20251224, abends

es ist eine merkwürdige stille in dem hiersein. vielleicht liegt es einfach daran, dass winter ist. vielleicht ist es aber auch ein merkwürdiges abwarten, innehalten, unsicher sein. vielleicht fühlt sich alles nach pause an. ich stelle fest, dass es entlang der lightrail mehr sicherheitsdienste und polizist:innen gibt. ich stelle aber auch fest, dass ich nicht mehr unterscheiden kann, ob eine situation angespannt ist, ob etwas zu erwarten ist. mein sinn für situationen hat sich verändert. vielleicht. welchem gefühl kann man noch trauen. ich taste es ab. aber ich will mich nicht festlegen.

gestern in jerusalem gewesen. von einem falafelverkäufer betrogen worden und mich nicht zu wehren gewusst. das hört dann vielleicht doch nicht auf. zur western wall gefahren und zurück durch die altstadt gelaufen, die hauptwege haben sich wieder belebt, die seitenstraßen bleiben leer, geschlossen. die ansprachen der händler sind vertraut und wirken routiniert. und dabei hoffnungslos. die ausstellung “Rising from the Ashes” im Jay and Jeanie Schottenstein National Campus for the Archaeology of Israel / National Campus for the Archaeology of Israel gesehen, vielleicht als ausstellung nicht zu gut, aber vielleicht geht es nicht darum. Yael Atzmonys arbeiten im ticho house gesehen, das ich nicht kannte und das ich aber jetzt liebe und obwohl ich bilder der tafeln kannte, war es ein merkwürdig intensives erlebnis, sie zu sehen. ich habe irgendwann gemerkt, dass ich nicht gehen will, sie nicht zurücklassen will. heute mit e. die unfassbar phantastische ausstellung “The Day Is Gone: 100 Years of the New Objectivity” im tel aviv art museum gesehen, und ich weiß nicht, ob sie wirklich so berauschend schön war oder ob nach den letzten zwei jahren einfach ein solcher hunger nach solchen schönen bildern und inszenierungen da ist, dass alles per se berauscht. mir anschließend allein noch 45 minuten der 60 minuten von “Observation / The Field Observers of the Gaza Sector: A Video Installation” angesehen. am liebsten jedes wort aufgezeichnet. gewusst, dass ich über das, was ich da höre, nie sprechen werde. es deshalb so gern für einige andere mitgenommen. unzulänglichkeit ist hier und jetzt die unfähigkeit, etwas weiterzugeben, der das zeugnis nicht hört/sieht. und wieder gedacht, wie sich die vielen immer mehr vielen informationen verästeln und alles wissen immer und immer noch weiter verdichten. essen gegangen, dann “Archetype: The Architecture of Ram Karmi” besucht aus pflichtbewusstsein und gedacht: das habe ich erwartet und bin trotzdem enttäuscht. dabei zu viel daran gedacht, wie das war, damals in diesem raum, auf dieser treppe und entlang dieses weges mit a. und ich bin überrascht, dass es dann doch von all den orten unserer zeit dieser ist, der so nachwirkt. renovierung und umbau hin oder her. ihn vermisst. oder das damals. was weiß ich denn noch wo die realitäten sind. auf dem rückweg zufällig den teil der ausstellung “Judy Chicago: What If Women Ruled the World?” entdeckt, der in einer kleinen galerie in der ahad ha’am st. gezeigt wird. es ist eine merkwürdige stille in dem hiersein. und sie bleibt im durchstreifen der stadt. ich will sie in meinem kopf ausbreiten und behalten. gegen die ängste der realen situation. gegen das nicht wissen, wie entscheiden und handeln. ich weiß nur nicht wie. ich muss mich um dinge kümmern, entscheidungen treffen. ich verweigere mich. und ich habe angst.

was noch, ein paar nachträge: “A Lens of Her Own” und “October Seventh. A Space of Anguish, Loss, Anger, Memory and Sorrow” im anu. schreiben in beit ariela, kabbalat shabbat und zwei tage später das 8te licht für Ran Gvili auf dem hostage square, Vertigo Dance Company “Nona” in suzanne dellal, latkes mit n., ala rampa mit a., mehrmals das meer, shakshuka in yafa. eine woche ist schon wieder eine ewigkeit.

heute gedacht, dass es mich froh macht, zu all den 7-october-related- ausstellungen gehen zu können, dass sie sind wie yad vashem, weil sie so viele aspekte zusammenbringen und mir die möglichkeiten geben, mich zu entscheiden, welche aspekte ich hinzufügen will und welche nicht (immer alle letztlich). vor sehr wenigen wochen “Red Alert” gesehen und erst irritiert gewesen, weil es keine serie über das sterben ist und dann gedacht, dass es eben eine über das überleben an diesem tag ist. und dies ist vielleicht nicht, was mir zum 7. oktober als erstes einfällt, aber es ist dann eben ein aspekt.

bevor ich geflogen bin, gegenüber zwei menschen den scherz gemacht, dass ich hier sein werde, damit Ran Gvili zurückkommt. ich weiß nicht, ob man so einen witz machen darf. weil eigentlich ist es wie ein stechen das im körper geblieben ist. in einem körper, an dem wir nach wie vor die zeichen tragen. e. zeigt mir heute ihr armband, an ihrer jacke gibt es immer noch die schleife. es sollte nicht so sein, aber es gibt eine merkwürdige gewohnheit darin. in dem tragen, und in dem stechen, das sich eingenistet hat. wir sollen nicht damit leben lernen, aber wir haben auf eine merkwürdige weise damit leben gelernt. die bilder an den wänden der stadt sind die erinnerung an einer nahe vergangenheit. sie verblassen. aber viele auch nicht. viele sehen immer noch so aus, als hätte sie jemand erst vor ein paar tagen befestigt. vieles ist eine erinnerung geworden, es ist manchmal fast befremdlich, den raum aus einer nun anderen zeit zu durchlaufen. dass wir jetzt wissen, wie die geschichten nach den bildern weitergingen und manchmal -gehen. wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich, dass auch ich es für irgendwas brauche, auf seiner beerdigung sein zu können. weil das gehört zu den dingen, die ich irritierend schwer fand in der deutschland-zeit: keinen raum zu haben für das innehalten, für einen abschied an denjenigen, die nach und nach von hamas an israel übergeben wurden.

