vor ein paar minuten schreibt mir s., dass ihr vor morgen graut. und ich kann bereits seit stunden kaum atmen. hamas hat bereits gestern bekannt gegeben, am samstag doch drei geiseln freizulassen, heute nachmittag gaben sie die namen bekannt: Sasha Troufanov (29), Sagui Dekel-Chen (36) und Iair Horn (46). alle drei waren von den palästinensern aus nir oz entführt worden, dem kibbutz indem sie zudem jede:n vierte: bewohner:in ermordeten oder verschleppten. Sasha Troufanov hat neben der israelischen auch eine russische staatsbürgerschaft. außer ihm zwangen die terroristen auch seine Großmutter Irena Tati, seine Mutter Jelena (Lena) und seine Freundin Sapir Cohen nach gaza. sie wurden ende november 2023 freigelassen. Saschas Vvater, Vitaly Trufanov, ermordeten die terroristen. Sapir Cohen wurde am 30. November 2023 im Rahmen eines einwöchigen Waffenstillstands freigelassen. Sagui Dekel-Chen hat auch einer amerikanische staatsbürgerschaft. seine mutter Neomit war am 7. oktober zunächst gemeinsam mit einem nachbarn entführt worden, konnte aber entkommen. seine frau Avital brachte im dezember 2023 die dritte gemeinsame tochter Shachar zur welt. Iair Horn hat neben der israelischen auch eine argentinische staatsbügerschaft und war gemeinsam mit seinem bruder Eitan entführt worden. er ist nicht unter denen, die in der ersten phase des deals freikommen soll. wie auch in den vergangenen wochen ist unklar, ob alle drei noch leben. ich muss es unbedingt schaffen, morgen früh aufzustehen und zum platz der geiseln zu gehen. ich kann, darf und sollte auf keinen fall hier allein sein und mir das ansehen. bin heute bereits sehr früh aufgestanden, um nach kiryat gat zu einer kundgebung von shift 101 zu fahren. mit anmeldung und kleinbus und so. hatte noch nie von dem ort gehört und dachte zunächst, das wäre eine kleinstadt, ein moschav oder so, stellte sich heraus: gibt hochhäuser und zwar viele. naja. gestern extra einen weißen kapuzenpullover gekauft und ga., die zu besuch aus frankfurt ist, nannte mich aktivistin. nächste woche wird es viele kundgebungen geben, montag sind es 500 tage.
zum ersten mal seit unendlichen zeiten ein selfie gemacht und an mehrere leute verschickt. viel rückmeldungen bekommen, keine, die sagte, dass ich gut aussehe. nichts für mein selbstbewusstsein dabei. auch darum muss ich mich selber kümmern (was wiederum erstaunlich easy war)
manchmal denkt man, alles sei vergangenheits-normal. besonders freitags, wenn es laut draußen ist und voll und stressig und menschen lachen und freund:innen treffen und viele cafes und restaurants tatsächlich gut besucht sind. und dann laufe ich da heute so durch mit meinem weißen pullover und einem großen gelben tape mit der zahl 497 und fühle mich irgendwie fremd in all der lautstärke und all dem lachen und dann stehe ich vor dem waschbecken bei den toiletten in sarona und hinter mir drei teenager-mädchen, die über ein handy gebeugt die namen derjenigen vorlesen, die morgen freikommen sollen. es ist immer nur ein schritt, ein atemzug, ein satz entfernt.
ich kann zu wenig denken, um zu schreiben. ich habe wein gekauft, aber ich kann ihn nicht trinken. ich habe überlegungen für das kleine buch im kopf, aber ich kann die datei nicht öffnen. ich ärgere mich immer noch über den post vom haus der wannseekonferenz, aber ich bin zu angeekelt, ihnen klug zu antworten während es mich gleichzeitig ärgert, dass sie damit durchkommen und sich im recht fühlen.
jmd. geschrieben, dass ich als von außen kommende person wahrgenommen werde und dies mit der erwartung verknüpft ist, dass ich die kraft und die aufmerksamkeit haben muss, für alle anderen da zu sein und es mir weniger zugestanden wird, dass ich unter all dem tatsächlich (auch) leide. ich will nicht dafür kämpfen, dass mir das zugestanden wird, das ist ja nicht nur albern, sondern auch vermessen und sinnlos. aber ich merke sehr, wie ich doch sehr überfordert bin und wie ich doch sehr ein bisschen mehr aufmerksamkeit brauchen könnte. j. hat vor ein paar tagen gesagt, dass ihr ihre engen freundinnen aus london so fehlen, weil ihr diese art von selbstverständlicher körperlicher nähe so fehlt, die solche beziehungen mit sich bringen und dass diese nochmal anders ist, als die selbstverständliche körperliche nähe ihres mannes. wir haben uns beim abschied superlang umarmt, aber ich denke auch, das war weniger als ein tropfen auf dem viel zu heißen stein. gestern abend fast zwei stunden durchgeredet beim meeting mit der coach-in. beste therapie ever.
mir graut vor morgen