20240901, morgens

es ist halb 10 sonntag morgen und es regnet in tel aviv.

das folgende sollte eigentlich teil eines längeren posts werden und steht hier schon seit einigen tagen unveröffentlicht. aber der heutige tag wird einen eigenen post benötigen, da seit einigen stunden bekannt ist, dass die idf am samstag in den tunneln von rafah die leichen von Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Hersh Goldberg-Polin, Alexander Lubnov, Almog Sarusi, und Ori Danino gefunden hat, alle kurz zuvor von hamas ermordet.

Qaid Farhan Alkadi hatte bereits kurz nach seiner rettung davon gesprochen, dass eine der geiseln in seiner anwesenheit verstorben war. gestern wurde dann bekannt gegeben, dass es sich dabei um Aryeh Zalmanovich handelte, einen 85jährigen bewohner von kibbutz Nir Oz, den hamas am 7.oktober nach gaza verschleppte und der, dann nur rund 40 tage ohne seine medizin zu erhalten, überleben konnte. der kibbutz hatte im dezember seinen tod bekannt gegeben, wenn ich es richtig verstehe, ist seine leiche nach wie vor in der gewalt der palästinenser. das rote kreuz hat meines wissens nach bis heute keine der geiseln besucht. und was mit den medikamentenlieferungen wurde, die nach langen verhandlungen von israel mitte januar bereit gestellt und geliefert werden durften, ist so ungefähr nicht bekannt. ein bisschen mehr ist nun veröffentlicht über die bedingungen, in denen Qaid Farhan Alkadi leben musste, darüber, dass er die letzten und die meisten monate in tunnel verbringen musste, dass seine entführer ihn dort zurückließen, mit nur etwas brot und einige der umliegenden tunnel von ihnen mit sprengfallen versehen wurden.

in hamburg sagte der grindel e.v. ein von ihm organisiertes ‘jüdisches straßenfest’ mit blick auf den terroristischen angriff in solingen aus angst vor nachahmungstätern ab. wer bin ich, das zu beurteilen, aber beeindruckend doch immer wieder wie schnell akteur:innen deutscher zivilgesellschaft dann doch den rückzug antreten, während es ihnen zuvor nicht zu peinlich war, “Vielfalt mit jüdischer Lebenskultur” (fb-eintrag von grindel e.V. am 28. august 2024) präsentieren zu wollen. jüdische gegenwart unterstützen, aber bitte nur, wenn wir dafür peinliche slogans benutzen können und unser handeln niemanden stört.

20240828, nachts

den tag nicht vertrödelt, aber doch verschleppt. wohnung aufräumen und sachen packen, arbeiten. nochmal ins cafe gehen und abends dann nach tlv ziehen. wehmütig gewesen und wirklich abschied gehabt. gemerkt, dass mir die zeit zu kurz war und vorkommt und zugleich, dass meine ankunft ewig herzusein scheint. dabei wüsste ich kaum zu sagen, was ich gemacht, gesehen, gesagt habe in diesen vier wochen. aber natürlich ist sie sofort wieder da, die liebe für die stadt und das intensive gefühl von nähe, zuhause, vertrautsein, verbunden sein, dass ich mit wirklich nichts anderem herstellen kann. dabei wohne ich mal wieder in einer ‘neuen gegend’, zwischen neve tzedek und yafo, florentin, aber am rand. in einem hat-hier-jemand-bauhaus-gesagt-haus. aber in chic, jedenfalls auf den ersten blick. seit den schwierigkeiten im märz (?) erwarte ich offenbar vor allem unwegbarkeiten und habe misstrauen. was ich aber auch sofort wieder habe ist ein sozialleben und meine zeit füllt sich für die kommenden tage bereits problemlos.

die schwester schreibt unvermittelt, ob ich nicht mit ihr zu oasis gehen will und spätestens jetzt sofort will ich zu oasis gehen. also tickets bekommen. etwas vorhaben in einem jahr. gewöhne ich mich nicht mehr dran an dieses denken.