20251223, nachts

eine woche ist schon wieder eine ewigkeit. dass sie so viel freie zeit ist, stellt mich vor probleme, weil ich feststelle, dass ich erstaunlich viel gesehen habe in den letzten mehr als zehn jahren, dass offenbar wenig gebaut wurde, was ich gern sehen würde und dass ich wenig entdeckerinnenbedürfnisse habe, die mich raus aus der stadt bringen könnten. ich bin viel allein und ich spreche wenig. weil es mir nicht gut geht und ich wirkliche probleme habe mit dingen und entscheidungen und zuständen und vielleicht wirklich überfordert bin und angst habe und nicht weiß, wie ich darüber sprechen soll und weil niemand fragt weiß ich nicht anzufangen. und weil daraus folgt, dass ich wenig kapazitäten für anderes habe, fürs freundlichsein und zuhören zum beispiel, fürs andere themen finden, über die ich sprechen könnte. ich merke, dass eine merkwürdige art von einsamkeit zu einer begleiterin geworden ist, keine gastauftritte am ende von texteschreiben, sondern so immer da und immer bewusst. kein niemand macht mir was zu essen wenn ich am schreibtisch sitze, sondern ein niemand ist da dem auffällt dass ich jetzt etwas brauchen könnte oder dass ich vielleicht morgen auch noch mal über die dinge sprechen möchte. kontinuitäten in zuwendung fehlen. raum für fortführungen. gelegenheiten gedanken zu entwickeln und gefühle zu wechseln. es ist mir nicht gelungen, ersatz für die heimaten zu finden, die ich nie hatte. und mit heimaten meine ich beziehungen und emotionen und aufgehoben sein. vielleicht killt mich aber auch nur weihnachten dieses jahr endgültig. ich habe es geschafft, so weit weg davon zu sein, dass mir nicht auffallen würde, wenn es nicht mehr existiert. auf diesen zustand habe ich seit ungefähr immer hingearbeitet. und jetzt beneide ich alle, die es anders haben. das ist es, was die lücke füllt und freiheit ersetzt? wie erbärmlich.

20251203, abends

und ich merke, dass ich manchmal einfach auch vergesse, dass so viel zeit vergangen ist. sein körper hat sich verändert, seine stimme hat sich verändert. ich denke, dass die person, die ich sehe, mir fremd ist. und vielleicht ist er einfach ein sehr guter schauspieler, aber wahrscheinlicher ist, dass er eine andere person ist, als die, die seit vier jahren nur noch in meinem kopf existiert. am meisten hat mich getroffen, dass ich seine stimme nicht mehr hören kann. weil es irritierenderweise das war, worauf ich mich gefreut habe; die stimme zu hören, die ich immer so gemocht habe. die ich gelöscht habe, weil ich all die nachrichten gelöscht habe. und von der ich nur noch wusste, wie gern ich sie gehört habe. das alles ist schnell weniger witzig, als ich es mir vorgestellt habe. und jemand schreibt mir danach, als ich so viel trauriger bin als ich dachte und überrascht davon bin, dass man manchmal im vorfeld wirklich einfach nicht weiß, wie es einem bei etwas gehen wird oder dann danach. dass der film ist wie seine nachrichten waren, war mir irgendwann aufgefallen schon im ersten drittel und als ich merke, dass ich energie damit verbringe überhaupt zu verstehen, was mir da gesagt werden soll und dass seine film-frau auch ein septum hat und die frau, die eine lange sequenz lang die alternative ist auch kurze dunkle haare. ich bin verletztlicher als ich das kino verlasse und irgendwie verloren. ich will mich gern hinlegen und ich will mich vielleicht gern betrinken. stattdessen fahre ich nach charlottenburg zu einer verabredung, die eine vergangenheit hat und ein ritual geworden ist wenngleich ein langweiliges. wie jedes jahr wünsche ich mir, dass mein ego kleiner wird und meine neugier auch und dass ich weniger nett bin und es endlich zu einem schön, dass du dich meldest aber nein danke reicht. vielleicht habe ich gedacht, dass ich kurz brauche, dass mich jemand gut findet. geholfen hat es allerdings kein bisschen.

früher am tag gegenüber einem mann in der ubahn gesessen, der irgendwann die hände vor sein gesicht legte und allahu akbar flüsterte und ich erwische mich, dass ich kurz überlege, ob sprengstoffanschläge schon aus plasteeinkaufstüten heraus begangen wurden. und ja, das ist rassistisch und trotzdem realität. und ich sehe mich um und bin mit sicherheit die einzige, die kurz unsicher geworden war.

zwei tage bei der herbstakademie des tikva instituts verbracht und mich gelangweilt. dass was mir letztes jahr momente von zugehörigkeit und raum und inspiration gegeben hat, existiert nicht mehr. der raum wird (wieder) dominiert von männern die auf alles antwort haben, fragen scheinen verschwunden zu sein, ebenso wie unsicherheiten und die versuche, andere sprache für neue momente zu finden. das alles macht, dass ich mich auf eine alte, vergangen geglaubte und dann schnell wieder vertraute weise unterlegen, übersehen, ausgeschlossen fühle und nun in den kontexten, die mir eigentlich etwas anderes geben sollen und vielleicht eben auch kurz gaben. aber jetzt doch wieder nicht mehr.

ich suche mal wieder eine wohnung in tlv und ich schwöre, dieses mal ist es wirklich zum verzweifeln.

l. ist im krankenhaus, nicht mehr auf der intensivstation, aber immer noch in sehr schlechten zustand. zeit vergeht ohne dass ich herausfinde, was ich tun soll oder will. wie in jeden fragilen momentaufnahmen zeigt sich auch nun wieder, dass es in dieser familie kein zuhause und keine sicherheit gibt. es bricht und das überraschende ist, dass immer noch so viel da ist, was brechen kann.

