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20240404, mittag

immer die frage, ob ich “wieder” gut angekommen bin und nie eine idee, wie ich sie beantworten soll. dass die ersten tage immer wie watte sind und man ein bisschen eingehüllt bleibt in die aufmerksamkeiten der freund:innen, dass der aufprall dann kommt, wenn sie nachlassen, üblicherweise nach einer woche oder so. meine aufmerksamkeit ist woanders. ich checke noch panischer meine nachrichten, lese dass die IDF ihr luftverteidigungssystem verstärkt und reservisten einberuft in vorbereitung eines möglichen angriffs durch den iran, lese von den protesten in jerusalem und der gewalt der polizei, von den forderungen nach neuwahlen und seit heute morgen, dass die gps-systeme nun auch in tel aviv nicht mehr funktionieren.

gestern “zone of interest” gesehen, mich geärgert über diese faszination für die täter:innen und darüber, dass über die banalität ihres soseins immer noch verhandelt wird, als würde sie gerade entdeckt. abends eine sehr vergangene ex-liebe getroffen, von der ich den verdacht habe, dass er das immer vorschlägt, wenn seine frau und die kinder verreist sind und zugleich der gedanke, dass ich diese treffen dann und wann brauche, um mich zu vergewissern, dass mein leben sehr okay ist trotz allem und ich irgendwie auch einer perspektive von alltag und beziehungsrealität und ordnung entkommen bin, an der ich mehr zerbrochen wäre als an meiner gegenwart. ich betrinke mich, weil ich nach den letzten wochen einfach gern betrunken wäre. ich verstehe nicht, warum menschen immer über die vergangenheit sprechen als die aufregende zeit, “als wir noch jung waren”. er sagt über seinen job, dass er das nun die nächsten 15 jahre auch noch durchhält. er sagt auch, dass alle geiseln sowieso tot sind. und rennt irgendwann zu einer s-bahn (die alle 10 minuten kommt) und ich bin irrational froh, als wir beide wieder in unsere jeweiligen realitäten zurückfahren.

20240402, mittags

die abreise am sonntag war von einer vielzahl kleiner guter dinge begleitet: dem busfahrer, der einfach so anhielt, dass mein weg zum bahnhof nur wenige schritte waren, dem security-menschen am flughafen, der deutsch mit mir gesprochen hat und sich darüber irrational doll gefreut hat, dem leeren mittelsitz im flugzeug. die situation am flughafen erinnerte an früher und damit meine ich nicht vor-7-oktober, sondern früherfrüher, als das system von kontrollen, ansteh-ordnungen und zuständigkeiten völlig undurchschaubar war und sie einen zwangen, jedes teil, das man in der tasche hatte, auszupacken. die wege blieben begleitet von den porträts der geiseln. jedes der schilder war dicht beschrieben mit nachrichten, wünschen, gedanken. bei Ariel und Kfir Bibas lag spielzeug, bei anderen war das abgedruckte alter durchgestrichen und handschriftlich durch die nächst höhere zahl ersetzt worden. ich treffe ka., die wieder den gleichen flug hat und wir sprechen über unsere angst, zurückzufliegen, in situationen, in denen wir wieder jederzeit hass und antisemititische positionierungen begegnen werden und in denen wir unsere traurigkeiten und sorgen bestenfalls erklären (müssen), oft aber nicht vermitteln können, in denen die komplexitäten unserer betrachtungen keine rolle mehr spielen, die nähen und die solidaritäten, die wir haben, als die falschen gelten. ich denke darüber nach, wie schnell sich nun intensitäten ergeben, wenn ich menschen (bisher nur frauen) treffe, mit denen mich erst einmal nur ein bestimmtes umfeld (leben oder lange aufenthalte in deutschland, dabei akademisches umfeld) und darin dann bestimmte erfahrungen (ein akademisches umfeld, das “offene briefe” schreibt, israelische wissenschafter:innen boycottiert, sich palästina-solidarisch artikuliert und das alles in vorgegebener intellektueller auseinandersetzung) verbindet.

