20240825, nachts

heute morgen auf die weise aufgewacht, die ich die ganze zeit schon erwartet habe: 100 mal alarm auf dem telefon und besorgte nachfragen aus deutschland. noch im bett liegend, vor dem ersten kaffee und ohne kontaktlinsen versucht, mir einen überblick zu verschaffen und zu verstehen, worum es eigentlich geht. viele raketen und drohnen von hezbollah und die idf hat verhindert, dass es noch mehr werden und sie bis nach tel aviv kommen. oder so. bis frühen nachmittag gab es dann restrictions. so ein bisschen ist unklar, was es alles bedeutet und ob es weitergeht. menschen aus dem / im norden sind zunehmend sauer, weil es keine lösungen gibt, ihre orte und häuser zerstört und keine perspektiven aufgezeigt werden. wütender wurden einige nun, weil es so aussieht, als würde ernsthaft gegen hezbollah vorgegangen, wenn ein angriff auf tlv droht. angehörige der verwaltungen haben jetzt angekündigt, nicht mehr mit der regierung kommunizieren zu wollen. was klingt wie ein witz ist irgendwie ein ziemlich klarer verweis darauf, dass die dinge nicht gut laufen und dass niemand so richtig weiß, was wie gut passieren sollte. die situationen laufen auch auf dem level aus dem ruder (sagt man so, oder?).

ich bin sehr langsam in meinen dinge und bekomme wenig hin. und weil ich jetzt gleich umziehen werde, beginne ich mich darüber zu ärgern, auch, weil sich das gefühl, hier in der stadt zu sein, letzlich nicht wirklich eingestellt hat, ich zu wenig gesehen, gegessen, gesprochen, gelaufen, gemacht habe. und ich finde, ich hätte mehr volontieren müssen, meine privilegien benutzen müssen und nicht in derartige depressionen verfallen dürfen. erst in den letzten tagen angefangen, lange abendspaziergänge zu machen. gestern abend war ich zu traurig und zu ko, zur kundgebung zu gehen und das macht, dass ich mich noch erbärmlicher fühle.

es fällt mir schwer zu denken. ich versuche ein paper für eine konferenzbewerbung zu schreiben und kriege keine drei sätze zueinander. das ist alles so weit weg. so merkwürdig. mein kopf ist wattig und gleichzeitig steigt die genervtheit darüber, dass ich nicht denke und schreibe, nicht wirklich tue, kein bild von der gegenwart herstelle und mir nicht überlege, wie zur hölle es eigentlich weitergehen soll. ich denke seit zwei jahren, dass mir schon etwas einfallen oder dass sich etwas ergeben wird. weder noch, sag ich mal, und soviel dürfe jetzt sicher sein, es passiert auch nicht. weil, naja, zwei jahre.

samstag morgen gab es einen anschlag auf die Beth Jacob synagoge in der französischen stadt La Grand-Motte. wemauchimmerseidank wurde niemand verletzt. in dem zusammenhang veröffentlichte jemand auf instagram eine auflistung von 14 weiteren städten veröffentlicht, in denen es seit dem 7.oktober anschläge auf synagogen gab: el hamma, berlin. montreal, yerevan, lakewood, wien, sfax, oldenburg, moskau, warschau, rouen, vancouver, dagestan, obninsk.

700 soldaten sind nun bereits gestorben. das mit dem zählen ist schwierig, habe ich heute in einem podcast gehört, weil auch angehörige von anderen sicherheitseinheiten sterben und hinzugezählt werden. aber so oder so: zu viele.

20240822, abends

es ist schwer, zu schreiben. weil wenn ich schreibe, dann muss ich darüber schreiben, dass vorgestern morgen die leichen von Alex Dancyg, Yagev Buchshtav, Chaim Peri, Yoram Metzger, Nadav Popplewell, und Avraham Munder in einem tunnel in khan yunis gefunden und nach israel zurückgebracht wurden. bis zu dem tag war man davon ausgegangen, dass Avraham Munder noch lebt. alle waren lebend entführt worden und heute konnte man lesen, dass alle sechs kugeln in ihren körpern hatten, also von hamas oder anderen erschossen worden waren. abends gab es eine kleine, sehr traurige kundgebung am hostage tent. auf vielen der schildern stand סְלִיחָה . und es waren vor allem frauen da. und davor hatte ich immer wieder in der stadt kleine gruppen von jungen menschen gesehen, die mit gelben bändern ihre augen verbunden hatten und auf zentralen plätzen saßen. gestern morgen auf dem weg zum bahnhof stand ein junge an einer befahrenen kreuzung und hielt ein schild mit dem dem foto von omer neutra hoch.