2ß251129, abends und als sammlung vergangener gedanken


ich muss aufpassen. ich merke, wie sich in den letzten 25 monaten zugehörigkeiten und (neue) brüche ergeben haben und wie mein dazwischen ein anderes geworden ist. gefühle, verbindungen müssen neu justiert werden. ich bemerke, und s. bestätigt es, dass ich oft ‚wir‘ sage, wenn ich über erfahrungen in israel spreche. etwas an einem ort erlebt zu haben, überlebenden und familienangehörigen zu oft zugehört zu haben, videos zu oft gesehen zu haben, macht mich nicht zu einem teil. und nur weil es sich für mich so anfühlt, fliege ich nicht ‚zurück‘ nach tel aviv. wie sehr die dinge verschwommen wurden, merke ich erst jetzt und erst langsam. ich kann wieder ordnungen sehen in deutschland, menschen schrieben gute dinge und veranstalten kluge tagungen. ich merke, dass ich nicht allein bin, aber auch, dass ihre realität nicht meine erfasst. vor ein paar tagen spreche mit einer frau, die zufällig im september in israel war und sie spricht über ihre eindrücke und gedanken, nach mehr als zwei jahren zurück zu sein. aber ich kann mich auch da nicht finden. ich weiß, ich müsste anknüpfen können, aber es gelingt mir nicht. ich denke nur, wie arrogant bist du, mit mir auf diese weise über deine kurzen momente in einer zeit zu sprechen, in der sich wenigstens einiges aufgelöst hat. (und dabei nicht mal zu wissen, dass noch drei geiseln festgehalten werden) wie kannst du über die schönheit eines ausstellungsbesuches in tel aviv sprechen aber nicht darüber, dass es seit 2 jahren so viel kraft kostet, in eine ausstellung zu gehen? wie kannst du die leere der räume nicht erkennen, die abwesenheit, die merkwürdige stille, das alleinsein.  

dass es ein gegenteil gibt, verstehe ich erst, als j. in köln ist. nicht nur, weil wir zeiten geteilt haben, die man anderen schwer erklären kann, sondern auch weil wir wissen, worüber wir reden über die zeiten, die wir nicht geteilt haben. weil wir uns zu dingen und gedanken austauschen können, für die ein sich etabliertes öffentliches und manchmal auch ein privates sprechen keine möglichkeiten bietet. es war nicht nur komisch, das zu bemerken und zu verstehen, sondern auch erleichternd. oder so. irgendwie spielt dann dabei auch wieder der anfang dieses posts eine rolle.

heute abend findet möglicherweise die letzte kundgebung für die geiseln statt. das forum stellt seine arbeit ein, gibt seine räume auf, in jerusalem wird morgen das zelt abgebaut. ich vermute, auch in tlv werden weite teile der platzgestaltungen verschwinden, wenn nicht gleich dann nach und nach. zwei ermordete geiseln sind noch in gaza, Ran Gvili und Sudthisak Rinthalak. die eltern von Ran Gvili haben viel gesprochen in den letzten tagen. ich wünschte mir wirklich so sehr, es wäre nicht an diesen punkt gekommen. ich stelle mir vor, wie ihre angst noch mal eine andere ist. und denke, dass es vermutlich dann doch einen unterschied macht, wenn einem keine zehntausenden menschen mehr symbolisch sagen, dass man nicht allein sei. es sollte ihnen nicht angetan werden. wenigstens das nicht auch noch. ich verstehe, dass die arbeit in dieser intensität nicht weitergehen kann. aber ich verstehe nicht, ob und wie wir uns nun da reingewöhnen sollen / müssen. und ich weiß schon wieder zu viel über die situation der überlebenden.

letzte woche TATTOOED 4 LIFE und THE CHILDREN OF 7/10 in den hackischen höfen gesehen. beim reingehen ein antisemitischer mob vor dem eingang, erst beim rausgehen ein großes plakat mit dem bild von a. entdeckt. bruchzeiten von Marina Chernivsky zu ende gelesen, 8. oktober von Eva Illouz angefangen aber ein bisschen gescheitert weil ich offenbar nicht so viel weiss wie ich immer denke. oder so. mein interview mit mena-watch ist erschienen. die veranstaltung in köln war nicht gut besucht, aber von guten besucht. was vielleicht manchmal reicht. vielleicht stirbt mein vater. vielleicht ist das nebenprodukt von verweigern und ausblenden, dass man dann nicht weiter weiss wenn so momente in aussicht stehen und man also ich nun gar nicht weiß, was ich will oder wollen soll. und dabei festgestellt, dass ich nicht weiß, mit wem ich darüber reden soll oder kann. es bringt zumindest im kopf verstörend viele facetten mit sich.

20251115, ein verregneter vormittag und in einem zug nach münchen

vor etwas mehr als einer Woche hat auch Rom Braslavski ein Interview im israelischen fernsehen gegeben. er spricht viel über gewalt und angst und sexuellen missbrauch und er weint und wie all diese interviews ist es kaum zu ertragen und hier vielleicht nochmal ein bisschen weniger. einen tag später, am freitag, lese ich einen kurzen text und in dem heißt es, dass er derjenige der überlebenden ist, der es bisher nicht geschafft hat, (wieder) in die welt zu gehen, was konkret heißt, dass er immer noch im krankenhaus ist und es nicht verlassen kann. am samstag abend spricht er dann bei der kundgebung auf dem hostage square. ich sehe die videoausschnitte, wie er lacht und wie er aufgeregt ist und wie er spricht und irgendwie denke ich seitdem, glück. ihn so zu sehen, ist glück.

Eli Sharabis buch gelesen. und gemerkt, wie vergangene überlegungen zu überlebenden-literatur für einordnungen helfen. vor dem besuch der nova-ausstellung gedacht, den punkt erreicht zu haben, in dem es abstand gibt, in dem ich ausstellungen wieder als objekte und erzeugte narrative sehe und zerdenke und dann weine ich schon als wir nach der einlasskontrolle durch einen dunklen gang gehen. ich verstehe, was da passiert und was da wie warum erzählt wird und das stellt theoretisch eine distanz her, aber es schützt mich nicht und ich gehe durch räume und geschichten und installationen und ich finde momente, die ich vergessen glaubte und porträts von menschen, an die ich mich nicht erinnere. wie menschen, deren bilder und geschichten ihre präsenz im alter verloren haben, wiederkommen. Chanan Yablonka zum beispiel und natürlich. ich bin überrascht, wie anders die ausstellung ist und ein bisschen vielleicht auch, dass sie trotzdem funktioniert und dass, obwohl sie nun so viele elemente mitbringt, die man problematisch finden könnte. aber nichts davon passiert. weil was sonst ausser überwältigung und trauer sollte auch richtig sein. m. sagt danach, dass sie gut findet, dass man einfach reingeworfen wird und dass nicht, wie man es in deutschland vermutlich machen würde, erstmal die situation seit spätestens 1948 erklärt wird. und auch das stimmt.