meiner schwester sei dank kann ich in der wohnung nach meiner ankunft israelischen wein trinken.

gestern mittag mit al. frühstücken gewesen. der weg dahin und zurück begleitet von vielen pro-palästinensichen graffitis und aufklebern. es sind mehr geworden, aber al. sagt auch, dass es mehr israelsolidarische gäbe; allein ich habe sie noch nicht gesehen. auch die klo-türen im cafe sind vollgeschmiert und ich bin ganz müde davon, und ratlos, wie ich mich darin einrichten soll und es übersehen, um nicht permanent durchzudrehen. abends kommt an. mich besuchen und wir trinken den rest von dem wein und rauchen auf dem balkon und irgendwie ist das für die zeit und ein bisschen länger exakt was ich brauche.

20240331, vormittags

es ist immer schwer, nach deutschland zu fliegen. dieses mal ist es zudem ausgesprochen komisch, nach deutschland zu fliegen. ich hatte bis auf ganz wenige ausnahmen diese abschiedsangst nicht. und immer wenn mir gestern einfiel, dass ich am nächsten ja fliege, durchzuckte mich ein schreck und der gedanke ‘fuck, ich fliege ja morgen’.

gearbeitet, dann die photo is:rael angesehen, die nur wenige meter von mir entfernt in einem wirklich sehr schönen 70er-jahre einkaufskomplex hinter dem rathaus ist, dessen existenz mir bisher völlig verborgen war. gedacht, dass fotografien ohne bezug zum 7.oktober mir gerade uninteressant sind, über den ben gurion blvd. zum meer gelaufen, auf der promenande gestanden und (wieder) festgestellt, dass mir dieser teil des strandes einfach sehr fremd ist und die menschen nur machen, dass ich mich auf die unangenehme art als aussenseiterin fühle. die gordon st. nach hause gelaufen, über die schönen architekturen nachgedacht, zum zweiten mal in einer seitenstraße eine synagoge mit riesiger kuppel entdeckt, die ich nicht zuordnen kann, weder in der zeit noch in der form noch in der geschichte. zur kundgebung auf dem hostage square gelaufen, als Aviva Siegel während ihrer rede weint, weine ich auch (und wir sind nicht die einzigen), zur anti-regierungs-demo gelaufen und dann zur shenkin, um no. zu treffen. unterwegs daran gedacht, wie ich mir lange nicht vorstellen konnte, wieder in der stadt zu sein. weil mich zu viele orte an a. erinnert haben, weil ich angst hatte, ihm zu begegnen und manchmal auch, weil ich panik hatte, ihn in einem schlechten zustand zu finden. nichts von dem ist passiert, stelle ich zusammenfassend fest, wenig später laufe ich ar. zufällig in die arme, dem einzigen gemeinsamen freund den wir hatten. immer noch besser als ihm, denke ich, aber auch, wtf. ist diese stadt klein. mit no. und mi. gegessen, mi. versprochen, dass ich alles versuche, zurückzusein, wenn ihr baby kommt, zu viel wein getrunken, über die geiseln gesprochen, in die wohnung gefahren, yo. bringt mir ein paar meine dinge vorbei und wir sitzen lange auf der bank an der straße.

