vorgestern auf der kundgebung überlegt, ob die menschen leiser werden, alles noch fragiler ist als es ja bei meiner ankunft schon war. gestern waren es drei monate, in etwas weniger als einer woche sind es hundert tage. ich sehe jeden tag die mutter von Hersh Goldberg-Polin. wenn ich an die stärke der mütter in dieser situation denke, dann sehe ich Rachel Goldberg. und dann merke ich, dass sie immer kleiner wird, immer zerbrechlicher. und es hört sich an wie ein beschissener abgedroschener satz, den man sagt, wenn man berührt wirken will. aber mir bricht mein herz.
es gibt immer mehr veröffentlichte interviews mit menschen, die ende november aus der geiselhaft der hamas frei gekommen waren. aussagen zur angst, zu den furchtbaren bedingungen, über (sexuelle) gewalt und missbrauch, über körperliche und emotionale grausamkeiten, über die täter und über ihr umfeld, über die tunnel, über den moment der entführung und die wege nach gaza, um die anderen geiseln.
beim spazierengehen mit ha. gestern morgen entlang einer aufreihung von schuhen an der strandpromenade entlang gelaufen; einer installation für die freilasung der geiseln. heute beim morgendlichen kaffee im schaufenster des coffeeshops ein großes bild der geschwister Noa und Gideon Chiell gesehen, die auf dem nova musikfestival waren und am 7. oktober von hamas-männern ermordet wurden. neun tage lang waren ihre familie und freund:innen zunächst davon ausgegangen, dass sie entführt worden waren, bevor bekannt gegeben wurde, dass ihre leichen identifiziert wurden.
erinnerung bestimmt den raum. überall und jederzeit.
ich gehe seit einigen tagen jeden morgen in einen anderen coffeeshop in meiner nachbarschaft, um meinen ersten kaffee zu trinken und eigentlich als trick, um das haus zu verlassen oder “wenigstens schon mal für einen kaffee verlassen zu haben”. das funktioniert so lange es geht. gestern bin ich danach trotzdem einfach wieder ins bett gegangen. all die energie war sofort wieder weg, als ich die wohnungstür hinter mir schloss.
gestern abend eine freundin besucht, eigentlich die mutter einer freundin, 80 jahre alt, tochter eines überlebenden aus polen, künstlerin. wir sehen zusammen über mehrere stunden nachrichten, darunter einen langen bericht dazu, dass pläne der hamas, massenhaft in israel einzufallen und menschen zu ermorden bzw. zu entführen, seit oktober 2022 innerhalb der idf und des mossad (?) bekannt gewesen sein sollen, es auf regierungsebene aber nicht interessiert habe. mein hebrew ist deutlich zu schlecht, um solche erzählungen wirklich in ihren details zu verstehen. dass hamas und andere sich so etwas ausdenken, ist das eine und war irgendwie auch vorstellbar, dass sie damit erfolgreich sind und es ihnen tatsächlich gelingt, über so viele stunden auf israelischem boden zu sein, so viele menschen zu ermorden und zu entführen, ganze straßenzüge und autos abzufackeln, menschen zu jagen, zu demütigen, zu vergewaltigen, das alles hätte nie passieren dürfen, nichts davon, nicht einen moment. man muss wieder vertrauen haben, sonst kann man hier nicht sein und leben. aber ich bin jetzt nicht mehr sicher, ob das vertrauen vor dem 7. oktober nicht auch bei mir einfach ignoranz war, ein augen schließen und hoffen, dass es schon irgendwie gut geht. und dann bleibt da jetzt diese so grundlegende verunsicherung, und nicht einmal ich, die immer wieder (zu) lange zeiten in deutschland ist, die, wenn hier, dann in tel aviv wohnt, die niemanden unmittelbar kennt, der:die ermordet oder entführt ist, weiß, wie das gehen soll mit dem vertrauen. das hätte nicht geschehen dürfen und ich meine dies in einer sinne von hannah arendt.
