Kategorie: Uncategorized

20240319, in einem Hotel mit Blick auf den Dizengoffplatz (theoretisch)

nachts krasses unwetter, morgens festgestellt, dass wasser durch die decke im wohnzimmer kommt. viel wasser. wenigstens hat sich faulheit mal ausgezahlt: gestern nacht den rechner nicht mehr auf den tisch gestellt, auf dem ich ihn die anderen tage gelassen hatte. viele meiner nerven verloren, geweint, mich verlassen und überfordert gefühlt, umso mehr, als meine vermieter:in und der landlord einfach so getan haben, als wäre das normal und ich müsste jetzt trotzdem da wohnen bleiben und ed. mir hilfe versagte, mit der begründung, dass ich schon eine lösung finden werde.

es ist keine gute zeit und ich habe offenbar meine gefühl für gute entscheidungen verloren. es ist nicht das erste mal, dass ich in schlechten wohnungen wohne, aber immer fand sich schließlich etwas gutes und die schlechte wohnung wurde zu einer erinnerung daran, dass eben nicht immer alles gut läuft. aber dieses mal geht es irgendwie einfach immer schlecht weiter. und ich bin sehr müde. und verloren. überhaupt ist alles schwer gerade und ich vermute, es fühlt sich einfach auch deshalb noch schwerer an, weil die situation insgesamt schon schwer ist und ich empflindlich bin und ohne viel kraft, dinge auszuhalten. ich könnte etwas gutes brauchen, mehr als den netten taxifahrer, der mich in ein hotel brachte und ‘motek’ nannte und auch mehr als den langen spaziergang am meer. irgendetwas, für das ich nichts getan habe, das einfach so passiert.

zwei nächte in einem hotel gebucht, aus den notfall-reserven, die ich angelegt hatte, also ich noch einen vernüftigen job hatte und wenigstens diese dinge klarer und verlässlicher waren.

vor zwei tagen wurde bekannt gegeben, dass der idf-offizier Daniel Perez am 7. oktober getötet worden war und seine leiche nach von hamas nach gaza verschleppt wurde.

20240317, in dem cafe das jetzt eine bar ist, weil abend ist

als ich am frühen nachmittag in savidor ankomme und die toilette benutzen will, wartet davor eine sehr kleine alte frau und sagt etwas auf hebräisch und ich antworte, dass ich kein hebräisch spreche und sie versucht französisch und englisch und dann deutsch und fragt, ob ich neu im land bin und ich sage ja und sie betritt die kabine und dreht sich um, um mir eine einfache ankunft zu wünschen und uns allen, dass hamas bald besiegt ist. am hostage square ist die tafel ausgefallen, die die zeit anzeigt, seit dem 7.oktober, 6:30. es gibt nur noch einen kleinen stand mit utensilien, aber das angebot hat sich deutlich erweitert: neben t-shirts und hoodies gibt es jetzt noch basecaps und beutel, armbänder und anstecknadeln. ich habe die sachen, die ich im januar nach deutschland mitgebracht hatte, meiner schwester geschenkt, weil ich denken wollte, dass wenn ich zurückkomme, die geiseln frei sind und ich keinen bring-them-home-pullover mehr brauche. heute entschieden, dass ich mir erst wieder etwas kaufe, kurz vor dem abflug. mehr hoffnung kann ich nicht. auf dem platz sind deutlich mehr installationen, kleinere und große und mehr plätze, an denen sich menschen versammeln können. die menschen vom nova haben nun auch ein zelt. ich bleibe in der bibliothek und quäle mich mit einem artikel, der zu überarbeiten ist. die kommentare der herausgeber:innen lassen mich an mir selbst zweifeln und ich denke, so muss sich carrie mathison ohne medikamente gefühlt haben, als niemand ihren in netzen ausgebreiteten gedanken folgen konnte. zu den schönen dingen gehört, dass man in der bibliothek bleiben kann, auch wenn die offizielen öffnungszeiten zu ende sind. bis zehn glaube ich. es hat eine eigene stimmung. eine eigene einsamkeit. als ich wieder auf den hostage square komme, sind immer noch viele menschen da, auch eine reisegruppe. jemand spielt klavier. dann jemand anderes. immer traurig. ich laufe über den rothschild in die bar und fühle mich verlassen. überall gibt es neue plakate. an den bäumen sind gelbe gestrickte oder gehäkelte bänder angebracht. ich würde gern, dass jemand jetzt kommt, und mich umarmt oder auf mich wartet irgendwo, um mich zu umarmen. das habe ich nicht oft. vor allem wenn ich bücher zuende schreibe und mir jemanden wünsche, der mir etwas zu essen macht. aber jetzt kann ich nichts anderes empfinden. plötzlich und seit dem ist es mir wichtig, dass mich jemand wirklich mag. und aufmerksamkeit nur für mich hat. ich weiß nicht, warum es mir nicht gelingt, diese art von beziehungen herzustellen. ich hadere seit tagen damit, also mit mir.

