20240326, mittags

offenbar stimmt hamas dem waffenstillstands-geiselfreilassungs-vorschlag nicht zu, gestern machten sie noch die forderung auf, er müsse einen plan zum wiederaufbau enthalten. seit letzter nacht heißt es vor allem, dass israel keine ihrer forderungen erfüllen, zu denen es gehört, dass es einen dauerhaften waffenstillstand in gaza geben soll, die israelischen truppen abgezogen werden, die “vertriebenen” palästinenser:innen zurückkehren können und ein “echter” austausch von “gefangenen” stattfinde. ich frage mich, wie es immer noch sein könne, dass eine terrororganisation nach den verbrechen, die sie am 7. oktober begangen hat, überhaupt forderungen stellen darf und das offenbar alle völlig normal finden. wie ernst es ihnen mit einem waffenstillstand ist, zeigten sie dann sowieso mit den raketen, die seit gestern wieder auf südisrael geschossen wurden, unter anderem nach aschdod.

gestern abend mit or. “poor things” gesehen und ich bin ja definitiv dafür, mehr feminismus und selbstermächtigung in die kinos zu bringen, aber ich kam nicht umhin mich zu fragen. ob dies nur geht, wenn die frauen und die welt in der sie leben, als phantasiewesen und -welten dargestellt werden. (meine zweite reference für den gedanken war “barbie”)

or.s “gag” seit ungefähr sofort dem moment an dem wir uns kennenlernten, ist, dass ich aus der ehemaligen sowjetunion komme und jedenfalls bestellte er gestern aschkenasisches essen und es war nicht zu schlecht.

mein fuss tut weh und ich sitze damit irgendwie fest.

20240325, mittags in einem sehr süßen cafe in zeitlin st.

samstag abend einen kleinen unfall gehabt, wieder mal gestürzt weil nicht aufgepasst und wieder mal den fuss verletzt und schmerzen, tränen und hass. davor den tag im art museum verbracht, das nicht nur wenige ausstellungen hatte, sondern vor allem auch wenige besucher:innen. der vor dem gebäude liegende hostage square war auch im inneren immer präsent. verschiedene der ausstellungen bezogen sich auf ihn. insgesamt viel israelische kunst mit ihren auseinandersetzungen zum land und zum ort und im gebäude viele hinweisschilder zu “geschützten räumen”. es war merkwürdig und schön, die räume oft für mich zu haben und es war traurig, die räume oft für mich zu haben.

abends kundgebung für die geiseln und die sprechenden familienangehörigen haben alle geweint. am ende zwei rabbiner und gebete und der platz leerte sich schnell.

serien geguckt und bescheuerte liebesfilme. viel selbstmitleid und zitronennudeln, die keinen trost brachten.

israel bietet an, 700 bis 800 palästinenser:innen, teilweise verurteilt für geplante und für durchgeführte attentate auf israelis freizulassen im gegenzug für 40 geiseln. dazu soll es als belohnung noch ein bisschen ceasefire geben und die möglichkeit, für einige von gazas bewohner:innen, wieder in den norden zurückzukehren. jetzt wird auf die antwort der hamas gewartet. wie lange ist unklar, aber ein paar tage, weil es schwierig sei, ihre führer im untergrund zu erreichen.

40 von 134.