nach dem bericht gab es ein interview mit Nili Margalit, einer krankenschwester vom kibbutz nir, die zu den freigelassenen vom 30. november gehörte und die in der geiselhaft versuchte, anderen zu helfen und hamas dazu zu bringen, wenigstens etwas medizinische versorgung zu ermöglichen. nach ihrer rückkehr musste sie unter anderem erfahren, dass ihr vater, Eliyahu Margalit, ermordet wurde, seine leiche aber noch in gaza ist. Nili Margalit war auch dabei, als kurz vor der übergabe an das rote kreuz, hamas-männer, Yarden Bibas, dem vater des vierjährigen Ariel und des Babys Kfir, sagten, dass seine beiden kinder und seine frau Shiri tot seien und seinen zusammenbruch filmten, um diesen anschließend als video zu veröffentlichen. man kann sich nicht vorstellen, wie es ihm geht. und trotzdem denkt man die ganze zeit daran. bis heute, mehr als einen monat später, sind sie nicht zurück. bis heute weiß man nicht, ob hamas aus grausamkeit gelogen hat oder ob sie wirklich tot sind und wie sie starben.
in den letzten tagen wurde die zahl der geiseln noch einmal nach oben korrigiert. nun wird von 136 gesprochen. das zeigt auch, dass es immer noch (so viele) menschen gibt, die noch vermisst werden und deren schicksal am und nach dem 7. oktober nach wie vor ungklärt ist. erst heute morgen veröffentlichte der Kibbutz Nir Oz beispielsweise, das sein bewohner Tamir Adar an diesem tag getötet wurde. auch seine leiche ist noch in der gewalt der hamas oder einer anderen terrororganisation in gaza. er war der enkel von der 85jährigen Yaffa Adar, einer Holocaustüberlebenden, die ebenfalls entführt, dann aber im november freigelassen wurde.
das gehört zu diesen dingen, dass einem die menschen und ihre geschichten, ihr (über-)leben, ihr tod, so vertraut werden.
an jedem tag steht jetzt ein anderer mensch in meinem mittelpunkt. immer wenn ich denke, dass das mit dem voluntieren eher so mittel lief/läuft, dann versuche ich mir gleich anschließend einzureden, dass mein hiersein vielleicht einfach anderen sinn macht: anderen raum zu geben, zu sprechen. mein impuls, eine zusammenfassung über all die gespräche mit : “das schlimmste ist…” einzuleiten. aber a) weiß ich gar nicht, was das schlimmste ist und b) ist es sowieso kein wettbewerb. und vielleicht ist das schlimmste, dass alles so schlimm ist, jede erfahrung, jeder gedanke, jeder verlust, jede angst, jede unsicherheit. ich habe noch nie das aufeinandertreffen von so viel schmerz erlebt. menschen sind weg, sicherheiten sind weg, glaubenssätze sind weg, selbstgewissheiten sind weg, planungen sind weg, hoffnungen sind weg, elementare vorstellungen einer persönlichen, gesellschaftlichen, politischen zukunft sind weg. sehr viele meiner freund:innen hier sind links und einige haben sich seit jahren in unterschiedlichen projekten engagiert, für frieden, solidarität, bessere bedingungen, konkrete hilfestellungen für palästinenser:innen im westjordernland und in gaza. alles ist weg. nicht nur die konkrete arbeit, sondern auch das vertrauen in diese art der arbeit entgegen allen konkreten, gegensätzlichen erfahrungen und mit der hoffnung, dass es etwas hilft und dazu führt, dass es ein gemeinsames, respektivolles leben neben- und miteinander geben kann. gestern sagte jemand zu mir, dass sie irgendwann wieder mit diesen initiativen anfangen müssten und ich konnte nur denken, dass doch eigentlich “die andere seite” damit beginnen müsste, vertrauen zu ermöglichen und wieder herzustellen.