es ist immer schwer, nach deutschland zu fliegen. und jetzt verschieben sich hier die rahmen: am donnerstag hat das oberste gericht entschieden, dass es keine finanzielle unterstützung mehr für yeshiwa-studenten geben darf, die in einem wehrpflichtigen alter sind. es soll 30 prozent der gelder betreffen und ab dem 1. april gelten. seit wochen gibt es verstärkte versuche, eine neuregelung in der knesset zu finden, mit der auch ultra-orthodoxe zum militärdienst eingezogen werden können. da netanyahu seiner regierung mit zwei ultra-orthodoxen koalitionspartnern bildet – der vereintes torah judentum und der shass-partei – die, dem auf keinen fall zustimmen werden, besteht die möglichkeit, dass die regierung scheitert und es neuwahlen geben muss. gestern abend kündigte Eli Albag, Vater der nach wie vor in hamas gewalt befindlichen geisel Liri Albag an, dass dies die letzte kundgebung der familien an diesem platz wäre und sie sich nun offiziell den protesten gegen die regierung anschließen und alle auffordern, es ihnen gleichzutun. insgesamt war es gestern die größte demonstration seit dem 7. oktober. und es gab danach ausschreitungen bei dem versuch, straßen zu blockieren. auch in jerusalem kam es zu auseinandersetzungen, unter anderem als protestierende eine barriere durchbrachen, die in unmittelbarer nähe zu nethanjahus haus besteht. weitere demonstrationen fanden in sderot, or akiva, haifa, beersheba, caesarea statt. ich habe bisher nicht verstanden, was genau dazu geführt hat, dass das Hostages and Missing Families Forum seine bisherige position aufgegeben hat, aber nicht nur, dass es nicht vorwärts geht und immer wieder berichte über nethanjahus unwillen eine lösung herbeinzuführen, letzte woche hat er sich zudem erstmalig (!!!) mit den angehörigen entführter soldaten getroffen und es blieb unkonkret.

am kommenden samstag sind es sechs monate. sechs fucking monate.

es ist zu schwer, nach deutschland zu fliegen.

20240330, früher nachmittag

gestern nach jerusalem gefahren. früh aufgestanden, den bus genommen, in einem cafe in der betsal’el st. gefrühstückt, mir nette sachen von den verkäuferinnen auf dem designmarkt sagen lassen, zum ort der hostage-familien in der azza st. gegangen, der nur wenige schritte von netanjahus haus entfernt ist. anders als in tel aviv ist hier kein platz mit diversen installationen und vielen besucher:innen; neben dem zelt mit den porträts der geiseln gibt es einen langen tisch mit stühlen und tellern, auf denen halbe trockene pitas liegen, plakate und banner und eine reihe gelber stühle vor dem gehweg schon auf der straße, eine volontairin verteilt abgerissene teile von klebebandrollen, auf die sich mit einem pfilzstift die tage schreibt. 174. und an passant:innen verteilt. es gibt nicht viele, die anschließend stehenbleiben, aber autofahrer:innen hupen immer wieder und ich glaube, hupen kann unterschiedlich klingen, weil hier ist es zustimmung und solidarität und nicht einen moment aggressiv. komisch auch. wir unterhalten uns auch ein bisschen, weil sie sich bedankt, dass ich gekommen bin und ich versuche ihr zu sagen, dass sie sich dafür nicht bedanken muss. sie spricht über die familien, die den ort hier besetzten und in den ersten wochen und monaten hier auch schliefen. nun versuchen die volontair:innen das zu übernehmen, auch um die angehörigen zu entlasten, denen es zunehmend schlechter geht. später, im bus zurück nach tel aviv, werde ich anfangen zu denken, dass es das ist, was ich hätte tun sollen, vielleicht nicht jeden tag, aber doch regelmäßig nach jerusalem fahren und dort volontairen. ich ärgere mich seit dem über mich und meine depressionen und selbstbezogenheiten, meine derzeitigen unfähigkeiten, anwesend zu sein in der situation und in den leben anderer.

zum zappa lab durch jerusalem gelaufen, was zugleich teil meiner damaligen joggingstrecke war. wieder gedacht, dass ich die stadt jetzt mag und gemerkt, dass sie mir vertraut ist, immer noch. menschen, die allein zur show von daniel ryan spaulding kommen, werden im hinteren teil des raumes an der bar platziert. dafür bleibt es mir erspart, mir einen tisch mit fremden teilen zu müssen. wieder die beobachtung gemacht, dass man die in den bars und cafes arbeitenden menschen persönlich und dabei tief enttäuscht, wenn man sagt, man wolle nichts essen. die show war phantastisch und für jemanden, die stand-up comedy irritierend findet, habe ich es genossen und gelacht und ja, geweint. viel berlin- und deutschland-bashing, sehr viel klares zu antisemitismus und israel-hass in der community. möglicherweise hat einiges am abend zuvor in tel aviv besser funktioniert, weil mit sicherheit anderes publikum. ausgesprochen viele religiöse paare waren dagegen in jerusalem im publikum. ‘das hat mir aber gut getan’, denke ich, als ich auf den bus zurück warte, und dass es etwas war, das ich und andere offenbar gerade brauchten.