20240322, abends in einer neuen wohnung

ro. getroffen, die mir ungefragt gestern lebensmittel kaufte. als wir einen tag davor telefonieren, sagte sie, dass es ihr sehr gut ginge und ihre stimme klang nicht sarkastisch. ich war verwirrt, weil das keine antwort war, die ich erwarte. alles relativiert sich sofort, als wir uns sehen. ihr sohn ist derzeit in südafrika und sie wird ihn besuchen. trotz all den drohungen und dem hass, der aus dem land nicht nur aber vor allem auch auf politischer ebene kommt. trotz der angst, die ihr das macht. trotz den sorgen, die sie deshalb hat. irgendwann zeigt sie mir ein video von julian reichelt, in dem er sich über das abewerfen von hilfslieferungen aufregt und über deutsche positionen zum krieg im gaza. sie fühlt sich angesprochen und erleichtert, dass es noch jemanden in deutschland gibt, der sich so klar und eindeutig auf seiten israels positioniert. und als ich das video ansehe, weilß ich warum und ekele mich vor mir selbst. dies ist dann eben auch eine folge des handelns deutscher kultur- und anderer linker denke ich; dass sich israelische juden:jüdinnen rechten, rassistischen, misogynen wichsern zuwenden, weil da (scheinbar) niemand anderes mehr ist. wenn ich jetzt an unsere gemeinsame zeit zurückdenke, dann weiß ich nun, dass es eine gute koschere fleischerei in herzliya gibt (warum muss ich so etwas wissen?), dort mindestens einer der zentralen plätze mit plakaten der geiseln zugestellt ist und dass jedes thema mit einer aussage zu den geiseln, zu hamas, zum krieg, zu antisemitismus in der welt beginnt und/oder endet. mehr als einmal spricht sie aus, dass israel um seine existenz kämpft. immer beiläufig und in eine erzählung eingebunden, ein halber satz, manchmal ein ganzer. es gibt nie eine erklärung für diese feststelltung; ro. denkt, die ist nicht nötig und ich weiß, ich brauche sie nicht. ich frage mich zwischendurch, ob menschen in europa/deutschland das nicht ernst nehmen, es ihnen egal ist oder sie es tatsächlich wollen. es ist schon klar, dass sich jederzeit immer alles für jede:n ändern kann, aber ganz ehrlich, wie oft denken wir in deutschland daran. und hier? ist es realität, das permanent, wirklich permanent bewusst zu haben. manchmal, wenn ich lange keine nachrichten gecheckt habe, habe ich angst, es zu tun, weil ich denke, es ist jetzt so viel zeit vergangen, da kann nur etwas wirklich krasses passiert sein.

yo. sagt, wir gehen nicht zu einer purim party, weil er angst vor anschlägen hat. soetwas hätte er auch vor dem 7. oktober gesagt, aber im unterschied zu “damals” widerspreche ich ihm nicht, aber nicht weil ich tatsächlich überzeugt bin, dass das nicht passieren wird, sondern ein bisschen, weil ich weiß, dass ich nur denke, dass soetwas nicht passiert, weil ich es mir nicht vorstellen kann. und wofür das taugt, wissen wir ja seit nun mehr als fünf monaten. wir sind gestern abend lange spazieren gegangen und dabei fiel uns auf, dass einige der orte, mit denen wir gemeinsame geschichten verbinden, sehr früh schließen oder schon geschlossen haben, als wir an ihnen vorbeigehen. auch wenn bereits wieder menschen ausgehen und einige bars und restaurants sehr gut besucht sind; die meisten sind es nicht. immer wieder fällt mir auf, wie viele leere läden es gibt und wie allein man in vielen gegenden abends auf der straße sein kann und selbst wenn mehrere menschen anwesend sind, in diesen kleinen wein-bars die es jetzt plötzlich gibt, wie leise es dabei oft ist.

167 tage.

die neue wohnung ist ganz gut zum wohlfühlen. vor allem aber finde ich es auch schön, in der gegend zu wohnen, frishman, nahe rabin square. ich hatte ein bisschen vergessen, wie gerne ich durch die straßen der stadt laufe und white-city-architekturen angucke, die hier nicht nur größer und prächtiger und expressiver sind, sondern oft auch (wieder) in einem besseren zustand. die menschen sind reicher und weißer, und ernster und ignoranter. es gibt sehr viele sehr schicke französische bäckereien mit sehr unfassbaren dingen, die ich nie kaufe, schlicht aus dem grund, dass ich mich nicht entscheiden kann. alles ist gediegener und gesetzter und erwachsener und vielleicht ein bisschen langweiliger. ich weiß, ich darf das nicht mögen, aber ich mag definitiv die stadt ohne tourist:innen. für die räume des cafe mersand hat sich noch immer niemand gefunden. ich trauere meiner zeit dort ein bisschen nach und merke wieder einmal, wie viele erinnerungen sich aus wenigen momenten ergeben und ich hätte als nicht-nostalgische person gern ein paar davon zurück.

