20240827, abends

der tag begann mit der seit spätestens gestern vorhersehbaren, wenngleich nicht weniger emotional verwirrenden nachricht, dass oasis wieder zusammen auftreten wollen und zwar im sommer des kommenden jahres. meine emotionale lage ist uneindeutig und ich habe es den ganzen tag über nicht geschafft, da klarheit zu gewinnen, aber gerade doch schon mal zur sicherheit gecheckt, ob mein englischer ticketmaster-account noch existiert. d. vermisst, der wüsste was zur sagen zur einordnung des ganzen.

nachmittags kam dann die nachricht, dass Qaid Farhan Alkadi lebend aus einem tunnel im süden gazas gerettet wurde. er ist 52, beduine und war am 7.oktober aus dem Kibbutz Magen entführt worden, wo er als guard gearbeitet hat. er hat elf kinder und eine 90jährige mutter, ich weiß nicht, wie viele geschwister. sie leben in/bei Rahat. es gibt videos, wie seine familienangehörigen den krankenhausflur entlangrennen und wenig später bei ihm sind. sie sind so glücklich, so erleichtert, so aufgeregt. ich kann immer nur wieder weinen, wenn ich es sehe. er sieht so anders aus als auf den bildern, deutlich älter als 52 und soll 25 kilo abgenommen haben. sein körperlicher zustand sei okay, heißt es, aber auch, dass sich das erst in den kommenden tagen wirklich zeigen wird, weil auch bei den anderen befreiten / freigelassenen geiseln der zustand zunächst durch das adrenalin und die erleichterung bestimmt werde.

ich habe später jemadem in deutschland via chat zu erklären versucht, wie emotional das für mich ist und habe gemerkt, dass es nicht verstanden wird. ich habe versucht zu erklären, wie anders es hier funktioniert, wie viel man weiß von den menschen, die entführt oder ermordet wurden, wie präsent sie sind. während man in deutschland nicht einmal die namen derjenigen zu kennen scheint, die am vergangenen wochenende in solingen ermordet wurden. ich glaube nicht, dass ich verstanden wurde.

ich bin es in meiner geschichte gewohnt, dass wenn ich irgendwo rumstehe mit plakaten oder transparenten oder was auch immer, angegriffen zu werden. das hatte ich als phänomen und realität vergessen, bis ich jetzt mehrmals vor dem hostage tent hier in jerusalem stand, und plakate der entführten hochgehalten habe. man steht da allein oder zu zweit und zeigt sie den passant:innen, die zu fuss oder im auto die ziemlich frequentierte straße entlangkommen. und ich mache das gern, weil ich es für eine gute sache halte, sichtbarkeit und so. aber ich habe mich immer auch unwohl gefühlt und endlich ist mir aufgegangen warum: ich rechne die ganze zeit damit, angepöbelt, beschimpft, bedroht zu werden. als heute ein bus sehr nahe an dem bürger:innensteig fuhr, merkte ich, wie ich erwarte, dass er auf / in uns zu / reinrast. und dann ist mir auch aufgefallen, dass ich immer zuerst unsicher bin, wenn menschen mich ansprechen und überrascht, wenn sie gutes sagen, emotionales, von ihren gefühlen, gebeten, ängsten, gedanken, hoffnungen reden und/oder darüber, wie wichtig dieser ort für sie ist. und dass ich noch nicht so richtig verinnerlicht habe, dass das hupen der vorbeifahrenden autos zustimmung ist, nicht hass. oder dass die jugendlichen, die lärmend vorbeigehen, t-shirts mit der aufschrift kfar azza tragen. und die frau, die mich anspricht, mir in gebrochenem englisch erzählt, dass heute eine geisel lebend gerettet wurde und beduine ist und israel auch ihn rettet.

ich hadere sehr damit, hier zu sein. auch, weil menschen mir das gefühl geben, mich dafür rechtfertigen zu müssen. aber heute gab es keinen zweifel daran, dass es gut ist.

letzter tag in jerusalem.