am montag hat der supreme court das kernelement der justizreform von nethanjahus regierung gekippt: dem obersten gericht sollte die möglichkeit genommen werden, gegen ‘unangemessene’ entscheidungen der regierung, des premierministers und/oder einzelner minister vorzugehen; man kann sagen, dass damit also quasi die unabhängigkeit der justiz mindestens angegriffen, und eigentlich sogar abgeschafft werden sollte. bis zum 7. oktober waren über monate unter anderem jeden samstag hunderttausende auf die straßen gegangen, (vor allem) auch um diese ‘reform’ der regierung zu verhindern. dass sie jetzt also zumindest vorerst unterbunden wurde, hat bei niemandem, mit dem:der ich darüber sprach, etwas positives oder überhaupt etwas ausgelöst. alles fällt nur noch in ein schwarzes loch.
heute sagte jemand zu mir, sie wisse nicht einmal mehr, wohin sie mit den kindern fahren könnte, ohne angst zu haben, dass sie angegriffenn werden und dass nachdem sie sowieso schon seit jahren und selbst in der bayrischen kleinstadt, in der ihre eltern leben, nicht hebräisch sprechen.
die tage sind voll von diesen geschichten und zwischendurch oder gleichzeitig von den bildern der entführten und ermordeten.
ich sage immer, dass das schönste hier das licht und das essen sind, und dass man so gut und so lange in cafes arbeiten kann, wie man eben möchte, aber vielleicht ist es doch, dass und wie man hier einige ‘feiertage’ fast ignorieren kann. weihnachten zum beispiel und silvester. dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es hier ein feuerwerk gibt, habe ich mittags am telefon zu di. gesagt. und als es dann um mitternacht wirklich laut draussen war, war ich kurz irritiert, bis ich auf dem telefon die rund 70 anzeigen für raketenalarm sah. keiner betraf das zentrum von tel aviv, gruselig war es trotzdem und ich bin nochmal aus dem bett, in dem ich schon lag, aufgestanden, um etwas anzuziehen, für den fall der fälle, schnell ins treppenhaus zu müssen. danach konnte ich lange nicht einschlafen, aber dies reiht sich letztlich nur ein in meine schlafstörungen, die ich seit meinem umzug nach tel aviv habe.
nochmal nach naharija gefahren, um lila zu treffen. eigentlich gibt es nie etwas besseres, um meine gedanken zu ordnen und mich verbunden zu fühlen, um zu wissen, dass ich nicht so allein bin, wie ich oft denke und die eine oder andere wut bestätigen zu lassen. so war es auch heute. aber jetzt bin ich wieder in meiner wohnung und würde gern, dass jemand kommt, und mich umarmt. die sequenzen und anlässe, an denen ich mir eine beziehung wünsche, verdichten sich. auch so eine sache, die mich deprimiert.
als wir im cafe mit unseren sehr guten portionen shakshuka saßen und darüber sprachen, dass ich gerade nicht weiß, was ich tun soll und will und wovon perspektivisch leben, auch, weil ich das gefühl nicht loswerde, dass es irgendwie nicht mehr weiter geht mit dem, was ich mir so vorgestellt habe, dachte ich plötzlich, dass es vielleicht auch unmöglich ist, in so situationen perspektiven zu entwickeln, weil alles, was ich denken kann, ist: ja, aber wozu?
das alte tagebuch-schreiben-problem: sobald ein paar tage vergangen sind und sich normalität wirklich hergestellt hat, die dinge weniger auffallen, höre ich auf zu schreiben. als ich im juni mein arbeits- buch- und wohnzimmer umgeräumt habe, fand ich vermutlich 15, alles sehr schöne notizbücher, in denen ich unterschiedlich lang phasen meines lebens dokumentiert habe. besonders viele bücher gibt es zu anfängen hier in tel aviv; eine ganz eigene gattung in der sammlung sozusagen.