mich in tlv mit si. getroffen und sie fragte mich, ob etwas anders ist seit märz und ich versuche zu beschreiben, dass die traurigkeit und die verzweiflung noch düsterer sind, noch brutaler, schwärzer. ich weiß nicht, wie man es beschreiben soll. es ist abgründiger, härter. aber woran mache ich das fest? mein hier-sein fühlt sich anders an als im frühjahr. ich bin mit anderen fragen konfrontiert. sowohl in meinem kopf, aber auch von außen. ich habe wenige antworten darauf, sowohl in meinem kopf als auch nach außen.

ich habe schon mal beschrieben, dass ich früher immer diese abgrundtiefe angst hatte, die tage vor meiner abreise, dass ich nicht wieder kommen kann. jetzt treffe ich immer wieder menschen, die hier leben, die mir sagen, sie können das land nicht verlassen, weil sie angst haben, nicht zurückzukommen. und immer wenn ich das höre, klickt etwas in mir, verbinden sich diese worte mit einem gefühl, dass mich seit so vielen jahren begleitet. mit einer irrationalen angst, die ich irgendwo abgespeichert habe. vor ein paar tagen schrieb mir jemand aus deutschland, dass ich doch immer gehen könnte, das meine situation eine andere wäre als die derjenigen, die das nicht können. das stimmt, aber es verkennt so viel von der konkreten situation. und mir fehlt die kraft, das jemandem zu erklären, der:die denkt, es ginge nur ums sichersein/sich in sicherheit bringen.

mein körper streikt ein bisschen ob der hitze. ich habe endlich die manuskript-dinge an den verlag geschickt und dazu eine mail über meine unzufriedenheit. abwesenheitsnachrichten als antworten. also warten. es geht nicht zu ende. und ich weiß nicht, wie es zu ende gehen soll. es zieht sich und es quält mich.

Agam Berger hat heute ihren 20. geburtstag. Avera Mengista, der nun seit mehr als zehn jahren in gaza gefangen ist, seinen 38. Romi Gonon wurde vor vier tagen 24. die eltern von hersh polin-goldberg sprachen gestern auf dem kongress der demokraten.

es ist so schwer zu schreiben. und es ist so schwer zu denken.

20240815, nachts

eigentlich wollte ich eine liebeserklärung an die neue nationalbibliothek schreiben, wo die fläche des cafes so groß ist wie die stadtteilbibliothek neukölln und wo alle arbeiten und es laut ist und es kaffee gibt und wenn man möchte schon ein bier. aber der gestrige tag war einer mit schlimmen depressionen, die mich überrollt haben, so dass ich im cafe der nationalbibliothek saß, und geweint habe. und nachts habe ich dann einen neuen tiefpunkt erreicht und selbsttötungsmöglichkeiten gegooglet. es kostet erstaunlich überwindung, nach eingabe der suche, enter zu drücken. und es ist erschreckend, im nachgang, wie sich die dinge im kopf so krass verdichten, dass es keinen anderen ausweg zu geben scheint. wie alles schmerz wird. wie wirklich keine anderen gedanken mehr möglich sind. atmen. und das schlimmste ist, dass jemand nochmal so viel macht über mich hat. dass ich es zugelassen habe, zu verzeihen und mich in eine situation zu manövrieren, in der ich nicht nur so abhängig bin, sondern in der auch der hass einer person mein leben bestimmen kann. dass er es nochmal schafft, dass ich mich so fuckingwertlos fühle, ausgeliefert bin. und dazu noch all der andere mist. und dann dieses einzig merkwürdige gefühl, wenn man am nächsten morgen aufwacht, und das schlimmste überstanden ist, also nicht die situationen und es gibt auch keine lösung gefunden, aber der blick darauf. eine sensibilität im körper, die nur daran gebunden ist. und die ein permantes abklopfen ist, ob es zurückkommt.