vortrag in dresden. vortrag und konferenz in stuttgart. notwist im lido, interview als video, in braunschweig über die habil. sprechen, teamsitzungen managen, mit den reisevorbereitungen nicht vorankommen, vielleicht ein bisschen angst haben, neue formen von liebe und zuneigung denken. erst seit 2,5 wochen in deutschland, aber die sind so dicht und intensiv und viele dinge und menschen, dass schon wieder ewigkeiten entstehen. die wiederkehrende frage, ob ich mich wieder eingelebt habe, stellt sich nicht. nicht nur, weil sie sich nicht lohnt mit blick auf den nächsten flug, sondern auch weil dichte und intensität einen raum schaffen, von dem man also ich das hiersein gar nicht wirklich denken kann. dabei zögere ich ein bisschen ob ich wirklich fliegen sollte. vor allem aus finanziellen gründen, aber ein bisschen auch, weil ich nicht sicher bin, ob too much identifikation sich eingeschlichten hat und grenzen verschwommen sind.

Sahar Baruch, Itay Chen, Amiram Cooper, Meny Godard, Hadar Goldin, Asaf Hamami, Joshua Loitu Mollel, Omer Neutra, Oz Daniel und Lior Rudaeff sind zu unterschiedlichen zeitpunkten an israel übergeben worden. ich wusste bisher nicht, wie wichtig die möglichkeit ist, zu beerdigungen gehen zu können. ich merke, dass mir die momente fehlen, dass eine ruhe darin liegt, die einen abstand schafft. ich wusste nicht, dass das damit verbundene innehalten eine funktion erfüllen kann. es fehlt mir. das Hadar Goldin wirklich wirklich zurückgegeben wurde.

lese Bruchzeiten von Marina Chernivsky.

es gibt eine steigende zahl neuer bücher zum 7. oktober und dem danach in deutschland und ich hoffe, ich finde ein paar neue rahmen. heimlich bin ich aber auch einfach neidisch, dass andere ihre wege finden, dazu zu veröffentlichen.

20251029, noch dunkel am flughafen

du brauchst nur ein bisschen abstand, um darüber schreiben zu können, sagen alle, die ich frage und auch die, die ich nicht frage und ich weiß, dass das nicht stimmt, aber ich benutze es als entschuldigung und irgendwie merke ich, dass ich sowieso nicht mehr weiß, wo ich anfangen kann. tel aviv kommt mir wieder lauter vor, heller, bewohnter, wie früher. und ich glaube, mehr tourist:innen ausmachen zu können. obwohl ich nicht weiss, ob es menschen geben sollte, die sofort losgeflogen sind. viele amerikaner:innen, so viele. aber auch schon wieder deutsche, die am strand die welt erklären. ich schlafe an manchen tagen tief und für mehrere stunden, weil ich am nachmittag plötzlich so müde bin, dass ich nicht einmal mehr stehen und sitzen oder aufmerksamkeit für irgendwas haben kann. wir sprechen viel über die veränderte gegenwart. darüber zum beispiel, dass wir nachts weniger wach werden und auf telefon gucken. schneller wieder einschlafen, auch, weil es manchmal gar keine nachrichten gibt, die uns angezeigt werden. irgendetwas von der anspannung ist verschwunden. aber dann wieder zu schnell zu reaktivieren. heute zum beispiel, als israel wieder angriffe fliegt. es heißt immer, dass nun heilen beginnen könne. ich weiß einerseits nicht, was das heißt, aber zum anderen geniesse ich, dass wir jetzt anders über die letzten zwei jahre sprechen, mehr darüber, wie einzelne momente, ereignisse, abschnitte, zeiten für uns waren. es ist irritierend erleichternd. plötzlich eine vergangenheit in dem erleben zu sehen und sie ausprechen zu können. dabei ist gleichzeitig und dabei ziemlich langsam in ein bewusstsein durchgesickert, dass hamas die ermordeten geiseln nicht einfach zurück gibt. plötzlich gibt es einen neuen rhythmus, der aber viel unvorhersehbarer ist, zum einen, weil er keinen regeln folgt, hamas einfach im laufe eines tages ankündigt, abends leichen übergeben zu wollen, dies dann irgendwann passiert und dann ein warten bis zum nächsten morgen beginnt, bis die personenn identifiziert sind. manchmal übergeben sie dann aber doch niemanden und manchmal jemanden, der keiner der entführten ist, oder, wie letzte nacht, körperteile von Ofir Tzarfati, dessen leiche bereits im dezember 2023 von der IDF in gaza geborgen worden und dann beerdigt worden war. in der zwischenzeit gibt es ein drohnenvideo, in dem zu sehen ist, dass palästinenser ein loch graben, anschließend sterbliche überreste von Tzarfati aus einem nebenliegenden gebäude holen und sie hinein legen, erde darüber verteilen und dies dann den roten kreuz-mitarbeiter:innen präsentieren als etwas, dass sie nun für sie freilegen. mein hass, mein ekel, meine fassungslosigkeit, mein erschüttert-sein waren lange nicht so groß. wirklich. ich merke, wie mein gehirn versagt beim versuch, diese grausamkeiten zu begreifen. 13 geiseln werden nach wie vor festgehalten: Sahar Baruch, Itay Chen, Amiram Cooper, Meny Godard, Hadar Goldin, Ran Gvili, Asaf Hamami, Joshua Loitu Mollel, Omer Neutra, Dror Or, Oz Daniel, Lior Rudaeff, Sudthisak Rinthalak. die angehörigen sind sehr präsent, die überlebenden nehmen in jede ihrer erklärungen auf, dass sie zurück kommen müssen. ihre angehörigen nehmen sich weiter die zeit, sich an den kundgebungen und kampagnen zu beteiligen. die beiden letzten samstag-demonstrationen, auf denen ich sein konnte, waren enorm gut besucht. und haben nun eine neue dynamik durch die neuen extreme und verzweiflungen. menschen, die mit der freilassung der 20 überlebenden ihr ketten und armbänder abgelegt haben, legen sie wieder an. es ist irgendwie schwerer, aber es geht irgendwie auch selbstverständlich weiter. obwohl ich immer wieder merke, wie sehr einige menschen wollen, dass es vorbei ist. letzten samstag zum ersten mal auf einen mob aus bibi-anhänger gestoßen, die am rande der kundgebung provozierten. das alles ist noch lange nicht vorbei, gedacht. und ja, das alles ist noch lange nicht vorbei ganz unabhängig davon, dass die 13 endlich zurück müssen. nir oz besucht. Gadi Moses wiedergesehen und Efrat lange zugehört. veränderungen gesehen. aber auch die nach wie vor zu präsente zerstörung. und nach wie vor den brandgeruch gespührt. e. zeigt mir irgendwann eine nachricht aus deutschland, in der ihr jemand schreibt, ob israel denn wirklich für diese (damals noch) 19 toten geiseln den frieden riskieren will. sie sofort in die lange liste meiner verstörungen aufgenommen und es irgendwo eingekapselt, weil auch dies zu den dingen gehört, die ich nicht verarbeiten kann. in den letzten tagen mehrfach gesagt, dass ich angst habe, zurück nach deutschland zu kommen, weil ich wieder in situationen leben werde, in denen ich bestenfalls etwas erklären kann, über etwas sprechen kann, und etwas ist eine situation oder eine erinnerung, aber nicht teil einer gleichwertigen kommunkationen als austausch über etwas bin.

