dass der termin sonst mit der messe in hannover kollidiert wäre, was “hotelzimmer teuer oder nur schwer zu bekommen” mache und zudem die stiftung “nicht auf alle nationalen feiertage rücksicht nehmen [könne].” ich würde das gern klug kommentieren, aber mein kopf knallt immer weiter auf die tischplatte.