20240807, abends

10 monate.

(für mich) neu ist, dass weitere verweise auf abwesenheit im städtischen raum geschaffen werden. auf bänken und stühlen an straßen und spielplätzen, in parks und bauhaltestellen, auf bahnhöfen ist immer ein bild einer geisel angebracht. immer bleibt ein platz frei, niemand kann sich dahin setzen. immer mehr layer. das vergehen der zeit zeigt sich auch darin, dass wir die erinnerungszeichen unterscheiden können; einige sind älter, vergilbt, abgefallen, in einem schlechteren zustand. andere eben nicht, sondern neu. es zeigt sich aber auch darin, dass vor monaten andere formen existierten, andere farben, andere plakate, symbole, kampagnen. und dann haben viele der plakate für die einzelnen das angegebene alter durchgestrichen und handschriftlich das neue ergänzt.

10 monate.

in einem podcast zu den geiseln erzählte ein therapeut, dass einer der entführten jungs ihm nach der freilassung im november sagte, er habe daran gedacht, dass gilad shalit fünf jahre als geisel in gaza war und er sich dann sagte: okay, fünf jahre, das ist eine zeit, die schaffe ich.

10 monate

ich brauche stunden, um einzuschlafen und heute traue ich mich schon gar nicht mehr, mich hinzulegen, aus angst, nicht einschlafen zu können. ich reagiere sehr auf geräusche. und etwas nicht einordnen zu können, macht schnell wieder wach. dann schlafe ich aber immer doch ein und dann bin ich weitere stunden wirklich weg und wache mittags auf und es gab keinen angriff. das ist das erste, was ich mache: nachsehen, ob es einen angriff gab. und dann quäle ich mich irgendwann aus dem bett und dann machen wir halt alltag. wir sprechen nicht einmal viel darüber, vielleicht so ein paar facts. aber eigentlich gibt es wenig zu reden. oder vielleicht weiß man auch nur nicht, was man sagen soll. die homefront instructions sind nicht geändert, das auswärtige amt gibt keine empfehlungen. wasser soll man dahaben, ein radio. und alltag ist irgendwie bisher auch gut zu machen: vorgestern waren wir im museum on the seam, hummus essen und in einem cafe arbeiten, gestern nur arbeiten zu hause, heute tel aviv. das baby gesehen. am meer gewesen, im hatikva markt hummus gegessen und orangensaft getrunken. es ist leer überall. noch leerer als im märz. außer gerade im zug, da war es sehr voll. manches ist scheinbar wie immer, anderes ist schon ein neues wie immer.

ich kann schlechter denken. ich würde mich selbst gern ein paar fragen beantworten. was ich hier eigentlich mache, wüsste ich zum beispiel gern, was ich mir dabei denke. und wo das hinführen soll. auf eine neue art bin ich disconnected, und ich kann nicht so richtig darüber sprechen. menschen aus deutschland sagen, ich soll zurückkommen, al. spricht gar nicht mehr mit mir, andere schicken mir zusammenfassungen von livetickern, die ich nur schwer einordnen kann. irgendwie macht es einen ganz schönen unterschied, wenn man tatsächlich in einer situation ist, von der andere nur lesen. und man eben doch jeden tag seinen kaffee trinkt oder sich ein eis am bahnhof kauft, bevor man zurück zur wohnung fährt. ich habe mich heute gefragt, ob ich nur nicht loslassen kann. aber dann habe ich zu mi. auch gesagt, dass ich eben nicht weiß, wo ich sonst sein kann.

in wien wurden drei konzerte von taylor swift abgesagt, weil irgendwelche irren wohl einen anschlag planten. in spandau wurde wiederholt das denkmal für die zerstörte synagoge und für die ermordeten juden:jüdinnen des bezirkes beschmiert. das israelische jugend-frisbee-teams wurde nach antisemitischen und israelfeindlichen protesten und drohungen von einer teilnahme an den U17-europameisterschaften in belgien ausgeschlossen. UNRWA hat neun seiner angestellten wegen ihrer teilnahme an den massakern vom 7.oktober gekündigt.