20240316, mittags, immer noch in givat ada

gestern in akko gewesen, ed. geburtstag vor-feiern. mit ihrer familie. für jemanden, die aus sehr dysfunktionalen verhältnissen kommt, sind solche momente immer (noch) irritierend und rührend. dass menschen, die sich gezwungenermaßen kennen, wirklich mögen, gern zeit miteinander verbringen, nicht rumschreien, nicht dafür sorgen, dass sich jemand schlecht fühlt, niemanden klein machen und/oder beleidigen, sich mühe miteinander geben, sich gutes tun. whatever. dass ich mich nicht daran gewöhne, dass ich mich nicht mit meiner vergangenheit aussöhnen kann, obwohl meine gegenwart so viel besser ist, ich nicht nur mir meine eigenen wunschfamilien zusammengesammelt habe, sondern mit teilen meiner herkunftsfamilie ausgesprochen gute dinge habe seit langem.

bei uri buri gegessen. was phantastisch war. und dabei klischee natürlich. mindestens in unserem teil des restaurants gibt es kameras und ich frage mich, ob als vorsichtsmaßnahme und erst nach dem anschlag vom sommer 2021, bei dem arabische männer das restaurant niederbrannten. alles ist auch ein bisschen zu bemüht, zu betont, zu symbol. und vielleicht auch deshalb (besonders auch in deutschland) beliebt-berühmt und ich versuche, nicht zu streng zu sein, weil das essen so gut ist und weil auch ich vielleicht in dem wir bin, das etwas gutes, einfaches, eindeutiges gerade besonders braucht. wir dürfen uns die küche ansehen und die menschen, die hier arbeiten. es ist sehr still dabei, darauf legen alle wert; dass es ein gutes arbeiten ist und alle zusammen, egal der herkunft. während auffallend viele menschen hier arbeiten, bleibt das restaurant selbst weitgehend leer. obwohl freitag ist. an einem tisch in unserem raum sitzt ein vater mit seinem sohn, der soldat ist und die waffe auch beim essen nicht abnimmt. ansonsten sind die anderen tische über die stunden, die wir da sind, unbesetzt. auch die stadt selbst ist fast ohne menschen. ein paar aggressive autofahrer, zwei menschen sitzen auf bänken am strand. es fehlen nicht nur die tourist:innen, sondern auch die israelis, die einen ausflug machen. als wir draussen stehen, erzählt mir jemand von den problemen der stadt, dass es natürlich mit dem zusammenleben insgesamt nur so mittel laufe, umso weniger nach den arabischen ausschreitungen 2021. dass es eine stadt mit vielen wirtschaftlichen problemen ist, mit einigen mafiösen und gewalttätigen strukturen. aber der blick verknallt sich wie immer ein bisschen in die engen gassen und verwinkelten häuser und das licht. und das meer ist sehr blau und der himmel sehr klar und wir sehen die großen containerschiffe auf ihrem weg nach haifa. aber auch sie sind deutlich weniger, aber das fällt mir nur auf, weil ich vor einigen jahren schon mal an fast dieser stelle stand. und irgendwie verübelt mir die realität die ganze zeit sehr schnell jeden anblick.

die gps-betriebenen dienste funktionieren bis mindestens dem norden von haifa nicht. waze verortet uns in beirut. was besonders den anfang unserer rückfahrt ein bisschen chaotisch macht.

immer noch sehr viel sehr müde. viele allergische reaktionen und momente. oft erschöpft und definitiv zu ko aus nicht offensichtlichen gründen.

