20250420, nachmittags

es ist ostern und es ist still. oder zumindest stiller. ich weiß immer noch nicht so richtig, warum und wie die zeit vergeht. ich würde sie gern nutzen, um intensiv zu schreiben, aber ich bekomme es nicht hin. ich kann mich nicht konzentrieren, ich kann nicht denken. und ich habe einfach keine lust. ich bin nach wie vor so müde und manchmal schlafe ich nun auch tagsüber. aber ich weiß nicht wirklich, was ich darüber hinaus so mache. sinnlos übers tempelhofer feld laufen. sinnloses zeug streamen. in der wohnung auf und ab gehen. mich immer noch mit der einstellung rumärgern. einen text in einer zeitschrift durchsetzen. manchmal etwas entscheiden, und mich dann für eine kleine weile besser fühlen. heute wieder mit yoga angefangen und gemerkt, wie schmerzhaft mein körper auf bewegungen ausserhalb des üblichen reagiert. den schmerz ein bisschen zu sehr genossen. vor ein paar tagen in einer größeren runde ex-cottbuser:innen fast bestanden. nur am ende und betrunken einen wirren und wütenden vortrag gehalten, weil die situation der geiseln in deutschland niemanden interessiert. die zeiten, mich einzuladen, werden bald wieder zu ende sein. ich bin seit mehr als drei wochen zurück und ich stelle fest, dass dies noch lange nicht ausgereicht hat, mich in den realitäten von anderen wieder zurecht zu finden. und es kommt mir so vor, als würde sich niemand in meinen realitäten zurecht finden (wollen). es gibt keinen von anderen für mich geschaffenen raum, um wütend zu sein. und keinen für die traurigkeit oder für die komplexität und die länge der geschichten. ich höre anderen zu, wie sie ihr kindheits-oster-traditionen in gegenwart transportieren und wie sie etwas bedeuten. und ich bin davon ge/berührt und es verstört mich, dass ich so etwas gar nicht habe und vielleicht bin ich neidisch und ein bisschen noch verlassener als sowieso. heute und gestern besser, aber davor so schlimme depressive anfälle gehabt, dass ich zum ersten mal in jahrzehnten depressiver anfälle dachte, ich kann damit nicht mehr leben, mit diesen despressiven anfällen. davor konnte ich immer nicht mehr leben mit situationen und/oder als strategie bei überwältigungen. aber nun dachte ich zum ersten mal, ich kann damit nicht mehr leben und meinte etwas grunsätzlicheres. das hat mich so erschrocken, dass ich erstmal keinen schlimmen depressiven anfall mehr hatte.

saul friedländer israel im krieg gelesen und ich will nichts schlechtes über saul friedländer sagen und nicht einmal denken, aber vom beginn an habe ich mich gefragt, was das für ein buch sein soll. ein tagebuch, steht im titel, aber ich kann nicht glauben, dass jemand so nüchtern, so emotionslos am 7. oktober begann, das politische geschehen zu sammeln. die geiseln kommen kaum vor, ihre namen noch seltener, die ermordeten auf israelischer seite noch weniger. wo der autor ist und in welcher beziehung er zu den ereignissen und zu den menschen und realitäten in isreal steht, bleibt gänzlich offen. mehr als einmal gedacht: geh doch mal vor die tür und frage jemanden, wie es ihm/ihr geht. keine reflektionen eigener (persönlicher) gegenwart oder biografischer vergangenheit, bestenfalls eine sammlung politischer ereignisse, (berechtigter) tiraden gegen die regierung und eigener halbgarer mutmaßungen, die aber anschließend nie mit einer entwicklung abgeglichen werden. antisemitismus in europa und an den amerikanischen unis wird zur kenntnis genommen, aber mehr als einmal heruntergespielt und in der summe dann scheinbar nicht verstanden. etwas, was bei jemandem wie ihm eigentlich nicht sein kann. für ein deutsches publikum geschrieben, habe ich mehr als einmal gedacht. immer wieder hält er eine zwei-staaten-lösung hoch aber wie das (noch) funktionieren soll außer als leere formel für realitätsfernes (europäisches) hoffen wird mir nicht klar. habe mehr von allem verstanden, weil ich phillip spencer zuhöre oder k.s mail lese. ärgerlich. auch, dass ich es schon seit seite 2 wusste aber trotzdem weitgelesen habe in der erwartung von irgendwas. davor die tore von gaza beendet. auch nicht supergut gefunden im schreiben – immer an demoberichte in den frühen 2000er jahren erinnert gefühlt -, aber wenigstens etwas gelernt und verstanden und emotionen gehabt. jetzt Dror Mishani Fenster ohne Aussicht: Tagebuch aus Tel Aviv.

the cure kündigen etwas für montag an.

hamas verlautbarte, dass sie nichts vom schicksal und der situation Edan Alexanders wisse, da sie seit dienstag den kontakt zu denjenigen verloren habe, die ihn bewachten. mindestens einer der terroristen sei tot aufgefunden worden. vorangegangen sein soll ein angriff der idf in der gegend. gestern veröffentlichte hamas ein video von Elkana Bohbot, ein paar tage davor der islamische djihad eins von Rom Braslavski, und letztes samstag hamas eins von Bar Kupershtein. Noa Argamani wird zum time magazin zu den “100 most influential people of 2025” gewählt. Dror Mishani hat in seinem tagebuch den moment beschrieben, als er ihr video von der entführung zum ersten mal sah und so stellen sich meine beziehungen zu allem möglichen heutzutage her. cynthia nixon kündigt den trailer für die neue staffel and just like that in einem hemd an, dessen stoff eine großflächige palästinafahne ist. kann sie machen, löst keinen skandal mehr aus, nur große freude bei ihren unterstützer:innen und fans, nehme ich an. im süden von gaza hat ein soldat einen kleinen hund gefunden, der hebräisch verstand und dann stellte es sich heraus, dass dies der kleine hund billy von Rachel Dancyg aus nir oz ist, deren ex-mann Alex von hamas entführt und in gefangenschaft ermordet wurde ebenso wie ihr bruder Itzik Elgarat. 847 idf-soldat:innen sind seit dem 7. oktober gefallen.

die irische band kneecap projizierte während ihres auftritts beim coachella in kalifornien gestern israelfeindliche slogans über die bühne und ihr sänger gab zudem verschiedene israelfeindliche, antisemitische und pro-palästinensische statemants zum besten. das war auch letzte woche bei ihrem auftritt schon so gewesen, aber aus dem livestream geschnitten worden. ein spanischer fernsehsender fordert, dass israels beitrag vom esc ausgeschlossen wird. die malediven haben nach mehrfacher ankündigung in den letzten 18 monaten nun endgültig beschlossen, dass menschen mit einem israelischen pass nicht einreisen dürfen. in villeurbanne wird ein jüdischer mann angegriffen, geschlagen und antisemitisch beschimpft, in neukölln fliegt ein stein in ein fenster des bajzel, in charlottenburg werden eine frau und ihr begleiter ein paar tage zuvor von zwei männern antisemitisch beschimpft. an der alice-salomon-hochschule findet eine veranstaltung mit qassem massri und udi raz statt. propalästina/prohamas aktivist:innen besetzen mittwoch mittag zudem den emil-fischer-hörsaal auf dem campus nord der humboldt-universität, deren leitung ihn am abend räumen ließ.

