20250914, vormittags

gestern nacht beim laufen durch die king george gedacht, dass ich einfach nicht mehr weiß, wie es vor dem 7. oktober in der stadt war, dass ich, wenn ich denke, dass es jetzt leer und dunkel und verlassen ist, vielleicht einfach vergessen habe, dass es schon immer so war. ich ahne, dass es nicht stimmt, aber ich weiß es nicht mehr. ich bin plötzlich unsicher. ich weiß um die unverlässlichkeit von erinnerungen, aber / und ich kann mich einfach nicht daran erinnern, je durch eine so leere, so stille, so dunkle, so verlassene innenstadt gelaufen zu sein. wir waren erst bei der kundgebung am hostage square und weil ich lange auf j. warten musste, konnte ich mich reinsteigern in den gedanken, dass ich nach mehr als fünf monaten in eine situation zurückkomme, die sich nicht verändert hat und in der sich zugleich so viel verändert hat. dass wir immer noch hier herkommen müssen, dass sie immer noch nicht zurück sind, sagt jede von uns mehrmals. wir weinen viel in den kommenden fast 90 minuten. all die menschen sind in den mehr als 5 monaten woche für woche weiter erschienen. all die angehörigen und überlebenden sind in den mehr als 5 monaten woche für woche weiter erschienen. Keith und Aviva Sigel sprechen, Sharon Cunio spricht, Alma Or spricht. auch die kundgebung ist leiser. nicht nur weniger rufe und parolen, auch weniger gespräche. es ist auf eine merkwürdige weise auch hier trotz tausender menschen leerer, stiller, dunkler, verlassener. ich bin froh, zurück zu sein, ich bin froh weinen zu können. ich bin froh, wieder in der realität zu sein, die meinen gedanken den tatsächlichen raum gibt. ich bin froh, nicht mehr aufmerksamkeit für das thema durchsetzen zu müssen, ich bin froh, mich nicht mehr schuldig oder fremd fühlen zu müssen, weil ich schon wieder damit anfange und weil ich über nichts anderes reden will. irritiert denke ich immer wieder an den moment der ankunft, der kein wieder-da-sein war sondern eine bruchlose fortsetzung. es ist mir erst gestern aufgefallen, als j. und ich unser sosein des hierseins abgleichen. das weinen bleibt in meinem kopf, auch wenn wir bestes essen am dizengoff haben und auch wenn wir über alles andere sprechen, auch das gute. irgendwann werde ich kopfschmerzen bekommen. ich rauche ohne alkohol und es widert mich ein bisschen an. aber das gefühl, mich an etwas festhalten zu können, überwiegt. auch, weil ich mich nicht betrinken will. obwohl ich mich natürlich nur betrinken will.

vor einigen nächten bin ich unbeabsichtigt zur pinsker / allenby gelaufen. auch hier war es leer und still und dunkel und verlassen und die kulisse waren die ruinen der häuser nach den angriffen aus dem iran. es sind 800 meter luftlinie zu meiner jetzigen wohnung. als ich da stehe, erinnere ich mich, dass ich 2017 mal in einem der häuser gewohnt habe, allenby 38, ein schreckliches haus, spooky und eine schlimme zeit. es scheint nicht beschädigt worden zu sein. was merkwürdig ist, weil in der hauszeile sind wenigstens alle fenster rausgeflogen. auch das große, mehrstöckige haus gegenüber ist fensterlos, man kann teile der konstruktion sehen. der supermarkt ist geschlossen, die fenster mit platten versiegelt, alle bars, cafes, restaurants die es hier gab, sind zu. mir hat die kraft gefehlt, noch auf die andere seite der straße und in die pinsker st. zu gehen. da ist es noch schlimmer und ich muss es mir für ein anderes mal aufheben. und vielleicht an einem tag hingehen. mit licht und so. die gewalt der zerstörung und die sichtbarkeit der gewalt trifft mich überraschend unvorbereitet, obwohl ich vorher alles wusste. 43.000 wohnungen seien zerstört worden in diesen 12 tagen, sagt j., aber uns fällt nicht ein, wie viele menschen insgesamt starben, nur das es acht bei dem einen einschlag in Bat Yam waren. sie habe hinfahren wollen, sagt j., aber sie schafft es nicht.

das angebot der verkaufstische am hostage square hat sich wieder erweitert. ich erinnere mich an meinen entschluss, die dinge immer erst zu erwerben kurz vor dem abflug und halte mich daran. fürs erste, weil eigentlich, was ist der punkt. tahini kostet 21 shekel im supermarkt. im humusladen in der malan werde ich erfreut begrüsst. vorgestern nacht gab es alarm in tel aviv. ich habe ihn verschlafen.

709 tage.