chronistinnen-pflicht: am donnerstag in pardes hana äthiopisch gegessen. über solche orte im verhältnis peripherie – hipsterzentrum nachgedacht.

hamas soll neue forderungen vorgelegt haben, aber keine bestätigte liste noch lebender geiseln. was die gespräche behindert. ich wünschte mir mehr druck auf hamas. von allen. ich weiß nicht, wie das im detail alles aussehen könnte, aber dass alle nur von der israelischen regierung etwas erwarten, erscheint mir schon von anbeginn irgendwie die situation total zu verkennen. aber vermutlich ist das einfach auch kalkül und gab es natürlich schon lange vor dem 7. oktober. nicaragua (what?) hat bereits anfang märz beim internationalen gerichtshof klage gegen deutschland eingereicht, wegen “begünstigung zum völkermord” im gazastreifen; konkret der streichung der finanziellen mittel für UNRWA und einer politischen, finanziellen und militärischen unterstützung für israel. am 8. und 9. april sollen anhörungen stattfinden. das ist alles so lächerlich, aber es ist irgendwie auch nur lächerlich, weil mein gehirn dieses schwachsinn kaum noch fassen kann und diese ganzen bedrohungen, dieser hass, dieser antisemitismus, dieser in ihm wohnende wille zur vernichtung israels mir angst machen. man denkt und schreibt an andere in den besuchs-einladungen nicht nur: “wenn der krieg vorbei ist”, sondern auch “und wenn israel dann noch existiert”.

20240314, nachmittags in givat ada

als ich gestern kurz nach meiner ankunft in givat ada in den supermarkt will, gibt es dort einen riesigen streit. ein typ, um die 30 tickt total aus und eine frau versucht, ihn aus dem raum zu drängen. ich verstehe natürlich überhaupt nichts, aber obwohl es laut ist, wirkt es nicht so bedrohlich, dass ich mir sorgen mache. ed. sagt mir später, dass es um einen pfand-bon gegangen sei, aber die nerven seit dem 7. oktober einfach derart gespannt sind, dass es oft bei den kleinsten problemen einfach kracht.

davor im zug war es schon wahnsinnig laut gewesen, telefonierende menschen, klingeltöne, videospiele, musik. und mir fällt plötzlich auf, dass das eine vor-7.oktober-situation ist und die stille auf den fahrten seit dezember ja die ausnahme war, das besondere.

falls man eine lieblings dance company haben kann, dann ist meine jetzt fresco dance company. zum dritten mal etwas von ihnen bei suzanne dellal gesehen und zum dritten mal berauscht gewesen. dabei trifft einen, also mich, selbst in den besten moment die gegenwart: am rand der zuschauer:innenplätze stehen zwei gelbe plastestühle für die abwesenden geiseln.

das gelb wird zunehmend präsenter; am anfang waren es nur die schmalen bänder an autos und an handgelenken, an taschen und an kleidungsstücken. dann kamen die kleinen pins. jetzt wird die farbe auch in plakate eingebunden, viele dieser stühle aufgestellt, es taucht in fotgrafien auf und zeichnungen, fließt in die neuen gedenkzeichen ein, usw. das gleiche gelb dominiert seit jahren ed. wohnung und so bin ich irgendwie gerade umgeben davon.

vor zwei tagen wurde bekannt gegeben, dass der 19jährige Itay Chen bereits am 7. Oktober ermordet wurde, seine Leiche ist nach wie vor in den Händen der Hamas. da er neben der israelischen und der amerikanischen auch eine deutsche staatsbürgerschaft besass, erhielt sein tod auch aufmerksamkeit in den deutschen medien. mehr als fünf monate also haben seine familie und seine freund:innen gehofft, dass er noch lebt. was für ein schmerz. man kann es sich nicht annähernd vorstellen. und denkt es trotzdem: was für ein schmerz. man möchte schreien, die ganze zeit.

gestern in naharija lila getroffen. sie schreibt viel und besser über die situation im norden, als ich es kann. deshalb hier kein versuch, die dinge zu wiederholen, die den großteil unseres gesprächs bestimmen. immer wieder. immer wieder kehren wir dahin zurück. und wenn es den raum und die ruhe gibt, über die situation der geiseln zu sprechen, über die ängste und befürchtungen, dann weine ich wieder.