561 tage.

20250414, abends

ich bleibe isoliert. und wie immer in diesen zeiten stelle ich schmerzhaft fest, wie einfach mir das möglich ist. und wie ich einfach verschwinden kann. kann, könnte, sollte, möchte. überhaupt machen mir wieder alle die dinge schwer. so scheint es. oder so ist es.

Rachel Goldberg-Polin hat ein langes interview gegeben, zu pessach und seiner bedeutung vor dem hintergrund, dass es immer noch 59 geiseln gibt. ich brauche tage, es mir anzuhören. gestern gab es einen kleinen seder-tisch für die geiseln am brandeburger tor und ich erwische mich bei dem gedanken, dass ich jetzt zu den menschen gehöre, die in kleinen gruppen dort auf diesem unwirtlichen platz stehe und plakate hochhalte, die keinen interessieren. alles fühlt sich stumpf an. alles ist wie laufen durch watte. am freitag habe ich zwei menschen vor dem bajzel sitzend die bilder der kibbutzim gezeigt und ihnen erklärt, was sie sehen. zum ersten mal. ich weiß gar nicht, was ich mache und warum die zeit vergeht.

ich merke immer wieder, wie menschen hier nichts mit meinem letzten tattoo anfangen können, dass sie die bedeutung nicht instinktiv erfassen, dass sie kein vorwissen haben, um sie zu erfassen und/oder dass sie dann mit der geschichte nichts anfangen können. dass sich hier nie diese wärme einstellt, wenn man darüber spricht. wie viel anders das ist und wie viel anders-sein sich an kleinen dingen und nebenschauplätzen festmacht. in nirim habe ich auf dem arm von Adele Raemer ebenfalls eine version der blüte gesehen und mich kurz geschämt, weil es mir wie eine unangemessene aneignung vorkam, weil sich unsere erfahrungen und unsere überlegungen so grundlegend unterscheiden. ich erinnere mich, wie m. sagte, du hast dich selbst zu einem teil von etwas gemacht und vielleicht ist es das eben auch, das verbundenmachen und das dann verbundensein und dafür ein bild suchen.

a. spielt in einem theaterstück mit, ich glaube eine der hauptrollen, und ich freue mich. dass er diese dinge wieder macht und dass er erfolgreich damit ist.

zwischen allemm gibt es immer wieder meldungen zu verhandlungen. zu zahlen möglicherweise freizulassender geiseln. mal heißt es 9, mal 11. immer wieder Edan Alexander. hamas bietet an, alle freizulassen für waffenruhe. dann wieder, dass sie ihrer entwaffnung nicht zustimmen und es deshalb keinen deal geben wird. jemand hat das wohnhaus des gouverneur von pennsylvania Josh Shapiro in brand gesetzt. ob es eine antisemitische motivation des täters gab, ist noch unklar. greenday widmen während ihres auftritts beim coachella festival einen song “the kids from palastine”. johnny rotten bezeichnet die hamas als “nichts weiter als einen haufen von ‘judenvernichtern'”. die plattform boiler room löscht alle videos von auftritten in israel. Tal Shoham spricht über seine erfahrungen als geisel in gaza in der UN. in london stellen jurist:innen strafanzeige gegen zehn briten, die in der IDF gedient haben.

ich bin müde. und ich fühle mich sehr allein.

20250406, abends

wie schon so oft, würde ich gern darüber schreiben, dass ich nicht schreiben kann. und dann halt zu schreiben. aber eben nicht das, was es mir verunmöglicht zu schreiben. oder mich glauben lässt, nicht schreiben zu können. mir ist vor ein paar tagen aufgefallen, dass ich bilder, die in in der gaza envelope gemacht habe, nicht posten kann. also ich habe einige an eine kleine auswahl von menschen geschickt, aber ich habe sie auf keinem meiner accounts verwandt. und ich glaube, da trifft sich etwas mit dem nicht-schreiben können. weil natürlich kann ich schreiben genau wie ich (theoretisch) weiter bilder posten könnte. aber es geht nicht darüber und irgendwie vielleicht auch nicht zu be-schreiben, wie sich das alles anfühlt. und weil ich nicht viel anderes mache, als darüber zu denken, führt das alles zu dem gefühl, nicht schreiben zu können. dabei ist viel andere realität. als wir in kibbutz magen waren, sagte jemand, das menschen in israel antisemitismus oft nicht wahrnehmen, weil er in ihrem konkreten leben in israel keine rolle spielt. und ich merke viel mehr als in den letzten rückkehr-zeiten wie ich in eine ganz andere realität gespült bin, der bruch ist mir viel deutlicher und mein bewusststein dafür geht weit über beschmierte wände hinaus.

ich verbringe ein wochenende, fast ohne mit jemandem zu sprechen und ohne dass mich jemand sehen will. ich merke, dass diese gute phase der wieder-ankunft kürzer ist dieses mal, weniger intensiv. das liegt auch an mir, daran, dass ich wenig lust und energie habe für die realität der anderen und daran, dass ich nicht weiß, wohin mit meiner. dass ich merke, wie meine wahrnehmung anstrengend für andere ist. was will man mit jemandem, die immer einen bezug herstellt, die aus einem wunderbaren konzert von slowdive in leipzig kommt und die dann vor allem zu erzählen hat, wie schön es ist, auf einem konzert zu sein, wo die menschen nicht nur nett sind, sondern kein einziger ein pali-tuch getragen hat.

ich sehe mir wohnungen in tlv an, so als könnte ich tatsächlich gerade eine suchen. es ist kein heimweh, ich fühle mich nur fremd und fehl am platz. vielleicht nochmal eine andere form von verlorenheit. wer weiß schon um die nuancen im gefühl und wie sie in sprache umtauschen.

heute morgen “treasure” gesehen und am ende ein bisschen geweint.

gestern veröffentlichte hamas ein video von Bar Kupershtein und Maxim Herkin. Bar Kupershtein hatte am 1. april seinen 23. geburtstag. Amit Soussana hat den US international woman of courage award bekommen. israel hat warnungen vor angriffen ausgesprochen für reisende, die die kommendenn feiertage für einen urlaub im ausland nutzen wollen. in london waren anfang der woche bereits drei israelis von dutzenden jungen männern angegriffen und geschlagen worden. jon und rachel polin-goldberg haben israelische politiker:innen aufgefordert, auf das tragen der yellow ribbon zu verzichten, wenn ihre handlungen das überlebenden der geiseln in gefahr bringen. es gab viele interviews, unter anderem sprach Ilana Gritzewsky in einem Interview mit der ny-times von den sexualisierten angriffen auf sie.