20240320, abends und immer noch in einem Hotel mit Blick auf den Dizengoffplatz (theoretisch)

heute morgen beim warten in einem der hipster-coffeeshops direkt am platz den blick durch den ort streifen lassen, auch um die gelangweilt coole barista nicht beim sosein beobachten zu müssen und an einer kleinen porträtaufnahme eines jungen mannes hängengeblieben, die in einem der regale stand. natürlich wusste ich nicht, wer das ist, aber ich wusste ziemlich sicher sofort, dass er einer der von hamas ermordeten des 7. oktobers ist. und weil ich a) sicher sein wollte und b) darüber schreiben, habe ich es recherchiert und nach weniger als 3 minuten gewusst, dass Bnayahu Biton, 23 und aus jerusalem, auf dem gelände des nova-festivals umgebracht worden war. die möglichkeiten, die zeichen und bilder in meiner umgebung zu lesen, haben sich offensichtlich um einiges erweitert.

so fängt ein tag hier an. ein bisschen rumgelaufen, geld geholt, (schlechten) hummus gegessen, kein kleingeld für einen waschautomaten gehabt, den dizengoffplatz angeguckt und darüber nachgedacht, dass er jetzt wieder ein öffentlicher ist und der erinnerungsort für die ermordeten zwar in seinem zentrum bleibt – alle erinnerungszeichen sind noch da, kerzen werden noch angezündet, menschen bleiben noch stehen -, aber zugleich mehr auch zu einem hintergrund wird, vor dem sich die anderen nutzungen (wieder) abspielen. auch die cafes und restaurants sind wieder sehr gut besucht und laut und die menschen schlendern und haben ihre ersten, zweiten oder dritten dates und stehen an, um einen platz zum sitzen und essen zu bekommen. bestimmt hat jemand schon mal etwas kluges geschrieben darüber, wie sich die nuancen solcher orte immer wieder verschieben. aber in dem fall bin ich zu faul, es jetzt zu recherchieren.

ich wohne in einem dieser schönen gebäude mit den durchlaufenden, geschwungenen balkonen, die den von Genia Averbuch in der ersten hälfte der 1930er jahre gestalteten platz prägen. das hotel ist eigentlich gar kein hotel, jedenfalls nicht, wenn man wie ich gern eine rezeption hätte und in ihrer nähe eine kleine bar. und hotelgäste, die urlaub machen. stattdessen, zumindest glaube ich das, wohnen jetzt evakuierte hier. diejenigen, die im zimmer neben mir sind und sich den balkon mit mir teilen, haben ihn genutzt, um einen schrank mit einem kleinen herd und einen wäscheständer aufzustellen und eine ecke für reinigungsutensilien zu verwenden, zum beispiel. seit heute mittag gibt es zudem einen großen strauß mit lilien, die ich problemlos bis auf meine seite rieche.

im hummus-laden einen artikel gelesen, den mir ein freund aus deutschland geschickt hatte. er begann mit darstellungen vom 7. oktober und den unmittelbaren folgen und wieder weinen gemusst. überlegt, ob ich vielleicht mit jemand professionellem darüber sprechen sollte. weil, naja, vielleicht geht es so nicht weiter.

nachmittags geschlafen, einem buch die druckfreigabe erteilt, mal wieder i24news geguckt. gestern über den ermordeten Daniel Perez geschrieben, der als 13-jähriger mit seinen eltern aus südafrika eingewandert war und diese staatsbürgerschaft auch noch innehatte, heute einen langen, ein paar tage alten beitrag dazu gesehen, dass südafrika plant, idf-soldaten die in das land zurückkommen, festzunehmen und anzuklagen. dazu gab es filmbilder von häusern mit graffitis und einem, dessen gesamte fassade als palästinensische fahne gestaltet war. “wtf” gedacht.

20240319, in einem Hotel mit Blick auf den Dizengoffplatz (theoretisch)

nachts krasses unwetter, morgens festgestellt, dass wasser durch die decke im wohnzimmer kommt. viel wasser. wenigstens hat sich faulheit mal ausgezahlt: gestern nacht den rechner nicht mehr auf den tisch gestellt, auf dem ich ihn die anderen tage gelassen hatte. viele meiner nerven verloren, geweint, mich verlassen und überfordert gefühlt, umso mehr, als meine vermieter:in und der landlord einfach so getan haben, als wäre das normal und ich müsste jetzt trotzdem da wohnen bleiben und ed. mir hilfe versagte, mit der begründung, dass ich schon eine lösung finden werde.