das nicht schreiben wollen begann an einem abend bei s. und y., zudem ein mit ihnen befreundetes paar eingeladen war, sie künstlerin, die einige monate für eine residency in paris war und davon erzählt, dass sie sich nicht getraut hat, hebräisch zu sprechen, zu erwähnen, dass sie aus israel kommt, arbeiten auszustellen, die dies verdeutlichen. nachdem ich mich sehr lange über die situation in berlin und europa ausgelassen habe gegenüber menschen, die doch so gute erfahrungen in der stadt hatten, aber sich in italien nur trauten, sehr leise hebräisch zu sprechen, sagt die frau zu mir, wie dankbar sie dafür sei, weil sie seit ihrer rückkehr immer vermittelt bekommt, dass sie übertreibe, dass es so schlimm doch nicht sein könne, dass sie einfach nur persönlich pech hatte. ich komme tagelang nicht über diese verstörung hinweg, und auch nicht über die, dass menschen, die so gebildet sind, nicht verstehen, wie antisemitismus funktioniert, die denken, wenn sie sich nur weit genug und immer und immer wieder von der regierung distanzieren, es schon gut gehen wird für sie. ich bin so ko nach diesem abend. wobei natürlich ko sich nur als weiterer layer über ko-sein legt. wobei ich jetzt manchmal wirklich denke, dass ich mich tatsächlich wieder ausruhe, wenn ich mich hinlege. irgendwas fällt ab, irgendwelche erstarrungen lösen sich. das alles ist noch lange nicht vorbei, und ändert sich trotzdem.

auf der beerdingung von Inbar Hayman gewesen, den anfängen der beerdingungs-wege von Ronen Engel und Yossi Sharabi begewohnt. n. in jerusalem getroffen und endlich ihre mutter kennengelernt. n., die mir damit einen raum möglicher anwesenheiten aufmacht, einen rückzug in einer welt, die eine wohnung ist, die man nur aus beschreibungen einer anderen zeit kennt. ich war ewigkeiten hier. wirklich ewigkeiten die in keiner beziehung zu sieben tatsächlich zählbaren wochen stehen. ich habe keine einzige ausstellung besucht und ich habe vor allem die stadt und einige orte außerhalb ihrer grenzen nicht in der gleichen weise besucht, die ich sonst praktiziere, also des bewussten aufsuchens, der bewussten rückkehr und sei es nur für einen moment. ich habe so viele rituale abgelegt. wenigstens für diese sieben wochen. die gleichförmige selbstverständlichkeit meiner anwesenheit ist etwas, über das ich mich zwingen muss, nachzudenken. ich habe in den letzten sieben wochen irritierend wenig über meine anwesenheit nachgedacht und mich erstaunlich wenig in meiner beziehung zu ihr beobachtet.

741. oktober, ein erster versuch

seit tagen mogele ich mich um das schreiben herum, aber anders, als bei allen anderen versuchen in den letzten fast zwei jahren. versuche mich mit momenten zu überreden, frühstück im lieblingscafe dazu oder bier und zigarette in einer kneipe. jetzt sitze ich auf dem sofa in meiner wohnung, habe aber immerhin kaffee geholt und mir ein croissant erlaubt. es geht jetzt nicht mehr, über den 7. oktober zu schreiben und komischerweise geht es auch nicht, über einen der darauffolgenden tage zu schreiben, über das gefühl, hoffen zu wollen und es sich zugleich nicht erlauben zu können, nochmal ein anderes gefühl von angst zu haben. montag kamen dann, in zwei stufen, 20 überlebende zurück: Gali und Ziv Berman, Alon Ohel, Matan Zangauker, Ariel und David Cunio, Omri Miran, Eitan Horn, Guy Gilboa-Dalal, Eviatar David, Avinatan Or, Bar Kuperstein, Eitan Mor, Rom Braslavski, Yosef-Chaim Ohana, Elkana Bohbot, Nimrod Cohen, Maxim Herkin, Matan Angrest, Segev Kalfon. obwohl schon klar war, dass hamas nicht wie vereinbart, die 28 ermordeten ebenfalls an isarel übergibt, setzte sich dies erst langsam in der wahrnehmung durch. es gibt viele videos, wie menschen ihre ketten oder gelben schleifen abnehmen. abends kamen dann vier särge zurück: Guy Illouz, Bipin Joshi, Yossi Sharabi und Daniel Peretz. am nächsten tag drei weitere: Tamir Nimrodi, Eitan Levy und Uriel Baruch und gestern nacht dann Inbar Haiman und Muhammad el-Atrash. hamas verstieß zwar damit gegen das abkommen, aber es schien, dass es quasi keine druckmittel für israel dagegen gibt. nun sagen sie, mehr hätten sie nicht lokalisieren können. wir sehen wieder besessen die videos der überlebenden an und wir hören wieder geschichten der gewalt; von käfigen, so klein, dass man darin nicht stehen konnte, von einsamkeit und isolation, von angeketteten körpern, von schlägen und anderer gewalt, von wenigem bis keinem essen, von keinem sonnenlicht, zu wenig luft zu atmen, manchmal über die gesamten zwei jahre. gestern abend war ich auf der beerdingung von Daniel Peretz. Matan Angarest war da, der vater von Itay Chen, dessen leiche immer noch in der gewalt der palästinenser ist, ebenfalls. Matan hat gesprochen. wie zerbrechlich er ist. wie traurigkeit aussieht.