20250326, zu früher morgen auf dem flughafen

am ende ist immer alles auch ein bisschen taub. vielleicht ist das aber auch nur die übermüdung. dabei habe ich dieses mal sogar ein paar stunden geschlafen und dachte zunächst, dass ich dieses abreisen zumindest auf der ebene schlafdefizit leichter manage. alle sorgen wegen dem visa waren umsonst, es dauerte 20 minuten vom betreten den flughafens bis zum verlassen der gepäckkontrolle. wenn das flugzeug nicht ausgebucht wäre, hätte ich ein upgrade bekommen. bei der befragung am eingang ging es nicht einmal mehr darum, was ich im land gemacht habe. zur strafe für all dies muss ich mit einer schulklasse reisen. und ja, ich schreibe so viel über zeugs weil ich eigentlich viel sagen müsste über den vergangenen tag, aber das ist zu schwer und deshalb kann ich auch gleich gar nichts mehr sagen über die zeit davor, weil dies alles oder doch vieles ein bisschen verblassen lässt. wir waren in den kibbutzim nir oz, nirim, magen und auf dem nova-gelände. wir haben überlebende getroffen und ihre geschichten gehört. wir haben dies zu einem zeitpunkt gemacht, an dem das sprechen über das, was passiert ist, noch nicht erprobt es. und auch die begehungen noch keinem plan folgen, kein pädagogisches konzept hinter ihnen steht. wir haben gadi moses getroffen und er hat uns mit in sein haus genommen. wir haben Renana Gonen getroffen, ex-frau von Yair Yaakov, der ermordet wurde und dessen leiche nach wie vor in der gewalt der terroristen ist. ihre beiden söhne Or und Yagil, damals 12 und 16 jahre alt waren ebenso entführt worden wie seine lebensgefährtin Meirav Tal. alle drei waren im november 2023 freigelassen worden. das jüngere der beiden kinder war damals von sogenannten zivilisten nach gaza gezwungen und von ihnen dann verkauft worden. wir sehen das haus von Renana, den schutzraum, die zimmer ihrer kinder. sie zeigt uns videos und bilder. und spricht davon, wie es war, nicht da zu sein. wir sehen das haus der bibas familie und stehen auf dem rasen, auf dem die aufnahmen von shiri und ariel und kfir in den minuten ihrer entführung gemacht wurden. wir haben in nirim Adele Raemer getroffen, die mehrmals sagt, dass sie sich in ihrem blick auf die möglichkeiten eines friedlichen zusammenlebens mit den menschen in gaza getäuscht hat. wir haben Martin in magen getroffen, der uns erzählt, wie es ihnen hier gelungen war, die terroristen aufzuhalten. wir hören immer wieder von den guten vorbereitungen der angreifer, von den listen, die sie zu den häusern bestimmter personen führten. wir sehen immer wieder auch, wie nahe die grenze ist und ganz oft, wie schön die landschaft ist. wir können immer noch erkennen, wie wunderbar das leben in diesen kibbutzim gewesen sein muss und nicht mindestens zwei von uns sechs denken einen moment zu lange darüber nach, ob dieses leben nicht eine perspektive wäre. wir hören von den bleibenden erschütterungen, von der fehlenden unterstützung der regierung, von misstrauen, von den hoffnungen und motivationen für einen wiederaufbau und einer rückkehr. wir machen bilder von den briefkästen in nir oz, an denen angezeigt ist, wer ermordet wurde, wer entführt, wer zurückkam und wer noch vermisst. und überhaupt lernen wir viel über farben und symboliken. wir fahren zu dem shelter, aus dem Eliya Cohen, Alon Ohel, Hersh Goldberg-Polin und Or Levy verschleppt wurden und viele andere ermordet. wir besuchen, ich einmal mehr, das nova-gelände. Inbar Heimans mutter ist auch da und wieder muss ich darüber nachdenken, was es ist, dass wir jetzt die angehörigen inmitten all der menschen erkennen können.

gestern veröffentlichte hamas ein video, in dem Yosef-Haim Ohana und Elkana Bohbot sprechen. Ohad Ben Ami besucht berlin. lana Gritzewsky spricht in einem interview über die erlebte sexualisierte gewalt. an verschiedenen orten in gaza gab es gegen hamas gerichtete demonstrationen.

536 tage. und immer noch mal muss ich auf dem flughafen entlang der bilder der geiseln gehen.

20250323, vormittags

ich habe wieder angefangen, abends an der wohnungstür zwar den riegel vorzuschrieben, aber sie nicht zuzuschließen und eine hose griffbereit neben dem bett zu haben. ich habe außerdem meine kaputte brille nochmal aus dem koffer geholt, um nicht total blind ins treppenhaus zu stolpern. ich versuche daran zu denken, wieder tabletten mitzunehmen, wenn ich mich weiter vom haus wegbewege. die türen von sheltern sind wieder offen. und ich glaube, die vieler wohnhäuser auch. heute war der alarm morgens halb 8, damit eigentlich ziemlich spät und ich habe danach zwei stunden gebraucht, nochmal einzuschlafen, nur um jetzt total erschlagen zu sein. erschwert werden meine versuche, wach zu sein, dass ich oft nicht einschlafen kann, weil ich denke: ist eh gleich alarm. raketen kommen aus dem yemen, aus gaza und aus dem libanon. noch ist alles ausnahme. aber niemand weiß, was passieren wird. es scheint sich alles zuzuspitzen, immer weniger auswege. am freitag saßen wir im ala rampa und es gab alarm für die gegenden um uns aber nicht für uns. und wir konnten nicht nur den alarm auf unseren telefonen hören, sondern auch die sirenen in der entfernung. während wir überlegen, ob wir der besucher:innen aus deutschland zuliebe in einen schelter laufen sollten, aber niemand hat letztlich wirklich lust, sagt jmd., dass diese geräusche der sirenen und der apps sich in unseren körpern eingenistet haben. ich mag es sehr, wenn jemand sagt, was ich denke, weil er:sie es auch sieht. seit dienstag gibt es große demonstrationen, besonders in jerusalem und tel aviv. es kommt einiges zusammen: die entlassung von ronen bar, die das oberste gericht für ‘nichtig’ erklärt hat, die beginnenden maßnahmen zur entlassung von gali baharav-miara, der wiederaufgenommene krieg in gaza, die absolut fehlenden perspektiven für die geiseln. demnächst kommen weitere staatliche schritte zur umsetzung der justizreform dazu. jmd. erklärte am freitag abend, mit welchen faktoren es einen bürgerkrieg geben könnten und ich verstehe zum ersten mal, in welchen rahmen wir uns dabei bewegen. und alles wurde mit einem schlag sehr viel realer, damit sehr viel bedrohlicher. gestern bei der kundgebung weinen viele der angehörigen bei ihren reden. bisher war das die ausnahme, gestern nicht mehr.