als ich zurück in meiner wohnung bin, bin ich so müde, dass mir nur serien bleiben und selbstmitleid. trotzdem wieder nicht vor 11 uhr aufstehen können.

seit zwei tagen ist sommer. noch von der art, die einen außerhalb der wohnung nicht den wunsch haben lässt, lieber zu sterben. immer wenn der wind dann so vom meer durch die straßen weht, denke ich ‘ganz im sinne der erfinder’ und freue mich jedes fucking mal. es ist anders, hier zu wohnen als in den gegenden, in denen ich das normalerweise tue. man begegnet zum beispiel immer noch menschen, die dem bild dessen entsprechen, was ‘jeckes’ sind. oft sehr alt und klein und zu gut gekleidet, zu schick und elegant für tel aviv und irgendwie aus der zeit gefallen.

irgendwie kriege ich nicht klar, dass ich morgen zurückfliege.

20240328, früher abend

ich bin zwar schon mal bis nach yad mordechai gefahren, weil ich das von arieh und eldar sharon entworfene gebäude des ‘Holocaust to Revival Museum’ sehen wollte, aber mein enthusiasmus für touristische reiseziele hält sich in grenzen, auch wenn sie in israel sind. dass ich nach mehr als zehn jahren überhaupt mal in masada war zum beispiel, ist nur dem umstand zu verdanken, dass an. mich 2022 in jerusalem besucht hat. jedenfalls war ich gestern mit ro. und zwei ihrer freundinnen in der Avshalom Cave / Soreq Cave; einer tropfsteinhölle unweit von bet shemesch. und es war abgefahren und ein bisschen aufregend und so ohne tourist:innen waren wir ganz allein, was alles vermutlich noch abgefahrener und aufregender gemacht hat. meine hoffnung wäre nur, so ganz grundsätzlich, dass naturschutzparks keine werbung damit machen, dass es bei ihnen schlangen gibt. anschließend wein in der flam winery und dann wein und veganen käse und führung in der clos de gat winery. weil ro. und ich nicht gefrühstückt hatten, war alles sehr schnell sehr lustig. ansonsten fremde welt, wie es so ist, wenn man mit menschen unterwegs ist, die viel geld haben und mal ebend ohne mit der wimper zu zucken 1.000 euro davon in wein investieren. es ging über stunden um viele und banale dinge und bevor wir den letzten wein tranken, stießen wir an auf die baldige rückkehr der geiseln, um anschließend wieder nur über banale dinge zu sprechen; darüber beispielsweise, wie schön das land ist, durch das wir fuhren und ich sah es mir an und merkte dabei immer wieder, wie wie irrational vertraut es mir ist.

für diejenigen, die keinen zugang zur new york times haben: den artikel und das interview mit Amit Soussana kann man hier lesen.

associated press hat in der kategorie “Team Picture Story of the Year” (reynolds journalism institute der missouri school of jounalism) für den fotoessay “israel and hamas war” gewonnen. unter den preisträgern ist damit auch der freiberuflich u.a. für ap tätige fotograf ali mahmud, der die hamas- und andere terroristen bereits seit dem frühen morgen des 7. oktober begleitet hatte und unter den so ausgezeichneten fotografien ist eines der entführung von Shani Louk am 7. oktober, das er aufgenommen hat; die aufnahme einer halbnackten frau, die mit dem gesicht nach unten auf der rückfläche eines pickups liegt. um sie herum bewaffnete männer. die jury verwendete das bild auch bei der ankündigung der preisvergabe auf instagram. Shani Louks name wurde nicht genannt. sie wurde am 30. oktober offiziell für tot erklärt. ihre leiche ist nach wie vor in der gewalt von hamas. am mittwoch ist im amsterdam eine jüdin in ihrem haus von drei frauen bedroht und beschimpft worden, deren tochter in der idf dient. schon in den vergangenen wochen waren banner in der nachbarschaft aufgetaucht und leute mit palästinaflaggen auf ihrer arbeit aufgetaucht. aufgrund von sicherheitsbedenken wird israelis, die den esc in schweden besuchen wollen, empfohlen, ihre identität zu verbergen. Neria und Daniel Sharabi, die das hamas-massaker auf dem gelände des nova-festivals überlebt hatten und am sonntag nach großbritannien einreisen wollten, um in manchester vor der jüdischen gemeinde zu sprechen, wurden von angehörigen der dortigen grenzpolizei über zwei stunden festgehalten und verhört.