heute nach tel aviv gefahren und wohnungen angeguckt. mi. getroffen. auf eine kundgebung für die geiseln gegangen, klein war sie. und so laut. so viel verzweifelung. und ich stand da und wie auf dem flughafen überrollte mich dieser schmerz, der die tränen in den kopf drückt, der aus der rückkehr in die situation kommt, die sich nicht verändert hat, außer eben darin, dass weitere monate vergangen sind. die nur noch verzweifelter ist, und dann werden alle namen verlesen und dann habe ich (wieder) geweint und dann sehe ich (wieder), dass ich nicht die einzige bin. und ich dachte nicht, dass das geht, aber ich würde behaupten, dass die verzweiflung, die wut, die angst noch größer geworden sind, noch schärfer, noch greifbarer. als ich weggehe, habe ich eines kleines chatgespräch mit der ex-cottbuser:innen-gruppe und versuche, die situation zu beschreiben und in ein verhältnis zu setzen zu dem, was man in zeitungen über die verhandlungen lesen kann, zu den nüchernen analysen, die die situation darstellen und darüber nachdenken, wer was wie nicht tun kann aus politischen gründen in dieser situation. und dieser krasse schmerz steht dagegen. kann sich daran vielleicht gar nicht abarbeiten. weil was würde es bedeuten, sich da einzuordnen? anzuerkennen, dass es ja auch und vielleicht vor allem hamas ist, die die geiseln nicht rauslassen (wollen), dass die israelische regierung dies oder das nicht will und kann. dass ein deal unter den derzeitigen prämissen bedeutet, dass so eine kleine gruppe rauskommt und so viele andere eben nicht. und zwar auf unbestimmte zeit nicht. ich denke an das interview mit einer mutter, deren sohn als soldat gefangengehalten wird (habe ich schon erwähnt, oder?). es müssen alle raus, jetzt. aber das wird ja gar nicht verhandelt. und wie dieser schmerz, dieses rufen der vielleicht 1000 menschen heute auf der straße losgelöst ist von diesen politischen analysen. losgelöst sein muss. weil was sonst? und das versuche mal jemandem zu erklären, wenn du heulst vor nicht weiterwissen. und später auf dem rückweg merke ich dann aber auch, dass ich zurück bin. und dass es gut ist, dass ich zurück bin.

lange mit der schwester geschrieben, über ihren geplanten besuch und ich denke, wie gut das ist. (auch wenn man immer nur mit einschränkungen denken und planen und sich vorfreuen kann). sig. schrieb, ich sei “brave” jetzt gekommen zu sein und ich antworte, nein, ich bin nur “desperate”. und das beschreibt die situation dann doch ganz gut.

20240813/14, nachts

an. ist vorletzte nacht zurück nach berlin geflogen und es ist immer komisch, wenn eine person die gemeinsme wohnung und zeit verlässt, aber in dieser situation bringt es ein verstörendes, weil unbekanntes gefühl von tiefer verlassenheit. für jemanden, die sich immer alleine denkt, ist die erkenntnis, dass es besonders in dieser situation einfach besser ist, nicht alleine zu sein, ein bisschen kompliziert, einzuordnen… ich vermute, es dauert nur ein paar tage, bis ich mich selbst und für mich wieder besser zurecht finden, aber diese tage müssen ja trotzdem überstanden sein. und die wohnung ist wirklich groß. und die gegend wirklich still. und die situation wirklich verunsichernd.

heute morgen nach dem aufwachen einen artikel gelesen, ob und/oder dass der iran heute angreifen könnte, wegen tisha b’av. bisher ist es nicht passiert. nur hamas hat versucht, raketen nach tlv zu schicken, die aber im meer landeten. jedenfalls bin ich noch vor dem kaffee trinken einkaufen gegangen. es wird glaube ich immer vor panikkäufen gewarnt, aber ich fand es hauptsächlich entspannend, drei zuchini, eier und noch mehr mangos zu holen. ansonsten das haus bisher nicht wirklich verlassen. zum einen wegen arbeit. aber ein bisschen auch, weil ich noch nicht weiß, wo ich wie hier hinwill.

