20231217

michael rapaport ist ein us-amerikanischer schauspieler. ich bin nicht gut in solchen dingen, erst als ich ihn gegooglet habe, wusste ich, dass ich ihn “aus dem fernsehen” kenne. vor ein paar wochen habe ich ein interview mit ihm gesehen, auf i24news. da ging es unter anderem darum, dass er geld an die idf spendet für hasskommentare, die leute unter seinen posts hinterlassen. ich bin ihm dann auf instagram gefolgt. bevor ich dies tun konnte, hat instagram mich gewarnt und gefragt, ob ich das wirklich möchte. ich gebe zu, es hat mich kurz irritiert. seit diesem tag ist rapaport zu einer relevanten konstante in meinem leben geworden. seine posts sind in der regel wütende, entsetzte, laute, unausgewogene rants, die sich gegen die hamas richten, gegen das rote kreuz, gegen antisemit:innen im allgemeinen und im besonderen. ich wäre gern so. er ist jedenfalls auch gerade in israel und hat gestern auf der kundgebung für die geiseln gesprochen.

den tag mit mi. verbracht, am meer gewesen und äthiopisch essen, im lieblings-äthiopisch-restaurant. über architektur gesprochen und über den krieg, über die geiseln und über tel aviv. über die wohnung, in der wir eine kleine weile mal zusammengewohnt haben und das haus, in dem sie ist und das jetzt abgerissen wird.

das dokument für ein neues projekt auf meinem rechner schon mal geöffnet. festgestellt, dass da schon wieder mehr drin steht, als ich erinnere, geschrieben zu haben. ich muss das nachts ohne aufzuwachen machen. anders kann ich es nicht erklären.

nachdem ich mich von der wohnungssuche in der schönst-möglichen wohnung langsam erholt habe, habe ich nun angefangen, nach einem ort zum volontieren zu suchen. leider sehe ich mich bisher noch nicht unbedingt in der feldarbeit.

20231216

die veröffentlichung der letzten staffel von the crown als entschuldigung genutzt, im bett zu bleiben. abends mit yo. and om. zur kundgebung für die geiseln gegangen. om. sagt, dass hamas raketen nur zur vollen und manchmal zur halben stunde schickt. danach alkohol.

gelesen, dass die 27jährige Inbar Haiman von hamas in gefangenschaft ermordet wurde.

20231215

ich weiß nicht, wie über den tag schreiben. morgens von den drei toten geiseln gelesen, die von der IDF gefunden worden waren – Elia Toledano, Nik Beizer, SGT Ron Sherman – und von den beiden soldaten – Oz Shmuel Ardi und Shay Uriel Pizem – die in gaza gefallen sind, abends dann die nachricht von drei weiteren toten geiseln, die von der IDF versehentlich getötet wurden, weil die soldaten sie für hamas-terroristen hielten: Yotam Haim und Alon Lulu Shamriz vom Kibbutz Kfar Aza und Samer Talalka, entführt aus dem Kibbutz Nir Am. ich habe gar keine worte dafür und hatte abends nicht einmal die kraft, zu der demonstration zu gehen.

den tag selbst in sehr typischer pre-shabbat-tel-aviv-weise verbracht: morgendlicher kaffee an öffentlichen orten, zum markt gehen, einkaufen, mich ein bisschen treiben lassen. alles immer mit dem gedanken, dass in den vergangenen wochen der shabbat-beginn von hamas immer genutzt wurde, raketen zu schicken, oft auch und besonders in richtung tel aviv. meine wege immer gescannt nach sheltern und nach anderen möglichkeiten, mich notfalls zu schützen. auch das hat mich müde gemacht. die raketen sollten nach einbruch der dunkelheit dann in richtig jerusalem gehen.

20231214

abends so müde gewesen und zum ersten mal wirklich erschöpft. dabei war es ein schöner tag und dabei hatte ich bei einem zoom-gespräch mit freundinnen in berlin eine halbe stunde vorher noch gesagt, dass es mir merkwürdiger weise gut geht.