Farhan al-Qadi (oder: Qaid Farhan Alkadi, oder: Qaid Farhanal-Kaadi) ist heute schon aus dem krankenhaus entlassen worden. im times of israel podcast ging es um die situation der beduinen und den 7. oktober: acht beduinen aus dem süden des landes wurden von hamas als geiseln verschleppt, zwei waren ende november frei gekommen, einer – Samer Talalka (24) – mitte dezember mit zwei weiteren jungen männern versehentlich von idf-soldaten erschossen. die angehörigen dieser geiseln haben in den vergangenen mehr als zehn monaten nur selten mit der presse gesprochen, bis gestern wussten ihre vertreter:innen nicht einmal, wie Farhan al-Qadi richtig geschrieben wird. mir war bereits aufgefallen, dass es verschiedene varianten gestern gab und der journalist sagte, dass man erst abwarten musste, bis der name in der arabischen presse verwendet wurde (ich finde immer noch verschiedene schreibweisen, s.o.). die isolation der angehörigen in der situation sei mehrfach begründet; zum einen kulturell, weil es unmöglich und nicht üblich ist, öffentlich zu trauern oder zu klagen oder die eigenen persönlichen geschichten zu erzählen. zum anderen aber auch, weil sie sich auf niemanden verlassen können; sie haben keine unterstützer:innen. die muslimischen ländern interessieren sich nicht für sie oder sehen sie als verräter:innen, weil sie in israel leben, hier in der armee dienen etc. zugleich ist ihre situation in israel aber schwierig: viele wohnen in ortschaften, die nicht offiziell anerkannt sind. es gibt keine bunker und keine schutzräume, iron dome ist nicht darauf ausgerichtet, raketen abzufangen, die in ihre richtung gehen. dabei waren die communities selbst über die geiselnahmen hinaus stark betroffen von den angriffen am 7. oktober. es gibt sehr viele geschichten, in denen beduienen zum bsp. losfuhren, um menschen zu retten, in kibbuzim und natürlich vom nova-gelände. Youssef Ziadna zum beispiel holte mehr als 30 menschen da raus. mehr als 20 beduinen, zivil und als soldaten, wurden ermordet an dem tag, auch, aber nicht nur, bei raketenangriffen. da (sogar) ich wusste, dass unter den geiseln und unter den ermordeten beduinen sind/waren, kann man davon ausgehen, dass das immer auch in die öffentlichkeit getragen wurde, ihre gesichter und angaben zu ihren personen sind teil der bringthemhome-kampagnen, immer. zugleich war/ist mir immer auch auffällig, dass ihre angehörigen nicht präsent waren. ich hatte gestern einige ausschnitte aus interviews gesehen, die ein bruder von Farhan al-Qadi vorm krankenhaus gegeben hatte. und es viel mir sofort auf, dass und wie er allgemein von allen geiseln spricht, wie schnell er dazu kommt, die freilassung von allen zu fordern und zu wünschen. ich meine, es war (und ist immer noch) sowieso krass und berührend, ihre freude zu sehen, die erleichterung. aber das wurde irgendwie noch gesteigert, weil sie es immer selbst mit dem schicksal der anderen verknüpft haben. auch Farhan al-Qadi hat heute immer wieder betont, dass alle raus müssen, sofort.

heute dagegen wurde die leiche eines soldaten von der idf geborgen, der bereits am 7. oktober von hamas ermordet und dann nach gaza verschleppt wurde. im süden und nicht in einem tunnel. auf bitten der familie ist der name bisher nicht genannt worden.

mehr als 300 autos und tausende menschen sind heute in einem convoy von tel aviv aus nach kibbutz be’eri gefahren. morgen wollen sie nach nirim, um die familien der geiseln dabei zu begleiten, mit lautsprechern nach gaza zu rufen, in der hoffnung, dass ihre gefangenen angehörigkeiten so etwas von ihnen hören. verzweiflungen. und warum gibt es von so begriffen eigentlich keine steigerungsformen oder varianten. denn die verzweiflungen jetzt sind ja andere als vor zehn monaten, aber sie sind nicht weniger.

327 tage.

in berlin dagegen wurde das denkmal für die frauen in der rosenstraße, die sich im februar 1943 für die freilassung ihrer jüdischen männer eingesetzt haben und sie so (zunächst und viele dann dauerhaft) vor der deportation bewahrten, mit antisemitischen und pro-palästina parolen beschmiert.