erwische mich, wie ich schon wieder nicht darüber spreche, wie es mir geht, sondern dinge sage, die anderen beruhigung und ordnung geben sollen. erwische mich aber auch, wie ich denke, dass ich gar nicht weiß, wie es mir geht weil ich erstaunlich unfähig bin, zu beschreiben, welche gefühle ich habe, wenn ich sage, dass ich keine angst habe. weil ich vielleicht erstaunlich wenig angst vor etwas habe, dass ich mir nicht vorstellen kann. und/oder weil ich vielleicht erstaunlich wenig angst habe, weil ich es mir nicht vorstellen kann. so oder so, die offizielle version ist: ich bin hier, weil ich immer hier bin. aber warum bin ich eigentlich immer hier. muss immer wieder denken, dass sich für andere menschen in solchen dingen dann leben ergeben, weil sie jemanden zum zusammensein finden oder einen job oder ein haus oder eine wie auch immer geartete gegenwart entsteht, die sie hält. aber nichts davon ist für mich eingetreten. und trotzdem gibt es ein ich bin hier, weil ich immer hier bin. aber warum denn dann eigentlich.

naja.

312 tage jedenfalls.

20240810, nachts

man spricht gar nicht mehr so sehr über die tatsächlich möglichen angriffe als viel mehr über das warten auf die tatsächlich möglichen angriffe. alles, was man tut, tut man vielleicht am letzten normalen tag. menschen schreiben artikel darüber oder kleine storys bei facebook. das ist ein bisschen lustig, vielleicht aber auch nicht. ich werde ein bisschen nachlässiger. wir haben plötzlich nicht mehr für drei tage essen zu hause, aber die großen wasserflaschen lasse ich wenigstens noch unangetastet. telefon und computer sind nicht mehr die ganze zeit bei 100 prozent. ich lege nicht mehr zwingend klamotten neben das bett, die ich nachts schnell anziehen könnte. meine einschlafzeit gestern betrug zwei stunden, statt der drei in den tagen davor. die straßen sind leerer, besonders abends. aber es gibt einfach sowieso keine tourist:innen mehr. aber das yemenitische cafe in der azza st. existiert noch und es gibt noch das beste jachnun und das alles hat uns heute fast ganz allein gehört. meine erwartungen dagegen, dass wir die einzigen im museum für islamische kunst sind an einem shabbat hat sich als großer irrtum erwiesen.

ich suche mal wieder eine wohnung in tlv.

zwei tage bei ed. in binyamina. wir sprechen über menschen von früher, die viel in israel waren und die sich nun nicht mehr melden, nicht nachfragen, keinen anteil nehmen, sich aufgelöst haben. ich kann sehen, wie traurig sie das macht und wie sie es überspielt. und das macht mich nochmehr traurig. die bar gibt es donnerstags immer noch und freitag frühstück im kibbutz. die züge sind voll. beim versuch, dass alles aufzuschreiben, fällt mir auf, wie unspektakulär es eben auch gerade ist.

ich habe ein wenig angst, allein hier zu sein.

jemand sagt, er müsse erst mit seiner chefin abklären, ob er bei einem projekt mitmachen darf, dass nichts mit seiner arbeit zu tun hat, aber allein weil dabei nur israelische/jüdische künstler:innen anwesend sein werden.

einen tag lang wurde viel darüber geschrieben, dass es vielleicht endlich einen deal gibt. ich höre, von einer mutter, die dagegen ist, weil ihr sohn als soldat nicht in der ersten phase freikäme und weil niemand so richtig davon ausgeht, dass es mehr als eine phase gibt. hamas möchte, dass marwan barghouti unter den aus israelischen gefängnissen freizulassenden terroristen ist.

Sagui Dekel Chen ist gestern 36 jahre alt geworden.

20240807, abends

10 monate.

(für mich) neu ist, dass weitere verweise auf abwesenheit im städtischen raum geschaffen werden. auf bänken und stühlen an straßen und spielplätzen, in parks und bauhaltestellen, auf bahnhöfen ist immer ein bild einer geisel angebracht. immer bleibt ein platz frei, niemand kann sich dahin setzen. immer mehr layer. das vergehen der zeit zeigt sich auch darin, dass wir die erinnerungszeichen unterscheiden können; einige sind älter, vergilbt, abgefallen, in einem schlechteren zustand. andere eben nicht, sondern neu. es zeigt sich aber auch darin, dass vor monaten andere formen existierten, andere farben, andere plakate, symbole, kampagnen. und dann haben viele der plakate für die einzelnen das angegebene alter durchgestrichen und handschriftlich das neue ergänzt.