mit ed. nach naharija gewesen, um lila zu treffen. shakshuka gegessen und aufs meer geguckt. zugehört. mich verbunden und ‘zu hause‘ gefühlt. das erste, was mir bei naharija immer einfällt, ist, dass die zuglinie dort endet. nicht, weil sie sich auf die verbindung zwischen zwei städten beschränkt, sondern weil sie wirklich zu ende ist. die lok fährt jedes mal langsam bis zu einer betonwand, so dass wirklich kein zweifel dazu aufkommt. rd. zehn kilometer nördlich beginnt der libanon. man weiß irgendwie immer, wie klein das land ist und man sagt zu anderen immer, dass das land einfach so klein ist. und manchmal weiß man dann einfach wirklich, wie klein es ist: mit dem zug von tel aviv sind es 1,5 stunden. als wir nachmittags wieder zurückfahren, verortet mich googlemaps irritierend lang in beirut.
in tel aviv hashalom station ausgestiegen, was ich nie mache, weil ich vor sehr vielen jahren mal versehentlich den ausgang zum azrieli center genommen hatte und anschließend ewig da rumgeirrt bin, sehr früh morgens nach einem flug aus berlin und mich, als ich doch wieder rausgefunden hatte, ein taxifahrer gnadenlos abgezogen hat und ich zu müde und zu unselbständig war, mich zu wehren. und das noch tagelang meine gedanken durchzogen hat. jedenfalls nutze ich nie hashalom station. auf dem weg zwischen bahnsteig und kaplan st. ist für ein paar minuten scheinbar alles wie bekannt: zu viele menschen, die zu laut sind, zu schnell, zu rücksichtslos, zu ich-bezogen, menschen die schreien, lachen, schubsen, schieben, dich umlaufen und ignorieren und böse ansehen. ‘wie früher‘, denke ich, und dass ich das nur denke, weil es eben anders ist. auf kaplan st., bei sarona, stehen verlassene weiße zelte mit transparenten und plakaten, einige sind abgerissen oder abgefallen, umgeknickt. ein szenario aus einer zeit danach, wenn niemand mehr einen ort wie diesen braucht, wenn es irgendwie nur noch eine erinnerung ist. ein paar meter weiter stehen dann ein paar wenige menschen am straßenrand und halten plakate hoch. die ordnung der gegenwart ist zweifelsfrei wieder hergestellt.

20231213

der tag beginnt noch vor dem kaffee mit nachrichten dazu, dass zehn soldaten im norden von gaza gefallen sind: Itzhak Ben Basat, Tomer Grinberg, Roei Meldas, Moshe Avram Bar On, Ben Shelly, Liel Hayo, Achia Daskal, Oriya Yaakov, Eran Aloni und Rom Hecht. gerade lese ich, dass der 41jährige Tal Chaimi vom kibbuz nir yitzhak für tot erklärt wurde, nachdem man bis gestern davon ausgegangen war, dass er unter den entführten ist.

die bilder von denjenigen auf plakaten zu sehen, deren tod mittlerweile bekannt gegeben wurde, macht irgendwas, das eh schon kaum aushaltbar ist, noch kaum aushaltbarer. die verzweifelte hoffnung, die in dieser permanten präsenz der personen transportiert wird, ist noch da und überall und dann eben gleichzeitig und mit sicherheit überall vorbei. keine ahnung. sehr wenige worte für sehr viele, sehr sehr viele emotionen, die meistens ängste sind.

gestern nacht die zusage für eine wohnung in tel aviv bekommen und am frühen abend umgezogen. eine wohnung genau in der gegend, in die ich wollte, die mir sehr vertraut ist auch wenn ich seit einigen jahren nicht mehr hier gewohnt habe. sehr white city und ich glaube, unter den tausenden fotografien, die ich von der stadt gemacht habe, sind auch einige von dem haus, in dem ich jetzt bin. eine wohnung, in der ich schnell ankomme. es ist schön schnell einfach, sich hier reinzufinden.

ich weiß, wo der nächste schelter ist und das treppenhaus erscheint mir brauchbar. die wohnung ist im (erhöhten) erdgeschoss und ich frage mich, ob raketen auch in erdgeschossen einschlagen. ed. sagt, bei raketenalarm nie in badezimmer bleiben wegen möglichen splitternden kacheln und spiegeln.

im am:pm mit der kassiererin über diese irritationen gesprochen wenn man eine sprache nicht gut genug kennt, um sich auszudrücken, aber irgendwie schon die fragen verstehen kann, die an einen gerichtet werden. zwei orthodoxe jungen zünden währenddessen channuka kerzen hinter dem kassenbereich an und alle, die im laden einkaufen, gesellen sich zu ihnen.

schreibe na., dass ich jetzt in tlv bin und sie bittet mich, dass wir uns bei ihr im norden der stadt treffen; sie könne nur an orte gehen, bei denen sie genau weiß, dass es viele shelter gibt und wo diese sind.

20231212

hummus gegessen, homeoffice gemacht, einen artikel fertig überarbeitet. Immer noch keine wohnung gefunden. damit wäre der tag zusammengefasst. aber im hintergrund lief mein neuer lieblingssender i24news und deshalb ein paar dinge, die es in die nachrichten geschaft haben:

die zahl der gefallenen soldaten musste heute morgen nach dem tod von tzvika lavi auf 105 erhöht werden.

die angriffe der houthi im roten meer intensivieren sich, unter anderem haben sie einen norwegischer flagge fahrenden tanker angegriffen.

ausgesprochen sehr oft und viel alarm im norden. gestern soll hisbollah raketen (erneut) in der nähe eines UN-geländes und einer schule abgefeuert haben

puma beendet sein sponsoring der israelischen nationalmannschaft, aber betont, dies sei nicht auf druck oder als politisches statemeant gemeint (naja, sag ich mal, naja)

die idf findet die leichen von zwei geiseln in gaza: eden zakaria (27), die hamas von dem musikfestival verschleppt wurde und ziv dado (36), der dem im 51. bataillon der golani-brigade angehörte.

sehr, wirklich sehr viel viel zu den geiseln gehört, darunter auch mögliche szenarien, unter denen sie freikommen könnten, nachdem es gerüchte zu neuen verhandlungen gab. der druck auf die regierung in der öffentlichkeit steigt, genauso wie die offensichtliche und manchmal eigentlich nicht auszuhaltende verzweiflung der familien und freund:innen. mit all den erzählungen der überlebenden, die bereits wieder in israel sind, wächst auch die angst.