20240827, abends

der tag begann mit der seit spätestens gestern vorhersehbaren, wenngleich nicht weniger emotional verwirrenden nachricht, dass oasis wieder zusammen auftreten wollen und zwar im sommer des kommenden jahres. meine emotionale lage ist uneindeutig und ich habe es den ganzen tag über nicht geschafft, da klarheit zu gewinnen, aber gerade doch schon mal zur sicherheit gecheckt, ob mein englischer ticketmaster-account noch existiert. d. vermisst, der wüsste was zur sagen zur einordnung des ganzen.

nachmittags kam dann die nachricht, dass Qaid Farhan Alkadi lebend aus einem tunnel im süden gazas gerettet wurde. er ist 52, beduine und war am 7.oktober aus dem Kibbutz Magen entführt worden, wo er als guard gearbeitet hat. er hat elf kinder und eine 90jährige mutter, ich weiß nicht, wie viele geschwister. sie leben in/bei Rahat. es gibt videos, wie seine familienangehörigen den krankenhausflur entlangrennen und wenig später bei ihm sind. sie sind so glücklich, so erleichtert, so aufgeregt. ich kann immer nur wieder weinen, wenn ich es sehe. er sieht so anders aus als auf den bildern, deutlich älter als 52 und soll 25 kilo abgenommen haben. sein körperlicher zustand sei okay, heißt es, aber auch, dass sich das erst in den kommenden tagen wirklich zeigen wird, weil auch bei den anderen befreiten / freigelassenen geiseln der zustand zunächst durch das adrenalin und die erleichterung bestimmt werde.

ich habe später jemadem in deutschland via chat zu erklären versucht, wie emotional das für mich ist und habe gemerkt, dass es nicht verstanden wird. ich habe versucht zu erklären, wie anders es hier funktioniert, wie viel man weiß von den menschen, die entführt oder ermordet wurden, wie präsent sie sind. während man in deutschland nicht einmal die namen derjenigen zu kennen scheint, die am vergangenen wochenende in solingen ermordet wurden. ich glaube nicht, dass ich verstanden wurde.

ich bin es in meiner geschichte gewohnt, dass wenn ich irgendwo rumstehe mit plakaten oder transparenten oder was auch immer, angegriffen zu werden. das hatte ich als phänomen und realität vergessen, bis ich jetzt mehrmals vor dem hostage tent hier in jerusalem stand, und plakate der entführten hochgehalten habe. man steht da allein oder zu zweit und zeigt sie den passant:innen, die zu fuss oder im auto die ziemlich frequentierte straße entlangkommen. und ich mache das gern, weil ich es für eine gute sache halte, sichtbarkeit und so. aber ich habe mich immer auch unwohl gefühlt und endlich ist mir aufgegangen warum: ich rechne die ganze zeit damit, angepöbelt, beschimpft, bedroht zu werden. als heute ein bus sehr nahe an dem bürger:innensteig fuhr, merkte ich, wie ich erwarte, dass er auf / in uns zu / reinrast. und dann ist mir auch aufgefallen, dass ich immer zuerst unsicher bin, wenn menschen mich ansprechen und überrascht, wenn sie gutes sagen, emotionales, von ihren gefühlen, gebeten, ängsten, gedanken, hoffnungen reden und/oder darüber, wie wichtig dieser ort für sie ist. und dass ich noch nicht so richtig verinnerlicht habe, dass das hupen der vorbeifahrenden autos zustimmung ist, nicht hass. oder dass die jugendlichen, die lärmend vorbeigehen, t-shirts mit der aufschrift kfar azza tragen. und die frau, die mich anspricht, mir in gebrochenem englisch erzählt, dass heute eine geisel lebend gerettet wurde und beduine ist und israel auch ihn rettet.

ich hadere sehr damit, hier zu sein. auch, weil menschen mir das gefühl geben, mich dafür rechtfertigen zu müssen. aber heute gab es keinen zweifel daran, dass es gut ist.

letzter tag in jerusalem.

20240825, nachts

heute morgen auf die weise aufgewacht, die ich die ganze zeit schon erwartet habe: 100 mal alarm auf dem telefon und besorgte nachfragen aus deutschland. noch im bett liegend, vor dem ersten kaffee und ohne kontaktlinsen versucht, mir einen überblick zu verschaffen und zu verstehen, worum es eigentlich geht. viele raketen und drohnen von hezbollah und die idf hat verhindert, dass es noch mehr werden und sie bis nach tel aviv kommen. oder so. bis frühen nachmittag gab es dann restrictions. so ein bisschen ist unklar, was es alles bedeutet und ob es weitergeht. menschen aus dem / im norden sind zunehmend sauer, weil es keine lösungen gibt, ihre orte und häuser zerstört und keine perspektiven aufgezeigt werden. wütender wurden einige nun, weil es so aussieht, als würde ernsthaft gegen hezbollah vorgegangen, wenn ein angriff auf tlv droht. angehörige der verwaltungen haben jetzt angekündigt, nicht mehr mit der regierung kommunizieren zu wollen. was klingt wie ein witz ist irgendwie ein ziemlich klarer verweis darauf, dass die dinge nicht gut laufen und dass niemand so richtig weiß, was wie gut passieren sollte. die situationen laufen auch auf dem level aus dem ruder (sagt man so, oder?).

