20240923, nachts (aber geschrieben schon am 20240922, sehr früher morgen und bevor das chaos eines nicht startenden flugzeugs absehbar war)

bei ankunft des fluges in london (am vergangenen dienstag), dankt die crew nicht nur fürs mitfliegen, sondern auch der idf fürs land-beschützen und wünscht sich, dass alle geiseln bald frei sind. das korrespondiert für einen moment mit einem bekannt gewordenen vorschlag für einen deal, bei dem alle geiseln mit einem mal rauskommen, sinwar gaza verlassen darf, es dort neue politische verantwortliche gibt, und obendrauf noch eine reihe von palästinensischen häftlingen aus israelischen gefängnissen entlassen werden. Ich habe in den letzten tagen nicht viele nachrichten gelesen, aber mein oberflächlicher eindruck ist, dass das bisher wenig intensiv diskutiert wird. untersucht wird aber, ob sinwar vielleicht bei einem der luftangriffe auf gaza verletzt oder getötet worden sein könnte. nach verlassen des flugzeuges die nachricht, dass pager in den händen und hosen von hizbollah-angehörigen explodiert sind. am nächsten tagen sind es dann funkgeräte. die israelische luftwaffe fliegt zunehmend angriffe, in den vergehenden tagen nähern wir uns konstant einem krieg an.

auf dem flug waren mindestens 60 prozent menschen, die sich offensichtlich als jüdisch und religös zu erkennen geben. in der stadt werde ich in den folgenden vier tagen keinen einzigen sehen. jetzt allerdings, beim warten auf den rückflug, versammeln sich neben mir immer mehr männer zum gebet. (die enge räumliche beziehung ist zufall) wir wohnen in der nähe der brick lane und meine erinnerung hat offensichtlich die räume verschoben. entscheidender aber ist, dass diese ab hier und mit jedem meter weiter in den osten der stadt immer mehr von streng muslimischen männern, frauen und kindern geprägt sind. ich habe noch nie so viele frauen derart vollständig verschleiert gesehen, noch nie so viele sehr junge mädchen. es gibt palästinafahnen, aber deutlich weniger, als ich erwartet habe. es gibt auch an den fassaden nur selten eindeutige graffiti oder aufkleber und ich sehe sie nur, weil ich wirklich scanne. es gibt keine bilder der geiseln. was es gibt, ist ein kleines pro-palestine-camp nahe der uni, menschen, die auf der straße immer wieder unvermittelt, aber sehr laut „free palastine“ brüllen, eine studentin, die uns mit einem melonen-aufdruck-tshirt entgegenkommt und mich kurz befürchten lässt, es könnte proteste gegen die konferenz geben, antizionionistische und/oder gegen israel gerichtete literatur in kunst- und museumsbuchläden und in dem anarchistischen um die ecke unserer unterkunft dann auch. und es gibt dann doch eine irritierend gute vorstellung davon, was es für menschen sind, die sich für die großen antisemitischen demonstrationen in der stadt mobilisieren lassen/ließen. ich bin nicht sicher, ob es nur die politischen restriktionen sind, die es verunmöglichen, postionierungen an den hauswänden zu hinterlassen oder nicht auch die gewissheit der hier lebenden, dass es nicht notwendig ist, räume auf diese weise zu besetzen. aber die beiden baigel-läden existieren noch. ich bin extra gucken gegangen. an einem abend suche ich auf maps nach synagogen und stelle fest, dass wir an einer oder vielleicht an zweien durchaus vorbeigekommen sein könnten. aufgefallen ist es mir an keiner stelle. das verstörende aber war dann vor allem das schweigen auf der tagung. jmd. behauptet uns gegenüber, trotz des themas – antisemitismus und holocaust – keinerlei anfeindungen in der bildungsarbeit erlebt zu haben, will aber wissen, ob es für uns anders ist. überlegungen, man müsse die vermittlung von wissen und die erwartungen, dass sie das allheilmittel ist, modifizieren oder doch zumindest besprechen, teilt er nicht. scheint, folgt man den vorträgen, überhaupt niemand zu teilen. überhaupt ist alles, jedes gespräch, jede diskussion, jede präsentation prä-7.oktober. es könnte entspannend sein, oder mich ablenken, aber es ist verunsichernd und irritierend und anstrengend.

viel gut gegessen, viel bier getrunken, viel gelaufen, zu viel geld ausgegeben. robin hood gardens noch mal gesehen, oder das, was davon noch da ist und den fassadenverunstalteten balfron tower, barbican als immerwährender happy place, tate modern war irgendwie langweilig, der umbau der battersea powerstation und der umbau ihrer umgebung ernüchternd.

immer wieder mit meiner anwesenheit auf der konferenz gehadert. selbstverortungen, zugehörigkeiten, einlassungen sind schwierig in einer zeit, in der ich zu ängstlich bin, dass mein leben in wissenschaft zu ende ist, in der ich so sehr hadere und zu sehr andere beneide um ihre möglichkeiten. und dann gibt es da immer wieder diese momente, wo ich neue themen finde, und frage und erkenntnisse.