ich gehe seit einigen tagen jeden morgen in einen anderen coffeeshop in meiner nachbarschaft, um meinen ersten kaffee zu trinken und eigentlich als trick, um das haus zu verlassen oder “wenigstens schon mal für einen kaffee verlassen zu haben”. das funktioniert so lange es geht. gestern bin ich danach trotzdem einfach wieder ins bett gegangen. all die energie war sofort wieder weg, als ich die wohnungstür hinter mir schloss.
gestern abend eine freundin besucht, eigentlich die mutter einer freundin, 80 jahre alt, tochter eines überlebenden aus polen, künstlerin. wir sehen zusammen über mehrere stunden nachrichten, darunter einen langen bericht dazu, dass pläne der hamas, massenhaft in israel einzufallen und menschen zu ermorden bzw. zu entführen, seit oktober 2022 innerhalb der idf und des mossad (?) bekannt gewesen sein sollen, es auf regierungsebene aber nicht interessiert habe. mein hebrew ist deutlich zu schlecht, um solche erzählungen wirklich in ihren details zu verstehen. dass hamas und andere sich so etwas ausdenken, ist das eine und war irgendwie auch vorstellbar, dass sie damit erfolgreich sind und es ihnen tatsächlich gelingt, über so viele stunden auf israelischem boden zu sein, so viele menschen zu ermorden und zu entführen, ganze straßenzüge und autos abzufackeln, menschen zu jagen, zu demütigen, zu vergewaltigen, das alles hätte nie passieren dürfen, nichts davon, nicht einen moment. man muss wieder vertrauen haben, sonst kann man hier nicht sein und leben. aber ich bin jetzt nicht mehr sicher, ob das vertrauen vor dem 7. oktober nicht auch bei mir einfach ignoranz war, ein augen schließen und hoffen, dass es schon irgendwie gut geht. und dann bleibt da jetzt diese so grundlegende verunsicherung, und nicht einmal ich, die immer wieder (zu) lange zeiten in deutschland ist, die, wenn hier, dann in tel aviv wohnt, die niemanden unmittelbar kennt, der:die ermordet oder entführt ist, weiß, wie das gehen soll mit dem vertrauen. das hätte nicht geschehen dürfen und ich meine dies in einer sinne von hannah arendt.
nach dem bericht gab es ein interview mit Nili Margalit, einer krankenschwester vom kibbutz nir, die zu den freigelassenen vom 30. november gehörte und die in der geiselhaft versuchte, anderen zu helfen und hamas dazu zu bringen, wenigstens etwas medizinische versorgung zu ermöglichen. nach ihrer rückkehr musste sie unter anderem erfahren, dass ihr vater, Eliyahu Margalit, ermordet wurde, seine leiche aber noch in gaza ist. Nili Margalit war auch dabei, als kurz vor der übergabe an das rote kreuz, hamas-männer, Yarden Bibas, dem vater des vierjährigen Ariel und des Babys Kfir, sagten, dass seine beiden kinder und seine frau Shiri tot seien und seinen zusammenbruch filmten, um diesen anschließend als video zu veröffentlichen. man kann sich nicht vorstellen, wie es ihm geht. und trotzdem denkt man die ganze zeit daran. bis heute, mehr als einen monat später, sind sie nicht zurück. bis heute weiß man nicht, ob hamas aus grausamkeit gelogen hat oder ob sie wirklich tot sind und wie sie starben.
in den letzten tagen wurde die zahl der geiseln noch einmal nach oben korrigiert. nun wird von 136 gesprochen. das zeigt auch, dass es immer noch (so viele) menschen gibt, die noch vermisst werden und deren schicksal am und nach dem 7. oktober nach wie vor ungklärt ist. erst heute morgen veröffentlichte der Kibbutz Nir Oz beispielsweise, das sein bewohner Tamir Adar an diesem tag getötet wurde. auch seine leiche ist noch in der gewalt der hamas oder einer anderen terrororganisation in gaza. er war der enkel von der 85jährigen Yaffa Adar, einer Holocaustüberlebenden, die ebenfalls entführt, dann aber im november freigelassen wurde.
das gehört zu diesen dingen, dass einem die menschen und ihre geschichten, ihr (über-)leben, ihr tod, so vertraut werden.