es ist keine gute zeit und ich habe offenbar meine gefühl für gute entscheidungen verloren. es ist nicht das erste mal, dass ich in schlechten wohnungen wohne, aber immer fand sich schließlich etwas gutes und die schlechte wohnung wurde zu einer erinnerung daran, dass eben nicht immer alles gut läuft. aber dieses mal geht es irgendwie einfach immer schlecht weiter. und ich bin sehr müde. und verloren. überhaupt ist alles schwer gerade und ich vermute, es fühlt sich einfach auch deshalb noch schwerer an, weil die situation insgesamt schon schwer ist und ich empflindlich bin und ohne viel kraft, dinge auszuhalten. ich könnte etwas gutes brauchen, mehr als den netten taxifahrer, der mich in ein hotel brachte und ‘motek’ nannte und auch mehr als den langen spaziergang am meer. irgendetwas, für das ich nichts getan habe, das einfach so passiert.

zwei nächte in einem hotel gebucht, aus den notfall-reserven, die ich angelegt hatte, also ich noch einen vernüftigen job hatte und wenigstens diese dinge klarer und verlässlicher waren.

vor zwei tagen wurde bekannt gegeben, dass der idf-offizier Daniel Perez am 7. oktober getötet worden war und seine leiche nach von hamas nach gaza verschleppt wurde.

20240317, in dem cafe das jetzt eine bar ist, weil abend ist

als ich am frühen nachmittag in savidor ankomme und die toilette benutzen will, wartet davor eine sehr kleine alte frau und sagt etwas auf hebräisch und ich antworte, dass ich kein hebräisch spreche und sie versucht französisch und englisch und dann deutsch und fragt, ob ich neu im land bin und ich sage ja und sie betritt die kabine und dreht sich um, um mir eine einfache ankunft zu wünschen und uns allen, dass hamas bald besiegt ist. am hostage square ist die tafel ausgefallen, die die zeit anzeigt, seit dem 7.oktober, 6:30. es gibt nur noch einen kleinen stand mit utensilien, aber das angebot hat sich deutlich erweitert: neben t-shirts und hoodies gibt es jetzt noch basecaps und beutel, armbänder und anstecknadeln. ich habe die sachen, die ich im januar nach deutschland mitgebracht hatte, meiner schwester geschenkt, weil ich denken wollte, dass wenn ich zurückkomme, die geiseln frei sind und ich keinen bring-them-home-pullover mehr brauche. heute entschieden, dass ich mir erst wieder etwas kaufe, kurz vor dem abflug. mehr hoffnung kann ich nicht. auf dem platz sind deutlich mehr installationen, kleinere und große und mehr plätze, an denen sich menschen versammeln können. die menschen vom nova haben nun auch ein zelt. ich bleibe in der bibliothek und quäle mich mit einem artikel, der zu überarbeiten ist. die kommentare der herausgeber:innen lassen mich an mir selbst zweifeln und ich denke, so muss sich carrie mathison ohne medikamente gefühlt haben, als niemand ihren in netzen ausgebreiteten gedanken folgen konnte. zu den schönen dingen gehört, dass man in der bibliothek bleiben kann, auch wenn die offizielen öffnungszeiten zu ende sind. bis zehn glaube ich. es hat eine eigene stimmung. eine eigene einsamkeit. als ich wieder auf den hostage square komme, sind immer noch viele menschen da, auch eine reisegruppe. jemand spielt klavier. dann jemand anderes. immer traurig. ich laufe über den rothschild in die bar und fühle mich verlassen. überall gibt es neue plakate. an den bäumen sind gelbe gestrickte oder gehäkelte bänder angebracht. ich würde gern, dass jemand jetzt kommt, und mich umarmt oder auf mich wartet irgendwo, um mich zu umarmen. das habe ich nicht oft. vor allem wenn ich bücher zuende schreibe und mir jemanden wünsche, der mir etwas zu essen macht. aber jetzt kann ich nichts anderes empfinden. plötzlich und seit dem ist es mir wichtig, dass mich jemand wirklich mag. und aufmerksamkeit nur für mich hat. ich weiß nicht, warum es mir nicht gelingt, diese art von beziehungen herzustellen. ich hadere seit tagen damit, also mit mir.