donnerstag nach jerusalem gefahren, um im israel museum Gaston Zvi Ickowicz: Field zu sehen, gestern noch schnell ins tel aviv art museum gegangen, um Ruth Patirs ausstellung motherland zu sehen. gemerkt, wie meine aufmerksamkeit genau für das reicht, was ich mir vorgenommen habe, aber nicht mehr für ein entdecken von all dem anderen, das ich an beiden orten so sehr liebe. ich weiß, was mir fehlt und kann es mir trotzdem nicht einfach nehmen. ich merke, wie gern ich mich auf den boden legen möchte, zusammengefaltet und einfach weinen. aber ich weiß auch, dass ich es nicht kann, ganz einfach, weil niemand kommen und mich trösten wird. ich kann nicht zusammenbrechen, weil niemand außer mir die teile wieder zusammensetzt. da kann ich es auch gleich lassen, nehme ich an. no. sagte gestern, wir können die beziehungen, die wir brauchen und uns vorstellen können, immer noch bekommen. selten war mehr trost (für ein paar minuten).

Elkana Bohbot ist gestern 36 jahre alt geworden. seine frau rivka sprach abend. im anschluss wurden gelbe luftballons in den himmel geschickt. er gehörte zu den organisator:innen des nova-festivals und wurde von dem gelände verschleppt. google hat letzte woche die israelische firma wiz gekauft, für eine rekordsumme. anschließend ließ einer der gründer auf einer der billborards an den azrieli tower schreiben, dass es nur einen deal gibt, der wichtig ist und dass sei der, der die geiseln nach hause bringt. in copenhagen ließ die stadtverwaltung als erste in europa einen zentralen platz in “palästina” umbenennen. ebenfalls in copenhagen, und zwar genau genommen in christiana, wurde eine jüdin von mehreren männern mit einem messer bedroht, gewürgt und beschimpft und ihre jacke aufgeschlitzt. und in paris wurde im eingangsbereich eines kosher supermarkt in der nähe der métro-station porte de vincennes feuer gelegt. hier nahm am 8. januar 2015 amedy coulibaly die anwesenden kund:innen als geiseln und ermordete vier jüdische männer. dies geschah einen tag nachdem terroristen zwölf menschen im büro von Charlie Hebdo hingerichtet hatten.

20250318, vormittags

dritter vierter fünfter anlauf für einen eintrag. meine gedanken sind müde irgendwie. langsam. wabbernd, alles ist ein wenig sehr dichter nebel im kopf. ich schlafe ein bisschen mehr, aber die wohnung ist sehr laut und das macht mein empfindliches sowiesoschonsein noch schwieriger., ich bin noch gereizter, noch empfindlicher. jeden tage gehe ich zu den kundgebungen an begin rd., das zeltlager ist groß jetzt. gestern hat Einav Zangauker kurz gesprochen, sie sieht so müde aus, so ernst, so zerbrechlich. ich denke, wie strange es ist, dass ich jetzt angehörige erkenne, weiß, wer sie sind, was sie sagen, was (teile ihrer) geschichte ist (sind). in deutschland kenne ich nicht mal die eltern meiner besten freund:innen und aus den familien meiner ex-freunde habe ich mich gern weitgehend rausgehalten. und ich denke auch immer wieder, dass wir es so sehr gewöhnt ist, dass menschen ihre gesichter und ihr zeug in kameras halten und aufmerksamkeit wollen, und berühmt sein mit ihrem nervigen scheiss und ihren flachen persönlichkeiten und dummen ansichten und wie die angehörigen und freund:innen und die überlebenden nie wirken, als wollten sie in ihrem ganzen leben ihr gesicht in die kameras halten und öffentlich sprechen und teil von anderer und ihnen nicht bekannter menschen gegenwart sein und es jetzt sind und wie viel kraft sie haben. immer noch. aber vielleicht verwechsele ich auch kraft mit verzweiflung. gestern morgen auf einem merkwürdigen treffen gewesen, mit in israel lebenden deutschen nicht-jüdischen männern und überfordert gewesen von ihrer kälte und distanz gegenüber dem schrecken des 7.10. und wie sie lieber darüber sprechen, dass in israel der holocaust in dienst genommen wird, so als ob nicht jedes gedenken in-dienst-nehmen ist, und nun eben auch benutzt um das massaker der hamas zu bewerten und dann werden die kinder in gaza wieder zum synonym für die gleichgültigkeit der israelis und sie sagen das in einemm ton voller überzeugungen, die keinen zweifel aufkommen lassen, dass sie die einzigen sind, denen dieses leid nicht egal ist und ich wünschte, ich wäre jemand, die dann einfach ihren kopf auf die tischplatte knallen würde. da war es dann fast lustig, als einer von ihnen, theologe, darüber spricht, nun eine neudefinition von ‘jude’ zu entwickeln, jenseits von religion und geburt aber an die emphatie für die toten kinder in gaza gebunden. als ob es nicht schlimm genug ist, dass sie gestorben sind, müssen sie nun auch noch für diesen unsinn herhalten und machen, dass sich deutsche besser fühlen können, aber hauptsache, sie sind sich sicher, dass israel die erinnerung an den holocaust nur benutzt. abends dann neben einer milena auf einem der gelben stühle an begin rd. gesessen, einer sehr kleinen und sehr schicken älteren frau, und sie sagt, dass sie nur einmal in der woche kommen könne und dass sie alles tut, um die namen der geiseln nicht zu kennen, weil sie es nicht aushalten kann, das alles in sich aufzunehmen.

gestern abend dann eine eilmeldung, dass es sicherheitsmeetings der regierung, idf etc. gäbe, weil hamas eine neue invasion auf israelischen boden vorbereite. 25.000 terroristen sollen der organisation wieder angehören, 5.000 weitere dem islamic djihad. die houthis drohen, nachdem die usa angriffe gegen sie geflogen haben und ich habe wieder angefangen, mir beim schlafengehen sachen neben das bett zu legen und ich müsste meinen vermieter nach der shelter-situation fragen aber mir fehlt noch ein bisschen die kraft und das treppenhaus hat keine fenster und heute morgen lese ich dann, dass israel die kämpfe wieder aufgenommen hat und ed. schreibt, dass sie angst hat, dass ihr enkel dabei ist und a. fragt, ob wir heute zu einer der kundgebungen gehen und jede person mit der ich hier spreche, spricht darüber und keine person, mit der ich aus deutschland spreche, fragt auch nur danach. vor ein paar tagen the brutalist gesehen. phantastischer film. als wir das kino verlassen, sage ich, dass meine freund:innen in deutschland nicht so begeistert reagieren. deine nicht-jüdische freunde, antwortet ed. und wir wissen nun so viel tatsächlich darüber, was hamas und andere palästinenser mit den geiseln machen, wenn verhandlungen fehlschlugen, wenn die idf näher kam, wie sie folter und gewalt nochmal verstärken und ich habe wirklich angst. wirklich angst. die verhandlungen sind mehr oder weniger vorher schon vorbei gewesen, es gab kurz das angebot, dass Edan Alexander freikommt und vier ermordete geiseln übergeben werden, aber das wurde abgelehnt und auch die familien und das forum sagen: nur alle zusammen! und jetzt! und ich denke, wie schwer muss das für die familien sein, die einen kurzen moment denken konnten, es gibt die chance. und jetzt ebenfalls sagen: nur alle zusammen! und jetzt! ich lese langsam Ron Leshems buch zu ende und wie er die ermordung seines cousins Itay Svirsky beschreibt, gefesselt, erschossen. manchmal fällt mein hebräisch-unterricht aus, weil meine lehrerin nicht geschlafen hat weil ihr sohn bei der idf einen einsatz hat.