ich bin sehr langsam in meinen dinge und bekomme wenig hin. und weil ich jetzt gleich umziehen werde, beginne ich mich darüber zu ärgern, auch, weil sich das gefühl, hier in der stadt zu sein, letzlich nicht wirklich eingestellt hat, ich zu wenig gesehen, gegessen, gesprochen, gelaufen, gemacht habe. und ich finde, ich hätte mehr volontieren müssen, meine privilegien benutzen müssen und nicht in derartige depressionen verfallen dürfen. erst in den letzten tagen angefangen, lange abendspaziergänge zu machen. gestern abend war ich zu traurig und zu ko, zur kundgebung zu gehen und das macht, dass ich mich noch erbärmlicher fühle.

es fällt mir schwer zu denken. ich versuche ein paper für eine konferenzbewerbung zu schreiben und kriege keine drei sätze zueinander. das ist alles so weit weg. so merkwürdig. mein kopf ist wattig und gleichzeitig steigt die genervtheit darüber, dass ich nicht denke und schreibe, nicht wirklich tue, kein bild von der gegenwart herstelle und mir nicht überlege, wie zur hölle es eigentlich weitergehen soll. ich denke seit zwei jahren, dass mir schon etwas einfallen oder dass sich etwas ergeben wird. weder noch, sag ich mal, und soviel dürfe jetzt sicher sein, es passiert auch nicht. weil, naja, zwei jahre.

samstag morgen gab es einen anschlag auf die Beth Jacob synagoge in der französischen stadt La Grand-Motte. wemauchimmerseidank wurde niemand verletzt. in dem zusammenhang veröffentlichte jemand auf instagram eine auflistung von 14 weiteren städten veröffentlicht, in denen es seit dem 7.oktober anschläge auf synagogen gab: el hamma, berlin. montreal, yerevan, lakewood, wien, sfax, oldenburg, moskau, warschau, rouen, vancouver, dagestan, obninsk.

700 soldaten sind nun bereits gestorben. das mit dem zählen ist schwierig, habe ich heute in einem podcast gehört, weil auch angehörige von anderen sicherheitseinheiten sterben und hinzugezählt werden. aber so oder so: zu viele.

20240822, abends

es ist schwer, zu schreiben. weil wenn ich schreibe, dann muss ich darüber schreiben, dass vorgestern morgen die leichen von Alex Dancyg, Yagev Buchshtav, Chaim Peri, Yoram Metzger, Nadav Popplewell, und Avraham Munder in einem tunnel in khan yunis gefunden und nach israel zurückgebracht wurden. bis zu dem tag war man davon ausgegangen, dass Avraham Munder noch lebt. alle waren lebend entführt worden und heute konnte man lesen, dass alle sechs kugeln in ihren körpern hatten, also von hamas oder anderen erschossen worden waren. abends gab es eine kleine, sehr traurige kundgebung am hostage tent. auf vielen der schildern stand סְלִיחָה . und es waren vor allem frauen da. und davor hatte ich immer wieder in der stadt kleine gruppen von jungen menschen gesehen, die mit gelben bändern ihre augen verbunden hatten und auf zentralen plätzen saßen. gestern morgen auf dem weg zum bahnhof stand ein junge an einer befahrenen kreuzung und hielt ein schild mit dem dem foto von omer neutra hoch.

mich in tlv mit si. getroffen und sie fragte mich, ob etwas anders ist seit märz und ich versuche zu beschreiben, dass die traurigkeit und die verzweiflung noch düsterer sind, noch brutaler, schwärzer. ich weiß nicht, wie man es beschreiben soll. es ist abgründiger, härter. aber woran mache ich das fest? mein hier-sein fühlt sich anders an als im frühjahr. ich bin mit anderen fragen konfrontiert. sowohl in meinem kopf, aber auch von außen. ich habe wenige antworten darauf, sowohl in meinem kopf als auch nach außen.