darüber nachgedacht, ob ich vielleicht gerade auch weniger nachdenke. zum einen will ich bestimmte dinge nicht an mich heranlassen. besonders nicht den tod von carolyn. ich habe angst, dass die traurigkeit darüber meinen körper überrollt, in einer zeit und an einem ort, der so viel kraft und aufmerksamkeit von mir erfordert. immer noch habe ich das gefühl, dass es hier weniger um meine empfingungen geht als darum, einen raum für andere bereitzustellen; für die, die am 7. oktober im land waren, deren politisches, moralisches und emptionales system gecrasht ist, für die, deren kinder, enkel, freund:innen, verwandte in der idf sind, für die, die menschen verloren haben und verlieren, für die angst vor dem, was kommt und was droht, für die unsicherheiten, den schmerz, die traurigkeit. zum anderen weiß ich aber auch sonst nicht wohin mit meinen dingen und gedanken. die situation in deutschland ist so weit weg und so wenig zugänglich, die realität von allen erscheint mir so nett und entspannt, und ich weiß nicht, wie ich mir in all dem zugang und gehör verschaffen kann, und ob ich das überhaupt sollte. ich merke, wie wütend ich oft werde, wenn ich etwas von dem alltag in deutschland mitbekomme. und wie fremd es mir ist. vielleicht sind “die feiertage”, in denen es sich alle mal “schön” und “gemütlich” machen, aber auch keine gute zeit für realität. damit meine ich nicht nur, aber auch, den verharmlosenden quatsch oder den antisemitischen dreck, den leute so äußern: gerade ist es mir zum ersten mal auf instgram passiert, dass jemand auf einen post reagiert, um einer überlebenden des hamas-massakers und der geiselhaft, mia shem, das recht abzusprechen, ihre geschichte zu erzählen und ihre schlüsse daraus zu ziehen; mit der begründung, dass andere das objektiver können und weil ihre sicht nur dazu diene, ‘die’ palästinenser pauschal zu entmenschlichen und den ‘rechten’, sprich nethanjahu, den krieg in der israelischen gesellschaft zu rechtfertigen. selbstredend ist alles nur gut gemeint, damit sich die öffentliche meinung über israel nicht weiter zu ungunsten wandelt. was soll man darauf sagen?
die new york times hat einen artikel zur gewalt und brutalität, den vergewaltigungen, misshandlungen und dem morden der hamas und anderer palästinensischer angreifer vom 7. oktober veröffentlicht; einen text, den man nur in abschnitten lesen kann und der dabei in seinen darstellungen trotzdem noch nur ein ausschnitt ist. und mia shem hat wie gesagt ein interview gegeben, in dem sie nicht nur die gewalt gegen ihre person andeutet, die situationen, in denen sie sich befand, sondern unter anderem auch darüber spricht, dass sie im haus eines der terroristen gefangen war, in dem auch seine frau und die kinder lebten. ich frage mich, neben der notwendigkeit, die taten der hamas und anderer zu dokumentieren und zu veröffentlichen, welche rolle es für darstellungen und erzählungen spielt, dass die erfahrung der betroffenen frauen und ihrer familien ist, dass ihnen eine unterstützung von feministischen gruppen und organisationen versagt bleibt, dass #metoo und die damit verbundenen grundsätze und standards, die sowieso immer noch fragil genug geblieben sind, für isrealische/jüdische frauen überhaupt nicht gelten sollen.
29. dezember: kaffee und frühstück bei ne. im kibbutz, rückfahrt nach tlv, shabbat dinner bei l. und ihrer familie.
30. dezember: langer spaziergang durch die stadt und am meer, wenig gutes jachnun, abends demonstration für die geiseln
ich schlafe wahnsinnig schlecht und meine tage sind auch geprägt von lähmender müdigkeit.
mit l. im allenby 75 getroffen, über den krieg gesprochen, die toten soldaten, die situation der geiseln, ihre söhne, die nicht zur armee gehen, aber die sorgen um all ihre freund:innen, über das versagen der regierung und die frage, was eine berichterstattung in kriegszeiten leisten muss, über geschichten aus der vergangenheit und über die müdigkeiten der gegenwart.
beschlossen, im februar zurückzukommen und flug gebucht.
zu ed. gefahren und mit ihr am antrag gearbeitet. irritierend schönes wetter, frühlingshaft.
der kibbutz nir oz gibt bekannt, dass seine bewohnerin Judy Weinstein Hagai nicht unter den noch lebenden geiseln ist, sondern bereits am 7. oktober von der hamas ermordet worden war. schon vergangene woche war dies auch über ihren 72jährigen ehemann Gadi Hagai veröffentlicht worden. hamas hat beide leichen in ihrer gewalt.
