20240702, nachmittags

ich komme mit verspätung aus hamburg zurück, ich besuche eine veranstaltung von ingo elbe, ich trinke ein bier und fahre mit der u8 nach hause. neben mir steht ein paar, junge menschen, beide einen kopf kleiner als ich, alternative hipster oder so und kommen mir immer wieder zu nahe. ich bin etwas genervt, verschiebe meine kopfhörer und merke sofort, dass sie hebräisch sprechen. ich scanne meine umgebung, versuche rauszufinden, ob die beiden arabisch sprechenden männer auf der anderen seite neben mir das auch bemerkt haben oder die gruppe aus linken und queer menschen, die auf der schräggegenüberliegenden bank sitzen. eine:r steht auf und hängt sich an die haltestange neben uns. und ich denke darüber nach, wie ich reagiere, wenn jemand die beiden angreift, beleidigt, aggressiv wird, whatever. ich weiß, wie wichtig es ist, das im inneren durchgegangen zu sein, um reagieren zu können, handeln zu können. ich steigere mich innerhalb weniger minuten hinein in situationen, die noch nicht eingetreten sind, die ich mir aber in vielen facetten unkompliziert ausmalen kann. widerstehe aber zugleich wemauchimmerseidank dem drang, den beiden zu sagen, dass ich ihnen helfen würde oder irgend einen anderen pathetischen unsinn. jedenfalls hält der zug irgendwann und sie steigen einfach aus. und ich fahre noch ein paar minuten weiter, und bleibe vor einem späti hängen, um die verlängerung und das elfmeterschießen von portugal slowenien anzusehen.

zu meinem geburtstag habe ich mir einen nachrichtenfreien tag geschenkt. den ich dann damit verbracht habe, angst zu haben, dass der krieg mit dem libanon/iran losgeht und ich es zu spät merke. war so mittelentspannend aber endete trotzdem mit einem abend im holzkohlen.

nicht wissen, wie man die frage nach dem “wie es geht” beantworten soll, gegen das permanente gefühl ankämpfen, dass man menschen mit den steten verweisen auf die geiseln, antisemitismus und bedrohungen zunehmend nervt, von zusammenkünften mit freund:innen, bei denen es mit keinem wort um diese themen geht, ausgelaugt sein, weil es so wahnsinnig krass viel kraft kostet, nicht darüber zu reden. innerhalb von fünf tagen von zwei in deutschland lebenden jüdischen müttern gehört (eine ist aus israel eingewandert, die andere aus der ukraine), die seit den wochen nach dem 7.oktober angst haben, in ihren jeweiligen städten unterwegs zu sein, die ihre wohnungen kaum noch verlassen, nicht schlafen können. mehrere menschen sagten mir, dass sie überlegen, ihre forschungsfelder zu wechseln, um weniger angreifbar zu sein und noch die chancen auf finanzierungen zu haben. ihre forschungsfelder sind holocaust studies.

mir ein ticket für ein interpol konzert im oktober gekauft und mich erschrocken vor so viel zukunftsplan.

spanien hat gestern mitgeteilt, sich der klage von südafrikas gegen israel vor dem internationalen gerichtshof anzuschließen. der oberste gerichtshof in israel entschied bereits vergangene woche, dass haredi nicht vom wehrdienst ausgeschlossen sind. endlich. in der kanadischen stadt ontario wurde ein jüdischer junge auf seinem schulweg wiederholt von anderen kindern angegriffen, erhielt unter anderem todesdrohungen und wurde mit steinen beworfen. in der kanadischen stadt north york, toronto werden steine auf die synagoge “pride of israel” geworfen und fenster zerstört. Liora Argamani, die mutter von Noa, ist gestorben. ein elal-flugzeug, dass von tel aviv nach warschau fliegen wollte, musste in der türkei notlanden, wo sich die flughafenmitarbeiter:innen weigerten, es aufzutanken. an der fu Berlin gibt es ein hamas-unterstützer:innen-camp. am flughafen heathrow wird es den mitarbeiter:innen gestattet, free-palestine button und/oder kufiya zu tragen,, weil es reisenden vermittelt, sie könnten arabisch sprechen (hä?)- irgendwie stört es kaum jemanden, dass mindestens einmal pro woche ein antisemitischer aufmarsch in berlins zentrum stattfindet. immer wieder beschwören menschen, dass die linken in frankreich doch noch gewinnen mögen, dass deren vertreter:innen antisemit:innen sind, wird nicht erwähnt. die wirkliche hauptsache, dass die rechten/rechtsextremen nicht gewinnen, steht über der konkreten situation von juden:jüdinnen und dem hass, dem sie ausgesetzt sind. dies spielt immer nur dann eine rolle, wenn es sich in das eigene narrativ guten handelns und erinnerns integrieren lässt. die unfähigkeit, die frage nach anderen lösungen anzustreben, druck aufzubauen, dass sich eine linke von ihrem antisemitismus wenigstens öffentlich distanzieren muss, sind nicht einmal in der debatte. dass serge klarsfeld gesagt hat, in der stichwahl für den rechten block zu wählen, hat ihn zu feind gemacht, weil er den rahmen der indienstnahme, den linke für überlebende zugestehen, verlassen hat. es ist zum kotzen. wir waren immer in der kleinen minderheit, sagte k. nach einer dieser winzigen kundgebungen. und ja und aber nun wird das zu einer noch viel größeren bedrohung für juden:jüdinnen als es sowieso schon war.

verlag schickt layout-vorschläge und Im not amused. muss podcastfolgen durchhören und freigeben, in denen ich über die 1990er jahre spreche und stelle fest, es ist schwieriger, sich selbst über diese zeit reden zu hören, als darüber zu reden. und das ist schon kaum machbar.