20231211

weniger als 12 stunden zuvor am telefon gesagt, dass ich gern den ersten alarm hinter mir hätte, einfach, um es hinter mir zu haben. dann, im zug von binyamina nach tel aviv, kurz hinter der station universität, eine durchsage auf hebräisch, die ich natürlich nicht verstehe. alle legen oder setzen sich auf den boden, mehr oder weniger. der zug fährt erst langsam und hält dann an. es sind lange minuten, ehrlich gesagt ich weiß nicht wie viele. aber es scheinen deutlich mehr zu sein als es tatsächlich sind. ich bekomme nachrichten von freund:innen, die fragen, ob ich okay bin. ich sehe mich um, wie die anderen auf die situation reagieren. die soldat:innen scheinen relaxt zu sein, einige sind sehr schnell wieder auf ihren sitz zurückgekehrt. andere schreiben oder lesen auf ihren telefonen, reden leise, einer blättert zumindest durch sein buch. wir könnten einfach nur auf eine merkwürdige weise in diesem waggon sitzen, wenn es nicht diesen vielleicht 12jährigen jugendlichen gäbe, der sich unter die sitzreihe geschoben hat, ausgestreckt für all die minuten da liegt und seinen kopf mit seinen händen schützt. während sich alle anderen umsehen, bewegen, zurücksetzen, steht er erst langsam auf, als über eine durchsage entwarnung kommt und der zug langsam weiterfährt. seine junge begleiterin umarmt ihn. wenige minuten später erreichen wir savidor merkaz und steigen aus. die sonne scheint.

20231210

schlimmer tag. also so grundsätzlich. depression und overload. scheitern am bloßen sosein.

nach tel aviv gefahren. zum platz der entführten gegangen. gedacht, krass, dass ich vor ein paar monaten genau hier (also im angrenzenden tel aviv art museum) noch gearbeitet habe und jetzt ist es ein ort von so viel traurigkeit, so viel verzweiflung. traurigkeit und verzweiflung sind möglicherweise sehr leise geräusche. und sie sind möglicherweise überall. in eines meiner lieblingscafés gegangen, um shakshuka zu essen und es schön zu haben. nach sonnenuntergang zündet eine gruppe junger menschen chanukah kerzen an. sie kennen die gebete offensichtlich nicht so gut, alles geht ein bisschen durcheinander.

nicht so gute wohnung angesehen. lange mit jo telefoniert. yo getroffen. endlich. dafür den zug verpasst. nichts ist gut. aber einiges ist trotzdem besser.

immer mehr erzählungen der bereits befreiten geiseln werden veröffentlicht. es durchzieht alles. jeden raum. jedes gespräch. zahl der getöteten soldaten steigt auf 101. offenbar ergeben sich größere zahlen von hamas-terroristen.

20231208

fahren nach kfar glikson, wo ne. ihr neues cafe hat. ein kibbuz und obwohl er an keiner grenze liegt, ist das tor geschlossen und ein wachmann begrüsst uns.

as., der enkel von ed., kommt nachmittags überraschend vorbei. er ist soldat und in gaza. er holt den chanukah-leuchter vom schrank und geht zu den nachbar:innen, kerzen für uns besorgen. wir zünden sie mit einbruch der dunkelheit an, obwohl ed. sich an nur bruchstücke eines gebets erinnert. und jö. schreibt mir, dass sein freund zum ersten mal in den vielen jahren ihrer beziehung ebenfalls einen leuchter ins fenster gestellt und die kerzen angezündet hat.

nachts, als ich schon in meinem schutzraum-schlafzimmer liege, beginnt es draussen wahnsinnig zu blitzen und zu donnern. sehr gelbes licht, sehr tiefes grollen. und ich denke nicht als erstes denke ‘ach, gewitter’, sondern suche im dunkeln mein telefon, um zu sehen, ob es jetzt doch auch hier alarm gibt.

ich habe immer noch keine wohnung in tel aviv und fange an, ein bisschen gestresst zu sein. also eigentlich auch dies wie immer. nur anders. weil mir auffällt, dass menschen kaum angebote für kurze zeiträume machen; alles ab drei monate, bis nächsten sommer, bis ende des vertrages. weil sie weggehen, weil sie bei der idf sind, weil sie schierigkeiten haben, ihre mieten zu zahlen.