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20240917, nachmittags

ich habe mir das anders vorgestellt, dieses mal eben nur für eine kurze sache das land verlassen-ding. und das nicht nur, weil ich dann doch einen koffer dabeihabe, den ich aufgebe statt nur einen rucksack. ich will einfach nicht das land verlassen. nicht für berlin und nicht für einen ausflug sonstwohin. irgendetwas daran ist beklemmend. ich will nicht nur nicht an keinem anderen ort sein, ich will vor allem diesen hier nicht verlassen. und ich habe diese unbestimmte bestimmte angst, dass in derkurzen spanne meiner abwesenheit etws passiert. die angriffe im norden nehmen – gefühlt? – zu und aus dem yemen kam diese rakete und israel definiert nun offiziell als kriegsziel, dass der norden für seine bürger:innen wieder bewohnbar wird.

gestern war kein guter tag, gesundheitlich. trotzdem abends ans meer gegangen und lange mit jo. telefoniert.

am flughafen müssen wir immer noch die porträts der entführten ablaufen. seit meiner ankunft sind es 13 weniger. und vielleicht mehr botschaften und geschenke.

eine schöne geschichte: vor rund vier wochen wollte ein 4jähriger im hecht museum in haifa in einen 3.500 jahre alten großen krug schauen und riss ihn dabei um, so dass er mehrfach zerbrach. die familie war so erschrocken, dass sie das museum fluchtartig verließ, von den mitarbeiter:innen aber schnell ausfindig gemacht werden konnte. das gefäß wurde mit nun sichtbaren bruch- und einer absichtlich belassenen leerstelle/n, die so zum teil seiner geschichte werden, repariert und wieder ausgestellt, erneut ohne vorrichtungen zu seinem schutz, die familie mit kind dazu eingeladen und die hoffnung geäußert, dass das neugierige kind nun vielleicht archäologe werden wolle.

20240915, vorallem nachmittags

shabbat dinner wie ich es mag: gutes essen mit vielen menschen, die sich alle für diese abend zusammengefunden haben. schönes haus. nördlich außerhalb von tel aviv. ich bin noch nicht dahinter gekommen, ob si. und ich befreundet sind oder ob es nur ein komisches abhängigkeitsdenken ist, weil wir gemeinsamkeiten in der berufsbeschreibung haben und menschen von außen sagen würden, dass wir sehr ähnliche forschungsthemen haben. was nicht stimmt. aber egal. nach dem essen erzählt eine anfang 20jährige studentin von ihrem leben in brüssel, davon, während des gesamten semester nicht an die uni gegangen zu sein, aus angst. davon, ihre gesamte präsenz in den sozialen medien gelöscht zu haben, da sie, obwohl sie sich nie als jüdisch zu erkennen gegeben, etwas zum 7. oktober gesagt oder zur aktuellen situation veröffentlicht hat, trotzdem angefeindet wurde. massenhaft. und davon, dass vormalige freund:innen nicht aufhörten, ihr beleidigende, fordernde, aggressive, spöttische, gemeine, antisemitische, anti-israelische nachrichten zu schicken. von isolation, fehlenden perspektiven, veränderten wahrnehmungen und räumen. sie spricht irritierend ruhig, sie ist irritierend ruhig. und wahnsinnig freundlich. wir wissen um all diese geschichten und situationen und vorkommnisse und können trotzdem für die kommenden stunden nicht aufhören, verstört zu sein. dabei ist das nicht das ende des abends. si. spricht über arbeit und ich unterbreche ihren monolog mit der frage, wie es ihr geht. nun spricht sie über die situation im land und ihre, darüber, eine ausstellung in wien über jüdische architekt:innen vorbereitet zu haben, die dann von der museumsleitung abgesagt wurde, weil man aktuell nichts zur entstehung israels machen wolle. über die angst, dass auch der jüngste sohn noch zur idf müsse während noch krieg ist. über die tochter, die vor wenigen jahren ihren armeedienst bei der einheit 414 in nahal oz geleistet hat. am 7. oktober ermordete hamas 19 frauen dieser einheit. sie waren zwischen 18 und 22 jahre als. sieben weitere soldatinnen verschlepten die terroristen von hier nach gaza: Liri Albag, Karina Ariev, Agam Berger, Daniela Gilboa und Naama Levy sind nach wie vor in ihrer gewalt, Ori Megidish konnte nach 23 tagen gefangenschaft von der IDF gerettet werden. Noa Marciano wurde von hamas ermordet, ihre leiche brachten israelische soldaten zur beerdigung zurück nach hause.

es geht nun immer um hoffnungslosigkeit. um fehlende auswege. schwindende chancen. die unmöglichkeit, positive szenarien zu entwickeln.

zum ersten mal eine der shabbat-buslinien genutzt, die von der stadtverwaltung tel aviv 2019 geschaffen wurden und finanziert werden, da sie einen transport ermöglichen (müssen), der von den nutzer:innen nicht (unmittelbar) bezahlt wird.

