immer wieder, besonders samstags aber auch an jedem 7. eines monats, versuche ich im kopf das wochenende 7./8. oktober zu rekonstruieren oder wenigstens meine erinnerungen in die richtige reihenfolge zu sortieren. funktioniert so mittel, sage ich mal. irgendwie fallen mir nicht mehr so viele momente ein, neben schock und angst und sorgen und panik und hilflosigkeit keine anderen gefühle. ich erinnere mich an den moment des aufwachens und was es mit mir machte, als ich den vielen alarm sah, ich erinnere mich daran, wie ich i24news “entdeckte” (ich wusste, dass es sie gab, habe sie aber nicht benutzt) ich erinnere mich, dass an. vorbeikam. aber ich erinnere mich zum beispiel nicht, was ich abends gemacht habe. reflexhaft würde ich sagen: wir sind trinken gegangen. aber ich kann mich nicht einen moment erinnern, dass haus, meine wohnung, mein bett oder die nachrichtensendungen verlassen zu haben. ich erinnere mich an das chaos, daran, dass es keine gesicherten informationen gab, keinen überblick, keine vorstellungen von dem ausmaß. es war ein unfassbares chaos, nicht nur vor ort sondern auch im kopf, in meinen vorstellungen. ich erinnere mich an das gefühl, dass mir die luft abgeschnürrt erschien und ich mich immer wieder zwingen musste, tief einzuatmen. ich habe immer wieder versucht, mit allen zu sprechen. aber das war irgendwie auch absurd. und kam mir irgendwann bescheuert vor. sie waren vor ort und hatten ernsthafte sorgen, ich habe aus der sicherheit meiner wohnung nachrichten verfolgt. jedenfalls war Noa Argamani die erste geisel, die ich bewusst als geisel wahrgenommen habe, weil das video, das zeigt, wie sie umringt von palästinensern auf einem moped (?) entführt wird, bei i24news veröffentlicht wurde, während die moderatorin mit einem freund von ihr am telefon sprach und ihn dann fragte, ob es okay wäre, ihren namen zu sagen. am samstag vormittag ist sie gemeinsam mit Shlomi Ziv, Almog Meir Jan und Andrey Kozlov durch die IDF befreit worden; aus privatwohnungen, die sich in dem UNRWA-“flüchtingslager” nuseirat befanden. für Noa Argamani war es die vierte unterkunft, in die sie verschleppt wurde. Shlomi Ziv, Almog Meir Jan und Andrey Kozlov wurden zuletzt von abdallah aljamal und seiner familie gefangen gehalten, einem hamas-terroristen, der als journalist arbeitete. Arnon Zmora, der als offizier der eliteeinheit Yamam bei der befreiung dabei war, wurde verletzt und starb einige stunden später. das herz des vaters von Almog Meir Jan war einige stunden vor seiner befreiung stehen geblieben; seine familie sagte, infolge der belastungen und verzweiflung der vergangenen acht monate.
ich war gerade in einem dieser arabischen telefon-verkaufs-und reparatur-shops auf der karl-marx-straße, weil ich einen tag vorher mein iphone gecrasht hatte und ein neues display brauchte, das mich nicht so ruinierte, wie apple es offenbar plante. bevor ich es abgab, hatte ich mein bildschirm – “bring them home” – bild, entfernt. gibt nicht so viele möglichkeiten, zu beschreiben, wie es sich anfühlte, als ich anschließend auf der straße stand und all diese nachrichten bekam. natürlich wieder öffentlich geheult. stranger moment, in dem plötzlich wirklich alles einmal leicht war, gut war, möglich war. es hielt bis weit in die nacht an, die ich mit a. in einer dunklen bar trinkend verbrachte. ich notiere das hier lieber mal.
es ist auch schwer zu beschreiben, war das alles noch bedeutet, übergeordnet. es zeigt, dass es möglichkeiten gibt, geiseln zu befreien. es zeigt, dass die hoffnungen, dass viele noch leben, nicht unberechtigt sind. es zeigt, dass es möglichkeiten gibt, die menschen auch außerhalb von deals und verhandlungen zu retten. tagelang habe ich nichts mehr von einer möglichen vereinbarung gehört, nun hieß es gerade ohne weitere erläuterung, hamas habe nicht zugestimmt. sicher ist aber, dass Shlomi Ziv, Almog Meir Jan und Andrey Kozlov in einer ersten und vermutlich auch in keiner zweiten runde von freilassungen nicht dabei gewesen wären; als männer zwischen 22 und 41.
in berlin immer mehr demos. aktuell scheint es attraktiv zu sein, im wedding zu beginnen und dann quer durch prenzlauer berg und mitte zu laufen. immer noch tausende teilnehmer:innen. immer wieder ausschreitungen am hermannplatz und in der sonnenallee. gegenkundgebungen oder überhaupt pro-israelische demos, hier für die geiseln, haben zwischen 15 und 100 teilnehmende, in ausnahmen mal 300 vielleicht. alles ist voll mit zeichen und codes; an den wänden, an den kleidungen, als kufiyas, aufkleber, aufnäher, schriftzüge, tshirts. als ich heute vor einer weile nach hause kaum, saß im fenster des nachbarhauses eine sehr junge frau mit melonen als ohrringe. auf der karl-marx-straße und ganz sicher nicht nur da, werden große und kleine flaggen verkauft. es ist normalität geworden, nicht nur fassaden zu scannen, sondern bspw. auch die klowände in bars.
im norden von israel immer mehr alarm und angriffe, immer wieder opfer und zuletzt tagelange brände, ausgelöst von beschuss der hizbollah. benny gantz hat heute das kriegskabinet verlassen.
eine bewerbung nicht abgeschickt, weil ich den text für ein forschungsprojekt nicht fertig bekommen habe, den ich nicht fertig bekommen habe, weil ich generell zu müde bin, aber vor allem auch, weil mir die motivation fehlte, mich um eine stelle an einem ort zu bemühen, an dem “themen mit jüdischen bezug” und menschen wie ich mutmaßlich weniger gern gesehen sind. heute morgen einen hinweis bekommen, mich doch auf eine stelle zu bewerben, an einem anderen ort, auf die ich mich vor zwei jahren schon mal beworben hatte. die vorzeichen haben sich geändert, offensichtlich, aber das heißt nicht, ich würde mich sicherheit die notwendigkeit anerkennen, eine solche stelle anzunehmen.
der platz der geiseln gegenüber der humboldt uni ist wieder abgebaut. ich hatte gehofft, es findet sich ein anderer ort, an dem er weiter existieren kann. das restaurant bleibergs in berlin-wilmersdorf gibt bekannt, dass es schließen muss: nach dem 7.oktober kamen immer weniger gäste und stattdessen immer mehr antisemitische nachrichten.