ich lese Dror Mishani “fenster ohne aussicht” und es ist mir viel näher, viel klüger, viel ehrlicher als Saul Friedländers “israel im krieg”. es sind unterschiedliche herangehensweisen und themen, ich weiß, aber ich verstehe mich und schreibe dies in einer grundsätzlichen weise und vielleicht auch, wie ich denke, dass solche darstellungen funktionieren sollten oder können. jedenfalls erinnerte ich mich bei der gelegenheit gerade ohne erkennbaren zusammenhang an eine sequenz in einem buch, an das ich mich insgesamt nicht mehr erinnere und in dieser sequenz besucht eine jüdische frau ihre nicht-jüdische freundin in deren großen haus (oder vielleicht auch eine große wohnung) und fragt sie beim besichtigen, ob sie sie im fall einer notwendigkeit verstecken würde und die freundin versteht die frage nicht. und im internet lese ich gestern davon, dass zur mailänder parade 2015, die jährlich anlässlich des jahrestages der befreiung italiens stattfindet, erstmalig keine jüdischen verbände teilnahmen, damit auch nicht die jüdische brigade, da die präsenz antizionistischer aktivist:innen zu groß ist und es während vergangener paraden wiederholt angriffe auf juden und jüdinnen gegeben hatte. die diskussion um eine teilnahme und die angriffe selbst setzen sich offenbar bis in die gegenwart fort, aber ich notiere das nicht wegen den geschichten selbst, sondern wegen dem gedanken, dass zwar alles schon da war und wir es auch gesehen und gewusst, aber es nicht zusammengesetzt haben, sondern alles irgendwie einzelteile blieben, über die wir uns im immer empört oder entsetzt haben und die dabei eingekapselt blieben. wir haben sie vielleicht gestapelt, aber nicht verbunden.
vor mehr als einer woche oder so ruft mich yo. nachts an und weil wir uns immer noch nicht vertragen haben, weiß ich dass etwas passiert ist und er sagt mir, dass o.s vater gestorben ist und ob ich kommen kann. kann ich nicht, weil ich in berlin bin und weil ich nicht einfach so viel geld habe, zurück zu fliegen. ich schreibe o. und er antwortet innerhalb von sekunden, wie froh er ist, dass ich ihn kannte. ich kannte ihn natürlich nicht so gut, wie ich sollte, was daran lag, dass er nur ungarisch und hebräisch sprach und ein paar worte deutsch, und zwar die, die er von der ss und anderen deutschen im kz mauthausen lernen musste. und das ‘kannte’ war dann vielleicht eher so ein enges geflecht aus scherzen, die sich darum spannten, dass ich aus deutschland komme und der vater “achtung achtung” sagen konnte. etwas das wie heimweh klingt, durchzieht meine tage und das ist ein leiser und ziehender schmerz, der alles mitmacht, was ich beginne und dann nicht verschwindet. gestern nacht schreibt m. sie hat nichts zu sagen im besonderen, aber ich merke, sie ist immer noch verloren in ihrer situation und ich glaube, sie vermisst mich und ich würde gern einfach an ihrem küchentisch sitzen. ein paar stunden davor habe ich mit li telefoniert und ihre stimme ist noch dunkler, vielleicht klingt sie schwarz und sie sagt: wann kommst du und es ist so lange hin, dass ich merke, wie ich mich mit erzählungen in schleifen zu rechtfertigen versuche. und ed. schrieb am mittwoch, dass sie nicht-koscheren grappa geschenkt bekommen hat und ihn im kühlschrank aufhebt, bis ich wieder da bin. und die zeit wird davon nicht weniger.
k. ist zurück in berlin und wir gehen essen und dann sitzen wir vor dem späti in der hermannstraße und trinken bier und er liest mir eine kurzgeschichte von terry pratchett vor, die wir beide noch nicht kannten und die er in einem sammelband gefunden hat, zufällig. ich sage romantischer wird es nicht mehr und wir lachen. wenigstens das.