samstag tagsüber kunst und offene ateliers in süd tel aviv. auffallend viele porträts, auffallend oft in uneindeutigkeit gemalt. aber vielleicht ist das zufall und ich will nur etwas verbindendes, allgemeingültiges sehen. lange mit einer fotografin gesprochen, die seit 2012 ins westjordanland fährt und u.a. zur zerstörung der olivebäume der arabischen bevölkerung arbeitet. abends demonstration. seit der ermordung von Carmel Gat, Hersh Goldberg-Polin, Eden Jeruschalmi, Alexander Lobanov und Almog Sarusi sprechen allein angehörige der noch verschleppten oder überlebende. ich verstehe quasi nichts und merke nur, wie der schmerz den raum übernimmt und ein bisschen auch meinen körper. wenn die namen aller noch gefangenen verlesen und ihre bilder auf den großen leinwänden gezeigt werden, weinen immer noch viele und ich. Anat Angrest, die mutter des entführten soldaten Matan Angrest, spielte 30 sekunden einer audiodatei vor, die von den entführern/bewachern angefertigt und vor kurzem in gaza gefunden worden war. es war das erste Lebenszeichen, nachdem er am 7. oktober ebenfalls von dem armeestützpunkt Nahal Oz verschleppt wurde. sowohl die proteste werden fordernder als auch das handeln der polizei brutaler: gestern wurden 15 menschen festgenommen. wir essen danach kuchen in der wohnung von yo.s mutter und niemand weiß mehr irgendwas von zuversicht, aber jeder viel über die gedanken eines umzugs und die pässe anderer länder. aber niemand spricht von selbst über die situationen von juden:jüdinnen an diesen orten. erst nach meinen nachfragen oder kommentaren wird klar, dass niemand das nicht weiß aber die optionen eben trotzdem bestehen bleiben müssen.

dies dann auch heute bei kaffee und brot mit ja., die nicht aufhören kann, die möglichkeiten auszuloten, wieder nach london zu gehen und gleichzeitig hier bleiben will. die sich in diesem dazwischen zu nichts entscheiden kann, keine anfänge wagt, kein ende schafft. ich habe sie im märz 2023 im cafe shapira kennengelernt, da waren sie und ihre familie gerade ein paar tage im land, aliya. nach dem 7. oktober sind sie ausgereist, wenig später wiedergekommen. nicht nur, weil ihre neue wohnung hier war, und der kindergarten, sondern auch, weil die situation in london nicht auszuhalten ging, eine neue angst produziert hat oder auch nur sie endlich offensichtlich werden ließ.

heute am sehr frühen morgen schickte der yemen eine rakete. im gesamten zentrum des landes alarm, ausgenommen in tel aviv. den abend mit or. verbracht, endlich.

ich habe wieder zuhause hier. nicht nur durch die stadt, sondern auch als alltag. und ich habe panikgedanken, weil ich am dienstag nach london fliegen muss. immer gewünscht, das mal zu machen, so einen kleinen ausflug für ein paar tage außer landes. nun löst es nichts mehr gutes aus.

the cure legen eine veröffentlichung ihres albums am 1. november nahe. the twillight sad spielen in kleinen clubs und ich habe ein ticket. ein sehr vergangener ex fragt, was ich von einem philipp boa konzert im mai halte. ich kann die nachnicht nicht mal beantworten vor irritation.

345 tage 7. oktober

20240912, abends

ich kann nicht in den norden fahren, weil zu viel alarm und zu anstrengend und vor ein paar tagen eine drohne in ein wohnhaus in naharija geflogen ist, sagt si., die im norden wohnt und nicht weggehen will und trifft sich lieber mit mir in haifa. wir gehen ins fattush, das ich liebe seit immer und ich bin froh das es noch existiert und beim betreten einen moment lang zu überwältigt, eben weil es noch exisitiert und es dieses zurückkommen geben kann und mir fällt auf, dass es vielleicht der letzte ort von bedeutung für mich ist, den ich zum ersten mal seit dem 7. oktober wieder besuche. da sind irgendwelche windungen in meinem kopf, die etwas machen mit sentimentalitäten und brüchen, die nach dem anderen suchen und es immer auch finden, aber nicht immer bezeichnen können. anders ist, wie leer es ist. die gegend ist in den letzten jahren deutlich aufgewertet und es gibt unübersichtlich viele ausgeh-orte. sie sind wenig besucht. selbst für einen tag ‘unter der woche’. es gibt weniger bilder der entführten. an den wänden ist es ein bisschen früher. wir sitzen lange zusammen und reden immer und immer wieder über die situation, gleichen unsere verbindungen und erinnerungen an die ermordeten geiseln ab, checken unsere telefone, beobachten die vielen hubschrauber. es ist traurig und intensiv und es tut mir gut.

die idf hat ein video des tunnels veröffentlicht, der unter einem kinderzimmer seinen anfang hat, 120 meter lang ist und so niedrig, dass man nicht aufrecht stehen kann. sie zeigen die dinge, die sie gefunden haben und die von dem leben der ermordeten geiseln zeugen, von der enge, und der dunkelheit. und das blut, das auf dem boden ist. heute morgen spreche ich mit jemandem aus deutschland, der weder von diesem video wusste noch von dem, was da eigentlich als deal gerade verhandelt wird. oder wurde.