20240316, mittags, immer noch in givat ada

gestern in akko gewesen, ed. geburtstag vor-feiern. mit ihrer familie. für jemanden, die aus sehr dysfunktionalen verhältnissen kommt, sind solche momente immer (noch) irritierend und rührend. dass menschen, die sich gezwungenermaßen kennen, wirklich mögen, gern zeit miteinander verbringen, nicht rumschreien, nicht dafür sorgen, dass sich jemand schlecht fühlt, niemanden klein machen und/oder beleidigen, sich mühe miteinander geben, sich gutes tun. whatever. dass ich mich nicht daran gewöhne, dass ich mich nicht mit meiner vergangenheit aussöhnen kann, obwohl meine gegenwart so viel besser ist, ich nicht nur mir meine eigenen wunschfamilien zusammengesammelt habe, sondern mit teilen meiner herkunftsfamilie ausgesprochen gute dinge habe seit langem.

bei uri buri gegessen. was phantastisch war. und dabei klischee natürlich. mindestens in unserem teil des restaurants gibt es kameras und ich frage mich, ob als vorsichtsmaßnahme und erst nach dem anschlag vom sommer 2021, bei dem arabische männer das restaurant niederbrannten. alles ist auch ein bisschen zu bemüht, zu betont, zu symbol. und vielleicht auch deshalb (besonders auch in deutschland) beliebt-berühmt und ich versuche, nicht zu streng zu sein, weil das essen so gut ist und weil auch ich vielleicht in dem wir bin, das etwas gutes, einfaches, eindeutiges gerade besonders braucht. wir dürfen uns die küche ansehen und die menschen, die hier arbeiten. es ist sehr still dabei, darauf legen alle wert; dass es ein gutes arbeiten ist und alle zusammen, egal der herkunft. während auffallend viele menschen hier arbeiten, bleibt das restaurant selbst weitgehend leer. obwohl freitag ist. an einem tisch in unserem raum sitzt ein vater mit seinem sohn, der soldat ist und die waffe auch beim essen nicht abnimmt. ansonsten sind die anderen tische über die stunden, die wir da sind, unbesetzt. auch die stadt selbst ist fast ohne menschen. ein paar aggressive autofahrer, zwei menschen sitzen auf bänken am strand. es fehlen nicht nur die tourist:innen, sondern auch die israelis, die einen ausflug machen. als wir draussen stehen, erzählt mir jemand von den problemen der stadt, dass es natürlich mit dem zusammenleben insgesamt nur so mittel laufe, umso weniger nach den arabischen ausschreitungen 2021. dass es eine stadt mit vielen wirtschaftlichen problemen ist, mit einigen mafiösen und gewalttätigen strukturen. aber der blick verknallt sich wie immer ein bisschen in die engen gassen und verwinkelten häuser und das licht. und das meer ist sehr blau und der himmel sehr klar und wir sehen die großen containerschiffe auf ihrem weg nach haifa. aber auch sie sind deutlich weniger, aber das fällt mir nur auf, weil ich vor einigen jahren schon mal an fast dieser stelle stand. und irgendwie verübelt mir die realität die ganze zeit sehr schnell jeden anblick.

die gps-betriebenen dienste funktionieren bis mindestens dem norden von haifa nicht. waze verortet uns in beirut. was besonders den anfang unserer rückfahrt ein bisschen chaotisch macht.

immer noch sehr viel sehr müde. viele allergische reaktionen und momente. oft erschöpft und definitiv zu ko aus nicht offensichtlichen gründen.

chronistinnen-pflicht: am donnerstag in pardes hana äthiopisch gegessen. über solche orte im verhältnis peripherie – hipsterzentrum nachgedacht.

hamas soll neue forderungen vorgelegt haben, aber keine bestätigte liste noch lebender geiseln. was die gespräche behindert. ich wünschte mir mehr druck auf hamas. von allen. ich weiß nicht, wie das im detail alles aussehen könnte, aber dass alle nur von der israelischen regierung etwas erwarten, erscheint mir schon von anbeginn irgendwie die situation total zu verkennen. aber vermutlich ist das einfach auch kalkül und gab es natürlich schon lange vor dem 7. oktober. nicaragua (what?) hat bereits anfang märz beim internationalen gerichtshof klage gegen deutschland eingereicht, wegen “begünstigung zum völkermord” im gazastreifen; konkret der streichung der finanziellen mittel für UNRWA und einer politischen, finanziellen und militärischen unterstützung für israel. am 8. und 9. april sollen anhörungen stattfinden. das ist alles so lächerlich, aber es ist irgendwie auch nur lächerlich, weil mein gehirn dieses schwachsinn kaum noch fassen kann und diese ganzen bedrohungen, dieser hass, dieser antisemitismus, dieser in ihm wohnende wille zur vernichtung israels mir angst machen. man denkt und schreibt an andere in den besuchs-einladungen nicht nur: “wenn der krieg vorbei ist”, sondern auch “und wenn israel dann noch existiert”.