gestern abend fiel ein insekt von beeindruckender größe von irgendwo auf mein bett und alles was ich denken konnte, war “ach, sommer ist da”.

20240326, nachts

die ausstellung einer freundin besucht, die tagebucheinträge auf stoffbahnen stickt und auch die zahlen der toten und die ereignisse und gedanken seit dem 7. oktober so sammelt. sie spricht über die raketen der ersten wochen und die stunden im treppenhaus, über die besuche der verwandten der nachbarin, die für ein wochenende in tel aviv waren und plötzlich nicht mehr in ihr haus im kibbutz zurückkonnten. über einen massakrierten freund. über das blut, das nun auf den stoffbahnen festgehalten wird. über die gedanken an den vater, der den holocaust überlebt hat.

jemand erzählt mir, dass sie sich nicht mehr für konferenzen bewirbt, weil sie als israelin ja doch nicht mehr angenommen werde und es vermutlich sowieso zu gefährlich ist, teilzunehmen.

auf dem nachhauseweg treffe ich zufällig mi., die ich viel zu wenig gesehen habe in den letzten tagen. weil sie zu viel arbeitet und schwanger ihr zukünftiges leben ordnet und weil es sich immer ein bisschen einschleicht als normalität, hier zu sein. sie hat second hand einen kinderwagen in sderot gekauft, aber seit gestern gibt es wieder raketen der hamas und jetzt weiß sie nicht, ob sie ihn wirklich abholen fahren soll. ich sage ihr, dass ich sonntag zurückfliege und kein geld für die aktuellen el-al-preise habe, deshalb nicht weiß, wann ich wieder komme. ich wäre gern da, wenn das baby geboren wird. aber das ist vermutlich unrealistisch. wir sind traurig und es ist ein merkwürdiger abschied. ich laufe zurück und sitze am dizengoff square rum. weil mein fuss wehtut, aber auch weil es ein guter ort zum rumsitzen ist, heute.

Amit Soussana hat der new york times ein interview gegeben, in dem sie von der sexualisierten gewalt und folter während ihrer gefangenschaft in gaza berichtet. sie ist die erste vormalige geisel, die dies tut. noch 19 frauen sind in der gewalt der hamas; als noch lebende geiseln oder als tote: Naama Levy, Shani Louk, Noa Argamani, Romi Gonen, Arbel Yehud, Carmel Gat, Eden Yerushalmi, Doron Steinbrecher, Maya Goren, Ofra Kedar, Inbar Haiman, Liri Albag, Daniella Gilboa, Shiri Bibas, Karina Ariev, Agam Berger, Emily Damari, Amit Esther Buskila und Judy Weinstein.

das tikva forum, dem angehörige der geiseln angehören, musste vor ein paar stunden bekannt geben, dass Uriel Baruch getötet wurde, seine leiche noch in der gewalt von hamas ist. er war am 7. oktober vom gelände des nova-festivals entführt worden und hinterlässt eine frau und zwei kinder, eltern und drei geschwister.

die israelische delegation hat den verhandlungsort doha verlassen, nachdem hamas den deal ablehnt. und die knesset hat heute entschieden, zwischen dem 8. april und dem 18. mai eine pause für pessach ferien zu machen.