ich habe schon mal beschrieben, dass ich früher immer diese abgrundtiefe angst hatte, die tage vor meiner abreise, dass ich nicht wieder kommen kann. jetzt treffe ich immer wieder menschen, die hier leben, die mir sagen, sie können das land nicht verlassen, weil sie angst haben, nicht zurückzukommen. und immer wenn ich das höre, klickt etwas in mir, verbinden sich diese worte mit einem gefühl, dass mich seit so vielen jahren begleitet. mit einer irrationalen angst, die ich irgendwo abgespeichert habe. vor ein paar tagen schrieb mir jemand aus deutschland, dass ich doch immer gehen könnte, das meine situation eine andere wäre als die derjenigen, die das nicht können. das stimmt, aber es verkennt so viel von der konkreten situation. und mir fehlt die kraft, das jemandem zu erklären, der:die denkt, es ginge nur ums sichersein/sich in sicherheit bringen.

mein körper streikt ein bisschen ob der hitze. ich habe endlich die manuskript-dinge an den verlag geschickt und dazu eine mail über meine unzufriedenheit. abwesenheitsnachrichten als antworten. also warten. es geht nicht zu ende. und ich weiß nicht, wie es zu ende gehen soll. es zieht sich und es quält mich.

Agam Berger hat heute ihren 20. geburtstag. Avera Mengista, der nun seit mehr als zehn jahren in gaza gefangen ist, seinen 38. Romi Gonon wurde vor vier tagen 24. die eltern von hersh polin-goldberg sprachen gestern auf dem kongress der demokraten.

es ist so schwer zu schreiben. und es ist so schwer zu denken.

20240815, nachts

eigentlich wollte ich eine liebeserklärung an die neue nationalbibliothek schreiben, wo die fläche des cafes so groß ist wie die stadtteilbibliothek neukölln und wo alle arbeiten und es laut ist und es kaffee gibt und wenn man möchte schon ein bier. aber der gestrige tag war einer mit schlimmen depressionen, die mich überrollt haben, so dass ich im cafe der nationalbibliothek saß, und geweint habe. und nachts habe ich dann einen neuen tiefpunkt erreicht und selbsttötungsmöglichkeiten gegooglet. es kostet erstaunlich überwindung, nach eingabe der suche, enter zu drücken. und es ist erschreckend, im nachgang, wie sich die dinge im kopf so krass verdichten, dass es keinen anderen ausweg zu geben scheint. wie alles schmerz wird. wie wirklich keine anderen gedanken mehr möglich sind. atmen. und das schlimmste ist, dass jemand nochmal so viel macht über mich hat. dass ich es zugelassen habe, zu verzeihen und mich in eine situation zu manövrieren, in der ich nicht nur so abhängig bin, sondern in der auch der hass einer person mein leben bestimmen kann. dass er es nochmal schafft, dass ich mich so fuckingwertlos fühle, ausgeliefert bin. und dazu noch all der andere mist. und dann dieses einzig merkwürdige gefühl, wenn man am nächsten morgen aufwacht, und das schlimmste überstanden ist, also nicht die situationen und es gibt auch keine lösung gefunden, aber der blick darauf. eine sensibilität im körper, die nur daran gebunden ist. und die ein permantes abklopfen ist, ob es zurückkommt.

heute nach tel aviv gefahren und wohnungen angeguckt. mi. getroffen. auf eine kundgebung für die geiseln gegangen, klein war sie. und so laut. so viel verzweifelung. und ich stand da und wie auf dem flughafen überrollte mich dieser schmerz, der die tränen in den kopf drückt, der aus der rückkehr in die situation kommt, die sich nicht verändert hat, außer eben darin, dass weitere monate vergangen sind. die nur noch verzweifelter ist, und dann werden alle namen verlesen und dann habe ich (wieder) geweint und dann sehe ich (wieder), dass ich nicht die einzige bin. und ich dachte nicht, dass das geht, aber ich würde behaupten, dass die verzweiflung, die wut, die angst noch größer geworden sind, noch schärfer, noch greifbarer. als ich weggehe, habe ich eines kleines chatgespräch mit der ex-cottbuser:innen-gruppe und versuche, die situation zu beschreiben und in ein verhältnis zu setzen zu dem, was man in zeitungen über die verhandlungen lesen kann, zu den nüchernen analysen, die die situation darstellen und darüber nachdenken, wer was wie nicht tun kann aus politischen gründen in dieser situation. und dieser krasse schmerz steht dagegen. kann sich daran vielleicht gar nicht abarbeiten. weil was würde es bedeuten, sich da einzuordnen? anzuerkennen, dass es ja auch und vielleicht vor allem hamas ist, die die geiseln nicht rauslassen (wollen), dass die israelische regierung dies oder das nicht will und kann. dass ein deal unter den derzeitigen prämissen bedeutet, dass so eine kleine gruppe rauskommt und so viele andere eben nicht. und zwar auf unbestimmte zeit nicht. ich denke an das interview mit einer mutter, deren sohn als soldat gefangengehalten wird (habe ich schon erwähnt, oder?). es müssen alle raus, jetzt. aber das wird ja gar nicht verhandelt. und wie dieser schmerz, dieses rufen der vielleicht 1000 menschen heute auf der straße losgelöst ist von diesen politischen analysen. losgelöst sein muss. weil was sonst? und das versuche mal jemandem zu erklären, wenn du heulst vor nicht weiterwissen. und später auf dem rückweg merke ich dann aber auch, dass ich zurück bin. und dass es gut ist, dass ich zurück bin.

