741. oktober, ein erster versuch

seit tagen mogele ich mich um das schreiben herum, aber anders, als bei allen anderen versuchen in den letzten fast zwei jahren. versuche mich mit momenten zu überreden, frühstück im lieblingscafe dazu oder bier und zigarette in einer kneipe. jetzt sitze ich auf dem sofa in meiner wohnung, habe aber immerhin kaffee geholt und mir ein croissant erlaubt. es geht jetzt nicht mehr, über den 7. oktober zu schreiben und komischerweise geht es auch nicht, über einen der darauffolgenden tage zu schreiben, über das gefühl, hoffen zu wollen und es sich zugleich nicht erlauben zu können, nochmal ein anderes gefühl von angst zu haben. montag kamen dann, in zwei stufen, 20 überlebende zurück: Gali und Ziv Berman, Alon Ohel, Matan Zangauker, Ariel und David Cunio, Omri Miran, Eitan Horn, Guy Gilboa-Dalal, Eviatar David, Avinatan Or, Bar Kuperstein, Eitan Mor, Rom Braslavski, Yosef-Chaim Ohana, Elkana Bohbot, Nimrod Cohen, Maxim Herkin, Matan Angrest, Segev Kalfon. obwohl schon klar war, dass hamas nicht wie vereinbart, die 28 ermordeten ebenfalls an isarel übergibt, setzte sich dies erst langsam in der wahrnehmung durch. es gibt viele videos, wie menschen ihre ketten oder gelben schleifen abnehmen. abends kamen dann vier särge zurück: Guy Illouz, Bipin Joshi, Yossi Sharabi und Daniel Peretz. am nächsten tag drei weitere: Tamir Nimrodi, Eitan Levy und Uriel Baruch und gestern nacht dann Inbar Haiman und Muhammad el-Atrash. hamas verstieß zwar damit gegen das abkommen, aber es schien, dass es quasi keine druckmittel für israel dagegen gibt. nun sagen sie, mehr hätten sie nicht lokalisieren können. wir sehen wieder besessen die videos der überlebenden an und wir hören wieder geschichten der gewalt; von käfigen, so klein, dass man darin nicht stehen konnte, von einsamkeit und isolation, von angeketteten körpern, von schlägen und anderer gewalt, von wenigem bis keinem essen, von keinem sonnenlicht, zu wenig luft zu atmen, manchmal über die gesamten zwei jahre. gestern abend war ich auf der beerdingung von Daniel Peretz. Matan Angarest war da, der vater von Itay Chen, dessen leiche immer noch in der gewalt der palästinenser ist, ebenfalls. Matan hat gesprochen. wie zerbrechlich er ist. wie traurigkeit aussieht.

mehrmals zu anderen gesagt, dass ich noch nie in meinem leben so viele gefühle gleichzeitig hatte, die sich dabei in so einer großen spannbreite bewegen. und wie gleichzeitig rahmen und anker fehlen, sie zu fassen zu bekommen, einzuordnen. überwältigt ist zu wenig. auch hierbei und jetzt geht die suche nach superlativen weiter, dabei die wiederkehrende erkenntnis, dass die worte, die ich kenne, nicht ausreichen, auch nur annähernd zu sagen, wie es mir geht, was ich denke. mehrmals höre ich etwas zu den geräuschen, tönen, schreiben, die die angehörigen machen, als sie die überlebenden wiedersehen. wie diese kommen aus dem tiefsten ihrer körper, wie sich alles in sie legt, wie man sie nie vorher gehört hat, wie sie sich tief eingraben. auch dafür gibt es keine begriffe.

jetzt endlich kann ich außerhalb meines kopfes zugeben, dass ich angst hatte, das Ariel Cunio ermordet wurde, merke ich die erleichterung, dass (weitere) 20 das tatsächlich überlebt haben. wie gut man sie kennt. wie irritierend das bleibt. jetzt merke ich, dass (auch) ich anders atme. selbstverständlicher. habe in den letzten tagen so oft gehört, dass ich es verdiene gerade hier zu sein, so oft, dass ich es fast selbst glaube, mich dann aber doch immer auch daran erinnere, dass das eine merkwürdige feststellung bleibt, egal wie viele menschen sie wiederholen.

und ich habe bewusst zum ersten mal seit zwei jahren etwas allein vorfreudiges angedacht, dass zudem in unüberschauberer ferne liegt: konzerttickets für the cure im nächsten sommer gekauft.