
ich weiß nicht, wie viele menschen mir gegenüber besonders in deutschland immer wieder sagen wollten oder dachten, sagen zu müssen, dass Shiri, Ariel und Kfir Bibas doch sowieso tot sein. und ich habe sie immer unterbrochen, immer gesagt, dass ich das nicht hören will und dass ich finde, das man das nicht sagen darf, bis man es mit sicherheit weiß. ich, man, wir, werauchimmer wollten es nicht wissen. es überstieg irgendwas. ich weiß nicht, warum ich, man, wir, werauchimmer all dem nicht ins auge sehen konnten. warum immer diese irrationale hoffnung blieb, dass es vielleicht doch gut gehen wird. ich, man, wir, werauchimmer haben vielleicht ein bisschen diese möglichkeit gebraucht. die anerkennung von so viel realität, so viel grauen und so viel entsetzen, so vielen ereignissen, abläufen, verlusten, schmerzen. und das wollte ich, man, wir, werauchimmer einfach nicht auch noch wahrhaben müssen. jmd. sagte gestern zu mir, sie habe einfach immer ein bisschen gehofft, dass irgendein hamasführer sie als schutzschild bei sich hatte, vielleicht mit nach ägypten geschmuggelt. gerade auf der weg zurück vom hostage square hat mich der sprecher in einem podcast daran erinnert, dass Shiri, Ariel und Kfir Bibas gar nicht von hamas entführt worden waren, sondern von bewaffneten ‘zivilisten’, die den terroristen einfach gefolgt waren am 7. oktober und sich dann am morden, vergewaltigen und entführen beteiligten. und dann erinnerte ich mich wieder an den ausschnitt des videos ihrer entführung, diese kurze sequenz, in der man männer sieht, die um die drei herumstanden und die alltagsklamotten trugen, hellblaue hemden.
ich sage und schreibe und denke das ja immer wieder, dass es einfach so viele menschen und geschichten und namen und umstände und abläufe und beziehungen sind und aber heute habe ich mich dann noch einmal mehr erschrocken erschrocken, dass es so viele menschen und geschichten und namen und umstände und abläufe und beziehungen gibt, die mir irgenwann wieder einfallen, weil ich sie irgendwie wieder vergessen hatte und ganz viele andere, die ich noch nie wusste. heute sagte jmd. zu mir, dass jetzt, mit dem fast-ende der ersten phase, nochmal andere geiseln und ihre geschichten eine neue vordergründige präsenz bekommen. und das habe ich dann vor ein paar stunden auf der kundgebung auch gemerkt; wie andere menschen plötzlich mehr in meinen fokus kommen, weil zehn andere menschen seit donnerstag und heute weniger aufmerksamkeit brauchen.
ich weiß nicht, ob es stimmt oder ob ich es mir nur einbilde oder ob ich in den letzten 36 stunden nicht an lauten orten vorbeigekommen bin, aber die stadt scheint mir stiller. irgendwas ist noch kaputter als es sowieso schon war. ich habe am donnerstag eine freundin getroffen, die testemony ausstellung angesehen (die mir noch mal eine ganz andere art von rest gegeben hat) und abends eine ausstellungseröffnung besucht und alles ging nur, weil man sich und dem jeweiligen gegenüber die ganze zeit immer wieder sagte, dass man einfach auch nicht weiß, was man sonst machen soll, und dass es besser ist, nicht alleine zu sein. aber alles war durchzogen von bleierner schwere und irgendwas neues macht das noch mit meinem körper. und ich weiß nicht, ob es das licht ist, wegen winter, aber auch die stadt in ihren farben und fassaden wirkt seltsam abwesend. donnerstag abend explodierten dann noch busse in bat yam und holon (oder wurde da nur sprengstoff gefunden?). davon ausgegangen wird, dass sie eigentlich zwölf stunden später in die luft gehen sollten, im berufsverkehr. offenbar haben die terroristen das am / pm prinzip nicht verstanden. ich lese später irgendwo, dass nur in israel busse explodieren und das nicht das schlimmste ist, was an dem tag passiert ist.
ja. sagte in den letzten wochen mehrmals zu mir, dass sie denke, hamas werde die särge ohne viel aufsehen übergeben und ich antwortete mehrmals zu ihr, dass ich denke, hamas werde auch daraus ein spektakel machen und das ganze als eine geschichte in israels verantwortung erzählen. leider hatte ich recht. donnerstag morgen. ich weigere mich, die produzierten bilder nachzuerzählen. die idf musste die särge dann nach sprengstoff untersuchen und aufbrechen, weil hamas nicht die richtigen schlüssel übergeben hatten. in den särgen gab es propagandamaterial. die familie Bibas bat nun darum, die ergebnisse der untersuchungen abzuwarten. und dann wurde veröffentlicht, dass oded lifschitz ermordet wurde, dass kfir und ariel bibas ermordet wurden, nicht erschossen, sondern mit blossen händen, und dass die frau in dem vierten sarg nicht Shiri Bibas ist, sondern eine unbekannte, palästinensische frau. hamas übergab Shiri Bibas dann in der nacht zu heute, ihre identität ist nun ebenso bestätigt, wie die tatsache, dass auch sie ermordet wurde.
