20250212, nachts

immer wieder sagen menschen, dass, wenn alle geiseln zu hause sind, die aufarbeitung beginnen kann und wird. ich traue mich dann nie zu fragen, wie genau sie sich das vorstellen. weil ich habe keine vorstellung davon. im besondern auch nicht, weil ich denke, so eine “aufarbeitung” braucht ja voraussetzungen, rahmen, in denen sie möglich ist, politisch, gesellschaftlich, privat. etwas wie ruhe und raum und bereitschaft und denkende menschen, die wenig bis keine andere agenda verfolgen. aber vielleicht ist es auch egal, mir darüber gedanken zu machen, weil wer weiß ob und wann ja wann es an diesen punkt kommt und überhaupt: was weiß ich schon.

ich glaube, ich möchte jetzt feststellen, dass es ein deutlich größeres maß an rücksichtslosigkeit gibt, an kleinen, gemeinen gesten, lauten stimmen, an gegen einen laufen, an keinen platz machen. es ist ein bisschen, als sind grundformen eines ertragbaren zusammenlebens, geschrumpft, als gelten sie nicht mehr. vielleicht bin ich auch einfach nur sehr sensibel, vielleicht ist jede unachtsamkeit von anderen, etwas, das mich mehr schmerzt als zu anderen zeiten. ich merke, wie ich darunter zu leiden beginne, wie mich die gewalt dieser kleinen gesten, oder nicht-gesten verstört und irritierend stark verunsichert, verletzt vielleicht auch. es ist nicht mehr dieses tel-aviv-ding, demzufolge es laut und schnell und stressig und rude ist und das irgendwas mit charme sein soll. irgendetwas hat sich verschoben. irgendwer ist sehr viel gleichgültiger geworden gegen die präsenz aller anderen. jmd. sagte gestern zu mir, dass die gräben, die es vor dem 7. oktober ja schon gab, nun tiefer sind, am boden angekommen und ausgeweitet. ja, sicher, antworte ich, aber da ist noch etwas anderes, leiseres, etwas, das aus müdigkeit entsteht, aus angst und aus fehlender perspektive, aus ratlosigkeit, aus den vielen verlusten, aus verzweiflung und aus diesen permant präsenten grausamen geschichten. diese solidarität im miteinander, die in den ersten monaten präsent auch in den kleinen dingen war, die zu guten und leisen gesprächen geführt hat in verkehrsmitteln und im cafe, das teilen von etwas, das ist weg, verschwunden. ich wollte nach dem gespräch in eine ausstellung gehen, aber als ich aus dem cafe kam, hatte ich keine kraft mehr, keine aufmerksamkeit. und auch heute konnte ich es nicht nachholen. als ich es wenigstens zum shuk geschafft habe, war der fast leer. das macht ihn für mich zwar endlich begeh- und benutzbar. aber es soll nicht so sein und ich kann mich nicht daran gewöhnen. gestern abend an einem restaurant vorbeigegangen, das voll besetzt war und mich darüber gefreut, wirklich gefreut. normalerweise sind das sachen, die mir nicht egaler sein könnten. und nun sind solche dinge irgendwie zu erzählende dinge.

wir warten. mal lautet die forderung, hamas solle am samstag “our hostages,” “9 hostages,” oder “all of them” freilassen. ein bisschen ist klarer geworden, was hamas meint, mit den verletztungen des deals seitens israel aber ich weigere mich einfach zutiefst und dabei voller ekel und wut, dass sie das recht haben, überhaupt solche forderungen zu stellen. was für absurde situationen das sind. dass sie all dieses leid gebracht haben und am ende immer noch diese position und diese macht innehaben. mein denken setzt an diesem punkt einfach aus.

versuche, mich in die wissenschaft zurückzusneaken. habe wirklich einfach 16 monate kaum etwas in strukturen gemacht. ich glaube, ich bin verschwunden. und ich glaube auch, dass es niemand gemerkt hat. irgendwie fragt auch niemand danach, was ich so gemacht habe in dieser zeit. sondern ich bin einfach wieder da. vielleicht. habe den vertrag noch nicht unterschrieben. viele gespräche für das jahrbuch. immer wieder zeit für die bibliothek und das schreiben am kleinen buch.

heute vormittag alarm. nur eine übung. aber ich brauche einen moment, mich zu erinnern und mein körper braucht noch länger. weil irgendwas ist geblieben von den vergangenen malen und hat sich eingegraben. ich glaube immer noch nicht, dass es angst ist, sondern so eine verunsicherheit und irgendwas mit einem körperlichen bewusstsein für die eigene verletzlichkeit. aber überhaupt habe ich in den letzten wochen festgestellt, dass mich nicht zuordenbare geräusche, besonders wenn sie sich langsam aufbauen, sehr stressen.

