20241104, vormittags

manchmal habe ich einen schönen abend, oder sogar einen ganzen schönen tag. aber morgens und abends, das erste und das letzte, sind bilder und geschichten von geiseln, ermordeten und überlebenden. immer. und immer ist es dann egal, wie schön ein tag oder ein abend werden können oder waren. dass es mir eben erst besser gehen wird, wenn die geiseln wieder zu hause sind, habe ich zu fraufragmente gesagt, aber nicht, dass ich angst habe, dann nicht mehr zu wissen, was es bedeutet. ich denke immer öfter, dass ich die menschen in meiner umgebung in deutschland hilflos mache mit meiner traurigkeit und sie mit meiner unfähigkeit, andere themen noch wirklich gelten zu lassen, müde werden lasse. weil das, was ich hier schreibe, ist meine gegenwart, auch dass habe ich zu fraufragmente gesagt, und das war nur ein kleines bisschen gelogen, weil hier steht nichts über meine plötzlich aus dem nichts wieder aufgetauchte sehnsucht nach a., die so schmerzhaft ist, als hätte er mich erst am tag davor verlassen und auch nichts darüber, dass ich seit wochen innerlich durchdrehe, weil ich nicht mehr weiß, welches lied er mir am letzten abend den wir je hatten und von dem ich nicht wusste, dass es der letzte abend ist den wir je haben werden, auf auf dem flohmarkt in yaffa gesungen hat. ich kann mich an alles erinnern, aber das lied habe ich vergessen. und weil ich mich an alles andere erinnere weiß ich noch, wie es war, von ihm gemocht und gesehen zu werden und für eine weile das zentrum seiner aufmerksamkeit und manchmal seiner welt zu sein. und mit weiß-ich-noch meine ich auch, dass mein körper sich daran erinnert und dann sind wir wieder am anfang, an dem moment mit seinem satz und mit meinem tattoo. ich wusste immer, dass ich mich von diesem ende nicht erhole, aber ich wusste nicht, dass es auch bedeutet, nicht mehr in das alleinsein des davor zu passen. und hier steht auch nichts darüber, dass ich freund:innen verliere, mich aus ihrem leben schleiche oder sie sich aus meinem, dass ich enttäuscht bin und traurig und mir die kraft fehlt, mich zu entschuldigen für mein sosein oder sie anzuschreien, weil sie weggehen ohne abschied. hier steht auch nichts darüber, dass ich mich immer noch weigere, mit carolyns tod zu leben, wozu gehören würde, endlich mal nur darüber zu weinen. und nichts konnte ich über den schock schreiben, vor einigen wochen, zu sehen, dass jemand ihren account bei facebook gelöscht hat und unsere langen chats jetzt nur noch ich gegen eine abwesenheit bin.

ich packe immer noch zu viele tabletten ein, wenn ich das haus verlasse, weil die sicherheit, rechtzeitig zurück zu sein, ist gebrochen. auf unvorhergesehenes vorbereitet zu sein, wenn ich das haus verlasse, war schon mal thema seit mitte der 1990er jahre. aber das hatte andere facetten und irgendwie auch abenteuer.

ich registriere, wenn menschen sich auf meine nachrichten nicht zeitnahe zurückmelden und dass ich dann nervös werde und merke zugleich, dass mir die kraft fehlt, nachzufragen, anzurufen, sicher zu gehen, dass es eine form von angst gibt, die sich auf merkwürdige weise unter meiner haut entlangzieht, eine es-wird-gleich-etwas-passieren-angst oder vielleicht ist es auch eine es-ist-schon-etwas-passiert-aber-ich weiß-es-noch-nicht-angst. jemand schreibt mir, dass sie im garten ihres hauses in ramat hasharon ein raketenteil gefunden hat. jemand anderes, dass sie den alarm in einem film für einen alarm in ihrer stadt hielt, in den sicherheitsraum lief und da die vorgeschriebenen zehn minuten sitzenblieb.

bereits um 15 uhr meldete die IDF gestern, dass aus dem libanon mehr als 100 raketen nach israel geschossen wurden. mehr als 100. am freitag wollte ich unbedingt in london sein, am samstag lese ich, dass zehntausende auf einer antiisraelischen demonstration sind, die zur us-botschaft marschieren, um das ende einer unterstützung im krieg gegen hamas und hezbollah zu fordern. am gleichen tag stahlen die aktivist:innen von palestine action eine büste von Chaim Weizmann aus der universität von manchester. anlass war ihnen der 107. jahrestag der balfour-deklaration, die in ihrem wahn der beginn eines ‘ethnic cleansing of Palestine’ sei. später beschmierten sie großflächig weitere orte und räume, so das Britain Israel Communications and Research Centre (BICOM) in hampstead, das büro des Jewish National Fund (JNF) in hendon und das Institute of Manufacturing der Cambridge Universität. auch am samstag morgen schlug eine rakete in Tira ein und verletzte elf menschen. wieder hat es damit eine vor allem von arabischen israelis bewohnte stadt getroffen. nachdem einige tage zuvor zwei bewohner:innen von Majd al-Krum durch eine rakete der hezbollah getötet wurden, hatte es unzählige rassistische kommentare unter artikeln gegeben. heute morgen ließ der iran den 20jährigen Arvin Nathaniel Ghahremani im gefängnis von kermanshah exekutieren. er wehrte vor zwei jahren einen messerübergriff ab und töte dabei den angreifer. nach wie vor sollen rund 10.000 juden:jüdinnen im iran leben. sind damit nach wie vor die größte jüdische gemeinschaft in der muslimischen diaspora. Agam Goldstein-Almog, die als 17jährige gemeinsam mit ihren zwei jüngeren brüdern Gal und Tal sowie ihrer mutter Chen aus Kfar Aza entführt wurden, während die terroristen ihren vater Nadav und ihre ältere schwester Yam ermordeten, hat in einem instagram post ein bild aus ihrer gefangenschaft in den tunneln von gaza veröffentlicht, unter dem sie über die 51 tage sprach und darüber, dass sie zum zeitpunkt der aufnahme nicht wusste, dass sie wenige wochen später freigelassen wird und was es ihr erspart hätte, diese wochen nicht auch noch erleben zu müssen. Benjamin Balint hat einen phatastischen artikel über zeit seit dem 7. oktober geschrieben.

heute sind es 395 tage.