10 monate.

in einem podcast zu den geiseln erzählte ein therapeut, dass einer der entführten jungs ihm nach der freilassung im november sagte, er habe daran gedacht, dass gilad shalit fünf jahre als geisel in gaza war und er sich dann sagte: okay, fünf jahre, das ist eine zeit, die schaffe ich.

10 monate

ich brauche stunden, um einzuschlafen und heute traue ich mich schon gar nicht mehr, mich hinzulegen, aus angst, nicht einschlafen zu können. ich reagiere sehr auf geräusche. und etwas nicht einordnen zu können, macht schnell wieder wach. dann schlafe ich aber immer doch ein und dann bin ich weitere stunden wirklich weg und wache mittags auf und es gab keinen angriff. das ist das erste, was ich mache: nachsehen, ob es einen angriff gab. und dann quäle ich mich irgendwann aus dem bett und dann machen wir halt alltag. wir sprechen nicht einmal viel darüber, vielleicht so ein paar facts. aber eigentlich gibt es wenig zu reden. oder vielleicht weiß man auch nur nicht, was man sagen soll. die homefront instructions sind nicht geändert, das auswärtige amt gibt keine empfehlungen. wasser soll man dahaben, ein radio. und alltag ist irgendwie bisher auch gut zu machen: vorgestern waren wir im museum on the seam, hummus essen und in einem cafe arbeiten, gestern nur arbeiten zu hause, heute tel aviv. das baby gesehen. am meer gewesen, im hatikva markt hummus gegessen und orangensaft getrunken. es ist leer überall. noch leerer als im märz. außer gerade im zug, da war es sehr voll. manches ist scheinbar wie immer, anderes ist schon ein neues wie immer.

ich kann schlechter denken. ich würde mich selbst gern ein paar fragen beantworten. was ich hier eigentlich mache, wüsste ich zum beispiel gern, was ich mir dabei denke. und wo das hinführen soll. auf eine neue art bin ich disconnected, und ich kann nicht so richtig darüber sprechen. menschen aus deutschland sagen, ich soll zurückkommen, al. spricht gar nicht mehr mit mir, andere schicken mir zusammenfassungen von livetickern, die ich nur schwer einordnen kann. irgendwie macht es einen ganz schönen unterschied, wenn man tatsächlich in einer situation ist, von der andere nur lesen. und man eben doch jeden tag seinen kaffee trinkt oder sich ein eis am bahnhof kauft, bevor man zurück zur wohnung fährt. ich habe mich heute gefragt, ob ich nur nicht loslassen kann. aber dann habe ich zu mi. auch gesagt, dass ich eben nicht weiß, wo ich sonst sein kann.

in wien wurden drei konzerte von taylor swift abgesagt, weil irgendwelche irren wohl einen anschlag planten. in spandau wurde wiederholt das denkmal für die zerstörte synagoge und für die ermordeten juden:jüdinnen des bezirkes beschmiert. das israelische jugend-frisbee-teams wurde nach antisemitischen und israelfeindlichen protesten und drohungen von einer teilnahme an den U17-europameisterschaften in belgien ausgeschlossen. UNRWA hat neun seiner angestellten wegen ihrer teilnahme an den massakern vom 7.oktober gekündigt.

20240804, nachts

woran man merkt, dass die dinge anders sind, teil 7681: gerade wollte ich einfach nur schlafen gehen, dann dachte ich, dass ich vielleicht besser mal vorher dusche, weil was weiß ich schon, ob es morgen noch geht. letzte nacht konnte ich drei stunden lang nicht einschlafen wegen gedanken. habe einfach keine vernünftige erklärung gefunden, warum ich hier bin und warum ich nicht nach rückflügen suche. ich war immer hier also bin ich auch jetzt hier, ist ehrlich gesagt, das brauchbarste aber vielleicht auch das dümmste was mir einfällt. dritter tag/abend in folge, dass ich höre, dass es heute nacht los geht. es gibt eine funktion in der warnapp, mit der kann man einstellen, dass der silentmodus des telefons aufgehoben wird bei alarm. gestern nacht krass viel alarm im norden.

