ich weigere mich von berufs- und verstandswegen, etwas zu sagen wie, dass ein ort ‘traumatisiert’ ist oder dass man die an ihm begangenen verbrechen ‘spüren’ kann, ich weiß, um das ‘gepäck’ (ruth klüger), das man mitbringen muss, um orte zu sehen und in ihrer geschichte zu verstehen, ich weiß, wie orte erinnerungen bewahren und ich weiß, wie erinnerungen in ihnen eingelagert; wie orte hergestellt werden, ich weiß, wie wichtig orte für die erinnerung, für ein erinnern und für das erzählen einer geschichte sind. ich habe jahre meines lebens damit verbracht, darüber nachzudenken, zu schreiben und zu sprechen. und seit dem nachmittag denke (trotzdem), dass ich einen so fragilen, zerbrechlichen, empfindlichen, instabilen, zarten ort besucht habe, einen ort, der so gebrochen ist, dass es sich unter meiner haut eingenistet hat und dass er mich mit einer kraft überrollt hat, die das gegenteil seiner fragilität ist. ich weiß wie es (nicht in einem guten sinn) ist allein zu sein und wusste bisher nicht, dass es einen ort gibt, der mich so einsam macht, dass ich mir für mehr als einen moment nicht vorstellen kann, diese/eine distanz zu anderen menschenauch selbst im einzelfall je wieder zu überwinden. ich denke, dass die luft anders war, die geräusche nur gedämpft, die menschen sich lautlos bewegten und lautlos sprachen, die an- und abfahrenden autos garantiert über dem boden schwebten. wirklich laut nur die angriffe der idf auf gaza waren, die eine kulisse im hintergrund bildeten.
davor waren wir avocados ernten auf einem feld bei yesha, so nahe an gaza, dass wir von einem größeren weg zwischen den plantagen bis nach khan yunes sehen können. mir fehlt das militärische wissen, um zu beschreiben, was wir alles an armee-geräuschen hören, aber es ist viel und häufig und nach einer weile hört man die unterschiede.
auf dem rückweg halten wir nicht nur auf dem gelände des supernova festivals bei reʿim an, sondern wir fahren vorbei an kibbuz beʾeri und nir oz und an dem platz, an dem all die autos der (ermordeten) festivalbesucher:innen aufbewahrt werden.
die frau, die uns zu der ernte mitgenommen hat, erzählt mir in einer pause, dass sie vor einigen jahren mal bei einer friedensdemo an der grenze zu gaza war und dass sie drachen steigen ließen für avera mengistu, der seit september 2014 in der gewalt von hamas ist und für oron shaul und hadar goldin, zwei getötete israelische soldaten, deren leichen die terrororganisation nach wie vor nicht an die familien übergeben will. auf der anderen seite seien nur hass gewesen, rauch, menschen mit molotowcocktails, die ihre kinder vorschickten, steine zu werfen. trotzdem habe sie erst jetzt mit dem angriff vom 7. oktober verstanden, dass eine zwei-staaten-lösung nicht möglich ist, weil es zu vielen auf der anderen seite nur darum geht, juden zu töten und dass isreal verschwindet. ich habe ehrlich gesagt noch nie verstanden, auf welcher realität diese idee der zwei-staaten-lösung in der gegenwart eigentlich beruht und hatte immer den verdacht, dass sie sehr viel mit realitätsverweigerung und wunschdenken zu tun hat, damit, dass menschen gern eine lösung vorweisen wollen, egal wie idiotisch sie ist. beim rumgoogeln für diese kleinen text bin ich auf ein “statemant” der heinrich-boell-stiftung vom 15. november 2023 gestoßen, dessen überschrift lautet “Die Zwei-Staaten-Lösung darf nicht aus dem Blick geraten”. was für ein geschwätz, denke ich, was für ein geschwätz. die gleiche heinrich-boell-stiftung gab vor einer woche im übrigen masha gessen nocheinmal raum und öffentlichkeit, ihre gleichsetzung von gaza mit den gettos, welche die deutschen ab 1939 für die juden:jüdinnen in osteuropa einrichteten, zu wiederholen.