nethanjahu kündigt an, den chef von shin bet zu entlassen und es gibt viel protest. und morgen große kundgebungen in jerusalem deshalb und nun umso mehr als sowieso schon auch noch für die geiseln.

Shlomo Mantzur wäre gestern 87 geworden und wer wollte, sollte eis zu seiner erinnerung essen. ich habe einen podcast mit einem langen interview mit yoav gallant gehört und ich habe zum ersten mal eine deutsche serie gemocht: marzahn mon amour, nach dem wunderbaren buch von katja oskamp. es gab lebenszeichen von Avinatan Or.

sitze gerade im cafe shapira und habe vor ein paar minuten wirklich gedacht: hm, vielleicht sollte ich wenn ich in deutschland bin, erstmal ein paar tage ans meer fahren, um mich ein bisschen zu erholen.

20250312, vormittags

ich muss heute umziehen und es braucht deutlich weniger als eine stunde, meine sachen zusammenzubringen und in der wohnung den eindruck zu hinterlassen, ich wäre nie dagewesen. die meiste zeit beansprucht mein wahn, möglichst nicht mit schmutzigen sachen umzuziehen. wobei umziehen beschreibt die situation sowieso nicht ausreichend: ich muss ausziehen und meine sachen in einer wohnung bringen, in die ich erst am freitag ziehen werde und dann muss ich nach givat ada fahren, um dort zwischenzuwohnen. nur noch zwei wochen. und mir wird die angst ganz schwer. li. hat gestern gesagt, dass ich müde aussehe und ich glaube, in all den jahren, die ich hier bin, habe ich das noch nie gehört. ich sah immer besser aus, wenn ich eine zeitlang hier war. vielleicht lege ich mich jetzt für 48 stunden in mein givat-ada-shelter-zimmer und schlafe durch. li. sagte, auch die angehörigen der geiseln machen pausen, aber ich denke seit ein paar tagen immer wieder, ich muss noch alles mitnehmen, weil wenn ich wieder in deutschland bin gibt es keine orte mehr für den schmerz und für meine traurigkeit und ich werde so allein sein wie ich mich fühle. es gibt mehr kundgebungen und seit samstag ein camp der angehörigen und unterstützer:innen in begin und ich sitze stundenlang vor dem eingang in das militärquartier in kaplan. ich denke jede woche, dass diese samstag-kundgebung nun die schlimmste war. vielleicht stimmt das auch, weil allein das verstreichen der zeit ohne lösung und ohne freilassungen macht alles immer schlimmer. aber vielleicht war die kundgebung am samstag auch aus anderen gründen furchtbarerer. erst wurde dieses neue schreckliche hamas-video gezeigt, in dem Matan Angrest spricht, dann redet seine mutter und dann ein angehöriger von Bar Kupershtein. dessen vater, Tal Kupershtein, sitzt daneben in einem rollstuhl. er hatte vor fünf jahren einen unfall, dessen folgen nicht nur seine fähigkeiten, zu stehen und zu laufen bis heute massiv beeinträchtigten, sondern der zudem seine fährigkeit zu sprechen weitgehend verloren hat. nach der entührung seines sohnes begann er, sich diese fährigkeit in sehr kleinen schritten zurückzuholen. am samstag schrie er mehrmals laut in die menge und ich schwöre, diese schreie haben sich in meinen körper gebrannt und ich werde sie sehr lange mit mit tragen.

es wird sommer.

dabei sind in den letzten tagen sehr viele dinge passiert, die mich immer wieder auch daran erinnert haben, warum ich es früher hier so geliebt habe und warum ich mich immer so verbunden gefühlt habe. am montag mit ein paar leuten frühstücken gewesen, und den sohn von Harry Maor kennengelernt, der einfach mal eine große zahl der orte und geschichten kennt, über die ich schreibe und zwar in der zeit, über die ich schreibe. und der guttmann kannte. und einen tag davor endlich sh. kennengelernt, die mir innerhalb von nur wenigen minuten so nahe ist, dass ich dachte, so müssen sich andere kinder im sandkasten gefühlt haben, wenn sie innerhalb von sekunden freundschaften schlossen. überhaupt insgesamt viel mit vielen über alles gesprochen. die situation, das weggehen, identitäten, schmerzen, traurigkeiten, das nicht mehr links sein und das chrashen von eigenen selbstgewissheiten, das nicht wissen wohin, das kein israelisches essen in berlin essen können, das menschen in deutschland nicht erklären können, was es heißt, keinen shelter im haus zu haben, die angst, die sehnsucht.

israel unterbindet nicht nur die einfuhr von hilfsgütern nach gaza, sondern hat am sonntag zudem die lieferung von elektrizität gestoppt. allerdings betrifft dies nur eine wasseraufbereitungsanlage, der rest wird sowieso mit kollektoren und generatoren betrieben. aber realität unterbrindet auch hier nicht anti-israelische reaktionen. seit heute gibt es die live-verkehrsdaten auf googlemaps wieder. das heimatfrontkommando hat sie nach dem 7.10. deaktivieren lassen zum schutz. der song von Yuval Raphael für den ESC ist veröffentlicht worden und es ist ein irritierend schönes lied mit einem irritierend berührendem video. sie hat den 7.oktober in einem shelter überlebt, in dem sie stundenlang auf hilfe wartete, während über und neben ihr menschen erschossen wurden und lagen. ich habe gelesen, dass sie probt, während eine “booing machine” läuft, um sich auf den hass vorzubereiten, der ihr bei ihrem auftritt begegnen wird. in den usa ist mahmoud khalil von der ice verhaftet wirden und soll deportiert werden, trotz greencard und trotz ehe mit einer amerikanerin. er war einer der führenden personen bei den “protesten” in der columbia-universität. außerdem hat die us-regierung die finanzielle unterstützung von denjenigen unis und hochschulen eingestellt (oder gekürzt?) die nicht gegen die antisemitischen und anti-israelischen proteste vorgegangen sind. und natürlich kann man sich darüber nicht freuen oder besser, das als politische reaktion gutheißen. und das nervt mich, weil ich wünsche denen alles schlechte. aber im gegenzug zu vielen anderen menschen verstehe ich, was es eben auch bedeutet und dass hier strategien erprobt werden, die sich bald gegen andere richten. das große black-lives-matter-mural in washington dc wird entfernt. menschen mit diversen identitäten sollen aus dem militär entfernt werden und eine einreise mit einem pass in dem die geschlechtsidentität und der name nicht denen entspricht, die bei der geburt vergeben wurden, sollen nicht mehr möglich sein. was ich vor allem müde bin, ist die dummheit von menschen, diese dinge in einen zusammenhang zu setzen. gerade in einem fb-kommentar gelesen, dass trump vom schicksal der geiseln berührt wäre und ich verstehe wirklich nicht, wie man so bescheuert sein kann, das zu glauben. und erste risse zeigen sich in der tat. wie kann man denken, dass jemand, der sich nur um sein ego schert, der keine vorstellung von politischem handeln jenseits willkür hat, der nach seinen launen entscheidungen trifft, ist jemand, auf den man sich verlassen sollte.