20240314, nachmittags in givat ada

als ich gestern kurz nach meiner ankunft in givat ada in den supermarkt will, gibt es dort einen riesigen streit. ein typ, um die 30 tickt total aus und eine frau versucht, ihn aus dem raum zu drängen. ich verstehe natürlich überhaupt nichts, aber obwohl es laut ist, wirkt es nicht so bedrohlich, dass ich mir sorgen mache. ed. sagt mir später, dass es um einen pfand-bon gegangen sei, aber die nerven seit dem 7. oktober einfach derart gespannt sind, dass es oft bei den kleinsten problemen einfach kracht.

davor im zug war es schon wahnsinnig laut gewesen, telefonierende menschen, klingeltöne, videospiele, musik. und mir fällt plötzlich auf, dass das eine vor-7.oktober-situation ist und die stille auf den fahrten seit dezember ja die ausnahme war, das besondere.

falls man eine lieblings dance company haben kann, dann ist meine jetzt fresco dance company. zum dritten mal etwas von ihnen bei suzanne dellal gesehen und zum dritten mal berauscht gewesen. dabei trifft einen, also mich, selbst in den besten moment die gegenwart: am rand der zuschauer:innenplätze stehen zwei gelbe plastestühle für die abwesenden geiseln.

das gelb wird zunehmend präsenter; am anfang waren es nur die schmalen bänder an autos und an handgelenken, an taschen und an kleidungsstücken. dann kamen die kleinen pins. jetzt wird die farbe auch in plakate eingebunden, viele dieser stühle aufgestellt, es taucht in fotgrafien auf und zeichnungen, fließt in die neuen gedenkzeichen ein, usw. das gleiche gelb dominiert seit jahren ed. wohnung und so bin ich irgendwie gerade umgeben davon.

vor zwei tagen wurde bekannt gegeben, dass der 19jährige Itay Chen bereits am 7. Oktober ermordet wurde, seine Leiche ist nach wie vor in den Händen der Hamas. da er neben der israelischen und der amerikanischen auch eine deutsche staatsbürgerschaft besass, erhielt sein tod auch aufmerksamkeit in den deutschen medien. mehr als fünf monate also haben seine familie und seine freund:innen gehofft, dass er noch lebt. was für ein schmerz. man kann es sich nicht annähernd vorstellen. und denkt es trotzdem: was für ein schmerz. man möchte schreien, die ganze zeit.

gestern in naharija lila getroffen. sie schreibt viel und besser über die situation im norden, als ich es kann. deshalb hier kein versuch, die dinge zu wiederholen, die den großteil unseres gesprächs bestimmen. immer wieder. immer wieder kehren wir dahin zurück. und wenn es den raum und die ruhe gibt, über die situation der geiseln zu sprechen, über die ängste und befürchtungen, dann weine ich wieder.

20240312, nachmittags in beit ariela

or. fragte mich gestern abend, ob es nicht traurig ist, hier in der bibliothek zu arbeiten und dabei immer über den hostage square gehen zu müssen und ich antworte, dass ich mit meiner traurigkeit gut an traurigen orten aufgehoben bin. er erzählt mir auch, dass er vor unserem treffen ein transistorradio gekauft hat, und ganz viele konserven. dass er angst hat, weil hizbollah noch viel krasser zuschlagen kann und wird, als hamas. dass ihre raketen präziser sind und es die wahrscheinlichkeit gibt, dass sie die stromversorgung lahmlegen werden und weil er eine ganz kleine tochter hat in einem geteilten parenting-modell mit einer frau, die am anderen ende der stadt lebt. die tage vergehen, aber die zeit ist gefroren. es ist 7. oktober und es ist warten auf den nächsten krieg. dabei sind heute morgen bereits 100 raketen im norden gemeldet worden und man, also in dem fall ich, mag sich nicht vorstellen, was da noch alles möglich ist. mein haus hat keinen schutzraum. aber ein bisschen ist meine wohnung selbst vielleicht wie ein bunker. so richtig kann ich mich nicht entscheiden, mich selbst ein bisschen besser vorzubereiten, auf das, was da kommen könnte.