in der schweiz hat der nationalrat beschlossen, die zahlungen an unrwa einzustellen. am sonntag war Avera Mengistu seit zehn jahren in gaza gefangen. seine familie sprach auf dem platz der geiseln unter anderem darüber, was es für sie bedeutet, dass sein bild nun überall in den straßen zu sehen ist und angehörige der geiseln vom 7. oktober entschuldigen sich dafür, all die jahre nicht verstanden zu haben, wie wenig seitens des staates getan wurde, ihn zurückzuholen. am dienstag wurden die zwillingsbrüder Gali und Zvi Berman 27 jahre alt. hamas entführte sie am 7.oktober aus kfar azza. Yosef Haim Ohana wird heute 24. in london plant die palestine solidarity campain-eine demonstration für yom kippur. in berlin wollen morgen der bund der kommunisten und der kommunisitsche jugendbund ein solidaritätskonzert für palästina auf der thomashöhe veranstalten.

20240908, nachts

gestern nacht sprach unter anderem Andrei Kozlov, der anfang juni als eine von vier geiseln durch die idf befreit werden konnte, auf der demonstration über seine zeit mit Alexander Lobanov in den tunneln in gaza und über ihre unterhaltungen, ihre hoffnungen, frei zu kommen, über das glück, dass sich der wunsch für ihn erfüllt und über den horror, dass Alexander Lobanov nicht lebend freikam. es soll die größte demonstration in der geschichte israels gewesen sein. zeitgleich wurden auf dem dizengoff square kerzen für die ermordeten angezündet, elf monate nach dem angriff. es schichten sie immer mehr bilder und erinnerungszeichen über den rand des brunnens und wir stellen die kerzen dazwischen. menschen treffen und umarmen sich. sie sind vor allem sehr jung, aber immer wieder kommen auch familien, großeltern vielleicht, eltern, geschwister, zu zweit oder in größeren gruppen. bei vielen wirkt es auch wie ein wiedersehen.

ich weiß nicht, ob es stimmt, aber nachts ist die stadt viel dunkler als ich sie erinnere. auf dem weg nach hause getraue ich mir zum ersten mal und endlich, im lieblingseisladen zwei kugen goat chease ice zu bestellen und meine sucht nicht mehr zu verstecken. die lieblingsbar hat mittlerweile undurchsichtige öffnungszeiten. nicht nur, dass sie kaum besucht ist, die umwege, die ich nehme, um meinen tag zu beenden sind erschreckend oft vergebens.

si. getroffen, park und kaffee und spielplatz. lange zusammen gesessen und unter anderem über das weggehen gesprochen und ihre entscheidung, zu bleiben, nicht nur, weil sie und ihr mann die drei kinder nicht aus ihrem umfeld und in eine flüchtlingssituation zwingen wollen, sondern auch und vor allem weil sie sich nicht (mehr) trauen würden, ihre kinder in deutschland in der öffentlichkeit hebräisch sprechen zu lassen. sie sagt, man müsse sich jetzt eben auf zwei oder so unsichere jahre einstellen, die probleme mit flügen usw. immer mitdenken, und dann würde das schon gehen, das bleiben. sie sagt aber auch, wie hoffnungslos alles ist, und wie verloren und dass sie das denkt, ohne regelmäßig nachrichten zu hören. wir können uns problemlos darauf einigen, dass es über die monate noch verzweifelter geworden ist. und sie teilt meine beobachtung, dass man kaum noch über die situation spricht, versucht sie zu beschreiben oder zu erklären, das eigene denken und empfinden jemandem verständlich zu machen. es ist wie abgrund. alles. ich überlege, dass ich zu viele worte, die ich jetzt brauche, zu früh verwendet habe, um das hiersein im winter/frühjahr zu beschreiben und dass jetzt in meinem kopf zu viele schranken sind und ich einfach nicht mehr weiß, wie ich was noch sagen soll. danach im archiv gewesen und wieder gescheitert im erklären, warum ich hier bin und warum ich trotzdem hier bin. menschen freuen sich, mich wiederzusehen, aber es gibt kein verständnis mehr dafür, dass jemand noch kommt.

endlich ein bisschen gearbeitet. viel gelesen. kinder von hoy. dafür, dass ich diese bücher als gattung schwierig finde, gefällt mir vieles sehr gut. trotzdem bleibt es mir fremd, dahingehend auch erstaunlich, dass ich nur zwölf kilometer entfernt aufgewachsen bin. das musste ich googlen, erwähnenswert ist, dass bereits das auftauchen und die verortungen der namen mir ekel in den körper spülen.

Roger O’Donnell hat vor einigen tagen seine krebserkrankung und -behandlung öffentlich gemacht. auf instagram ist der post noch zu finden, von twitter hat er ihn gelöscht, nachdem er massenhaft von sogenannten impfgegner:innen angegriffen wurde.

an der University of Toronto schützen seit semesterbeginn JForce Security und Magen Herut Canada jüdische studierende auf dem campus.

