20241219, nachts

heute morgen mit einem fotografen telefoniert, der eine arbeit in unserem jahrbuch veröffentlichen wird. er lebt seit vielen jahren auch in einer deutschen stadt und es braucht weniger als 2 minuten, bis er darüber spricht, dass er da nicht bleiben, es da nicht mehr aushalten kann, und seinen lebensmittelpunkt wieder ganz nach israel verlegen wird. er spricht von dem schock, den der umgang deutscher kultur- und kunstmenschen mit dem 7. oktober und seinen folgen bei ihm ausgelöst hat, von der einsamkeit, isolation, angriffen, zerbrochenen beziehungen, enttäuschungen, ängsten. 18 minuten. wir haben uns noch nie vorher persönlich getroffen, ich weiß nicht einmal, wie die person, mit der ich rede, aussieht. ich kannte seine arbeit schon lange, bevor es zu unserer zusammenarbeit kam und ich war sehr sehr aufgeregt, als er mir vor einigen wochen schrieb. ich höre derartigen geschichten, verstörungen und verzweiflungen seit mehr als einem jahr zu und ich kann mich nicht daran gewöhnen. ich habe die muster der heutigen erzählung ungezählte male gehört in dieser zeit und trotzdem trifft es mich ungebremst. es legen sich keine layer zwischen mich und diese gegenwart. und es entwickeln sich keine strategien, damit umzugehen. ich bin hilflos und immer noch unvorbereitet, darauf zu reagieren, kann nicht trösten oder auch nur einen sinnvollen halbsatz beitragen. es gibt keinen trost und es gibt keinen sinn, ich weiß, aber irgendwas? kurz danach ruft mich eine freundin aus tel aviv an und ihre stimme ist so schwer und sie spricht so dunkel und gleichförmig und ohne energie. alles ist schwer. auch das sprechen. und alles bleibt damit in der gleichen tonart. unabhängig ob es um die anstehende krebs-op ihrer mutter geht oder einen anstehenden vortrag in boston. mir fiel schon vor einer weile auf, dass ich vor dem 7.oktober kaum kontakt zu meinen israelischen freund:innen hatte, wenn ich nicht in israel war. und wie anders das jetzt ist. und dass ich zurückerwartet werde. sehr zurückerwartet werde.

gestern wohnung in tlv gefunden. an einem ort, in dessen umgebung ich noch nie gewohnt habe.

der spiegel veröffentlicht einen artikel. ich lese eigentlich nie den spiegel, nur manchmal, wenn ich wirklich wirklich nicht mit dem arbeiten anfangen will und mir andere ideen ausgehen. jedenfalls ging es um die siegerbilder eines unicef-fotowettbewerbs, bei dem zwei erste plätze vergeben wurden. zu dem einen bild heißt es “Das Gewinner-Motiv der israelischen Fotografin Avishag Shaar-Yashuv zeigt den achtjährigen Stav, der Unicef zufolge am 7. Oktober 2023 den Hamas-Überfall auf seine Siedlung überlebt hat. Die Aufnahme entstand am 22. Oktober 2023 in einem Hotel.” und zu dem anderen “Auf dem zweiten Sieger-Motiv, das die palästinensische Fotografin Samar Abu Elouf aufgenommen hat, sind die elfjährige Dareen und der fünfjährige Kinan zu sehen. Ihre Eltern und 70 weitere Familienmitglieder der Geschwister seien bei einem israelischen Luftangriff auf ein Wohnhaus ums Leben gekommen, teilte Unicef mit. Das Doppelporträt ist demnach in einem Krankenhaus in Katar entstanden, in dem die beiden behandelt worden sind. ‘In diesem an altmeisterliche Gemälde erinnernden stillen Bild offenbart sich in großer Eindringlichkeit die ganze Würde von Kindern selbst noch in existenzieller Seelennot’, heißt es in der Mitteilung.” und es hat mich so wütend gemacht. natürlich steht da nichts, das wirklich offensichtlich problematisch problematisch ist, aber es sind doch einige punkte auffällig: (1) der text zu dem kind aus israel ist nur nicht deutlich kürzer, es geht (2) im unterschied auch zu keinem zeitpunkt um seine konkrete situation, seine empfindungen, das schicksal seiner familie oder die gestaltung und aussage des bildes. und (3) wird geschrieben, er sei in einer “siedlung” gewesen, was a) nicht stimmt, weil es ein kibbutz war und b) wird bewusst ein begriff verwandt, der außerhalb israels eng verknüpft ist mit als illegal bestimmten handeln von israel und besetzung palästinensischer gebiete. ich habe es einfach satt.

abends dann online eine lecture für yehuda bauer angeschaut, bei der unter anderem alvin rosenfeld sprach und ich muss fast weinen, wenn ich zuhöre und denke, dass diese menschen, wie ja auch k. ihr ganzes leben nach dem holocaust seiner erforschung und der vermittlung gewidmet haben. und jetzt darüber sprechen, wie groß der hass auf juden ist, immer noch, wieder, weiterhin.

das mahnmal für die zerstörte synagoge in berlin spandau wurde am dienstag wieder beschmierte, eine 52jährige frau am adenauerplatz in einem bus antisemitisch beleidigt. Matan Zangauker ist gestern 29 geworden. die houthis schicken erneut raketen nach israel, sie wurden abgefangen, aber ein raketenteil fliegt in eine schule in ramat gan und zerstört sie erschreckend massiv. personen waren nicht im gebäude.

immer noch nicht so richtig mit dem schreiben angefangen. nach oerlinghausen gefahren. viel über fremdsein nachgedacht und über diese anderen realitäten. alter macht vielleicht auch, dass darüber nochmal neue klarheiten bestehen. ich habe es nie anders empfunden, aber gestern überlebt, dass der gap ein tiefer graben ist mit scharfen kanten.