mehrmals zu anderen gesagt, dass ich noch nie in meinem leben so viele gefühle gleichzeitig hatte, die sich dabei in so einer großen spannbreite bewegen. und wie gleichzeitig rahmen und anker fehlen, sie zu fassen zu bekommen, einzuordnen. überwältigt ist zu wenig. auch hierbei und jetzt geht die suche nach superlativen weiter, dabei die wiederkehrende erkenntnis, dass die worte, die ich kenne, nicht ausreichen, auch nur annähernd zu sagen, wie es mir geht, was ich denke. mehrmals höre ich etwas zu den geräuschen, tönen, schreiben, die die angehörigen machen, als sie die überlebenden wiedersehen. wie diese kommen aus dem tiefsten ihrer körper, wie sich alles in sie legt, wie man sie nie vorher gehört hat, wie sie sich tief eingraben. auch dafür gibt es keine begriffe.

jetzt endlich kann ich außerhalb meines kopfes zugeben, dass ich angst hatte, das Ariel Cunio ermordet wurde, merke ich die erleichterung, dass (weitere) 20 das tatsächlich überlebt haben. wie gut man sie kennt. wie irritierend das bleibt. jetzt merke ich, dass (auch) ich anders atme. selbstverständlicher. habe in den letzten tagen so oft gehört, dass ich es verdiene gerade hier zu sein, so oft, dass ich es fast selbst glaube, mich dann aber doch immer auch daran erinnere, dass das eine merkwürdige feststellung bleibt, egal wie viele menschen sie wiederholen.

und ich habe bewusst zum ersten mal seit zwei jahren etwas allein vorfreudiges angedacht, dass zudem in unüberschauberer ferne liegt: konzerttickets für the cure im nächsten sommer gekauft.

20251006, abends

seit ein paar tagen gibt es einen vorschlag für einen neuen deal, einen 21-punkteplan, als deren erster schritt alle 48 geiseln freikommen sollen. seit heute wird dazu in ägypten verhandelt. so nahe waren wir noch nie und manchmal erwische ich mich und andere, dass wir sachen denken wie: vielleicht mache ich das jetzt zum letzten mal oder wenn das vorbei ist, fahre ich erst einmal nach griechenland und mache urlaub oder vielleicht lohnt es gar nicht mehr, sich noch ein tshirt zu kaufen. dann erschrickt man, immer. weil hoffen geht nicht, es ist nicht gestattet oder vielleicht ist es gestattet aber die angst schnürt alles ab. wirklich. die angst schnürt alles ab. ich schlafe wieder im stunden-rhythmus und wenn ich das jemandem gegenüber zugebe, sagt er oder sie, dass auch er im stunden-rhythmus schlafen. es ist ein bisschen peinlich, weil wir alle ja wissen, dass nachts sowieso keine nachrichten dazu kommen werden. es fühlt sich an, als wäre mein körper nocheinmal unter einer neuen art der anspannung. ich kann mich wieder weniger konzentrieren. aber anders weniger konzentrieren als in den monaten nach dem 7. oktober. ich will so sehr, dass jetzt alle zurückkommen. s. schreibt, dass sie so angst hat, wer noch alles tot sein wird. weil das jemand als lebend gilt, heißt ja auch nur, dass man das gegenteil bisher nicht weiß. und ich vermute, wir haben gleich gesichter und namen und geschichten im kopf. ich habe sie. aber ich würde sie nie aussprechen. komisch, dass diese art von vorstellungen unglück aufzuhalten, immer noch funktioniert. und hamas sagt, sie brauchen mehr zeit, weil sie nicht wüssten wo alle sind. warten. auf der demo am samstag waren so viel mehr leute und es war so viel mehr eine nochmal andere stimmung. Einav Zangauker hat geschrieen, Gadi Moses hat gesprochen, Omar Shem-Tov auch und eine tante von Hadar Goldin. dieses angehörige jetzt erkennen, auch wenn man sie außerhalb des hostage-square-und-demonstrations-raumes sieht. am freitag bin ich mit einer frau aus kfar azza in den süden gefahren, erst zu einer der kreuzungen, an denen angehörige protestieren und übernachten, dann zu einer gedenkveranstaltung für Hadar Goldin. sie spricht nicht, über das, was ihr passiert ist und ich will nicht einfach danach fragen. sie erzählt von ihrer freundin als wir eine yellow gas station passieren, an der sie ihr immer kaffee gekauft hat, bevor sie sie im krankenhaus besuchte und davon, dass sie hier nie wieder gehalten hat und dass sie keinen espresso mehr trinkt. am samstag fragt sie mich, ob ich mit ihr zur gedenkveranstaltung nach kfar azza begleite und dabei erfahre ich, dass diese freundin Gila Peled war, die gemeinsam mit ihrem mann Yozar und dem sohn Daniel am 7.oktober in ihrem haus in kfar azza ermordet wurden. ein paar stunden später schreibt sie mir, sie könne nicht fahren, angstattacken und keine kraft, das haus zu verlassen. ich fahre dann nach jerusalem zu einer 101-kundgebung und erlebe zum ersten mal, wie diese veranstaltungen hass auslösen bei anwohnerinnen und vorbeigehenden. jemand schenkt mir einen weißen pullover, weil es abends nun schon kalt ist. das zentrum von jerusalem ist voll mit menschen, religiösen amerikaner:innen vor allem. es ist laut und fröhlich und überladen. es ist zu viel. und zu ungewohnt. und man kann fast vergessen, dass die realität anders ist.

jemand schrieb heute irgendwo: jetzt haben die leute begonnen, sich für die nova-party fertigzumachen und loszufahren. ich kann mich einfach nicht erinnern, was ich am 6. oktober gemacht habe. ich muss das vielleicht auch gar nicht, ich habe niemanden verloren und keine erinnerungen an ein davor festzuhalten. aber ich wüsste gern präsenter, wie das war und vielleicht konkreter trotzdem einfach gern, wie der tag davor für mich war. vermutlich langweilig, ich weiß.

ich fotografiere kaum noch. und ich weiß nicht genau, warum. ist alles um mich herum so normal für mich, dass ich es nicht mehr mit bildern bannen muss? oder bin ich einfach nicht mehr interessiert, es zu tun. entdecke ich nichts neues mehr. nichts was mich beschäftigt. wenn ich das überdenke, und das tue ich in selbstbeobachtung seit mindestens zehn tagen, ist es interessant, aber es löst nichts aus. vielleicht ist es einfach nur teil einer depressiven irgendwas.

ich sitze in meiner wohnung und draussen ist es laut und fröhlich und singen. es ist der erste abend von sukkot.