20240907, früher abend

ich kann seit tagen nicht arbeiten, will nichts machen, nicht sprechen, niemanden sehen, nichts essen, nicht ausgehen. beantworte keine mails, nur manchmal nachrichten. der deal mit mir selbst ist – wieder – jeden morgen wenigstens für einen kaffee das haus zu verlassen. aber wenn ich es nicht mache, zucke ich auch nur mit den schultern. denke, wie bescheuert er ist, für so viel augegebenes geld nichts aus der zeit hier zu machen, und fühle mich noch schlechter, wenn das denn geht, finde aber trotzdem keinen sinn, es zu ändern.

wir wissen mittlerweile, dass Eden Yerushalmi bei ihrer ermordung noch 36 kilogramm wog, hamas von allen sechs ermordeten videos machte, die in den vergangenen tagen nach und nach veröffentlicht wurden, dass es in london jetzt eine eigene buslinie für juden:jüdinnen zwischen stamford hill in hackney und golders green in barnet gibt, zu ihrem schutz und um sich sicher fühlen zu können in der stadt, also auf dieser strecke. es sind genau elf monate heute, 337 tage. vor zwei tagen hat der un sicherheitsrat zum ersten mal die geiseln der hamas auf die tagesordnung gesetzt. es ging aber mindestens genauso um die situation von palästinenser:innen in gaza und um eine verurteilung israelischen handelns. in heidelberg wurde eine frau angegriffen, weil sie ein bring-them-home-shirt trug.

ich wünsche mir, in den arm genommen und ein bisschen festgehalten zu werden. und das ist viel für jemanden, die nur bedingt das bedürfnis nach körperlicher nähe hat. ich denke oft an a., aber ich kann nicht mehr herausfinden, warum eigentlich.

20240902, nachts

kaum aufstehen gekonnt, den zug nach jerusalem trotzdem bekommen und mit hunderten anderen menschen am straßenrand gestanden, um den weg der polin-goldberg-familie zum friedhof zu begleiten. mit hunderten anderen, sehr verschiedenen menschen geweint. judith kennengelernt, die die rund 1,5 wartenden stunden neben mir steht und mir erzählt, wo die eltern welcher gefallenen soldaten wohnen. alles ist nahe. zum community center in baka gefahren, nur zweimal falsch ausgestiegen. maps funktioniert echt beschissen hier. in meiner vorstellung komme ich allein zu dem ort und kann kerzen hinterlassen, in der realität sind mehr als hundert menschen auf den platz und als ich ankomme, beginnt in der videoübertragung der beerdigung rachel goldberg-polin zu sprechen. mein körper schmerzt, wirklich, mein körper schmerzt. auf dem rückweg merke ich, wie tatsächlich nahe das umfeld von ihnen zu den von mir bewohnten wohnungen und den von mir aufgesuchten orten ist.

nach der ankunft in tlv zur kundgebung gegangen. es ist sehr laut und ich treffe zufällig om. wir sprechen über meine wiederankunft hier und das gefühl vom flughafen, in die situation zurückzukehren, wieder und immer noch die bilder der geiseln zu sehen. er erzählt mir von einem video, in dem zu sehen ist, wie mitarbeiter:innen die bilder der sechs ermordeten abnehmen.

hamas veröffentlichte ein video von Eden Yerushalmi, die familie / das Hostages and Missing Families Forum stimmte zu, das ein ausschnitt veröffentlicht wird, in dem sie sagt, wie sehr sie ihre eltern liebt und vermisst. hamas sagen auch, dass sie die anweisungen zum umgang mit den geiseln geändert haben für den fall, dass sich israelische truppen nähern. es ist eher kontext als das klar gesagt wird, was damit eigentlich gemeint ist. weil es ja schon bis zu diesem punkt nicht so gewesen sein dürften, dass sie bereit waren, die geiseln in so einem fall einfach gehen zu lassen.

ein veröffentlichtes paper vom 27. juli zeigt, dass Hersh Goldberg-Polin, Carmel Gat und Eden Yerushalmi in der ersten phase eines deals freigekommen wären. Carmel Gat hatte einen deutschen pass. steffen seibert kriegte es daher gerade mal so zustande, wenigstens ihren namen in einem tweet zu nennen.

ich bin zu traurig, um zu schreiben. ich weiß, ich schreibe sowieso nicht jeden tag, müsste also auch nicht heute. aber der tag war irgendwas und ich würde gern irgendwas davon beschreiben können. stattdessen stelle ich nur fest, dass ich die traurigkeit nicht zu fassen bekomme, dass sie erschöpfung beinhaltet und sehr viel distanz zu sehr vielen schafft oder verstetigt. überlege, ob das eine in meinem leben neue art von traurigkeit ist. ich finde nichts in meinem emotionalen haushalt, auf das ich mich beziehen könnte.

menschen in deutschland sprechen mir lieber die berechtigung ab, mich so zu fühlen, wie ich mich fühle als sich zu fragen, warum sie das eigentlich nicht interessiert.

ich erinnere mich an den moment, als hamas das video von Hersh Goldberg-Polin veröffentlicht hat. in den tagen davor haben mir mehrere menschen in deutschland gesagt, die geiseln seien doch sowieso alle tot. ich habe das video gesehen und beschlossen, dass ich so nicht denken werde, dass ich davon ausgehen will, dass sie lebend zurückkommen, ganz einfach deshalb, weil Hersh Goldberg-Polin es trotz seiner krassen verletztung bis zu diesem moment geschafft hatte.