wir haben uns heute nachmittag etwas zwingen müssen, das haus zu verlassen. aber dann gab es eis und einen besuch in der neuen nationalbibliothek, die von innen – nicht so sehr von außen – ein phantastisch schönes gebäude und sehr gute, unaufgeregte, sinnvoll organisierte architektur ist. ein paar stunden mit blick auf einen park gearbeitet. trotzdem ist das manuskript noch nicht fertig. wir entwickeln eine irritierende begeisterung dafür, uns abends gutes essen zu kochen. wir rauchen zu viel. und vielleicht gibt es auch ein bisschen zu regelmäßig alkohol.

in amsterdam ist erneut eine statue von anne frank beschmiert worden, mesut özul postete schon vor einigen tagen eine auslöschungsphantasie von israel. es gibt warnungen, dass in griechenland israelis opfer von terrorschlägen werden könnten. in holon griff ein palästinenser aus dem westjordanland heute morgen menschen mit einem messer an, er ermordete einen bisher namentlich nicht genannten mann in seinen 80igern und die 66jährige Rina Daniv. ihr ehemann Shimon Daniv wurde schwer verletzt, der 26jährige Yakov Levertov moderat.

anders als manche nachricht, die mich erreicht suggeriert, weiß niemand genau, was passiert. ich weiß nicht, ob hoffen ein gutes konzept ist, eigentlich verteidige ich mit verweis auf Tadeusz Borowski immer das nicht-hoffen und würde da auch gern bei bleiben. es gibt für libanon und den iran die aufforderungen, auszureisen, u.a. für französische staatsbürger:innen. für israel gibt es noch nichts vergleichbares, das national homefront portal sagt weiterhin vor allem, dass man sich mit den notwendigen vorkehrungen vertraut machen und ein paar dinge im haus haben soll. die stadtverwaltung jerusalem hat noch keinen einzigen satz in der whatsappgruppe geschrieben, seit ich ihr beigetreten bin.

20240803, nachts

die vermieterin schreibt mir morgens, dass batterien und ein radio in einem rucksack im shelter sind. und schickt mir auch einen link zur englischsprachigen whatsapp-gruppe der stadt jerusalem. der tag selbst war von außen betrachten nichts besonderes, lange geschlafen, mich weiter durch das manuskript gequält, das haus nicht verlassen, sehr gutes essen aus den sehr gutem gemüse des gestrigen marktbesuches zubereitet. nachrichten nur sporadisch verfolgt, mir gerade eine kurzzusammenfassung der situation, wie sie in der tagesschau gegeben wurde, von frau fragmente geben lassen. sie erschien mir erstaunlich zutreffend. die verhandlungen zur freilassung sollen wieder aufgenommen werden. heute abend gab es für mich ohne auto unerreichbare kundgebeungen an den wohnhäusern einige minister. gerade entschieden, dass wir am montag auch einen kuchen für ariel bibas backen wollen.

bei einem fussballspiel der israelischen olympiamannschaft haben leute auf den rängen den hitlergruss gezeigt und palästinafahnen geschwenkt. alles, was in europa und deutschland passiert, ist erstaunlich weit weg. ich habe festgestellt, dass mir bereits der blick in die deutsche pro-israel-gruppe zu viel ist und mich auch die auseinandersetzungen nicht interessieren.

mich innerlich von jemandem verabschiedet, der seit 1999 ein freund war, mehr oder weniger, aber oft intensiv und auch mal mit langen pausen. mein vorsatz, andere nicht so zu behandeln, wie ich aus leben geschnitten wurde, ist hier auch an einer grenze. an. sagte zu recht, dass ich meine energie für andere emotionen und situationen brauche. nachdem ich seit wochen darüber nachdachte, mich bei der person zu melden und meine verstörung zu formulieren, dass sie seit dem 7.oktober keinen kontakt zu mir aufgenommen hat, nicht einmal in den unmittelbar darauffolgenden wochen, ist jetzt vermutlich nicht mehr relevant. vorgestern musste ich einen post vom ihm lesen, nicht nur über den besuch einer von ihm positiv berwerteten propalästina-veranstaltung , sondern auch durchzogen von einem irritierenden herabsetzen und defamieren der handvoll leute, die mit israelischen fahnen und den bildern der geiseln vor dem eingang protestierten. ich habe gedacht, ich habe diesen punkt in meinem leben überschritten, dass ich menschen kenne, die ich aus diesen gründen nicht mehr um mich haben möchte. deutsche linke. wahrlich kein spass.