die zahl der gefallenen soldaten liegt nun bei 167. hezbollah intensiviert seine angriffe und es gibt sehr viel alarm im norden, der nun manchmal schon ortschaften bis weit im land betrifft.
und wenigstens etwas erfreuliches: der high court erlaubt adoptionen für gleichgeschlechtliche paare.
viel an die wand starren, drei sätze schreiben, selbstmitleid.
abends langer spaziergang mit yo., kein eis, stimmung trotzdem leicht besser. ihm vor dem einschlafen noch geschrieben , wie schön es ist, mit ihm in der gleichen stadt zu wohnen.
alltagsdinge am vormittag: sehr viel wäsche waschen, erinnerung an eine nicht gezahlte rechnung schreiben, ein bisschen aufräumen.
besuch des art museums in ramat gan. peinlicherweise zum ersten mal und ohne bestimmten grund, außer dem, dass ich noch nie da war. einerseits sehr gewöhnliche ausstellung zu place und body in der israelischen kunst. aber dann erwische ich mich, dass ich gerührt von dem umstand bin, dass mir so vieles so vertraut ist. nicht, weil ich die künstler:innen kenne oder sachen schon mal gesehen habe, sondern irgendwie weil etwas in den bildern ist, dass sich mit bildern in meinem kopf verbindet. vielleicht. keine ahnung eigentlich. jedenfalls: sehr schönes gebäude, in den 1930er jahren eingeschossig als fabrik für bodenfliesen errichtet, aufregende form als langgestreckter riegel über einem dreieckigen grundriss. 1987 als museum eröffnet und 2021 erweitert – in der länge und in der höhe – von efrat kowalsky architects. im inneren hat mich die nicht immer klare unterscheidung zwischen ausstellungs- und mitarbeiter:innenbereichen etwas gestresst, aber allein die treppe war den besuch wert.
anschließend im sonnenuntergang zum expo-gelände gefahren und die 06:29 -ausstellung gesehen, die in einer der hallen (teile des) nova-festival areals zeigt – die hauptbar, zwei bühnen, einen ausschnitt des zeltlagers und seiner angrenzenden bereiche zur entspannung, zum verkauf von second-hand-sachen und essen, toilettenhäuser, wiederkehrende aufforderungen, müll zu trennen. ich habe mich nach einer weile vor allem auch daran erinnert, wie es ist, auf solchen events zu sein (offensichtlich habe sich die beigaben zur gestaltung eines solchen temporären raumes im wald nicht geändert). jetzt denke ich, wie strange es ist, dass ich dieses gefühl innerhalb der installation weit entfernt vom tatsächlichen ereignisort hatte und nicht auf dem gelände selbst.
joan didion hat in ihrem buch The Year of Magical Thinking geschrieben, dass erzählungen über verlust und katastrophen immer damit beginnen, dass man erst einmal sagt, wie normal kurz zuvor alles noch war, wie gewöhnlich, alltäglich, selbstverständlich, friedlich. ich denke, einer der aspekte, worauf die ausstellung abzielt, ist genau die herstellung dieses moments von normalität, gewöhnlichkeit (im ungewöhnlichen der party natürlich), alltäglichkeit, selbstverständlichkeit, friedlichkeit. und das war ein zweiter gedanke, der sich durch meine zeit in der ausstellung zog: das schmerzhafte bewusstsein, was für ein hippie-event das war.
der ‘nachbau’ des ortes ist dann zum einen verknüpft mit bildern der ermordeten: große videopanele zeigen tanzende menschen und die (letzten) whatsapp-kommunikationen der opfer und zum zweiten verbunden mit zeugnissen der verbrechen: verbrannte autos, zurückgebliebene kleidung, schuhe, schmuck, sonnenbrillen… die musik überlagert die gespräche. wenn man die augen schließen würde, könnte man sich vermutlich problemlos in eine party imaginieren. es riecht wahnsinnig penetrant nach räucherstäbchen. überall lassen sich kleine karten finden mit nachrichten, kerzen, kleine erinnerungsgegenstände von besucher:innen finden. eine frau macht (?) ein mandala vor einer der wände für die entführten, es gibt gedenkbereiche für die ermordeten polizist:innen und andere menschen, die versuchten, zur hilfe zu kommen.