20250901, nachts

der heutige tag begann eigentlich schon letzte nacht. erst kamen aufrufe, dass es noch einmal eine große demonstration und andere proteste geben soll, weil nethanjahu am freitag im rahmen der entscheidung des sicherheitskabinetts gegenüber yoav gallant auf der präsenz israels im philadephi korridor beharrte, da dies wichtiger sei, als die geiseln zurück zu bekommen. dann kamen nachrichten zu dem gerücht, dass die idf die leichen von sechs geiseln gefunden hat. das erste was ich nach dem wachwerden mache, ist eine nachrichten-app zu öffnen, und die namen zu sehen. jeder name ist immer ein schock, aber als ich die bilder von Hersh Goldberg-Polin, Eden Yerushalmi, Ori Danino, Alex Lobanov, Carmel Gat und Almog Sarusi sehe, kriege ich einen moment keine luft und werde den ganzen tag schwierigkeiten haben, tief einzuatmen. Hersh Goldberg-Polin war 23, vielleicht war er die geisel, die die meisten menschen kannten. er hatte auch eine us-amerikanische staatsbürgerschaft, war mit sieben jahren mit seinen eltern jon polin und rachel goldberg und zwei schwestern nach israel gekommen. vor seiner entführung verletzte ihn eine granate der hamas so schwer, dass er den linken unterarm verlor. am 24. april hatten die terroristen ein video mit ihm veröffentlicht. immer wieder gab es für ihn auch in deutschland solidaritätsaktionen, u.a. von (den fans von) werder bremen oder auf dem fusion festival. Eden Yerushalmi ist in geiselhaft 24 jahre alt geworden, sie lebte in tel aviv und es gibt eine sprachaufnahme von ihrer entführung, bei der sie darum flehte, dass man sie wiederfindet. Ori Danino war 25, lebte wie Hersh in jerusalem und wollte ein studium in elektrotechnik beginnen. er war bereits entkommen, fuhr dann aber zurück auf das nova-gelände, um mehr menschen retten zu können. Alex Lobanov war 32 jahre alt und lebte mit seiner frau michal in aschkelon. sie haben ein zweijähriges kind und ein baby, das vor fünf monate geboren wurde; das Alex also nie kennengelernt hat. Carmel Gat war 40 jahre alt und lebte in tel aviv. sie war die einzige der sechs, die aus be’eri entführt wurde, wo sie das wochenende bei ihren eltern verbringen wollte. ihre mutter, kinneret, wurde am 7.oktober ermordet. 50 tage wussten die angehörigen nichts von ihrem schicksal, dann erzählten freigelassene geiseln, dass Carmel ihnen in gefangenschaft yoga und meditation unterrichtet hat. regelmäßig gab es in den letzten wochen in tel aviv und jerusalem öffentliche yoga-stunden, um ihr schicksal im bewusstsein zu halten und ihre freilassung zu fordern. als ich letzte woche im hostage tent in jerusalem war, erzählte mir jemand, dass er sie kannte, weil sie auch in jerusalem studierte. Almog Sarusi war 27 und aus Ra’anana. er war mit seiner freundin Shahar beim nova-festival und blieb an ihrer seite, als sie verwundet wurde und starb.

als ich aufstehe, merke ich, das es regnet. die wetter-app hat es nicht angekündigt und es ist viel zu früh. ein paar stunden später wird eine frau auf der straße zu mir sagen, dass ‘g’tt mit und weint’. ich zweifle, dass das stimmt, aber es fällt mir nicht schwer, es so stehenzulassen.

ich war sowieso für meine verhältnisse sehr früh mit ha. verabredet und wir sitzen in ihrer künstlerinnenwohnung mit den tausend dingen und ich muss immer wieder weinen. sie ist 78 und irgendwie gefasster und zugleich nehmen unsere gespräche immer wieder einen verlauf, bei dem sie mir sagt, ich hätte zu viel hoffnung. das hat mir ungefähr noch niemand vorgeworfen, aber ich merke, es gibt eine diskrepanz in der bewertung von beobachtungen, wenn ich es zum beispiel hervorhebe, dass es etwas bedeutet, dass israelische medien / nachrichten den angehörigen und den opfern so viel raum geben. im hintergrund lief der fernseher und der vater einer geisel, ich habe leider nicht verstanden von wem, spricht sehr lange und weint immer wieder. andere teilnehmer:innen der runde zwischendurch ebenfalls. ich weiß bis jetzt nicht die namen der opfer von solingen.

