der heutige tag begann eigentlich schon letzte nacht. erst kamen aufrufe, dass es noch einmal eine große demonstration und andere proteste geben soll, weil nethanjahu am freitag im rahmen der entscheidung des sicherheitskabinetts gegenüber yoav gallant auf der präsenz israels im philadephi korridor beharrte, da dies wichtiger sei, als die geiseln zurück zu bekommen. dann kamen nachrichten zu dem gerücht, dass die idf die leichen von sechs geiseln gefunden hat. das erste was ich nach dem wachwerden mache, ist eine nachrichten-app zu öffnen, und die namen zu sehen. jeder name ist immer ein schock, aber als ich die bilder von Hersh Goldberg-Polin, Eden Yerushalmi, Ori Danino, Alex Lobanov, Carmel Gat und Almog Sarusi sehe, kriege ich einen moment keine luft und werde den ganzen tag schwierigkeiten haben, tief einzuatmen. Hersh Goldberg-Polin war 23, vielleicht war er die geisel, die die meisten menschen kannten. er hatte auch eine us-amerikanische staatsbürgerschaft, war mit sieben jahren mit seinen eltern jon polin und rachel goldberg und zwei schwestern nach israel gekommen. vor seiner entführung verletzte ihn eine granate der hamas so schwer, dass er den linken unterarm verlor. am 24. april hatten die terroristen ein video mit ihm veröffentlicht. immer wieder gab es für ihn auch in deutschland solidaritätsaktionen, u.a. von (den fans von) werder bremen oder auf dem fusion festival. Eden Yerushalmi ist in geiselhaft 24 jahre alt geworden, sie lebte in tel aviv und es gibt eine sprachaufnahme von ihrer entführung, bei der sie darum flehte, dass man sie wiederfindet. Ori Danino war 25, lebte wie Hersh in jerusalem und wollte ein studium in elektrotechnik beginnen. er war bereits entkommen, fuhr dann aber zurück auf das nova-gelände, um mehr menschen retten zu können. Alex Lobanov war 32 jahre alt und lebte mit seiner frau michal in aschkelon. sie haben ein zweijähriges kind und ein baby, das vor fünf monate geboren wurde; das Alex also nie kennengelernt hat. Carmel Gat war 40 jahre alt und lebte in tel aviv. sie war die einzige der sechs, die aus be’eri entführt wurde, wo sie das wochenende bei ihren eltern verbringen wollte. ihre mutter, kinneret, wurde am 7.oktober ermordet. 50 tage wussten die angehörigen nichts von ihrem schicksal, dann erzählten freigelassene geiseln, dass Carmel ihnen in gefangenschaft yoga und meditation unterrichtet hat. regelmäßig gab es in den letzten wochen in tel aviv und jerusalem öffentliche yoga-stunden, um ihr schicksal im bewusstsein zu halten und ihre freilassung zu fordern. als ich letzte woche im hostage tent in jerusalem war, erzählte mir jemand, dass er sie kannte, weil sie auch in jerusalem studierte. Almog Sarusi war 27 und aus Ra’anana. er war mit seiner freundin Shahar beim nova-festival und blieb an ihrer seite, als sie verwundet wurde und starb.
als ich aufstehe, merke ich, das es regnet. die wetter-app hat es nicht angekündigt und es ist viel zu früh. ein paar stunden später wird eine frau auf der straße zu mir sagen, dass ‘g’tt mit und weint’. ich zweifle, dass das stimmt, aber es fällt mir nicht schwer, es so stehenzulassen.
ich war sowieso für meine verhältnisse sehr früh mit ha. verabredet und wir sitzen in ihrer künstlerinnenwohnung mit den tausend dingen und ich muss immer wieder weinen. sie ist 78 und irgendwie gefasster und zugleich nehmen unsere gespräche immer wieder einen verlauf, bei dem sie mir sagt, ich hätte zu viel hoffnung. das hat mir ungefähr noch niemand vorgeworfen, aber ich merke, es gibt eine diskrepanz in der bewertung von beobachtungen, wenn ich es zum beispiel hervorhebe, dass es etwas bedeutet, dass israelische medien / nachrichten den angehörigen und den opfern so viel raum geben. im hintergrund lief der fernseher und der vater einer geisel, ich habe leider nicht verstanden von wem, spricht sehr lange und weint immer wieder. andere teilnehmer:innen der runde zwischendurch ebenfalls. ich weiß bis jetzt nicht die namen der opfer von solingen.
wir gehen dann zu einem neuen protestcamp; zelte die am rothschild vor habima aufgestellt wurden. sehr viele plakate und menschen, die immer wieder die straße blockieren. jemand schenkt mir ein eis. es ist leise und laut zugleich. traurig und wütend. wir stellen uns immer für minuten auf die straße. immer wieder werden die namen der sechs toten verlesen. immer wieder wird sich bei ihnen entschuldigt. immer wieder gibt es schweigeminuten. man weiß mittlerweile, dass sie erst kurz vor dem eintreffen der idf ermordet wurden, vielleicht am freitag. aus kurzer nähe erschossen. hingerichtet. in einem tunnel in rafah, nur rund einen kilometer von da entfernt, wo die soldaten Qaid Farhan Alkadi befreit hatten. am freitag standen die angehörigen noch an der grenze zu gaza und schrieen ihre wünsche und hoffnungen und ihr flehen in ihre richtung. 330 tage haben sie diese hölle überlebt.
gestern nacht war ich schon mal den rothschild blvd. entlang gelaufen, der mittlerweile links und rechts von gelben zeichen gesäumt wird; gehäkelte/gestrickte schals oder flächen, schleifen aus pappe, fahnen, bänder, die die bäume verbinden. ich hatte vor ein paar tagen erst einen artikel gelesen, dass in zürich ein eruv entsteht. und das ist natürlich etwas anderes, aber trotzdem kam ich nicht umhin zu bemerken, wie zeichen einen raum bilden, und sich die funktionen, möglichkeiten in ihm dadurch verändern.
heute abend fanden nicht nur riesige demonstrationen, sondern bereits die ersten beerdigungen statt. nun gibt es auch bilder und videos der trauer der familie, freund:innen, angehörigen. immer neue risse, immer neue schnitte.
nachdem ich mir nach der demo noch ein alleine-bier in einer lieblingsbar leistete und eine zigarette dazu, begegnen mir in den fast leeren straßen von florentin immer wieder einzelne menschen oder kleine gruppen, die auch bring-them-home oder andere tshirts für die geiseln tragen. obwohl es nicht spät ist, gibt es nur ein paar bars oder essensorte, die offen sind. alle sind wenig frequentiert und wenn dann vor allem mit menschen, die auch von der demo kamen. es ist irritierend beruhigend, dieses sich nicht kennen, und trotzdem zu wissen, das man etwas teilt. kurz vor meinem haus sehe ich ein sehr neues bring-them-home-poster mit Eden Yerushalmi. alles bedeutet etwas anderes jetzt.
morgen gibt es einen streik. das hostage forum hat es gefordert, die Histadrut Labor Federation hat nun dazu aufgerufen und andere vertretungen von firmen etc. schlossen sich an. ab morgens um 8 uhr wird auch der flughafen schließen.
gestern war es noch wichtig, heute nicht mehr: ich habe keine tickets für oasis bekommen. von mir aus können sie sich also auch wieder auflösen.