20240326, mittags

offenbar stimmt hamas dem waffenstillstands-geiselfreilassungs-vorschlag nicht zu, gestern machten sie noch die forderung auf, er müsse einen plan zum wiederaufbau enthalten. seit letzter nacht heißt es vor allem, dass israel keine ihrer forderungen erfüllen, zu denen es gehört, dass es einen dauerhaften waffenstillstand in gaza geben soll, die israelischen truppen abgezogen werden, die “vertriebenen” palästinenser:innen zurückkehren können und ein “echter” austausch von “gefangenen” stattfinde. ich frage mich, wie es immer noch sein könne, dass eine terrororganisation nach den verbrechen, die sie am 7. oktober begangen hat, überhaupt forderungen stellen darf und das offenbar alle völlig normal finden. wie ernst es ihnen mit einem waffenstillstand ist, zeigten sie dann sowieso mit den raketen, die seit gestern wieder auf südisrael geschossen wurden, unter anderem nach aschdod.

gestern abend mit or. “poor things” gesehen und ich bin ja definitiv dafür, mehr feminismus und selbstermächtigung in die kinos zu bringen, aber ich kam nicht umhin mich zu fragen. ob dies nur geht, wenn die frauen und die welt in der sie leben, als phantasiewesen und -welten dargestellt werden. (meine zweite reference für den gedanken war “barbie”)

or.s “gag” seit ungefähr sofort dem moment an dem wir uns kennenlernten, ist, dass ich aus der ehemaligen sowjetunion komme und jedenfalls bestellte er gestern aschkenasisches essen und es war nicht zu schlecht.

mein fuss tut weh und ich sitze damit irgendwie fest.

20240325, mittags in einem sehr süßen cafe in zeitlin st.

samstag abend einen kleinen unfall gehabt, wieder mal gestürzt weil nicht aufgepasst und wieder mal den fuss verletzt und schmerzen, tränen und hass. davor den tag im art museum verbracht, das nicht nur wenige ausstellungen hatte, sondern vor allem auch wenige besucher:innen. der vor dem gebäude liegende hostage square war auch im inneren immer präsent. verschiedene der ausstellungen bezogen sich auf ihn. insgesamt viel israelische kunst mit ihren auseinandersetzungen zum land und zum ort und im gebäude viele hinweisschilder zu “geschützten räumen”. es war merkwürdig und schön, die räume oft für mich zu haben und es war traurig, die räume oft für mich zu haben.

abends kundgebung für die geiseln und die sprechenden familienangehörigen haben alle geweint. am ende zwei rabbiner und gebete und der platz leerte sich schnell.

serien geguckt und bescheuerte liebesfilme. viel selbstmitleid und zitronennudeln, die keinen trost brachten.

israel bietet an, 700 bis 800 palästinenser:innen, teilweise verurteilt für geplante und für durchgeführte attentate auf israelis freizulassen im gegenzug für 40 geiseln. dazu soll es als belohnung noch ein bisschen ceasefire geben und die möglichkeit, für einige von gazas bewohner:innen, wieder in den norden zurückzukehren. jetzt wird auf die antwort der hamas gewartet. wie lange ist unklar, aber ein paar tage, weil es schwierig sei, ihre führer im untergrund zu erreichen.

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20240322, abends in einer neuen wohnung