20240312, nachmittags in beit ariela

or. fragte mich gestern abend, ob es nicht traurig ist, hier in der bibliothek zu arbeiten und dabei immer über den hostage square gehen zu müssen und ich antworte, dass ich mit meiner traurigkeit gut an traurigen orten aufgehoben bin. er erzählt mir auch, dass er vor unserem treffen ein transistorradio gekauft hat, und ganz viele konserven. dass er angst hat, weil hizbollah noch viel krasser zuschlagen kann und wird, als hamas. dass ihre raketen präziser sind und es die wahrscheinlichkeit gibt, dass sie die stromversorgung lahmlegen werden und weil er eine ganz kleine tochter hat in einem geteilten parenting-modell mit einer frau, die am anderen ende der stadt lebt. die tage vergehen, aber die zeit ist gefroren. es ist 7. oktober und es ist warten auf den nächsten krieg. dabei sind heute morgen bereits 100 raketen im norden gemeldet worden und man, also in dem fall ich, mag sich nicht vorstellen, was da noch alles möglich ist. mein haus hat keinen schutzraum. aber ein bisschen ist meine wohnung selbst vielleicht wie ein bunker. so richtig kann ich mich nicht entscheiden, mich selbst ein bisschen besser vorzubereiten, auf das, was da kommen könnte.

anschließend ein paar stunden mit einer kleinen gruppe von menschen aus deutschland verbracht, die auf einer solidaritätsreise hier sind. das gibt es nicht so oft, glaube ich. jemand sagt, er habe das vertrauen nicht nur in israels politik, sondern auch in seine armee verloren. und ich denke, wie wichtig es für mich war, auch deshalb und trotzdem wieder hier zu sein. dieser schock, dieses das-hätte-nicht-passieren-dürfen, nicht zum alles bestimmenden gedanken zu machen. wenn es passiert ist, kann es wieder passieren. aber man muss auch so tun können, dass es das nicht wird. aber ich weiß nicht, ob es (so) funktioniert.

diese geschichte mit den roten ceasefire-now-pins bei den oscars – und offenbar zuvor schon bei den grammys – ist noch ekelhafter als sowieso: das symbol roter hände hat zum einen bedeutung im zusammenhang mit dem barbarischen mord an Vadim Nurzhitz und Yossi Avrahami, zwei reservisten der IDF, die versehentlich am 12. Oktober 2000 nach ramallah gefahren waren, von polizisten der palästinensischen autonomiebehörde zu einer nahegelegenen station gebracht und verhört wurden, während sich draussen ein mob von mehr als 1000 männern versammelte. ein dutzend von ihnen konnte in das gebäude eindringen und schlug und stach auf die beiden soldaten ein, rissen ihnen körperteile abb und organe raus, bevor sie sich einer der täter mit blutverschmierten händen der johlenden menge zeigte. und zum zweiten spielten rote hände eine rolle bei einem pogrom (als farhud bezeichnet) am 1. und 2. juni 1941 in bagdad: in der nacht wurden häuser von juden:jüdinnen mit roten händen markiert. der arabische mob ermordete an beiden tagen mindestens 180 bis 600 von ihnen, verletzte rund 1000 weitere, vergewaltigte und verstümmelte jüdische frauen, zündete wohn- geschäfts- und synagogenbauten an.

Gadi Moses, seit dem 7. Oktober in der Gewalt der Hamas, wird heute 80 Jahre alt.

ich würde gern einen neuen flug buchen, aber ich traue mir in meiner furcht vor den preisen, nicht die elal-seite zu öffnen. die angst, nicht zurück zu können um eine neue facette erweitert. denn die situation bedeutet ja auch, dass man nicht einfach auf irgendwelche abenteuerlichen, ewig langen, aber bezahlbaren flugrouten ausweichen kann.