realität. jetzt gibt es kein entweichen mehr. wir haben uns alle sehr viele nachrichten geschrieben, obwohl wir nichts zu sagen wussten. vielleicht teilen wir nun alle noch einmal eine andere sprachlosigkeit. vielleicht haben entsetzen und/oder zerbrechen auch einfach keine worte.
als erstes wurden heute vormittag Tal Shoham und Avera Mengistu freigelassen. Tal Shoham wurde am 7. oktober aus dem Kibbutz Be’eri entführt, ebenso seine frau Adi, ihre tochter Yahel, damals 3 und ihr sohn Naveh, damals 8, seine schwiegermutter Shoshan Haran, die tante seiner frau Sharon Avigdori sowie deren tochter Noam, damals 12. sie waren am 25. november 2023 freigelassen worden. Avera Mengistu war als 28-jähriger im september 2014 über den strand von zikim nach gaza gelaufen und anschließend von hamas (und vermutlich anderen) gefangen gehalten worden. seine familie hatte erst anfang 2023 durch ein von hamas veröffentlichtes video ein zeichen bekommen, dass er noch leben könnte. insgesamt verbrachte er 3.821 tage in der gewalt der terroristen. rund drei stunden später ließ hamas Omer Shem-Tov, Omer Wenkert und Eliya Cohen. alle drei hatten das nova-festival besucht. Eliya Cohen wurde angeschossen und erhielt anschließend keine angemessene medizinische versorgung. erst heute erfuhr er, dass seine verlobte Ziv Abud, die gemeinsam mit ihm in einem shelter schutz gesucht hatte, überlebt hat. Omer Shem-Tov war die meiste zeit seiner gefangenschaft allein. Tal Shoham, Omer Shem-Tov, Omer Wenkert und Eliya Cohen berichten von folter, körperlicher gewalt, psychischen qualen und extremem hunger. omer wenkert hat 30 kg verloren. als er, Omer Shem-Tov und Eliya Cohen die bühne betraten, hatte die sprecherin der übertragung für einen moment schwierigkeiten, die drei jeweils ihren namen zuzuordnen, so sehr haben sie sich verändert, und vielleicht auch: so ähnlich wirkten sie in der folge der erlittenen grausamkeiten. auch Avera Mengistu ist in sehr schlechtem zustand, kommuniziert nahezu nicht. einige stunden später ließ hamas dann Hisham al-Sayed frei, ohne ‘zeremonie’. er ist israelischer beduine aus dem dorf hura im negev, und lief im april 2015 in der nähe des grenzübergangs erez allein in den gazastreifen; etwas, das er zuvor bereits mehrmals getan hatte. hamas hielt ihn für fast 3.600 tage fest. die terrororganisation hatte 2022 ein video mit ihm veröffentlicht, das ihn liegend und mit einer sauerstoffmaske zeigte. sein vater sagte heute den medien, dass sein sohn emotional und kognitiv zerstört, und dass sein geistiger zustand schlecht sei, er nicht kommuniziere und aussieht, als wäre er zehn jahre in einem folterlager gewesen.
ich habe mir alles im bett liegend angesehen. es war zu schwer, das haus zu verlassen. erst zur kundgebung bin ich gegangen. es waren die letzten sechs geiseln, die lebend in der ersten phase freigelassen wurden. am kommen samstag werden noch einmal vier ermordete geiseln übergeben. wir wissen schon wer es sein wird, aber noch spricht niemand darüber. vielleicht, weil man das alles nur in sehr kleinen schritten gehen kann. 64 menschen sind nun noch in der gewalt der palästinenser. ob es eine zweite phase geben wird, ist immer noch unklar. aber heute haben viele redner:innen bei der kundgebung geweint.
vor einigen stunden veröffentlichte hamas noch ein video, auf dem zu sehen ist, dass Eviatar David und Guy Gilboa-Dalal in einem auto nahe der bühne sitzend der freilassung von Omer Shem-Tov, Omer Wenkert und Eliya Cohen zusehen mussten. beide waren ebenfalls vom nova-gelände entführt worden, es ist das erste lebenszeichen, das es von Eviatar David gibt. für Guy Gilboa-Dalal war es das erste festival gewesen, dass er in seinem leben besucht hatte. seine angehörigen hatten im juni 2024 ein lebenszeichen erhalten.