vor dem einlass wird man gebeten, eine spende zu zahlen. das geld soll unter anderem zu den überlebenden und dem, was sie brauchen, gehen. sehr junge frauen arbeiten an der kasse. sie freuen sich, dass ich vorbeikomme – unnötigerweise, die ausstellung wird so gut besucht, dass sie verlängert ist – und unterhalten sich länger mit mir, weil ich aus berlin bin. eine von ihnen spricht ein bisschen deutsch und erzählt mir, dass sie auch in berlin wohnt und am 2. oktober nur für einen kurzen besuch und für das festival kam und jetzt nicht mehr weiß, wie sie nach deutschland zurück soll.
ich brauche ziemlich lange, bis ich wieder gehen kann.
abends bei den nachrichten habe ich das gefühl, dass die situation sich verschärft. ich kann gar nicht genau sagen, warum ich das denke. vielleicht weil mehr gefahren in den unterschiedlichen szenarien besprochen werden? weil ausgesprochen wird, dass es sieben akute bedrohungen/auseinandersetzungen gibt und diese dann konket zugeordnet werden (gaza, libanon, syrien, iran, irak (?), westjordanland und yemen (huthi))? weil es weniger um konkrete ereignisse geht, als um eine sich abzeichnende und verschärfende entwicklung? weil es offensichtlich mehr angriffe von hizbollah gibt? und es plötzlich mehr um die situationen im norden und die bedrohungen geht? und/oder weil daniel hagari auf englisch spricht, etwas, das er immer macht, wenn er sicherstellen will, dass etwas wirklich bei journalist:innen ankommt? plötzlich halte ich es denn doch für eine gute idee, mich bei dieser krisenliste des auswärtigen amtes zu registrieren.
und dann lese ich auf facebook, dass carolyn gestorben ist.
ich weigere mich von berufs- und verstandswegen, etwas zu sagen wie, dass ein ort ‘traumatisiert’ ist oder dass man die an ihm begangenen verbrechen ‘spüren’ kann, ich weiß, um das ‘gepäck’ (ruth klüger), das man mitbringen muss, um orte zu sehen und in ihrer geschichte zu verstehen, ich weiß, wie orte erinnerungen bewahren und ich weiß, wie erinnerungen in ihnen eingelagert; wie orte hergestellt werden, ich weiß, wie wichtig orte für die erinnerung, für ein erinnern und für das erzählen einer geschichte sind. ich habe jahre meines lebens damit verbracht, darüber nachzudenken, zu schreiben und zu sprechen. und seit dem nachmittag denke (trotzdem), dass ich einen so fragilen, zerbrechlichen, empfindlichen, instabilen, zarten ort besucht habe, einen ort, der so gebrochen ist, dass es sich unter meiner haut eingenistet hat und dass er mich mit einer kraft überrollt hat, die das gegenteil seiner fragilität ist. ich weiß wie es (nicht in einem guten sinn) ist allein zu sein und wusste bisher nicht, dass es einen ort gibt, der mich so einsam macht, dass ich mir für mehr als einen moment nicht vorstellen kann, diese/eine distanz zu anderen menschenauch selbst im einzelfall je wieder zu überwinden. ich denke, dass die luft anders war, die geräusche nur gedämpft, die menschen sich lautlos bewegten und lautlos sprachen, die an- und abfahrenden autos garantiert über dem boden schwebten. wirklich laut nur die angriffe der idf auf gaza waren, die eine kulisse im hintergrund bildeten.
davor waren wir avocados ernten auf einem feld bei yesha, so nahe an gaza, dass wir von einem größeren weg zwischen den plantagen bis nach khan yunes sehen können. mir fehlt das militärische wissen, um zu beschreiben, was wir alles an armee-geräuschen hören, aber es ist viel und häufig und nach einer weile hört man die unterschiede.
auf dem rückweg halten wir nicht nur auf dem gelände des supernova festivals bei reʿim an, sondern wir fahren vorbei an kibbuz beʾeri und nir oz und an dem platz, an dem all die autos der (ermordeten) festivalbesucher:innen aufbewahrt werden.