20240311 morgens in einem cafe in tel aviv auf dem weg zur bibliothek

ich hadere immer noch ein wenig mit meinem apartment. nicht mehr so wegen dem wifi, obwohl das ein grundgefühl prägt, sondern aus gründen, die mir noch nicht so klar sind. vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass es alles neu ist und entsprechend neu riecht, dass ich diejenige bin, die rausfindet, dass und welche dinge nicht funktionieren. dass das wasser nicht vernünftig abfließt nach dem duschen zum beispiel und das bad dann ewig – und damit meine ich länger als drei stunden – unter wasser ist oder dass die ac im schlafzimmer so laut ist, dass man denkt, sie schafft es nicht durch die nächsten drei minuten. oder damit, dass sie noch so unbewohnt ist und spartanisch, und ich sie jetzt aber nicht tatsächlich zu meiner machen werde. und dann ist da vielleicht noch ihre lage, im hinteren teil des hauses, durch einen eigenen innehnhof getrennt und dann die dicken wände und jedenfalls das gefühl, sehr allein auf der welt zu sein. das haus befindet sich in einer kleinen straße zwischen florentin und neve shanaan / central bus station, an der insgesamt vermutlich nicht mehr als 15 häuser stehen. neben uns gibt es eine riesige freifläche, die darauf wartet, baustelle zu werden. als ich vor einem jahr in shapira gewohnt habe, gehörte auch die unmittelbare gegend noch zu etwas, das man nicht unbedingt gern durchlaufen ist. zu viele drogenmenschen, zu abgefuckt, zu viel kaputte und viel zu viele tragische und definitiv zu viel aufmerksamkeit für die frage, ob man da jetzt wirklich langgeht. jetzt sind da drumherum ein paar der superteuren apartmentneubauten fertig geworden und offensichtlich hat jemand mal die straße saubergemacht. es gibt mindestens einen neuen coffeeshop und drei neue restaurants, während das kleine ethopian restaurant, dass ich so mochte, ersatzlos aufgegeben hat. gentrification, ich weiß und ich gebe zu, ich bin froher, dass es zumindest in meinem gefühl sicherer ist. aber wo gehen all die menschen hin, die rausgedrängt werden, damit wir uns sicherer fühlen.

gestern einen sehr normalen und unaufgeregten tag gehabt, mit kaffee im neuen morgendlichen coffee-place, der abends eine kneipe ist und der eigentlich nicht neu ist, sondern mir schon seit immer als heimat diente, wenn ich hier im süden wohne. und dann arbeiten in der bibliothek im shalomtower und langem telefonat mit an. solange man nicht mit menschen spricht, ist es manchmal schwer, sich bewusst zu halten, dass die zeit nun eine andere ist.

am samstag mit om. und yo. durch einen neu angelegten trail / park zwischen nord tlv und herzliya entlang des meeres gelaufen und mir die erzählungen von dem soldaten nacherzählen lassen, der in gaza in einem der verlassenen kinderzimmer waffenarsenale der hamas gefunden hat und dessen tochter mit einer der geiseln befreundet ist, einem kleinen mädchen, die im november freigelassen wurde. als wir im dunkeln auf dem rückweg sind trotzdem gedacht, dass dies der erste nachmittag seit 7.10. gewesen ist, an dem ich entspannt war. damit beginnt sich eine kurze liste zu schreiben von ereignissen, bei denen ich dachte, dass ich sie zum ersten mal wieder habe: einen fast gedankenfreien abend bei depeche mode, eine ausstellung, bei der es (mir) um kunst geht, ein sehr langer spaziergang mit freunden. weil wir dann zu langsam sind und scheinbar die tatsache, dass die straßen samstagabend blockiert sind, neu für uns ist, kommen wir zu spät zu beiden kundgebungen, die nun immer parallel stattfinden, nicht nur in der zeit, sondern auch im raum: die demonstrationen gegen die regierung sind in die kaplan zurückgekehrt und eine der rednerinnen auf der hostage-kundgebung kritisiert deren forderungen nach neuwahlen. mit dem verlaufen der zeit schwinden die optionen. und auch wenn ich sehr dafür bin, die regierung abzulehnen und für alles verantwortlich zu machen, das kein deal zustandekommt und dass die chancen schwinden, liegt vor allem (auch) an hamas. aber vielleicht ist es leichter, sich an dem festzuhalten, von dem man denkt, dass es als adressat anwesend ist.

