20250302, abends

die ermordeten geiseln Itzik Elgarat, Ohad Yahalomi, Shlomo Mantzur und Tsahi Idan sind nach israel gebracht und identifiziert worden. heute wurde Shlomo Mantzur beerdigt, morgen Itzik Elgarat. ich würde gern hinfahren, aber es ist so kompliziert ohne auto und allein. was nun passieren wird, ist weiter offen. es gab den vorschlag israels, die waffenruhe zu verlängern und dafür die hälfte der geiseln zurück zu bekommen, hamas hat es abgelehnt und israel daraufhin die hilfslieferungen gestoppt. wie schon vor der ersten phase des deals sind auch jetzt die nachrichten unübersichtlich, aber in der summe sieht es eher schlecht aus. niemand macht sich illusionen. ich war gestern nicht bei der kundgebung, aber in den nachrichten hieß es, dass die reden und die stimmung deutlich wütender waren. s. sagt, wir sollten einfach alle loslaufen, über die grenze und nach gaza. so viele, dass es nicht zu stoppen ist. und ich antworte ja, das sollten wir tun. weil was können wir noch tun. das flehen wird lauter, die verzweiflung wird lauter, die ohnmacht wird lauter. aber vielleicht wird das nicht reichen. 59 menschen sind noch in der gewalt der terroristen und ihrer unterstützer:innen. ich neige bekanntermanßen nun wirklich nicht dazu, gutes an deutschland zu finden, aber als vor ein paar tagen jemand schrieb, dass es im nationalsozialismus wenigstens einige wenige menschen gab, die juden:jüdinnen geholfen haben, zu überleben, sie versteckten, ihnen bei der flucht halfen etc., während es bis jetzt aus gaza keine einzige geschichte von unterstützung für die verschleppten gab, konnte ich innerlich nur nicken. stattdessen gibt es nur weitere geschichten von folter, hunger, gewalt und grausamkeit. hamas veröffentlichte gestern ein video. sie hatten gefilmt, wie Iair Horn sich von seinem bruder Eitan verabschieden muss, bevor er freigelassen wurde. beide weinen, sind verzweifelt, dann wütend. es ist so schwer, es anzusehen. Iair Horn hat sich so sehr verändert in gefangenschaft. ihm sieht man so sehr an, was ihm und allen anderen angetan wurde. er spricht viel öffentlich. Eli Sharabi hat ein langes interview gegeben und über freiheit gesprochen, über den hunger und über den abschied von Alon Ohel, den er allein in dem tunnel zurücklassen musste. wir wissen nicht viel über die ermordungen der geiseln, Oded Lifschitz sollen sie bereits kurz nach dem 7. oktober umgebracht haben, Itzik Elgarat soll verhungert sein. Sascha Trufanov hat eine botschaft für die kundgebungen am samstag aufgenommen. und immer wieder gibt es die guten bilder zu sehen, wie Omer Shem Tov aus dem krankenhaus und nach hause kommt, wie Omer Wenkert mit seinem vater im garten tanzt.

am freitag nach manot gefahren. auf dem weg in ron leshems feuer gelesen, das ich schon vor ein paar tagen begonnen habe, aber im zug bin ich in dem kapitel, in dem er einige zusammenfassungen zum 7. oktober schreibt, zugeordnet einzelnen ortschaft, natürlich nur ein auschnitt. trotzdem brache ich die gesamten zwei stunden, muss es immer wieder zumachen, auch weil ich denke, wie absurd es ist, darüber zu lesen, wenn ich eigentlich nur die menschen um mich fragen müsste und dabei mit sicherheit nicht nur beschreibungen zu hören bekäme, von menschen, die den tag in räumlicher distanz überlebten. ich weiß wieder nicht, ob es noch zu früh ist. das meine ich auch als urteil über die, die dazu schon schreiben konnten. dabei ist das buch nicht nur gut recherchiert, sondern auch erstaunlich frei von einschätzungen, die sich als falsch erweisen. auch wenn ich nicht alles teile. bei weitem nicht. aber vielleicht bin ich ein bisschen milder geworden, gegen linke einschätzungen und ganz sicher noch ängstlicher beim anblick vieler entwicklungen im land.