wir gehen dann zu einem neuen protestcamp; zelte die am rothschild vor habima aufgestellt wurden. sehr viele plakate und menschen, die immer wieder die straße blockieren. jemand schenkt mir ein eis. es ist leise und laut zugleich. traurig und wütend. wir stellen uns immer für minuten auf die straße. immer wieder werden die namen der sechs toten verlesen. immer wieder wird sich bei ihnen entschuldigt. immer wieder gibt es schweigeminuten. man weiß mittlerweile, dass sie erst kurz vor dem eintreffen der idf ermordet wurden, vielleicht am freitag. aus kurzer nähe erschossen. hingerichtet. in einem tunnel in rafah, nur rund einen kilometer von da entfernt, wo die soldaten Qaid Farhan Alkadi befreit hatten. am freitag standen die angehörigen noch an der grenze zu gaza und schrieen ihre wünsche und hoffnungen und ihr flehen in ihre richtung. 330 tage haben sie diese hölle überlebt.

gestern nacht war ich schon mal den rothschild blvd. entlang gelaufen, der mittlerweile links und rechts von gelben zeichen gesäumt wird; gehäkelte/gestrickte schals oder flächen, schleifen aus pappe, fahnen, bänder, die die bäume verbinden. ich hatte vor ein paar tagen erst einen artikel gelesen, dass in zürich ein eruv entsteht. und das ist natürlich etwas anderes, aber trotzdem kam ich nicht umhin zu bemerken, wie zeichen einen raum bilden, und sich die funktionen, möglichkeiten in ihm dadurch verändern.

heute abend fanden nicht nur riesige demonstrationen, sondern bereits die ersten beerdigungen statt. nun gibt es auch bilder und videos der trauer der familie, freund:innen, angehörigen. immer neue risse, immer neue schnitte.

nachdem ich mir nach der demo noch ein alleine-bier in einer lieblingsbar leistete und eine zigarette dazu, begegnen mir in den fast leeren straßen von florentin immer wieder einzelne menschen oder kleine gruppen, die auch bring-them-home oder andere tshirts für die geiseln tragen. obwohl es nicht spät ist, gibt es nur ein paar bars oder essensorte, die offen sind. alle sind wenig frequentiert und wenn dann vor allem mit menschen, die auch von der demo kamen. es ist irritierend beruhigend, dieses sich nicht kennen, und trotzdem zu wissen, das man etwas teilt. kurz vor meinem haus sehe ich ein sehr neues bring-them-home-poster mit Eden Yerushalmi. alles bedeutet etwas anderes jetzt.

morgen gibt es einen streik. das hostage forum hat es gefordert, die Histadrut Labor Federation hat nun dazu aufgerufen und andere vertretungen von firmen etc. schlossen sich an. ab morgens um 8 uhr wird auch der flughafen schließen.

gestern war es noch wichtig, heute nicht mehr: ich habe keine tickets für oasis bekommen. von mir aus können sie sich also auch wieder auflösen.

20240901, morgens

es ist halb 10 sonntag morgen und es regnet in tel aviv.

das folgende sollte eigentlich teil eines längeren posts werden und steht hier schon seit einigen tagen unveröffentlicht. aber der heutige tag wird einen eigenen post benötigen, da seit einigen stunden bekannt ist, dass die idf am samstag in den tunneln von rafah die leichen von Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Hersh Goldberg-Polin, Alexander Lubnov, Almog Sarusi, und Ori Danino gefunden hat, alle kurz zuvor von hamas ermordet.

Qaid Farhan Alkadi hatte bereits kurz nach seiner rettung davon gesprochen, dass eine der geiseln in seiner anwesenheit verstorben war. gestern wurde dann bekannt gegeben, dass es sich dabei um Aryeh Zalmanovich handelte, einen 85jährigen bewohner von kibbutz Nir Oz, den hamas am 7.oktober nach gaza verschleppte und der, dann nur rund 40 tage ohne seine medizin zu erhalten, überleben konnte. der kibbutz hatte im dezember seinen tod bekannt gegeben, wenn ich es richtig verstehe, ist seine leiche nach wie vor in der gewalt der palästinenser. das rote kreuz hat meines wissens nach bis heute keine der geiseln besucht. und was mit den medikamentenlieferungen wurde, die nach langen verhandlungen von israel mitte januar bereit gestellt und geliefert werden durften, ist so ungefähr nicht bekannt. ein bisschen mehr ist nun veröffentlicht über die bedingungen, in denen Qaid Farhan Alkadi leben musste, darüber, dass er die letzten und die meisten monate in tunnel verbringen musste, dass seine entführer ihn dort zurückließen, mit nur etwas brot und einige der umliegenden tunnel von ihnen mit sprengfallen versehen wurden.

in hamburg sagte der grindel e.v. ein von ihm organisiertes ‘jüdisches straßenfest’ mit blick auf den terroristischen angriff in solingen aus angst vor nachahmungstätern ab. wer bin ich, das zu beurteilen, aber beeindruckend doch immer wieder wie schnell akteur:innen deutscher zivilgesellschaft dann doch den rückzug antreten, während es ihnen zuvor nicht zu peinlich war, “Vielfalt mit jüdischer Lebenskultur” (fb-eintrag von grindel e.V. am 28. august 2024) präsentieren zu wollen. jüdische gegenwart unterstützen, aber bitte nur, wenn wir dafür peinliche slogans benutzen können und unser handeln niemanden stört.