lange mit der schwester geschrieben, über ihren geplanten besuch und ich denke, wie gut das ist. (auch wenn man immer nur mit einschränkungen denken und planen und sich vorfreuen kann). sig. schrieb, ich sei “brave” jetzt gekommen zu sein und ich antworte, nein, ich bin nur “desperate”. und das beschreibt die situation dann doch ganz gut.

20240813/14, nachts

an. ist vorletzte nacht zurück nach berlin geflogen und es ist immer komisch, wenn eine person die gemeinsme wohnung und zeit verlässt, aber in dieser situation bringt es ein verstörendes, weil unbekanntes gefühl von tiefer verlassenheit. für jemanden, die sich immer alleine denkt, ist die erkenntnis, dass es besonders in dieser situation einfach besser ist, nicht alleine zu sein, ein bisschen kompliziert, einzuordnen… ich vermute, es dauert nur ein paar tage, bis ich mich selbst und für mich wieder besser zurecht finden, aber diese tage müssen ja trotzdem überstanden sein. und die wohnung ist wirklich groß. und die gegend wirklich still. und die situation wirklich verunsichernd.

heute morgen nach dem aufwachen einen artikel gelesen, ob und/oder dass der iran heute angreifen könnte, wegen tisha b’av. bisher ist es nicht passiert. nur hamas hat versucht, raketen nach tlv zu schicken, die aber im meer landeten. jedenfalls bin ich noch vor dem kaffee trinken einkaufen gegangen. es wird glaube ich immer vor panikkäufen gewarnt, aber ich fand es hauptsächlich entspannend, drei zuchini, eier und noch mehr mangos zu holen. ansonsten das haus bisher nicht wirklich verlassen. zum einen wegen arbeit. aber ein bisschen auch, weil ich noch nicht weiß, wo ich wie hier hinwill.

erwische mich, wie ich schon wieder nicht darüber spreche, wie es mir geht, sondern dinge sage, die anderen beruhigung und ordnung geben sollen. erwische mich aber auch, wie ich denke, dass ich gar nicht weiß, wie es mir geht weil ich erstaunlich unfähig bin, zu beschreiben, welche gefühle ich habe, wenn ich sage, dass ich keine angst habe. weil ich vielleicht erstaunlich wenig angst vor etwas habe, dass ich mir nicht vorstellen kann. und/oder weil ich vielleicht erstaunlich wenig angst habe, weil ich es mir nicht vorstellen kann. so oder so, die offizielle version ist: ich bin hier, weil ich immer hier bin. aber warum bin ich eigentlich immer hier. muss immer wieder denken, dass sich für andere menschen in solchen dingen dann leben ergeben, weil sie jemanden zum zusammensein finden oder einen job oder ein haus oder eine wie auch immer geartete gegenwart entsteht, die sie hält. aber nichts davon ist für mich eingetreten. und trotzdem gibt es ein ich bin hier, weil ich immer hier bin. aber warum denn dann eigentlich.

naja.

312 tage jedenfalls.