s. und y. holen mich ab, wir fahren nach Rosch haNikra, zum tor in den libanon und dann entlang der nördlichen grenze, zu einem aussichtpunkt, an dem es ein denkmal gibt für die gefallenen des zweiten libanonkrieges, das wie aus einer anderen zeit ist in seiner erzählung. wir unterhalten uns mit zwei jungen charidim, die extra aus jerusalem gekommen sind, um dort mal zu stehen. es gibt eine merkwürdige leere in allem, und eine verstörende nähe. wir haben ein fernglas und können so weit ins land sehen. aber mir wird schwindelig davon. wir essen in einer christlichen siedlung. wie immer, wenn man aus tel aviv raus kommt, sind die menschen viel freundlicher. es gibt erste schritte von normalität, familien, die in einem nationalpark picknicken. aber es ist so leise. in manot sieht man keine schäden mehr, die schäden an dem haus, das getroffen wurde, sind von außen nicht mehr zu sehen. die reste der hühnerfarm sind abgetragen. viele häuser sind noch leer. viele sind erst kurz vor dem 7. oktober gebaut und dann nie bezogen worden. es gibt viele neue shelter. und weil die regierung nichts unterstützt, nicht die evakuierten und nicht die reparaturen und nicht den schutz, sind es private initiativen, christliches engagment. manchmal haben shelter nun türen, aber s. sagt, das wäre immer ein risiko, weil wenn etwas passiert, kann man sie danach von außen nicht öffnen. ihr haus ist in einem schlechten zustand, weil es seit dem 7. oktober keine handwerker gibt, die kommen um etwas zu reparieren. ihr garten ist überwuchert, weil sie ihn seitdem nicht mehr betreten haben. es war zu gefährlich. worum es immer wieder geht, ist die nahe grenze, sie bestimmt unsere wege durch den moshav und unsere gespräche; von wo hizbollah in welches haus sehen konnte, von wo man wie am besten wohin kommt. die erste nacht schlafe ich fest und zum ersten mal sehr lange, die zweite nacht dann kaum. alle sind müde. wir sprechen auch über unsere eigenen geschichten, aber wir sprechen vor allem immer wieder über die geiseln und die ausweglosigkeiten. es ist ein shabbat, an dem keine geiseln freikommen. über allem liegt so viel schwere. und wir versichern uns immer wieder, wie schön es hier ist, wie schön es ja wirklich hier ist, und wie man auch bis nach haifa sehen kann und sogar bis zum meer. aber all das ist immer nur wie ein dünner schleier und wir kommen immer viel zu schnell wieder zurück. irgendwann sagt s., dass es sogar leichter war, als die raketen kamen, damit war man beschäftigt. nun gibt es nur diese ausweglosigkeit und diese angst um die geiseln. nun ist es so viel schwerer, weil wir so viel mehr von ihrer realität wissen. es ist so schwer, mich von ihr zu verabschieden und ich bekomme abends noch eine mail und will am liebsten sofort zurück. aber ich will am liebsten sowieso bei allen gleichzeitig sein. und vor allem will ich sogern trost geben können. aber den gibt es nicht. und auch keine hoffnung.

es ist schlimm und unvorstellbar, dass ich zurück nach deutschland muss. aber es ist noch schlimmer und noch unvorstellbarer, dass ich so lange nich wieder kommen werde.

heute endlich eine wohnung für die letzten zwei wochen angesehen, eine kleine, am rand von florentin. sie hat mir gefallen, aber ich glaube, ich bin der dort-wohnenden zu kompliziert mit meinen zu organisierenden wünschen. finde kaum angebote und ich weiß, ich denke immer, ich finde kaum angebote für das was ich jeweils brauche. aber diesmal ist es wirklich so bzw. wäre es definitiv leichter, wenn ich mindestens zwei monate brauchen würde. die noch in aussicht stehenden tage erscheinen mir merkwürdig kurz. vielleicht, weil noch so viel zu tun, zu reden, zu besuchen ist, weil ich das gefühl habe, mit vielem noch gar nicht angefangen zu haben, mit dem in ausstellungen gehen zum beispiel oder mit dem nach jerusalem fahren. ich will gern noch einmal in den süden. aber vielleicht mache ich das erst wieder am vorletzten tag. vielleicht ist es besser, im stand der dinge die dinge zu sehen. ich fürchte, ich kann hier niemandem mehr genügen. alles hat sich intensiviert, aber ich habe angst, dem, was ich angefangen habe, nicht gerecht zu sein.

humus gegessen, ans meer gegangen, steuererklärung (ohne ambitionen und damit auch ohne tatsächliche aussicht auf rückzahlung) beendet. ich glaube, der winter ist hier jetzt vorbei.