Daniel Hagari hört als sprecher der IDF auf, hintergrund ist, dass er bei einer beförderung übergangen wurde. aber das ist vermutlich nur, was offiziell ist. es trifft mich sehr. was natürlich komisch ist. aber er und seine stimme haben mich seit dem 7.10. intensiv begleitet, mir manchmal irgendeinen rahmen gegeben, wenn alles weggeschwommen ist und ich habe immer sehr gemocht, wie er die dinge erklärt und wie er manchen dingen mehr bedeutung gibt, wie er zeigt, dass sie ihn wirklich kümmern.

20250306, abends und nachts

letzte woche donnerstag veröffentlichte die IDF ihre untersuchungen zu ihren versäumnissen im vorfeld des angriffs der hamas und am 7. oktober selbst. die liste ist lang und dann kommen noch die vielen vielen rekonstruktionen der einzelnen ereignisse hinzu, unter anderem in nahal oz. irgendwo dazwischen sagte jemand: wir konnten an dem tag nicht all die fehler auffangen, die seit jahren gemacht wurden. der podcast call me back hat dem bericht eine eigene sendung gewidmet und ich habe die jetzt bereits vier mal gehört und immer noch nicht das gefühl, dass die details und abläufe in meinem denken vollständig angekommen sind. ich bin seit tagen schwermütig und alle dinge und menschen und alles sprechen sind schwer für mich, mir fehlt es an geduld für alles und einerseits macht mich das (scheinbar) ganz ruhig und still und abwesend und (noch mehr) gefangen in einem kokon, aber andererseits bin ich gleichzeitig so überreizt, das jedes geräusch und jedes zu viel an licht und jede ungewollte berührung das letzte bisschen darstellen könnten, dass mich zum laut und öffentlich schreien bringen könnten, sprich, zum durchdrehen. und dann komme ich gestern abend auch noch nach hause und der bildschirm meines rechners ist kaputt, offensichtlich weil ich irgend ein kabel eingeklemmt habe und der spaß, den ich dabei nicht hatte, soll mich mehr als 1.000 euro kosten. jedenfalls glaube ich, dass mein zuviel an allem auch auf den erzählungen und feststellungen beruht, die im zuge des berichtes öffentlich ausgebreitet und verhandelt werden.

n. ist aus zürich gekommen und wir haben stunden auf dem platz der geiseln verbracht. habe zwischendurch dann auch wieder gedacht, wie komisch das doch ist, was der 7. oktober und seine folgen so machen mit uns und unseren begegnungen. nur 24 stunden vor heute mittag mich mit ed. an gleicher stelle getroffen. und man kann auf diesem platz so ewig einfach sitzen und sein und allen zusehen und jemand spielt klavier und überall sieht man die gesichter der (ehemaligen) geiseln und manchmal redet man mit jemandem und oft weint man (mit jemandem). es überrascht mich immer noch, dass das teilen all dieser emotionen mit ed. nun zu unserer gemeinsamen gegenwart gehört, dass sie mich umarmt auf dem platz, weil ich weine und weil ich einfach mich nicht bewegen kann.

in den letzten tagen obsessiv viele bilder und videos gemacht, extra bei bedecktem himmel zum dizengoff square gegangen, um zu filmen ohne schatten auf dem brunnen. und menschen beobachtet; die, die nur vorbeigehen, die, die kommen, um ihn sich anzusehen und vielleicht ein selfie zu machen und die, die kommen, weil es einen bestimmten ort gibt, den sie in all den bildern, nachrichten, hinterlassenschaften aufsuchen wollen, vielleicht weil sie an jemanden denken und/oder jemanden vermissen, vielleicht weil sie kerzen anmachen oder wieder etwas neues hinterlegen möchten. viele bilder sind verblichen, der regen hat viel verschwommen. ich finde die box von ‘herr der ringe’ wieder, sie ist aufgeweicht und wieder getrocknet, zerissen, die dvds liegen offen neben briefen und kerzen und blumen und ketten und bilderrahmen. niemand kommt, und räumt etwas ab. ich glaube, einige der dinge sind seit oktober 2023 da. wer soll das je schaffen, dahin zu kommen und etwas abzuräumen. auch gestern habe ich neben einem geldautomaten eines der bringthemhome-plakate für hersh goldberg-polin gefunden, es hängt da seit weit mehr als einem halben jahr und ist noch in sehr gutem zustand und grade das, das nicht verblichene und das am zustand nicht sichtbare vergehen der zeit hat mich mit voller wucht getroffen und mir noch einmal anderes als die beschädigten und gealtertenn plakate verdeutlicht, was an zeit vergangen ist, und was wir alles darin verloren haben. jeweils auf unterschiedliche weisen natürlich.