20240810, nachts

man spricht gar nicht mehr so sehr über die tatsächlich möglichen angriffe als viel mehr über das warten auf die tatsächlich möglichen angriffe. alles, was man tut, tut man vielleicht am letzten normalen tag. menschen schreiben artikel darüber oder kleine storys bei facebook. das ist ein bisschen lustig, vielleicht aber auch nicht. ich werde ein bisschen nachlässiger. wir haben plötzlich nicht mehr für drei tage essen zu hause, aber die großen wasserflaschen lasse ich wenigstens noch unangetastet. telefon und computer sind nicht mehr die ganze zeit bei 100 prozent. ich lege nicht mehr zwingend klamotten neben das bett, die ich nachts schnell anziehen könnte. meine einschlafzeit gestern betrug zwei stunden, statt der drei in den tagen davor. die straßen sind leerer, besonders abends. aber es gibt einfach sowieso keine tourist:innen mehr. aber das yemenitische cafe in der azza st. existiert noch und es gibt noch das beste jachnun und das alles hat uns heute fast ganz allein gehört. meine erwartungen dagegen, dass wir die einzigen im museum für islamische kunst sind an einem shabbat hat sich als großer irrtum erwiesen.

ich suche mal wieder eine wohnung in tlv.

zwei tage bei ed. in binyamina. wir sprechen über menschen von früher, die viel in israel waren und die sich nun nicht mehr melden, nicht nachfragen, keinen anteil nehmen, sich aufgelöst haben. ich kann sehen, wie traurig sie das macht und wie sie es überspielt. und das macht mich nochmehr traurig. die bar gibt es donnerstags immer noch und freitag frühstück im kibbutz. die züge sind voll. beim versuch, dass alles aufzuschreiben, fällt mir auf, wie unspektakulär es eben auch gerade ist.

ich habe ein wenig angst, allein hier zu sein.

jemand sagt, er müsse erst mit seiner chefin abklären, ob er bei einem projekt mitmachen darf, dass nichts mit seiner arbeit zu tun hat, aber allein weil dabei nur israelische/jüdische künstler:innen anwesend sein werden.

einen tag lang wurde viel darüber geschrieben, dass es vielleicht endlich einen deal gibt. ich höre, von einer mutter, die dagegen ist, weil ihr sohn als soldat nicht in der ersten phase freikäme und weil niemand so richtig davon ausgeht, dass es mehr als eine phase gibt. hamas möchte, dass marwan barghouti unter den aus israelischen gefängnissen freizulassenden terroristen ist.

Sagui Dekel Chen ist gestern 36 jahre alt geworden.

20240807, abends

10 monate.

(für mich) neu ist, dass weitere verweise auf abwesenheit im städtischen raum geschaffen werden. auf bänken und stühlen an straßen und spielplätzen, in parks und bauhaltestellen, auf bahnhöfen ist immer ein bild einer geisel angebracht. immer bleibt ein platz frei, niemand kann sich dahin setzen. immer mehr layer. das vergehen der zeit zeigt sich auch darin, dass wir die erinnerungszeichen unterscheiden können; einige sind älter, vergilbt, abgefallen, in einem schlechteren zustand. andere eben nicht, sondern neu. es zeigt sich aber auch darin, dass vor monaten andere formen existierten, andere farben, andere plakate, symbole, kampagnen. und dann haben viele der plakate für die einzelnen das angegebene alter durchgestrichen und handschriftlich das neue ergänzt.

10 monate.

in einem podcast zu den geiseln erzählte ein therapeut, dass einer der entführten jungs ihm nach der freilassung im november sagte, er habe daran gedacht, dass gilad shalit fünf jahre als geisel in gaza war und er sich dann sagte: okay, fünf jahre, das ist eine zeit, die schaffe ich.

10 monate

ich brauche stunden, um einzuschlafen und heute traue ich mich schon gar nicht mehr, mich hinzulegen, aus angst, nicht einschlafen zu können. ich reagiere sehr auf geräusche. und etwas nicht einordnen zu können, macht schnell wieder wach. dann schlafe ich aber immer doch ein und dann bin ich weitere stunden wirklich weg und wache mittags auf und es gab keinen angriff. das ist das erste, was ich mache: nachsehen, ob es einen angriff gab. und dann quäle ich mich irgendwann aus dem bett und dann machen wir halt alltag. wir sprechen nicht einmal viel darüber, vielleicht so ein paar facts. aber eigentlich gibt es wenig zu reden. oder vielleicht weiß man auch nur nicht, was man sagen soll. die homefront instructions sind nicht geändert, das auswärtige amt gibt keine empfehlungen. wasser soll man dahaben, ein radio. und alltag ist irgendwie bisher auch gut zu machen: vorgestern waren wir im museum on the seam, hummus essen und in einem cafe arbeiten, gestern nur arbeiten zu hause, heute tel aviv. das baby gesehen. am meer gewesen, im hatikva markt hummus gegessen und orangensaft getrunken. es ist leer überall. noch leerer als im märz. außer gerade im zug, da war es sehr voll. manches ist scheinbar wie immer, anderes ist schon ein neues wie immer.