anschließend ein paar stunden mit einer kleinen gruppe von menschen aus deutschland verbracht, die auf einer solidaritätsreise hier sind. das gibt es nicht so oft, glaube ich. jemand sagt, er habe das vertrauen nicht nur in israels politik, sondern auch in seine armee verloren. und ich denke, wie wichtig es für mich war, auch deshalb und trotzdem wieder hier zu sein. dieser schock, dieses das-hätte-nicht-passieren-dürfen, nicht zum alles bestimmenden gedanken zu machen. wenn es passiert ist, kann es wieder passieren. aber man muss auch so tun können, dass es das nicht wird. aber ich weiß nicht, ob es (so) funktioniert.

diese geschichte mit den roten ceasefire-now-pins bei den oscars – und offenbar zuvor schon bei den grammys – ist noch ekelhafter als sowieso: das symbol roter hände hat zum einen bedeutung im zusammenhang mit dem barbarischen mord an Vadim Nurzhitz und Yossi Avrahami, zwei reservisten der IDF, die versehentlich am 12. Oktober 2000 nach ramallah gefahren waren, von polizisten der palästinensischen autonomiebehörde zu einer nahegelegenen station gebracht und verhört wurden, während sich draussen ein mob von mehr als 1000 männern versammelte. ein dutzend von ihnen konnte in das gebäude eindringen und schlug und stach auf die beiden soldaten ein, rissen ihnen körperteile abb und organe raus, bevor sie sich einer der täter mit blutverschmierten händen der johlenden menge zeigte. und zum zweiten spielten rote hände eine rolle bei einem pogrom (als farhud bezeichnet) am 1. und 2. juni 1941 in bagdad: in der nacht wurden häuser von juden:jüdinnen mit roten händen markiert. der arabische mob ermordete an beiden tagen mindestens 180 bis 600 von ihnen, verletzte rund 1000 weitere, vergewaltigte und verstümmelte jüdische frauen, zündete wohn- geschäfts- und synagogenbauten an.

Gadi Moses, seit dem 7. Oktober in der Gewalt der Hamas, wird heute 80 Jahre alt.

ich würde gern einen neuen flug buchen, aber ich traue mir in meiner furcht vor den preisen, nicht die elal-seite zu öffnen. die angst, nicht zurück zu können um eine neue facette erweitert. denn die situation bedeutet ja auch, dass man nicht einfach auf irgendwelche abenteuerlichen, ewig langen, aber bezahlbaren flugrouten ausweichen kann.

20240311 morgens in einem cafe in tel aviv auf dem weg zur bibliothek

ich hadere immer noch ein wenig mit meinem apartment. nicht mehr so wegen dem wifi, obwohl das ein grundgefühl prägt, sondern aus gründen, die mir noch nicht so klar sind. vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass es alles neu ist und entsprechend neu riecht, dass ich diejenige bin, die rausfindet, dass und welche dinge nicht funktionieren. dass das wasser nicht vernünftig abfließt nach dem duschen zum beispiel und das bad dann ewig – und damit meine ich länger als drei stunden – unter wasser ist oder dass die ac im schlafzimmer so laut ist, dass man denkt, sie schafft es nicht durch die nächsten drei minuten. oder damit, dass sie noch so unbewohnt ist und spartanisch, und ich sie jetzt aber nicht tatsächlich zu meiner machen werde. und dann ist da vielleicht noch ihre lage, im hinteren teil des hauses, durch einen eigenen innehnhof getrennt und dann die dicken wände und jedenfalls das gefühl, sehr allein auf der welt zu sein. das haus befindet sich in einer kleinen straße zwischen florentin und neve shanaan / central bus station, an der insgesamt vermutlich nicht mehr als 15 häuser stehen. neben uns gibt es eine riesige freifläche, die darauf wartet, baustelle zu werden. als ich vor einem jahr in shapira gewohnt habe, gehörte auch die unmittelbare gegend noch zu etwas, das man nicht unbedingt gern durchlaufen ist. zu viele drogenmenschen, zu abgefuckt, zu viel kaputte und viel zu viele tragische und definitiv zu viel aufmerksamkeit für die frage, ob man da jetzt wirklich langgeht. jetzt sind da drumherum ein paar der superteuren apartmentneubauten fertig geworden und offensichtlich hat jemand mal die straße saubergemacht. es gibt mindestens einen neuen coffeeshop und drei neue restaurants, während das kleine ethopian restaurant, dass ich so mochte, ersatzlos aufgegeben hat. gentrification, ich weiß und ich gebe zu, ich bin froher, dass es zumindest in meinem gefühl sicherer ist. aber wo gehen all die menschen hin, die rausgedrängt werden, damit wir uns sicherer fühlen.