Eli Sharabi, Keith und Aviva Siegel, Naama Levy, Doron Steinbrecher, Iair Horn, Omer Shem Tov und Noa Argamani sind nach washington gefahren, unter anderem, um sich mit trump zu treffen. eine:r der überlebenden bescheinigte ihm bei der gelegenheit, er sei von g’tt gesandt. und es gibt besonders ein bild, das mich nachhaltig verstört: trump sitzend reicht Noa Argamani die hand, die vor ihm steht. aufgenommen beide von der seite. trump droht hamas unverhohlen. und es soll direkte verhandlungen zwischen den usa und den terroristen geben. wieder machen vorschläge die runde. unklar ist, was wirklich passiert oder passieren kann. vielleicht geht es auch nur um die freilassung von Edan Alexander. hamas kündigt jedenfalls an, dass weitere geiseln sterben werden, sollte israel die kämpfe in gaza fortsetzen. israel wiederum hat die lieferung von hilfsgütern unterbrochen, deutschland, frankreich und großbritannien protestieren. menschen, die die situation ein bisschen realisitischer einschätzen, sagen, dass dies keine gefährdung nach sich ziehe, unter anderem weil in den letzten wochen sehr viele nahrungsmittel gaza erreichten. und naja, so richtig leidend sahen auch die ‘zivilist:Innen’ in den hamas- und islamic jihad-vorführungen bei der freilassung der geiseln nun auch nicht aus. während wir heute auf die installation des für die geiseln aufgestellten tisches gucken, der seit dem ersten pessach nach dem 7. okober an ihre abwesenheit erinnert, zeigt n. mit das bild einer luftaufnahme vom ersten abend des ramadan, an dem hamas auf einer straße zwischen trümmerlandschaften eine ellenlange tafel aufgebaut hat, zum gemeinsamen essen und feiern. gestern wurde nun auch Ohad Yahalomi bestattet, auf dem friedhof von Kibbuz Nir Oz. ich hatte mir den wecker gestellt, um sehr früh morgens nach rishon lezion zu fahren und habe dann das losgehenmüssen um zehn minuten verschlafen. meine abwesenheit hat mich trauriger gemacht, als ich erwartet habe. herzi halevi hat nach seinem abschied als IDF-generalstabschef am donnerstag abend den hostage square besucht; zum ersten mal. vor ein paar tagen wurde bekannt, dass Vladislav Bongert sich das leben genommen hat. seine tochter sofia wurde am 7. oktober ermordet, er konnte mit dem schmerz und dem verlust nicht mehr leben. die familie von Matan Angrest hat am montag zwei fotos von ihm veröffentlichen lassen, die aus einem propagandavideo von hamas stammen, das die terroristen bereits vor monaten anfertigten. die familie hatte sich damals gegen eine veröffentlichung entschieden. jetzt sehen wir auf den beiden bildern einen jungen, sehr dünnen und offensichtlich misshandelten jungen mann. Sasha Troufanov berichtet in einem video, er habe Rom Braslavski getroffen. dies ist das erste lebenszeichen, das es von ihm gibt. er, damals 19 jahre alt, hatte als sicherheitsmann beim nova-festival gearbeitet und mehreren frauen geholfen, den terroristen zu entkommen, bevor er von ihnen verletzt und verschleppt wurde. Zurii Ezra Erez, Onkel des nach wie vor in gefangenschaft der hamas befindlichen Bar Kuperstein “could not stand the strain and passed away under tragic circumstances” am 500. tag. die situation für die freigelassenen, auch für die von november 2023, für ihre familien und die der ermordeten ist sehr schlecht, nicht nur psychisch, sondern auch ökonomisch. es gibt nur unzureichende staatliche unterstützung und einige familien initiierten crowdfunding kampagnen. das kommt jetzt auch noch alles dazu; die geschichten darüber, was das er- und überleben anschließend für das leben bedeutet. am montag wurden mehrere angehörige von ermordeten und von geiseln von wachleuten in der knesset an der teilnahme einer sitzung gehindert und dabei teilweise verletzt. bei der sitzung ging es um die einrichtung einer staatlichen untersuchungskommission zum 7. oktober ging.

der justizminister yariv levin hat am mittwoch eine verfahren zur entlassung der generalstaatsanwältin gali baharav-miara eingeleitet. zudem hat die regierung irgendwas zu ihren gunsten als teil der justizreform geändert; ich habe schon wieder vergessen was, aber es ging um irgendein ernennungs-komitee? im detail vielleicht egal, ob ich das weiß, worum es beim aufschreiben eher ging, ist die schrecklicherweise zu treffende feststellung, dass das ja alles auch noch passiert.

ich schlafe schlecht. sehr schlecht.

heute vormittag endlich eine wohnung in shapira gefunden und heute abend in suzanne dellal die Kamea Dance Company gesehen mit choreographien von jacopo godani und andonis foniadakis. mein herz hat geschlagen vor glück (beide male, abends sogar ein bisschen länger).

20250304, nachts

wenigstens die amerikanischen tourist:innen scheinen langsam zurückzukommen. in dem cafe, das ich aus mangel an alternativen öfter besuche als andere gibt es zudem gruppen von franzosen und französinnen und egal was ich anziehe, ich komme nicht um das gefühl herum, nicht gut genug angezogen zu sein. doofer tag heute, gestern auch, aber in unterhaltsamer. das neue “the little prince” besucht und das alte vermisst. mit n. in die nachmittagsvorstellung von “a real pain” gegangen. viel gelacht und am ende ein bisschen geweint, nach bnei brak gefahren. durch die straßen gelaufen, mir familiengeschichten erzählen lassen, sehr gut gegessen. seit tagen den titel ‘schmerzen im raum’ im kopf für etwas, dessen form mir noch nicht klar ist. heute hana getroffen, aber gemerkt, dass mir die geduld für eine andere person fehlt, die aufmerksamkeit braucht. zu viele facetten von einsamkeit und verlorenheit im körper. die nicht besser wurden beim stundenlangen laufen durch die stadt. winter ist doch noch nicht vorbei.

20250302, abends

die ermordeten geiseln Itzik Elgarat, Ohad Yahalomi, Shlomo Mantzur und Tsahi Idan sind nach israel gebracht und identifiziert worden. heute wurde Shlomo Mantzur beerdigt, morgen Itzik Elgarat. ich würde gern hinfahren, aber es ist so kompliziert ohne auto und allein. was nun passieren wird, ist weiter offen. es gab den vorschlag israels, die waffenruhe zu verlängern und dafür die hälfte der geiseln zurück zu bekommen, hamas hat es abgelehnt und israel daraufhin die hilfslieferungen gestoppt. wie schon vor der ersten phase des deals sind auch jetzt die nachrichten unübersichtlich, aber in der summe sieht es eher schlecht aus. niemand macht sich illusionen. ich war gestern nicht bei der kundgebung, aber in den nachrichten hieß es, dass die reden und die stimmung deutlich wütender waren. s. sagt, wir sollten einfach alle loslaufen, über die grenze und nach gaza. so viele, dass es nicht zu stoppen ist. und ich antworte ja, das sollten wir tun. weil was können wir noch tun. das flehen wird lauter, die verzweiflung wird lauter, die ohnmacht wird lauter. aber vielleicht wird das nicht reichen. 59 menschen sind noch in der gewalt der terroristen und ihrer unterstützer:innen. ich neige bekanntermanßen nun wirklich nicht dazu, gutes an deutschland zu finden, aber als vor ein paar tagen jemand schrieb, dass es im nationalsozialismus wenigstens einige wenige menschen gab, die juden:jüdinnen geholfen haben, zu überleben, sie versteckten, ihnen bei der flucht halfen etc., während es bis jetzt aus gaza keine einzige geschichte von unterstützung für die verschleppten gab, konnte ich innerlich nur nicken. stattdessen gibt es nur weitere geschichten von folter, hunger, gewalt und grausamkeit. hamas veröffentlichte gestern ein video. sie hatten gefilmt, wie Iair Horn sich von seinem bruder Eitan verabschieden muss, bevor er freigelassen wurde. beide weinen, sind verzweifelt, dann wütend. es ist so schwer, es anzusehen. Iair Horn hat sich so sehr verändert in gefangenschaft. ihm sieht man so sehr an, was ihm und allen anderen angetan wurde. er spricht viel öffentlich. Eli Sharabi hat ein langes interview gegeben und über freiheit gesprochen, über den hunger und über den abschied von Alon Ohel, den er allein in dem tunnel zurücklassen musste. wir wissen nicht viel über die ermordungen der geiseln, Oded Lifschitz sollen sie bereits kurz nach dem 7. oktober umgebracht haben, Itzik Elgarat soll verhungert sein. Sascha Trufanov hat eine botschaft für die kundgebungen am samstag aufgenommen. und immer wieder gibt es die guten bilder zu sehen, wie Omer Shem Tov aus dem krankenhaus und nach hause kommt, wie Omer Wenkert mit seinem vater im garten tanzt.