20250928, abends

ich schlafe viel und tief und lange, aber ich kann nicht nur nicht einschlafen, sondern habe panische angst vor dem einschlafen. seit dem ich mir den zustand des wartens bewusst gemacht habe, ist er mir fast immer bewusst. und ich pflanze die idee in die köpfe anderer wenn wir darüber sprechen, was anders ist, was unseren alltag ausmacht. o. sagt, er kann nicht glauben, dass dieser krieg seit zwei jahren unsere realität ist. dass er sich erinnert, wie am anfang einige dachten, ein jahr max. und wie unvorstellbar das erschien. ich sage, wie krass es mir ist, dass wir phasen darin haben, geschichten, verschiedene zeiten. dass die zeit weitergeht und gleichzeitig stillsteht. dass immer noch 7.10.23 ist. die unnormalität ist realität geworden und normal. ich glaube, dass ist es, was die größte veränderung für mich ist seit april 25: das es normal ist, dass ich mich auf eine weirde weise gewöhnt habe an einen ausnahmezustand. am nächsten morgen hat trotzdem immer ein coffeeshop offen, schreibe ich jmd. auf instagram und sie antwortet mit einem lachenden emoji: ja. die tage vergehen schnell und übersichtlich, in routine. wir verlassen das haus nicht, wenn die raketen aus dem yemen kommen, auch nicht als wir wissen, dass eine drohne in einem hotel in eilat einschlägt. ich merke, dass auch ich weniger auf geld achte, es ist irgendwie verschwommen, darüber nachzudenken. ich gebe zu viel aus und verspreche mir, dass ich in deutschland wieder mehr darauf achte, e. aber auch, dass ich im dezember wiederkomme und wir dann endlich mal ein paar touren machen, uns synagogen angucken zum beispiel. wir alle sind uns immer einig, dass wir nicht mehr planen und dass wir mit anforderungen von menschen in deutschland, konkrete vereinbarungen zu treffen, nichts anfangen können und auch nichts anfangen. ich sage einfach immer zu allem ja und mal sehen und habe den verdacht, dass der november zum beispiel über mir einbrechen wird. ich höre zu viel über finanzielle probleme. jedes gespräch ist immer noch nach wenigen sätzen bei den geiseln oder dem krieg, aber wir sprechen routinierter irgendwie. wie die parolen auf den kundgebungen sich wiederholen und dabei vielleicht weniger bedeuten, oder anderes, wie die geiselangehörigen wissen, dass sie allein sind und unsere versicherung אתה לא לבד eigentlich auch uns aufrecht halten soll, wie wir ein bisschen vielleicht die wiederholung und herstellung der struktur brauchen, und wie wir wissen, dass wir offensichtlich nichts ausrichten, so wissen wir in unseren gesprächen auch nicht mehr anders oder neues zu sagen, über die geiseln, und über die angst, und über den krieg. und reden trotzdem über wenig anderes. vielleicht ist es gar nicht das schlimmste, dass verzweiflung immer mehr wird und immer schwerzhafter, vielleicht ist das schlimmste, wie wir mit ihr leben lernen und wie sie sich eingräbt in unsere körper. es gibt eine für mich neue beziehung zwischen ausnahmezustand und gewöhnung. und immer denkt man: wie schlimm muss es erst für die angehörigen und freund:innen sein und immer fühlt man sich schlecht, wenn man etwas schönes macht oder wenn man es nicht hinbekommt, auf die kundgebung zu gehen. wie ich gestern.

mein gefühl sagt mir, dass ich schon wochen hier bin. dabei bin ich erst letzten freitag zum flughafen gefahren, damit e. mir mit ihrer rückkehr meinen neuen rechner übergibt, weil ich den alten drei tage vorher endgültig gecrasht habe. ich weiß nicht, was es ist mit meinen macbooks und tel aviv. dabei passiert nicht viel. und trotzdem alles. ich kann das gefühl nicht fassen, das ich habe. aber zwischendurch werden es bekannte depressionen. ich höre natürlich nicht einfach auf zu atmen, aber ich muss mich zu oft daran erinnern, es nicht zu tun. ich bekomme plötzlich komplimente, etwas, dass mir seit jahren nicht passiert ist. ich fahre nach sderot, nova-gedenkstätte und re’im. ich verstehe die erzählungen nicht und ich verstehe alles daran. das nova-gelände wird weiter zu gedenkstätte, nun mit markierten räumen, die von ereignissen erzählen sollen, von den gelben containern zum beispiel und von der mushroom bar. es gibt immer noch keine bushaltestelle, aber es gibt so viel mehr tafeln für die einzelnen opfer und viele beginnen sich in ihren inhalten zu ähneln. zwei männer kommen, die eine 2 und eine 5 als luftballon dabei haben. sie binden sie an eine der tafeln. und sie weinen. die zeit vergeht nicht. der schmerz steht zwischen den bäumen und zwischen den schildern. im hintergrund hören wir die einschläge in gaza city. sie sind viel lauter als ich sie vom dezember 2023 in erinnerung habe. aber die gedanken, die aus der verbindung von ort und geschichten und zerstörung in gaza entstehen, sind die gleichen. sie überrraschen mich nur weniger. ein angehöriger von Noa Zander führt uns über das gelände und später zu einem der shelter bei re’im. da erst verstehe ich, dass Noa Zander die frau war, von der ich im letzten jahr eine erinnerungsstätte an diesem ort gefunden hatte, zufällig, als ich nach einem gangbaren weg zur nova-gedenkstätte suchte. es war ein provisorum, klein und ist jetzt durch ein denkmal ersetzt. das erinnerungszeichen damals war für mich irgendwie ein synonym für die gegenwart der erinnerung, für ihre unmittelbarkeit und für das gefühl, dass man hier jederzeit auch unvorbereitet und jenseits des sich definierenden gedenkortes auf sie treffen kann. und vielleicht ist es in seiner jetztigen form ein synonym auch dafür, dass sie das gedenken verfestigt. die menschen, die wir in re’im treffen, sprechen mehr über die zeit ab dem 7. oktober als über den tag selbst. die reisegruppe pflanzt einen zitronenbaum, wir sehen die neuen häuser, die gebaut sind und noch werden, wir sehen weniger von den zerstörungen und dem schrecken und kaum etwas von erinnerungszeichen. als der bus zurück fährt entlang der felder und landschaften denke ich wieder, wie viele orte es hier zum verstecken gibt und wie viel vernichtungswillen die täter hatten, die zu finden.

