20241002/03, nach mitternacht jedenfalls

gestern (also eigentlich jetzt vorgestern) vor fünf jahren haben wir uns kennengelernt. also wir kannten uns schon. aber gestern vor fünf jahren bin ich in meine damalige wohnung in shapira gefahren worden und wusste, dass du in mich verliebt bist. und obwohl ich noch nicht in dich verliebt war, wusste ich gleichzeitig, dass die dinge anders waren als ein paar stunden zuvor, in denen ich zusammenhanglos entschieden hatte, auf die party zu kommen, die im haus deiner freundin stattfand. und während ich eigentlich immer finde, dass jedes gestern sofort sehr weit lang her ist, ist das gestern vor fünf jahren merkwürdig präsent und nahe. ich weiß nicht, was ich heute zum frühstück hatte, aber ich weiß, wie ich mich an dem abend vor fünf jahren und in den kommenden wochen und monaten gefühlt habe. ich erinnere mich an so viele details und momente, dass mich jeder gedanke an diese zeit der vergangenheit überschwemmt mit erinnerung. dass es jetzt fünf jahre sind, weiß ich allerdings wiederum nur zufällig und wegen internet. aber seit gestern habe ich so sehr viel an dich gedacht, so merkwürdig viel, dass ich lange stunden angst hatte, dass du zu den opfern des terroranschlags gehört hast, der gestern nicht weit von meiner wohnung stattfand. die idee hatte sich so sehr in meinen kopf eingefressen, dass ich dein bild heute fast gesehen habe, als die fotografien der opfer veröffentlicht wurden.

ansonsten gab es noch raketen aus dem iran auf israel, ein neues warnsystem, das nur hebräisch kann, menschen, die mich mit in ihre hausflure nehmen, erschöpfung und die feststellung, wie sich normalität hin zum ausnahmezustand verlangsamt und dann wieder stunden braucht, gegenwart zu sein. jemand hat mir heute abend beim rosh hashana dinner davon erzählt, wie menschen erst in seinem bus und dann in seinem schutzraum geschrieen und geweint haben vor angst, ja. hat mir wenig später geschrieben, dass sie den anschlag durch ihre haustür ansehen musste. und während ich schon seit dezember immer wieder feststelle, wie viel mehr stille es in der stadt gibt, ist sie seit gestern noch einmal stiller geworden. oder dass es einfach verschiedene arten von stille gibt.

am montag bin ich nach jerusalem gefahren, um zu einem schloschim für Hersh Goldberg-Polin zu gehen und davor noch am hostage tent zu volontieren. und als ich dort stand mit meiner Tafel (wieder wenngleich zufällig) für Daniela Gilboa hat mich plötzlich jede kraft verlassen und damit auch der mut, allein in das community center zu fahren und allein teilzunehmen.

rund 180 raketen aus dem iran also.

israel ist im libanon einmarschiert und heute wurden die namen von acht gefallenen soldaten bekanntgegeben: Cpt. Eitan Itzhak Oster, 22 aus Modi’in; Cpt. Harel Etinger, 23 aus Eli; Cpt. Itai Ariel Giat, 23 aus Shoham; Sgt. First Class Noam Barzilay, 22 aus Kohav Yair; Sgt. First Class Or Mantzur, 21 aus Beit Aryeh; Sgt. First Class Nazar Itkin, 21 aus Kiryat Ata; Staff Sgt. Almken Terefe, 21 aus Jerusalem und Staff Sgt. Ido Broyer, 21 aus Nes Tziona.

hamas hat die verantwortung für den anschlag übernommen, zwei männer aus hebron haben ihn ausgeführt, sieben menschen sind tot, die namen, gesichter und geschichten von sechs von ihnen nun bekannt: Revital Bronstein, 24 aus Bat Yam; Ilia Nozadze, 42, ein georgischer staatsbürger; Shahar Goldman, 30 aus Lod; Inbar Segev Vigder, 33, Nadia Sokolenco, 40 and Jonas Chrosis, 26, ein grieche, der in jerusalem lebte und in Tel Aviv architektur studierte. Inbar Segev Vigder hatte ihren im dezember 2023 geborenen sohn Ari dabei, der den angriff überlebte.

es ist so kühl jetzt, dass ich nachts auf dem balkon sitze und dies schreibe und dabei friere.

auf das baijzel gab es einen brandanschlag. die kinder von li. sprechen von einem guten leben in berlin, den drei tagen ihres aufenthalts und überhören jede meiner erzählungen. ich befinde mich für erschreckend lange zeit in “Wenn Männer mir die Welt erklären” von Rebecca Solnit. du bist familie jetzt, sagt li, als wir uns verabschieden. ha. will nicht übers kranksein sprechen, aber unbedingt weiter rauchen. darin steckt eine eigene art von abschied, fürchte ich, auch, weil sie noch härter gegen ihre umgebung und die in ihr lebenden menschen geworden ist. es geht uns nur scheinbar gut und wie lachen und reden und essen ausgezeichnet und über allem ist nur traurigkeit und angst und alles geht immer wieder zurück auf die gestriege zeit des angriffs und ihre geschichten. in deutschland legt man mir nahe, früher zurück zu kommen. hier geht man keinen moment davon aus, dass ich wieder zurückgehen werde. in beiden realitäten tauge ich als enttäuschung.