in der berliner zeitung erscheint ein artikel, in dem sebastian köhler das storytelling mit hilfe von einzelschicksalen im journalismus kritisiert. als hauptbeispiel dienen ihm darstellungen von Schiri, Kfir und Ariel Bibas und ich komme nicht umhin, angeekelt zu sein und mich zu fragen, ob der autor weiß, was diese erzählungen für die menschen hier bedeuten, wie erinnern hier funktioniert, wie viel kraft es kostet, dass die namen von geiseln in deutschland überhaupt genannt werden und wenn das alles nicht wäre, dass man sie schon längst vergessen hätte unter dem pro-palästinensichen taumel, in dem sich so viel befinden. wie gern will man vergessen (machen), dass hamas diese ganze scheiße angefangen hat, dass sie es war, die mehr als 1200 menschen abgeschlachtet, verbrannt, vergewaltigt hat, dass sie immer noch 134 menschen in ihrer gewalt hat und einfach nicht freilassen will. da stören die namen der geiseln und opfer, ihre geschichten und bilder natürlich.

156 tage.

kein deal nirgends. auf der gestrigen demo in berlin waren noch 300 menschen, in new york nur noch 3.000. bei der oscar-verleihung entblödet sich wieder mal ein jüdischer regisseur und das beste, was einige der künstler:innen hinbekommen, sind rote pins zu tragen, für ein “ceasefire”. vor dem veranstaltungsort eine pro-palestine demo, ebenso zur eröffnung des neuen holocaust-museum in amsterdam.

20240308

heute umgezogen. noch ist alles etwas gewöhnungsbedürftig. und es gibt kein internet, was ein fucking alptraum ist. wenn ich nicht so müde wäre, und/oder das nicht bereits schon hundertmal durchgedacht hätte, würde ich gern mal wissen, warum ich lieber in tel aviv leben will. aber mein herz schlägt schneller und ich bin ein bisschen froher. zum meer gegangen, den sonnenuntergang ansehen. es gab eine kleine party vor einem dieser strandrestaurants. und leute, die vorbeikamen, haben wirklich getanzt. gedacht, dass das das tel aviv ist, von dem alle mal gesprochen haben. nicht so richtig gewusst, was ich damit gemeint habe. aber vermutlich irgendwas mit denen, die hier wohnen, mit dem image, das es gibt, mit denen, die es reproduzieren und mit der abwesenheit derer, die es für einen moment konsumieren und für realität halten.

gestern hat mit mir a. den tag damit versaut, einen newsletter weiterzuleiten, den die fusion-menschen zu ihrer pro-palästinensischen positionierung geschrieben haben. Als wir abends telefonieren, fragt er, warum diese leute diesen zwang verspüren, da mitzumachen, woher dieser druck kommt. Ich muss antworten, dass ich das für den falschen ansatz halte und davon ausgehe, dass sie einfach antisemit:innen sind und dies ihre chance, es (endlich) rauszulassen. all das gerede, all das gedenken, all die solidarität mit den im NS ermordeten waren nur fassade und anstrengung, selbstzweck zum eigenen gutfühlen und folien zur moralischen empörung. sie würden ohne zögern sagen, sie haben aus der geschichte gelernt und da sind millionen in gedenkstättenarbeiten geflossen, damit es lernorte sind, an denen menschen unrecht erkennen und verhindern lernen wollen sollen und here we are: am ende ist es einfach geiler, juden:jüdinnen zu hassen.   

vor ein paar tagen hat jemand zu mir gesagt, dass wir doch gar nicht wissen, was dort in gaza genau passiert. dass wir uns entschlossen haben, der IDF zu vertrauen und dass das aber nicht heißt, dass uns nicht klar ist, dass deren stellungnahmen und informationen keine ungefilterten 1 zu 1 wiedergaben eines krieges sind. und ich denke, wie wahr das ist.

den gestrigen abend mit jemanden verbracht, der alles ganz genau wusste. und mich sehr verlaufen und überfordert in meinen eigenen gedanken gefühlt.

20240307, vormittags

der gestrige tag war einer, dessen stunden fast allein dazu genutzt wurden, neue einsichten auf aktuelle probleme allein durch das ausschließliche, damit exzessive gucken von anderthalb staffeln sex and the city zu erhalten. bin versucht, es heute zu wiederholen. aber selbst mich erschlägt die erwartung von hier-sein-und-dinge-draussen-tun-müssen. wobei sie hier sowieso noch andere beigeschmäcke haben als in deutschland, wenn mal zwei tage die sonne scheint.