e. ist während der tage des iran-krieges in mein zimmer gezogen und da geblieben. hat sich eingerichtet und mir ihr schlafzimmer überlassen. das ein eigenes bad hat und ein schönerer raum ist, aber eben kein schutzraum. auch das sagt irgendetwas über irgendeinen teil der situation. ich höre das interview mit Ora Rubinstein, der tante von Bar Kupershtein, und am ende hiess es plötzlich, dass wir morgen vielleicht in einer anderen situation sind; in einer, in der wir wissen, dass der krieg aufhört und alle geiseln nach hause kommen. vor ein paar tagen stand ich auf dem platz der geiseln und die tafel, die das verstreichen der zeit anzeigt, war ausgefallen und ich dachte für einen moment, wie es sein könnte, wenn wir sie nicht mehr brauchen.

noch einmal wurde ein video von Alon Ohel veröffentlicht, noch einmal mussten Eitan Horn, Yosef Haim Ohana, Ziv und Gali ihren geburtstage in der gewalt der palästinenser verbringen. Yossi Sharabi hätte seinen 55. geburtstag feiern sollen. Edan Alexander hat seine rückkehr zur IDF angekündigt. in berlin gingen am wochenende 60- bis 100.000 menschen für gaza auf die straße.

20250916, später abend

ich habe zu viele gefühle, zu viele eindrücke zum schreiben. aber ich denke, wenn ich es nicht jetzt noch mache, gibt es morgen schon zu viele neue gefühle und eindrücke, und am ende ist alles ein wabern.

gestern nacht nicht einschlafen gekonnt, aus angst, dass wir am nächsten morgen schlimme nachrichten bekommen. und ich fühle mich dem nicht gewachsen. seit gestern abend gibt es eine grossoffensive in gaza city und man weiß, dass hamas geiseln als schutzschilde aus den tunnel geholt hat. was für ängste die eltern, frauen, kinder, familien, freund:innen haben müssen, was für ängste. nachts kam dann ein aufruf nach jerusalem zu kommen, aber da war der letzte zug gerade abgefahren und ich dachte zum ersten mal, mist, dass ich kein auto habe. und heute gab es zu viele dinge. morgen dann, ich versuche.

wir hören und fühlen manchmal die detonationen und wir haben uns nach den ersten sofort daran gewöhnt.

tage sind schon wieder ewigkeiten.

abends in suzanne dellal ein stück der Kamea Dance Company gesehen. eines der drei letzten tickets gekauft und erleichtert gewesen und dann in der vorstellung bleiben ein drittel der plätze leer. es ist so leise. dass ich nicht dachte, dass israelis so leise sein können. in der straße davor gibt es seit mindestens mehr als einem jahr den großen bring them home schriftzug an einem bauzaun. gestern sehe ich dann, dass das bring fast vollständig verschwunden ist und ich denke, wie strange und dann auch, dass es offensichtlich wenig versuche gibt, neue kampagnen und zeichen im öffentlichen raum zu platzieren. so wie das banner sehen viele andere plakate, graffiti, bilder, schleifen, transparente auch aus. und es ergibt sich eine merkwürdige diskrepanz zur tatsächlichkeit, in der wir sind. und ich frage mich dann, ob es vielleicht dafür auch einfach keine kraft mehr gibt. die bilder verblassen, die zeichen verblassen. obwohl es noch lange nicht an der zeit dafür ist. obwohl wir noch mittendrin sind. am habima eine durchlaufende videoinstallation gefilmt, die noch geiseln zeigt, die nicht mehr in gaza sind, Edan Alexander zum beispiel, Judy Weinstein and Gad Haggai. wie komisch das ist, dass niemand sich mal die mühe macht und zeit nimmt, das zu ändern. am samstag abend bemerkte ich, dass es viel selbstverständlicher und viel umfangreicher passiert, dass auf den bildschirmen gewaltbilder des 7. oktobers gezeigt werden.

bei gestrigen tag und nach lunch im fast leeren yom tov und nach abgabe der kommentierten druckfahnen nochmal zur kreuzung pinsker / allenby / ben yehuda gegangen. bei tageslicht wird es nicht einfacher, die zerstörten häuser zu sehen. und erst jetzt verstehe ich, wie groß die betroffene fläche ist, wie viel mehr als nur die zur straßen ausgerichteten fassaden. niemand scheint die straßen zu nutzen ausser mir und drei amerikanischen tourist:innen.

im bus setzt sich eine alte frau gegenüber, sagt etwas auf hebräisch, vermutlich zur hitze und schwere des moments. ich antworte, dass ich kaum hebräisch spreche, sie daraufhin in gebrochenem englisch, wie schlimm alles sei und mit fingerzeig auf meine kette, dass sie jeden tag um die geiseln weine. ich auch, nicke ich und als sie mir ihre hand auf den arm legt, weinen wir beiden einen moment. danach mit lila im bucke, in dem nur noch fünf andere menschen saßen und in dem sich niemand die mühe gemacht hatte, eine veränderte speisekarte noch ins englische zu übersetzen. danach gesehen, dass das Nechama Vehezi geschlossen ist, also so richtig, nicht einmal mehr möbel und die kneipe/bar nebenan auch, danach auf dem habima platz gesessen und jmd. sagt am telefon, er will derjenige sein, der mich fragt, wie es mir geht.

jetzt fällt mir noch ein, dass ich letzten freitag zum ersten mal vor shabbat den shuk besucht habe und mich ohne gedränge bewegen konnte.

und jetzt merke ich schon, dass ich heute wieder nicht einschlafen werde, dass sich das gefühl der erwartung von etwas, dass bald realität ist, wie blei unter meine haut zieht.

ich habe zu viele gefühle, zu viele eindrücke zum schreiben. aber ich denke, wenn ich es nicht jetzt noch mache, gibt es morgen schon zu viele neue gefühle und eindrücke, und am ende ist alles ein wabern.