am freitag nach manot gefahren. auf dem weg in ron leshems feuer gelesen, das ich schon vor ein paar tagen begonnen habe, aber im zug bin ich in dem kapitel, in dem er einige zusammenfassungen zum 7. oktober schreibt, zugeordnet einzelnen ortschaft, natürlich nur ein auschnitt. trotzdem brache ich die gesamten zwei stunden, muss es immer wieder zumachen, auch weil ich denke, wie absurd es ist, darüber zu lesen, wenn ich eigentlich nur die menschen um mich fragen müsste und dabei mit sicherheit nicht nur beschreibungen zu hören bekäme, von menschen, die den tag in räumlicher distanz überlebten. ich weiß wieder nicht, ob es noch zu früh ist. das meine ich auch als urteil über die, die dazu schon schreiben konnten. dabei ist das buch nicht nur gut recherchiert, sondern auch erstaunlich frei von einschätzungen, die sich als falsch erweisen. auch wenn ich nicht alles teile. bei weitem nicht. aber vielleicht bin ich ein bisschen milder geworden, gegen linke einschätzungen und ganz sicher noch ängstlicher beim anblick vieler entwicklungen im land.

s. und y. holen mich ab, wir fahren nach Rosch haNikra, zum tor in den libanon und dann entlang der nördlichen grenze, zu einem aussichtpunkt, an dem es ein denkmal gibt für die gefallenen des zweiten libanonkrieges, das wie aus einer anderen zeit ist in seiner erzählung. wir unterhalten uns mit zwei jungen charidim, die extra aus jerusalem gekommen sind, um dort mal zu stehen. es gibt eine merkwürdige leere in allem, und eine verstörende nähe. wir haben ein fernglas und können so weit ins land sehen. aber mir wird schwindelig davon. wir essen in einer christlichen siedlung. wie immer, wenn man aus tel aviv raus kommt, sind die menschen viel freundlicher. es gibt erste schritte von normalität, familien, die in einem nationalpark picknicken. aber es ist so leise. in manot sieht man keine schäden mehr, die schäden an dem haus, das getroffen wurde, sind von außen nicht mehr zu sehen. die reste der hühnerfarm sind abgetragen. viele häuser sind noch leer. viele sind erst kurz vor dem 7. oktober gebaut und dann nie bezogen worden. es gibt viele neue shelter. und weil die regierung nichts unterstützt, nicht die evakuierten und nicht die reparaturen und nicht den schutz, sind es private initiativen, christliches engagment. manchmal haben shelter nun türen, aber s. sagt, das wäre immer ein risiko, weil wenn etwas passiert, kann man sie danach von außen nicht öffnen. ihr haus ist in einem schlechten zustand, weil es seit dem 7. oktober keine handwerker gibt, die kommen um etwas zu reparieren. ihr garten ist überwuchert, weil sie ihn seitdem nicht mehr betreten haben. es war zu gefährlich. worum es immer wieder geht, ist die nahe grenze, sie bestimmt unsere wege durch den moshav und unsere gespräche; von wo hizbollah in welches haus sehen konnte, von wo man wie am besten wohin kommt. die erste nacht schlafe ich fest und zum ersten mal sehr lange, die zweite nacht dann kaum. alle sind müde. wir sprechen auch über unsere eigenen geschichten, aber wir sprechen vor allem immer wieder über die geiseln und die ausweglosigkeiten. es ist ein shabbat, an dem keine geiseln freikommen. über allem liegt so viel schwere. und wir versichern uns immer wieder, wie schön es hier ist, wie schön es ja wirklich hier ist, und wie man auch bis nach haifa sehen kann und sogar bis zum meer. aber all das ist immer nur wie ein dünner schleier und wir kommen immer viel zu schnell wieder zurück. irgendwann sagt s., dass es sogar leichter war, als die raketen kamen, damit war man beschäftigt. nun gibt es nur diese ausweglosigkeit und diese angst um die geiseln. nun ist es so viel schwerer, weil wir so viel mehr von ihrer realität wissen. es ist so schwer, mich von ihr zu verabschieden und ich bekomme abends noch eine mail und will am liebsten sofort zurück. aber ich will am liebsten sowieso bei allen gleichzeitig sein. und vor allem will ich sogern trost geben können. aber den gibt es nicht. und auch keine hoffnung.

es ist schlimm und unvorstellbar, dass ich zurück nach deutschland muss. aber es ist noch schlimmer und noch unvorstellbarer, dass ich so lange nich wieder kommen werde.

heute endlich eine wohnung für die letzten zwei wochen angesehen, eine kleine, am rand von florentin. sie hat mir gefallen, aber ich glaube, ich bin der dort-wohnenden zu kompliziert mit meinen zu organisierenden wünschen. finde kaum angebote und ich weiß, ich denke immer, ich finde kaum angebote für das was ich jeweils brauche. aber diesmal ist es wirklich so bzw. wäre es definitiv leichter, wenn ich mindestens zwei monate brauchen würde. die noch in aussicht stehenden tage erscheinen mir merkwürdig kurz. vielleicht, weil noch so viel zu tun, zu reden, zu besuchen ist, weil ich das gefühl habe, mit vielem noch gar nicht angefangen zu haben, mit dem in ausstellungen gehen zum beispiel oder mit dem nach jerusalem fahren. ich will gern noch einmal in den süden. aber vielleicht mache ich das erst wieder am vorletzten tag. vielleicht ist es besser, im stand der dinge die dinge zu sehen. ich fürchte, ich kann hier niemandem mehr genügen. alles hat sich intensiviert, aber ich habe angst, dem, was ich angefangen habe, nicht gerecht zu sein.

humus gegessen, ans meer gegangen, steuererklärung (ohne ambitionen und damit auch ohne tatsächliche aussicht auf rückzahlung) beendet. ich glaube, der winter ist hier jetzt vorbei.