ro. getroffen, die mir ungefragt gestern lebensmittel kaufte. als wir einen tag davor telefonieren, sagte sie, dass es ihr sehr gut ginge und ihre stimme klang nicht sarkastisch. ich war verwirrt, weil das keine antwort war, die ich erwarte. alles relativiert sich sofort, als wir uns sehen. ihr sohn ist derzeit in südafrika und sie wird ihn besuchen. trotz all den drohungen und dem hass, der aus dem land nicht nur aber vor allem auch auf politischer ebene kommt. trotz der angst, die ihr das macht. trotz den sorgen, die sie deshalb hat. irgendwann zeigt sie mir ein video von julian reichelt, in dem er sich über das abewerfen von hilfslieferungen aufregt und über deutsche positionen zum krieg im gaza. sie fühlt sich angesprochen und erleichtert, dass es noch jemanden in deutschland gibt, der sich so klar und eindeutig auf seiten israels positioniert. und als ich das video ansehe, weilß ich warum und ekele mich vor mir selbst. dies ist dann eben auch eine folge des handelns deutscher kultur- und anderer linker denke ich; dass sich israelische juden:jüdinnen rechten, rassistischen, misogynen wichsern zuwenden, weil da (scheinbar) niemand anderes mehr ist. wenn ich jetzt an unsere gemeinsame zeit zurückdenke, dann weiß ich nun, dass es eine gute koschere fleischerei in herzliya gibt (warum muss ich so etwas wissen?), dort mindestens einer der zentralen plätze mit plakaten der geiseln zugestellt ist und dass jedes thema mit einer aussage zu den geiseln, zu hamas, zum krieg, zu antisemitismus in der welt beginnt und/oder endet. mehr als einmal spricht sie aus, dass israel um seine existenz kämpft. immer beiläufig und in eine erzählung eingebunden, ein halber satz, manchmal ein ganzer. es gibt nie eine erklärung für diese feststelltung; ro. denkt, die ist nicht nötig und ich weiß, ich brauche sie nicht. ich frage mich zwischendurch, ob menschen in europa/deutschland das nicht ernst nehmen, es ihnen egal ist oder sie es tatsächlich wollen. es ist schon klar, dass sich jederzeit immer alles für jede:n ändern kann, aber ganz ehrlich, wie oft denken wir in deutschland daran. und hier? ist es realität, das permanent, wirklich permanent bewusst zu haben. manchmal, wenn ich lange keine nachrichten gecheckt habe, habe ich angst, es zu tun, weil ich denke, es ist jetzt so viel zeit vergangen, da kann nur etwas wirklich krasses passiert sein.

yo. sagt, wir gehen nicht zu einer purim party, weil er angst vor anschlägen hat. soetwas hätte er auch vor dem 7. oktober gesagt, aber im unterschied zu “damals” widerspreche ich ihm nicht, aber nicht weil ich tatsächlich überzeugt bin, dass das nicht passieren wird, sondern ein bisschen, weil ich weiß, dass ich nur denke, dass soetwas nicht passiert, weil ich es mir nicht vorstellen kann. und wofür das taugt, wissen wir ja seit nun mehr als fünf monaten. wir sind gestern abend lange spazieren gegangen und dabei fiel uns auf, dass einige der orte, mit denen wir gemeinsame geschichten verbinden, sehr früh schließen oder schon geschlossen haben, als wir an ihnen vorbeigehen. auch wenn bereits wieder menschen ausgehen und einige bars und restaurants sehr gut besucht sind; die meisten sind es nicht. immer wieder fällt mir auf, wie viele leere läden es gibt und wie allein man in vielen gegenden abends auf der straße sein kann und selbst wenn mehrere menschen anwesend sind, in diesen kleinen wein-bars die es jetzt plötzlich gibt, wie leise es dabei oft ist.

167 tage.

die neue wohnung ist ganz gut zum wohlfühlen. vor allem aber finde ich es auch schön, in der gegend zu wohnen, frishman, nahe rabin square. ich hatte ein bisschen vergessen, wie gerne ich durch die straßen der stadt laufe und white-city-architekturen angucke, die hier nicht nur größer und prächtiger und expressiver sind, sondern oft auch (wieder) in einem besseren zustand. die menschen sind reicher und weißer, und ernster und ignoranter. es gibt sehr viele sehr schicke französische bäckereien mit sehr unfassbaren dingen, die ich nie kaufe, schlicht aus dem grund, dass ich mich nicht entscheiden kann. alles ist gediegener und gesetzter und erwachsener und vielleicht ein bisschen langweiliger. ich weiß, ich darf das nicht mögen, aber ich mag definitiv die stadt ohne tourist:innen. für die räume des cafe mersand hat sich noch immer niemand gefunden. ich trauere meiner zeit dort ein bisschen nach und merke wieder einmal, wie viele erinnerungen sich aus wenigen momenten ergeben und ich hätte als nicht-nostalgische person gern ein paar davon zurück.