20240802, abends

entlang der bialik st. in ramat gan hängen an den masten die fahnen aller idf-einheiten… naja, ob es alle sind, weiß ich nicht und dass es überhaupt so ist, weiß ich natürlich nur, weil es mir jemand sagt. wir verbringen den abend in einer kleinen runde in einer der bars, deren stühle den gehweg blockieren. und reden über viel aber immer auch wieder und vor allem über die kommenden tage und die möglichen szenarien. das gute ist, dass dieses reden ohne panik ist, ohne aufgeheizte entwürfe möglicher ereignisse. der bürgermeister von haifa schreibt, bei einem angriff sollen die menschen keine bilder online hochladen, hizbollah könnte dasraus standorte ablesen und drohnen schicken. jordanien kündigt an, raketen über ihrem territorium abzufangen. der zugbegleiter auf der rückfahrt trägt eine pistole, leger in den gürtel seiner hose gesteckt. überhaupt viele sicherheitskräfte, viele soldat:innen, viele waffen. viele airlines sagen die flüge ab. jemand, der als tourist am dienstag einreiste, kündigt seinen rückflug für heute an.

zum markt gelaufen und sehr viel zeug gekauft. salat gegessen und die gegend angesehen. wenn man es nicht weiß, dann sieht man es nicht. aber jedes gespräch beginnt und/oder endet mit einem kommantar zur situation, mit dem wunsch, dass es nicht zu schlimm wird, mit überlegungen, was dieses mal passieren könnte. immer wieder denke ich, wie viel besser es doch wäre, wenn ich hebräisch verstehen könnte. aber manchmal denke ich auch, dass es gut ist, es nicht alles zu verstehen, ausblenden zu können. auf dem weg spricht uns eine sehr alte frau an und erzählt uns kurze fragmente ihrer familiengeschichte. ich merke wieder, wie gerne ich hier in der gegend wohne. jetzt sitzen wir auf dem balkon und es ist so still. obwohl es gar keinen zweifel gibt, dass wir von stadt umgeben sind.

die diskrepanz zwischen dem, was passieren soll, der bedrohung und dem (scheinbaren) alltag beschäftigt mich immer wieder. im kopf ist das nur schwer zusammenzubekommen. und dann gibt es noch die wiederkehr des bekannten effekts, bei dem es im hiersein weniger beängstigend ist. ich erwische mich, wie ich denke, dass es schlimm wird, aber dass wir da durchgehen werden. jedenfalls ersteinmal und für die kommende sequenz. ich merke auch, wie die präsenz der geiseln im städtischen raum zu einer begleitung geworden ist, die kaum noch meine aufmerksamkeit hat. es ist einfach da. es gehört nun einfach dazu. wie krass das ist, wie man sich gewöhnt auf eine wirklich merkwürdige weise. vor einigen wochen sagte eine der angehörigen in einem interview, dass es ihnen nun immer auch daraum geht, dass die menschen sich nicht daran gewöhnen, dass diese menschen immer noch gefangen sind. so wie die traurigkeit sich in meinem körper eingenistet hat und eben immer da ist, so sind es auch die permanenten bilder dieser menschen. auf der straße, im internet. immer da. teil geworden. rachel goldberg-polin hat einen zusammenschnitt ihrer aufnahmen gepostet. es zu schreiben ist pathetisch, und trotzdem merke ich, wie ich ihren schmerz spüre, wenn ich sie sehe, immer wieder. aber auch darin gibt es nun lange gegenwart.

jemand fragt mich, ob ich mich nicht während meines aufenthaltes tätowieren lassen will und ich antworte, ich könnte die (kurzzeitige) kanalisation von schmerz sehr gebrauchen.

wenn man uns von außen jetzt sehen würde, dann haben wir es einfach schön, so weintrinkend und entspannt auf dem balkon. aber was wir eigentlich machen, ist weintrinkend auf dem balkon warten auf das, was vermutlich bald kommt.

und ansonsten habe ich mich noch einfach ein bisschen gelangweilt und bin dabei zur followerin von einer person auf instagram geworden, mit der ich vor einigen monaten mal einen schönen abend hatte. aber offensichtlich kann man nicht einfach mehr followerin von einer person werden, mit der man vor einigen monaten mal einen schönen abend hatte, sondern wird dann abgefragt, ob der motivationen. und jedenfalls sind es solche dinge, die erinnerungen an schöne abende mit personen dann kaputt kriegen.