am freitag mit a., dem anderen, im kedem gewesen. es schön gehabt und gedacht, dass es vielleicht wirklich ein bisschen hilft, hier mit israelis befreundet zu sein. ich weiß nicht, ob das stimmt, aber vielleicht macht das so zwischenräume, in die man abtauchen kann. manchmal. wahrscheinlich ist aber auch das eine illusion. was aber auch war, ist, dass wir über a. gesprochen haben, den eigentlichen. und das war komisch und dabei schön, nicht nur, weil es einfach so übergangslos ging, sondern auch, weil es ganz einfach war und selbstverständlich und ohne, dass mein gegenüber kommentiert, wie doof er ist und ich antworten muss, nein, ist er nicht. ihn einfach vermissen und für einen moment wieder gut finden können und damit nicht allein sein. schön war das, sehr schön und es hat gemacht, dass ich mich anschließend für ein paar kleine stunden unbekannt leicht fühlen konnte. aber auch, dass ich ihn einfach so und einfach so unkompliziert gern gesehen und gern umarmt hätte.
merke immer wieder, dass geschichte, und forschungen, die menschen über ns-geschichte machen, mir plötzlich wirklich geschichte sind, weit weg und alles, was geschrieben wird, als tatsächliche historisierung. unser artikel ist erschienen und bisher wollte uns noch niemand eine reinhauen. vielleicht haben wir etwas falsch gemacht.
heute eröffnete in berlin ein neuer platz für die geiseln am alten standort. ich hatte nicht die kraft, hinzugehen. ich merke viel in den letzten tagen, dass sich dieser zustand wieder eingestellt hat, in dem anderen nachrichten die situation der geiseln überlagern. nicht für mich, aber in den medien, die ich lese und dass das auch etwas mit mir macht, merke ich dann auch. wir waren schon mal an diesem punkt und dieser feststellung. aber es wird nicht weniger schmerzhaft. hamas wiederholte das angebot: alle geiseln gegen fünf jahre waffenruhe und israel sagt nein. das ist die situation: hamas sagt, alle zurück und israel sagt nein. ich weiß, dass es um andere aspekte geht, die diese situation herstellen, aber die alle beiseite gedacht, ist das die situation. wie das aushalten. hamas hat auch ein video mit omri miran veröffentlicht. island, slowenien und spanien fordern nun den ausschluss israels beim esc. in einem hotel in kyoto muss ein israeli eine erklärung unterschreiben, er sei nicht an kriegsverbrechen beteiligt gewesen, als voraussetzung, einchecken zu dürfen. bei der siegerehrung der nachwuchs-em im fechten wandten sich die drittplatzierten schweizer demonstrativ ab, als die hymne israels gespielt und die fahne gezeigt wurde. virgin atlantic airlines kündigt an, den flugverkehr zwischen london und tel aviv grundsätzlich nicht wieder aufzunehmen. die dokumentale berlin schreibt in ihren news, yom hashoah sei ein tag, um allen jüdischen menschen und anderen opfern zu gedenken, die im holocaust ermordet wurden. dana horn hat in einem podcast lange dazu gesprochen, welche folgen ein gedenken und eine geschichtserzählung haben, die ein universelles narrativ nutzen. auch dieses jahr beschweren sich jüdische überlebende von bergen-belsen über das verhalten der gedenkstätte und der staatskanzlei. das feinbergs warb beim israel-tag in berlin auf einem aufsteller für einen cocktail mit „zerhackstückelter“ wassermelone und nartürlich fand sich ein medialer mob, der tobte. und die dig hat nichts besseres zu tun, als sich zu distanzieren. aber ich wenigstens fands lustig.
nicht vergessen, auch die sammlung dieser dinge ist nur eine sammlung einzelner dinge.
571 tage. und ich denke die ganze zeit: nur noch 29 bis 600.