20240320, abends und immer noch in einem Hotel mit Blick auf den Dizengoffplatz (theoretisch)

heute morgen beim warten in einem der hipster-coffeeshops direkt am platz den blick durch den ort streifen lassen, auch um die gelangweilt coole barista nicht beim sosein beobachten zu müssen und an einer kleinen porträtaufnahme eines jungen mannes hängengeblieben, die in einem der regale stand. natürlich wusste ich nicht, wer das ist, aber ich wusste ziemlich sicher sofort, dass er einer der von hamas ermordeten des 7. oktobers ist. und weil ich a) sicher sein wollte und b) darüber schreiben, habe ich es recherchiert und nach weniger als 3 minuten gewusst, dass Bnayahu Biton, 23 und aus jerusalem, auf dem gelände des nova-festivals umgebracht worden war. die möglichkeiten, die zeichen und bilder in meiner umgebung zu lesen, haben sich offensichtlich um einiges erweitert.

so fängt ein tag hier an. ein bisschen rumgelaufen, geld geholt, (schlechten) hummus gegessen, kein kleingeld für einen waschautomaten gehabt, den dizengoffplatz angeguckt und darüber nachgedacht, dass er jetzt wieder ein öffentlicher ist und der erinnerungsort für die ermordeten zwar in seinem zentrum bleibt – alle erinnerungszeichen sind noch da, kerzen werden noch angezündet, menschen bleiben noch stehen -, aber zugleich mehr auch zu einem hintergrund wird, vor dem sich die anderen nutzungen (wieder) abspielen. auch die cafes und restaurants sind wieder sehr gut besucht und laut und die menschen schlendern und haben ihre ersten, zweiten oder dritten dates und stehen an, um einen platz zum sitzen und essen zu bekommen. bestimmt hat jemand schon mal etwas kluges geschrieben darüber, wie sich die nuancen solcher orte immer wieder verschieben. aber in dem fall bin ich zu faul, es jetzt zu recherchieren.

ich wohne in einem dieser schönen gebäude mit den durchlaufenden, geschwungenen balkonen, die den von Genia Averbuch in der ersten hälfte der 1930er jahre gestalteten platz prägen. das hotel ist eigentlich gar kein hotel, jedenfalls nicht, wenn man wie ich gern eine rezeption hätte und in ihrer nähe eine kleine bar. und hotelgäste, die urlaub machen. stattdessen, zumindest glaube ich das, wohnen jetzt evakuierte hier. diejenigen, die im zimmer neben mir sind und sich den balkon mit mir teilen, haben ihn genutzt, um einen schrank mit einem kleinen herd und einen wäscheständer aufzustellen und eine ecke für reinigungsutensilien zu verwenden, zum beispiel. seit heute mittag gibt es zudem einen großen strauß mit lilien, die ich problemlos bis auf meine seite rieche.

im hummus-laden einen artikel gelesen, den mir ein freund aus deutschland geschickt hatte. er begann mit darstellungen vom 7. oktober und den unmittelbaren folgen und wieder weinen gemusst. überlegt, ob ich vielleicht mit jemand professionellem darüber sprechen sollte. weil, naja, vielleicht geht es so nicht weiter.

nachmittags geschlafen, einem buch die druckfreigabe erteilt, mal wieder i24news geguckt. gestern über den ermordeten Daniel Perez geschrieben, der als 13-jähriger mit seinen eltern aus südafrika eingewandert war und diese staatsbürgerschaft auch noch innehatte, heute einen langen, ein paar tage alten beitrag dazu gesehen, dass südafrika plant, idf-soldaten die in das land zurückkommen, festzunehmen und anzuklagen. dazu gab es filmbilder von häusern mit graffitis und einem, dessen gesamte fassade als palästinensische fahne gestaltet war. “wtf” gedacht.