20240801, nachmittags

vor zwei wochen oder so habe ich einen podcast gehört, in dem debra messing unter anderem über ihre erste reise nach israel gesprochen hat, die sie nach dem 7. oktober unternahm. einige der sachen, die sie sagt, haben sich ein bisschen mehr in meine gedanken gebrannt, zum beispiel, als sie beschreibt, wie gut es sich anfühlt, durch die straßen zu laufen, und die poster mit den bildern der geiseln sind nicht abgerissen. es klingt wie eine randnotiz, aber an häuserwänden entlang zu gehen und keine pro-palestine-zeug zu lesen und mit den öffentlichen verkehrsmitteln zu fahren oder in cafes zu sitzen und keine menschen mit pali-tüchern zu sehen, ist so irritierend und dabei so erleichternd. das diese zeichen an den wänden nochmal so ein thema für mich werden, dass sie raum bestimmen und wahrnehmungen, habe ich definitiv nicht kommen sehen.

300 tage

die kontrollen in berlin waren sehr viel strenger. ich bin zum ersten mal seit vielen jahren und noch mehr reisen ernsthaft befragt worden. alle anderen und damit unabhängig von ihrem pass aber auch. wir waren vielleicht die einzigen, die mit einem deutschen gereist sind, dies könnte uns zudem eine extrarunde in den kontrollen eingebracht haben: check des handgepäcks in einem eigens dafür eingerichteten raum und trotz der sowieso schon üblichen zwei sicherheitsrunden. dafür winkt man uns bei der einreise nur durch und an der schlange vorbei. vor dem einsteigen, beim überfliegen der grenze zum land und beim weg entlang der geiseln im flughafen fast/ganz/kurz geweint. emotionale intensitäten, erleichterung hier zu sein, vorfreude auf menschen, und diese verdammte traurigkeit, dass ich noch einmal diesen weg auf diese weise gehe. und dass sich seit märz scheinbar nichts geändert hat. mein herz ist auf eine weise gebrochen, von der ich nicht weiß, wie sie einmal nicht mehr existieren wird, habe ich jemandem geschrieben und das ist kitschig und dann trotzdem wahr. unser sherutfahrer spricht jidisch und die zwei familien mit denen wir uns den bus teilen haridim. ihre kinder sind süß und freundlich, die frau wünscht uns auf englisch eine gute zeit. die wohnung ist phantastisch schön und es ist warm auf eine weise, die die gleichen temperaturen in berlin weit hinter sich lässt. der tag endet mit bier auf dem balkon und mir zu vielen nachrichten, die aus meiner ankunft resultieren. es ist ein bisschen verstörend, was das auslöst. es ist eine neue art von schlimmster zeit hier anzukommen und gleichzeitig denke ich (endlich), wie gut es ist, wieder angekommen zu sein. der iran und andere drohen akut, und es ist auch ein warten auf einen erneuten angriff. der shelter ist im keller. und ich bin etwas unsicher, wie ich da nachts hinkommen soll. nicht nur wegen der kontaktlinsen. neben dem bett liegt etwas zum anziehen für den fall und meine warn-app habe ich vor dem einschlafen auf “jerusalem” umgestellt. heute vormittag gehen wir ins hansen, weil n. ihre abschlusspräsentation hat. anschließend essen wir da. alles ist alles. an emotionen und an erwartungen.

300 tage

am dienstag ist Iair Horn 46 jahre alt geworden. am sonntag Or Levy 34. nicht mehr lange und Ariel Bibras wird 5. jemand sagte, dass es ein wunder sei, dass man die leichen von Oren Goldin, Maya Goren, Kiril Brodski, Tomer Ahimas und Ravid Katz hinter der wand in diesem tunnel gefunden hat und dass es die möglichkeit gibt, dass man andere nie finden wird.