20240306, vormittags

schon vor reisebeginn immer wieder gesagt, dass ich den rückflug flexibel halte und vielleicht einfach verlängere. gestern dann mal die flugpreise für april gecheckt und festgestellt, dass das auf gar keinen fall möglich ist. die preise sind so exorbitant hoch, dass es auf gar keinen fall geht. heute morgen gedacht, dass ich dann schon den nächsten flug buche, vielleicht für april. und es wird nicht besser. ich kann nicht beschreiben, was das mit mir macht. mein körper und mein denken sind ganz taub plötzlich.

152 tage.

“die” usa wollen nun, dass israel ein ceasefire ohne rückkehr der geiseln machen. einen bericht über die situation in irland gesehen, den hass auf israel und auf die israelische botschafterin Dana Erlich. und anschließend ein interview mit einem bewohner des nordens, der noch da ist, darüber das niemand eine rückkehr vor juli erwartet, welche folgen es für die landwirtschaft gibt, dass manchmal kein alarm ist, obwohl hizbollah raketen schickt; rakten, die viel genauer sind als die von hamas. und ein team der UN hat sich nun nach fast fünf monaten, FÜNF monaten, doch noch dazu durchgerungen, öffentlich einzugestehen, dass es hinreichende gründe für die annahme gebe, dass hamas-angehörige einzeln und in gruppen am 7. oktober an verschiedenen orten in israel vergewaltigt haben. und nicht zuletzt ist judith butler jetzt komplett durchgedreht und spricht davon, dass der 7. oktober “an act of armed resistance” und ein “uprising” war.

20240305, vormittags

gespräche zu verabredungen, die ein bisschen mehr in der zukunft liegen als heute abend, enden in der regel mit: ‘ja, das machen wir… wenn es das land dann noch gibt’. dann lacht man, aber in bitter und unsicher. gestern in jerusalem zum beispiel, als ka., deren wohnung ich 2022 für ein paar monate gemietet hatte, mir ihre neue zeigt und für august anbietet, für einen monat wieder zu kommen. davor im israel museum gewesen. mich auf einen leeren ort gefreut. stattdessen große gruppen und viele führungen. thomas demand ausstellung besucht, manchmal “okay” gedacht und manchmal nicht aufhören können, draufzustarren. “In Pictures. Walter Benjamin’s Little History of Photography” noch gesehen, eine phantastische kleine ausstellung über arabische designer:innen und eine noch viel kleinere mit dem titel “October Sun: Four Voices from the Yom Kippur War”. es waren die ersten ausstellungen seit dem 7. oktober, in denen ich war (außer der ausstellung zum 7. oktober natürlich) und ich habe gemerkt, wie ich anfangs etwas brauchte, wirklich anwesend zu sein und mir die dinge anzusehen. überlegt, ob meine künftigen ausstellungsbesuche nun immer davon geprägt sein werden, ob und was die künstler:innen zu israel/gaza gesagt haben. wahrscheinlich. es war vorher schon so und wird jetzt noch mehr. mit ka. darüber gesprochen, dass wir die namen unter allen offenen briefen immer mit der angst lesen, jemanden zu finden, den:die wir kennen. und wie das so ist, wenn wir dann jemanden kennen. überhaupt sehr viel und sehr lang über erfahrungen gesprochen, die sich ähneln. ich musste ein paar mal ein bisschen weinen. öffentlich, im hansen. aber das ist hier jetzt vielleicht auch so und niemanden wundert es. anschließend zur westernwall gefahren. fast vollständig leer und dabei fast ausschließlich besucht von strictly orthodox / Haredi und natürlich weiß ich so dinge, aber es ist krass und ein bisschen verstörend, wie orte sich verändern, durch die menschen, die sie benutzen. wie viel leiser es dabei war. und wie viel kleiner der platz wirkte trotz der leere. wie sehr man, also ich, sich/mich nur als einzige besucher:in gefühlt habe, als betrachterin. wie der ort plötzlich ausschließlich das war, was er ist; ein religiöser. bei vergangenen malen habe ich immer auch darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass der ort ein touristischer ist, dass menschen kommen, um ihn zu sehen und wie die betenden dabei zu einem teil dessen werden, was man sich ansieht. mein eigenes verhältnis ist unbestimmt: ich muss immer mindestens einmal hingehen, um zu wissen, dass alles noch da ist. das ist albern, aber meine eigene anwesenheit muss es sozusagen für mich verbürgen. ich bin im unterschied zu allen, mit denen ich darüber spreche, wirklich gern da und bleibe immer lang. aber ich würde das öffentlich nicht so gern besprechen, weil es mir auch ein bisschen merkwürdig vorkommt, wie viel der ort mir bedeutet; irgendwo da drin in meinen gedanken. jedenfalls bin ich gestern auch deshalb hingegangen, weil man nicht weiß, wie das sein wird, wenn ramadan beginnt in ein paar tagen. auch sonst war die altstadt leer. auf dem markt sind nur noch wenige läden offen, und die schließen schon früh. die verkäufer lassen einen in ruhe, so als erwarten sie gar nicht mehr, jemanden zu finden, den:die sie in ihre räume ziehen können. als ich auf der mauer zwischen zions gate und westernwall gelaufen bin, habe ich niemanden getroffen. als ich auf einer bank saß und so ins land guckte, was es so still, dass es eingefroren wirkte. denkt man: einmalige gelegenheit und nichtwiederholbare momente und kann es doch nicht lange aushalten oder gut finden.