20240828, nachts

den tag nicht vertrödelt, aber doch verschleppt. wohnung aufräumen und sachen packen, arbeiten. nochmal ins cafe gehen und abends dann nach tlv ziehen. wehmütig gewesen und wirklich abschied gehabt. gemerkt, dass mir die zeit zu kurz war und vorkommt und zugleich, dass meine ankunft ewig herzusein scheint. dabei wüsste ich kaum zu sagen, was ich gemacht, gesehen, gesagt habe in diesen vier wochen. aber natürlich ist sie sofort wieder da, die liebe für die stadt und das intensive gefühl von nähe, zuhause, vertrautsein, verbunden sein, dass ich mit wirklich nichts anderem herstellen kann. dabei wohne ich mal wieder in einer ‘neuen gegend’, zwischen neve tzedek und yafo, florentin, aber am rand. in einem hat-hier-jemand-bauhaus-gesagt-haus. aber in chic, jedenfalls auf den ersten blick. seit den schwierigkeiten im märz (?) erwarte ich offenbar vor allem unwegbarkeiten und habe misstrauen. was ich aber auch sofort wieder habe ist ein sozialleben und meine zeit füllt sich für die kommenden tage bereits problemlos.

die schwester schreibt unvermittelt, ob ich nicht mit ihr zu oasis gehen will und spätestens jetzt sofort will ich zu oasis gehen. also tickets bekommen. etwas vorhaben in einem jahr. gewöhne ich mich nicht mehr dran an dieses denken.

Farhan al-Qadi (oder: Qaid Farhan Alkadi, oder: Qaid Farhanal-Kaadi) ist heute schon aus dem krankenhaus entlassen worden. im times of israel podcast ging es um die situation der beduinen und den 7. oktober: acht beduinen aus dem süden des landes wurden von hamas als geiseln verschleppt, zwei waren ende november frei gekommen, einer – Samer Talalka (24) – mitte dezember mit zwei weiteren jungen männern versehentlich von idf-soldaten erschossen. die angehörigen dieser geiseln haben in den vergangenen mehr als zehn monaten nur selten mit der presse gesprochen, bis gestern wussten ihre vertreter:innen nicht einmal, wie Farhan al-Qadi richtig geschrieben wird. mir war bereits aufgefallen, dass es verschiedene varianten gestern gab und der journalist sagte, dass man erst abwarten musste, bis der name in der arabischen presse verwendet wurde (ich finde immer noch verschiedene schreibweisen, s.o.). die isolation der angehörigen in der situation sei mehrfach begründet; zum einen kulturell, weil es unmöglich und nicht üblich ist, öffentlich zu trauern oder zu klagen oder die eigenen persönlichen geschichten zu erzählen. zum anderen aber auch, weil sie sich auf niemanden verlassen können; sie haben keine unterstützer:innen. die muslimischen ländern interessieren sich nicht für sie oder sehen sie als verräter:innen, weil sie in israel leben, hier in der armee dienen etc. zugleich ist ihre situation in israel aber schwierig: viele wohnen in ortschaften, die nicht offiziell anerkannt sind. es gibt keine bunker und keine schutzräume, iron dome ist nicht darauf ausgerichtet, raketen abzufangen, die in ihre richtung gehen. dabei waren die communities selbst über die geiselnahmen hinaus stark betroffen von den angriffen am 7. oktober. es gibt sehr viele geschichten, in denen beduienen zum bsp. losfuhren, um menschen zu retten, in kibbuzim und natürlich vom nova-gelände. Youssef Ziadna zum beispiel holte mehr als 30 menschen da raus. mehr als 20 beduinen, zivil und als soldaten, wurden ermordet an dem tag, auch, aber nicht nur, bei raketenangriffen. da (sogar) ich wusste, dass unter den geiseln und unter den ermordeten beduinen sind/waren, kann man davon ausgehen, dass das immer auch in die öffentlichkeit getragen wurde, ihre gesichter und angaben zu ihren personen sind teil der bringthemhome-kampagnen, immer. zugleich war/ist mir immer auch auffällig, dass ihre angehörigen nicht präsent waren. ich hatte gestern einige ausschnitte aus interviews gesehen, die ein bruder von Farhan al-Qadi vorm krankenhaus gegeben hatte. und es viel mir sofort auf, dass und wie er allgemein von allen geiseln spricht, wie schnell er dazu kommt, die freilassung von allen zu fordern und zu wünschen. ich meine, es war (und ist immer noch) sowieso krass und berührend, ihre freude zu sehen, die erleichterung. aber das wurde irgendwie noch gesteigert, weil sie es immer selbst mit dem schicksal der anderen verknüpft haben. auch Farhan al-Qadi hat heute immer wieder betont, dass alle raus müssen, sofort.