gestern einen sehr normalen und unaufgeregten tag gehabt, mit kaffee im neuen morgendlichen coffee-place, der abends eine kneipe ist und der eigentlich nicht neu ist, sondern mir schon seit immer als heimat diente, wenn ich hier im süden wohne. und dann arbeiten in der bibliothek im shalomtower und langem telefonat mit an. solange man nicht mit menschen spricht, ist es manchmal schwer, sich bewusst zu halten, dass die zeit nun eine andere ist.

am samstag mit om. und yo. durch einen neu angelegten trail / park zwischen nord tlv und herzliya entlang des meeres gelaufen und mir die erzählungen von dem soldaten nacherzählen lassen, der in gaza in einem der verlassenen kinderzimmer waffenarsenale der hamas gefunden hat und dessen tochter mit einer der geiseln befreundet ist, einem kleinen mädchen, die im november freigelassen wurde. als wir im dunkeln auf dem rückweg sind trotzdem gedacht, dass dies der erste nachmittag seit 7.10. gewesen ist, an dem ich entspannt war. damit beginnt sich eine kurze liste zu schreiben von ereignissen, bei denen ich dachte, dass ich sie zum ersten mal wieder habe: einen fast gedankenfreien abend bei depeche mode, eine ausstellung, bei der es (mir) um kunst geht, ein sehr langer spaziergang mit freunden. weil wir dann zu langsam sind und scheinbar die tatsache, dass die straßen samstagabend blockiert sind, neu für uns ist, kommen wir zu spät zu beiden kundgebungen, die nun immer parallel stattfinden, nicht nur in der zeit, sondern auch im raum: die demonstrationen gegen die regierung sind in die kaplan zurückgekehrt und eine der rednerinnen auf der hostage-kundgebung kritisiert deren forderungen nach neuwahlen. mit dem verlaufen der zeit schwinden die optionen. und auch wenn ich sehr dafür bin, die regierung abzulehnen und für alles verantwortlich zu machen, das kein deal zustandekommt und dass die chancen schwinden, liegt vor allem (auch) an hamas. aber vielleicht ist es leichter, sich an dem festzuhalten, von dem man denkt, dass es als adressat anwesend ist.

in der berliner zeitung erscheint ein artikel, in dem sebastian köhler das storytelling mit hilfe von einzelschicksalen im journalismus kritisiert. als hauptbeispiel dienen ihm darstellungen von Schiri, Kfir und Ariel Bibas und ich komme nicht umhin, angeekelt zu sein und mich zu fragen, ob der autor weiß, was diese erzählungen für die menschen hier bedeuten, wie erinnern hier funktioniert, wie viel kraft es kostet, dass die namen von geiseln in deutschland überhaupt genannt werden und wenn das alles nicht wäre, dass man sie schon längst vergessen hätte unter dem pro-palästinensichen taumel, in dem sich so viel befinden. wie gern will man vergessen (machen), dass hamas diese ganze scheiße angefangen hat, dass sie es war, die mehr als 1200 menschen abgeschlachtet, verbrannt, vergewaltigt hat, dass sie immer noch 134 menschen in ihrer gewalt hat und einfach nicht freilassen will. da stören die namen der geiseln und opfer, ihre geschichten und bilder natürlich.

156 tage.

kein deal nirgends. auf der gestrigen demo in berlin waren noch 300 menschen, in new york nur noch 3.000. bei der oscar-verleihung entblödet sich wieder mal ein jüdischer regisseur und das beste, was einige der künstler:innen hinbekommen, sind rote pins zu tragen, für ein “ceasefire”. vor dem veranstaltungsort eine pro-palestine demo, ebenso zur eröffnung des neuen holocaust-museum in amsterdam.