ich fahre immer lieber mit dem bus zwischen jerusalem und tel aviv. sie sind seitdem es den zug gibt, immer sehr und sehr schön leer. und ich habe immer einen kleinen moment von zionismus in mir, dass land zwischen beiden städten so sehen zu können. am liebsten, aber nur noch selten, nutze ich das auch als gelegenheit, die central bus station in tel aviv zu besuchen; ein gefürchteter und geschmähter ort, den ich für einen anarchistischen halte und in dem ich vor vielen jahren mal geweint habe, weil ich nicht mehr raus gefunden habe. seit jahren – also vermutlich spätestens seit der eröffnung 1993 (baubeginn war 1967) – gibt es die diskussion und das bemühen, ihn abzureissen, loszuwerden. und neben mir gibt es vermutlich noch sieben andere menschen, die ihn verteidigungswürdig finden (außer den nutzer:innen, die dort die räume finden, die sie brauchen und die ihnen die stadt an keiner anderen stelle (mehr) geben kann und wird. aber ich habe manchmal angst, dass ihnen das gar nicht so bewusst ist). aber gestern, als wir auf ebene 7 den bus verließen und eintraten und es derart krass nach katzenpisse stank und in dem geschoss quasi nichts anderes mehr ist, wobei man das nicht genau sagen kann, weil man besser vermeidet, sich um- und besonders in die ecken zu gucken, dachte ich, dass es auch echt manchmal schwer ist mit der liebe.

am tag davor endlich eine wohnung gefunden. eigentlich zwei und mich entscheiden gemusst. was theoretisch nicht schwer war, weil die eine schimmel hatte und schimmel für 1000 euro ist kein kompromiss (mehr) in meinem leben, den ich will oder mache. aber leider war die wohnung in kerem, auf einem dach und direkt neben dem shuk und damit eine gegend, in die ich schon lange wieder zurückwollte und ein konkreter ort in einer weise, in der ich schon immer mal leben wollte. mich trotzdem dagegen entschieden. aber weine noch ein bisschen. es ist eine ganz gute zeit, eine wohnung hier zu finden für ein jahr oder ein paar monate. leider kollidiert das sehr mit meinem derzeitig so unsicheren finanziellen und auch sonst planlosen so-sein.

viel alarm im norden. immer noch kein deal. am sonntag abend mit mehreren menschen aus gewesen und alle telefone zeigen ständig push-nachrichten an und alle gucken ständig eine sekunde oder mehr darauf. man unterhält sich über vieles aber eigentlich doch über nichts anderes. die frau neben mir sagt, sie können nicht zu einer vortragsreise in deutschland fliegen, weil sie zu viel angst hat, dass der krieg im norden anfängt und ihre familie dann ohne sie ist.