ich kann schlechter denken. ich würde mich selbst gern ein paar fragen beantworten. was ich hier eigentlich mache, wüsste ich zum beispiel gern, was ich mir dabei denke. und wo das hinführen soll. auf eine neue art bin ich disconnected, und ich kann nicht so richtig darüber sprechen. menschen aus deutschland sagen, ich soll zurückkommen, al. spricht gar nicht mehr mit mir, andere schicken mir zusammenfassungen von livetickern, die ich nur schwer einordnen kann. irgendwie macht es einen ganz schönen unterschied, wenn man tatsächlich in einer situation ist, von der andere nur lesen. und man eben doch jeden tag seinen kaffee trinkt oder sich ein eis am bahnhof kauft, bevor man zurück zur wohnung fährt. ich habe mich heute gefragt, ob ich nur nicht loslassen kann. aber dann habe ich zu mi. auch gesagt, dass ich eben nicht weiß, wo ich sonst sein kann.

in wien wurden drei konzerte von taylor swift abgesagt, weil irgendwelche irren wohl einen anschlag planten. in spandau wurde wiederholt das denkmal für die zerstörte synagoge und für die ermordeten juden:jüdinnen des bezirkes beschmiert. das israelische jugend-frisbee-teams wurde nach antisemitischen und israelfeindlichen protesten und drohungen von einer teilnahme an den U17-europameisterschaften in belgien ausgeschlossen. UNRWA hat neun seiner angestellten wegen ihrer teilnahme an den massakern vom 7.oktober gekündigt.

20240804, nachts

woran man merkt, dass die dinge anders sind, teil 7681: gerade wollte ich einfach nur schlafen gehen, dann dachte ich, dass ich vielleicht besser mal vorher dusche, weil was weiß ich schon, ob es morgen noch geht. letzte nacht konnte ich drei stunden lang nicht einschlafen wegen gedanken. habe einfach keine vernünftige erklärung gefunden, warum ich hier bin und warum ich nicht nach rückflügen suche. ich war immer hier also bin ich auch jetzt hier, ist ehrlich gesagt, das brauchbarste aber vielleicht auch das dümmste was mir einfällt. dritter tag/abend in folge, dass ich höre, dass es heute nacht los geht. es gibt eine funktion in der warnapp, mit der kann man einstellen, dass der silentmodus des telefons aufgehoben wird bei alarm. gestern nacht krass viel alarm im norden.

wir haben uns heute nachmittag etwas zwingen müssen, das haus zu verlassen. aber dann gab es eis und einen besuch in der neuen nationalbibliothek, die von innen – nicht so sehr von außen – ein phantastisch schönes gebäude und sehr gute, unaufgeregte, sinnvoll organisierte architektur ist. ein paar stunden mit blick auf einen park gearbeitet. trotzdem ist das manuskript noch nicht fertig. wir entwickeln eine irritierende begeisterung dafür, uns abends gutes essen zu kochen. wir rauchen zu viel. und vielleicht gibt es auch ein bisschen zu regelmäßig alkohol.

in amsterdam ist erneut eine statue von anne frank beschmiert worden, mesut özul postete schon vor einigen tagen eine auslöschungsphantasie von israel. es gibt warnungen, dass in griechenland israelis opfer von terrorschlägen werden könnten. in holon griff ein palästinenser aus dem westjordanland heute morgen menschen mit einem messer an, er ermordete einen bisher namentlich nicht genannten mann in seinen 80igern und die 66jährige Rina Daniv. ihr ehemann Shimon Daniv wurde schwer verletzt, der 26jährige Yakov Levertov moderat.

anders als manche nachricht, die mich erreicht suggeriert, weiß niemand genau, was passiert. ich weiß nicht, ob hoffen ein gutes konzept ist, eigentlich verteidige ich mit verweis auf Tadeusz Borowski immer das nicht-hoffen und würde da auch gern bei bleiben. es gibt für libanon und den iran die aufforderungen, auszureisen, u.a. für französische staatsbürger:innen. für israel gibt es noch nichts vergleichbares, das national homefront portal sagt weiterhin vor allem, dass man sich mit den notwendigen vorkehrungen vertraut machen und ein paar dinge im haus haben soll. die stadtverwaltung jerusalem hat noch keinen einzigen satz in der whatsappgruppe geschrieben, seit ich ihr beigetreten bin.