die frau, die uns zu der ernte mitgenommen hat, erzählt mir in einer pause, dass sie vor einigen jahren mal bei einer friedensdemo an der grenze zu gaza war und dass sie drachen steigen ließen für avera mengistu, der seit september 2014 in der gewalt von hamas ist und für oron shaul und hadar goldin, zwei getötete israelische soldaten, deren leichen die terrororganisation nach wie vor nicht an die familien übergeben will. auf der anderen seite seien nur hass gewesen, rauch, menschen mit molotowcocktails, die ihre kinder vorschickten, steine zu werfen. trotzdem habe sie erst jetzt mit dem angriff vom 7. oktober verstanden, dass eine zwei-staaten-lösung nicht möglich ist, weil es zu vielen auf der anderen seite nur darum geht, juden zu töten und dass isreal verschwindet. ich habe ehrlich gesagt noch nie verstanden, auf welcher realität diese idee der zwei-staaten-lösung in der gegenwart eigentlich beruht und hatte immer den verdacht, dass sie sehr viel mit realitätsverweigerung und wunschdenken zu tun hat, damit, dass menschen gern eine lösung vorweisen wollen, egal wie idiotisch sie ist. beim rumgoogeln für diese kleinen text bin ich auf ein “statemant” der heinrich-boell-stiftung vom 15. november 2023 gestoßen, dessen überschrift lautet “Die Zwei-Staaten-Lösung darf nicht aus dem Blick geraten”. was für ein geschwätz, denke ich, was für ein geschwätz. die gleiche heinrich-boell-stiftung gab vor einer woche im übrigen masha gessen nocheinmal raum und öffentlichkeit, ihre gleichsetzung von gaza mit den gettos, welche die deutschen ab 1939 für die juden:jüdinnen in osteuropa einrichteten, zu wiederholen.
es hat nur seit dem beginn meiner ankunft in der stadt gebraucht, endlich eine möglichkeit zu bekommen, bei #bringthemhome zu volontieren und tapfer morgens aufzustehen, um festzustellen, dass aufgrund regen und unwetter überhaupt nichts passiert und ich wieder nach hause gehen kann. sehr schlechte laune und sehr viele innere debatten, mich nicht total überflüssig zu fühlen. zur belohnung in einem cafe gearbeitet, das nicht zu meinen liebsten gehört.
irritierend viel energie, an meinen neuen forschungsantrag zu schreiben. vielleicht sogar ein bisschen aufgeregt deshalb, besonders nachdem ich mit ed. länger darüber gesprochen habe und sie begeistert eingestiegen ist. einen überblick zur zeit seit 1990 zusammengestellt und wieder festgestellt, wie viele konzepte und vorgehensweisen es neben dem offensichtlichen gibt.
abends wieder ballett, dieses mal “Kamea Dance Company -Wild Awake” und mit yo. und om. die ich nun offensichtlich für dieses ganze israeli dance -thema begeistert habe. anschließend wein für mich und tee für sie und gespräche zu raketen und demonstrationen und geiseln.
lange keine zigarette geraucht.
bevor ich hierher geflogen bin, dachte ich, es würde so emotional anstrengend für mich sein, wie es im sommer 2014 war und war ein bisschen nervös deshalb, auch weil ich angst hatte, ich würde mich mit allem zu allein fühlen und zu überladen. aber so ist es jetzt gar nicht. nicht nur, dass ich mich verbunden sehe und einfach so wieder mein leben hier habe und einen erschreckend banalen alltag, es fehlen auch all die zweifel in meinem kopf, die ich im frühjahr hatte bzw. schon vorher, seitdem die geschichte mit a. endete und ich dachte, die stadt gehört so sehr ihm, dass ich keinen platz hier haben kann. heute hat er meine wahrnehmung und meine wege durch die stadt zum ersten mal wieder bestimmt, aber mehr als eine starke melancholie hat es bisher nicht (mehr) bedeutet,rede ich mir offensichtlich erfolgreich ein.