heute dagegen wurde die leiche eines soldaten von der idf geborgen, der bereits am 7. oktober von hamas ermordet und dann nach gaza verschleppt wurde. im süden und nicht in einem tunnel. auf bitten der familie ist der name bisher nicht genannt worden.

mehr als 300 autos und tausende menschen sind heute in einem convoy von tel aviv aus nach kibbutz be’eri gefahren. morgen wollen sie nach nirim, um die familien der geiseln dabei zu begleiten, mit lautsprechern nach gaza zu rufen, in der hoffnung, dass ihre gefangenen angehörigkeiten so etwas von ihnen hören. verzweiflungen. und warum gibt es von so begriffen eigentlich keine steigerungsformen oder varianten. denn die verzweiflungen jetzt sind ja andere als vor zehn monaten, aber sie sind nicht weniger.

327 tage.

in berlin dagegen wurde das denkmal für die frauen in der rosenstraße, die sich im februar 1943 für die freilassung ihrer jüdischen männer eingesetzt haben und sie so (zunächst und viele dann dauerhaft) vor der deportation bewahrten, mit antisemitischen und pro-palästina parolen beschmiert.

20240827, abends

der tag begann mit der seit spätestens gestern vorhersehbaren, wenngleich nicht weniger emotional verwirrenden nachricht, dass oasis wieder zusammen auftreten wollen und zwar im sommer des kommenden jahres. meine emotionale lage ist uneindeutig und ich habe es den ganzen tag über nicht geschafft, da klarheit zu gewinnen, aber gerade doch schon mal zur sicherheit gecheckt, ob mein englischer ticketmaster-account noch existiert. d. vermisst, der wüsste was zur sagen zur einordnung des ganzen.

nachmittags kam dann die nachricht, dass Qaid Farhan Alkadi lebend aus einem tunnel im süden gazas gerettet wurde. er ist 52, beduine und war am 7.oktober aus dem Kibbutz Magen entführt worden, wo er als guard gearbeitet hat. er hat elf kinder und eine 90jährige mutter, ich weiß nicht, wie viele geschwister. sie leben in/bei Rahat. es gibt videos, wie seine familienangehörigen den krankenhausflur entlangrennen und wenig später bei ihm sind. sie sind so glücklich, so erleichtert, so aufgeregt. ich kann immer nur wieder weinen, wenn ich es sehe. er sieht so anders aus als auf den bildern, deutlich älter als 52 und soll 25 kilo abgenommen haben. sein körperlicher zustand sei okay, heißt es, aber auch, dass sich das erst in den kommenden tagen wirklich zeigen wird, weil auch bei den anderen befreiten / freigelassenen geiseln der zustand zunächst durch das adrenalin und die erleichterung bestimmt werde.

ich habe später jemadem in deutschland via chat zu erklären versucht, wie emotional das für mich ist und habe gemerkt, dass es nicht verstanden wird. ich habe versucht zu erklären, wie anders es hier funktioniert, wie viel man weiß von den menschen, die entführt oder ermordet wurden, wie präsent sie sind. während man in deutschland nicht einmal die namen derjenigen zu kennen scheint, die am vergangenen wochenende in solingen ermordet wurden. ich glaube nicht, dass ich verstanden wurde.

ich bin es in meiner geschichte gewohnt, dass wenn ich irgendwo rumstehe mit plakaten oder transparenten oder was auch immer, angegriffen zu werden. das hatte ich als phänomen und realität vergessen, bis ich jetzt mehrmals vor dem hostage tent hier in jerusalem stand, und plakate der entführten hochgehalten habe. man steht da allein oder zu zweit und zeigt sie den passant:innen, die zu fuss oder im auto die ziemlich frequentierte straße entlangkommen. und ich mache das gern, weil ich es für eine gute sache halte, sichtbarkeit und so. aber ich habe mich immer auch unwohl gefühlt und endlich ist mir aufgegangen warum: ich rechne die ganze zeit damit, angepöbelt, beschimpft, bedroht zu werden. als heute ein bus sehr nahe an dem bürger:innensteig fuhr, merkte ich, wie ich erwarte, dass er auf / in uns zu / reinrast. und dann ist mir auch aufgefallen, dass ich immer zuerst unsicher bin, wenn menschen mich ansprechen und überrascht, wenn sie gutes sagen, emotionales, von ihren gefühlen, gebeten, ängsten, gedanken, hoffnungen reden und/oder darüber, wie wichtig dieser ort für sie ist. und dass ich noch nicht so richtig verinnerlicht habe, dass das hupen der vorbeifahrenden autos zustimmung ist, nicht hass. oder dass die jugendlichen, die lärmend vorbeigehen, t-shirts mit der aufschrift kfar azza tragen. und die frau, die mich anspricht, mir in gebrochenem englisch erzählt, dass heute eine geisel lebend gerettet wurde und beduine ist und israel auch ihn rettet.

ich hadere sehr damit, hier zu sein. auch, weil menschen mir das gefühl geben, mich dafür rechtfertigen zu müssen. aber heute gab es keinen zweifel daran, dass es gut ist.

letzter tag in jerusalem.