in den letzten tagen und auch heute immer wieder meldungen von angehörigen der geiseln, dass sie neue lebenszeichen erhalten haben; Eitan Mor, Matan Angrest, Yosef-Haim Ohana. die freigelassenen haben viel mitgebracht, nicht nur ihre wunden und trauma und all die katastrophen, sondern für einige der familien auch das erste mal seit dem 7. oktober tatsächliche informationen. die natürlich dann auch wieder über das elend sind, über die schlechten bedingungen, über käfige und tunnel und das-angekettet-sein, das wenige essen, das fehlende licht, die gewalt, die angst, die verletzungen und die ausgebliebene / ausbleibende versorgung. es ist immer alles: erleichterung, dass es chancen gibt, dass sie noch lebend rauskommen könnten und gleichzeitig unendliche angst, dass ich habe so viele menschen, die ich nicht kenne, seit dem 7. oktober weinen sehen und jedes mal ist es ein bisschen, als die mutter von Daniella Gilboa erzählt, palästinenser haben ihre tochter gezwungen, mit pulver und trümmern bedeckt für fotografien zu posieren, um anschließend zu verbreiten, dass eine weibliche geisel bei einem IDF-luftangriff getroffen wurde. ich erinnere mich, wie es diese geschichte gab und mit ihr verbunden war, nie offiziell, aber als gerücht sogar mich erreichte. überhaupt geschichten: jede freigelassene und jede noch gefangene person ist mit so vielen mehr anderen erzählungen verbunden, nie geht es nur um die person, sondern immer um angehörige, freigelassene, noch in gefangenschaft befindliche, ermordete, um die orte, um die situation, um die anderen die in dem kibbutz waren, auf der straße, in einem auto, in einem shelter, unter einem baum, in einem versteck, unter leichen, auf dem nova-gelände. immer ist alles mit noch etwas verbunden. jede erzählung bringt ein netz aus anderen erzählungen mit. immer geht es auch um zahlen, um familiäre und um freundschaftliche beziehungen, wer sich kannte, wer zusammen aufwuchs, wer in der nachbarschaft lebte, ineinander verliebt war, oder getrennt, wessen kinder, geschwister, eltern, verlobte was sahen und erleben mussten oder nicht überlebt haben, wer gemeinsam entführt wurde, wer sich beschützte und vielleicht rettete. oder nicht mehr retteten konnte.

Avinatan Or, der freund von Noa Argamani, ist gestern 32 jahre alt geworden, sein zweiter geburtstag in der gewalt von hamas. heute waren es 495 tage. es gibt ein verstärktes bemühen, die namen und gesichter derjenigen in die öffentlichkeit zu bringen, die nicht in der ersten phase freigelassen werden sollen, unter anderem plakate mit den porträts der müttern, die die bilder ihrer söhne halten. ganz schlicht, schwarz weiß, düster, ein gelber schriftzug für “DONT” und für den namen der geisel. sie sind auch in diesen lichtkästen an bushaltestellen. überhaupt gibt es so viel mehr plakate und zeichen und bänder und stühle und bilder und symbole im städtischen raum als noch im herbst. und da dachte ich schon, dass es viele sind. es ist so dicht. wie eine zweite, nur an wenigen stellen noch offene, haut über den fassaden und straßen und plätzen und bäumen.

die bedienung von klimaanlagen wird mir für immer ein rätsel bleiben.

gleich ist der 13. februar. gleich ist es 26 jahre her, dass in guben Farid Guendoul, Kahled B. und Issaka K. von elf neonazis durch die straßen gejagt, beschimpft, geschlagen und in panik versetzt wurden und Farid Guendoul wenig später in einem hauseingang verbluten wird. noch immer kann ich die nacht nacherzählen, von der musik und den parolen, der polizei, die nicht kam, von den nazis, die suchend durch das viertel fuhren, von Issakas angst und Kahleds ohnmacht, von den nachbarn, die aus dem fenster zuguckten, von dem taxifahrer, der Issakas leben rettete und nichts von Farid mitbekam, der nur wenige meter weiter lag und alleine starb, von der polizei, die Issaka in handschellen durch die johlenden nazis führte und ihn anschließend studenlang gefesselt ließen, von den nazis, die versuchten, die polizeiwache zu stürmen. jedes jahr um diese zeit ist alles da, auch die erinnerung an die ohnmacht und an die wut der kommenden tage und wochen und mein kopf wird für ein paar stunden überschwemmt von geschichten und emotionen und ich vermisse dann d.